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Berlin: (hib/EIS/JOH) Nach Ansicht von Bildungsexperten benachteiligt das stark selektiv ausgerichtete deutsche Schulsystem Menschen mit Behinderungen und verstößt damit gegen die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen. Die Lern- und Sprachbehinderten blieben als größte Gruppe per se von vornherein ausgeschlossen, weil die Regelschulen überfordert seien, ein adäquates Bildungsangebot zu gewährleisten, kritisierte unter anderem Professor Hans Wocken von der Universität Hamburg. Er war einer von acht Experten, die der Unterausschusses des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Mittwoch in eine öffentliche Anhörung eingeladen hatte, um mit ihnen über die Umsetzung und die Folgen der UN-Konvention und die Bedeutung für das Bildungswesen zu diskutieren.
Tatsache sei, kritisierte Wocken, dass 85 Prozent aller Behinderten Förderschulen besuchten. Deutschland verschenke damit auch Begabungen. ”Spezielle und sehr betreuungsintensive Behinderungen sind selten“, bedauerte Wocken und forderte als Sofortmaßnahme die Abschaffung von Sonderschulen und die flächendeckende Zuteilung von Sonderpädagogen an Regelschulen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist seit Mai 2008 in Kraft und wurde auch von Deutschland ratifiziert. Zentrale Forderung ist die soziale Inklusion, also die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in den Alltag und in die Bildung.
”Wenn die Inklusion erfolgreich durchgesetzt wird, dann wird es die unterschiedlichen Schultypen in Deutschland nicht mehr geben“, prognostizierte der Sachverständige Wolfgang Blaschke von der Initiative ”Eine Schule für alle“. Auch Norbert Hocke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sagte, ”das gegliederte Schulsystem wird auf lange Sicht durch die Inklusion unterlaufen“. Martin Eckert vom Verband der Körper- und Mehrfachbehinderten betonte, die UN-Konvention biete für die Eltern eine ”Riesenchance“. Die Jahrzehnte des Aussonderns von Kindern aus den überforderten Regelschulen in Förderschulen seien endlich vorbei.
Einen bedeutenden Schub durch die UN-Konvention sah auch Edna Rasch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge. ”Inklusion bedeutet: Keine Diskriminierung mehr. Sonderzuweisungen von Kindern in Förderschulen gegen den Willen der Eltern werden nicht mehr möglich sein“, erklärte sie. Die bisher praktizierte ”Segregation“ müsse überwunden werden.
”Die Durchlässigkeit der Schulen muss für alle Schüler gelten“, forderte Gerhard Zupp von der Bundesarbeitsgemeinschaft Behindertenpädagogik. Barrieren für Sprachbehinderte seien einfach abzubauen: ”Räumliche Verhältnisse, das Vermeiden von Hintergrundgeräuschen, angepasste Arbeitsmaterialien und visuelle Angebote wären einfache Lösungen.“
”Die Schulen brauchen jetzt unsere Unterstützung“, forderte Rainer Dillenberg von der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung. ”Schon unter den heutigen Rahmenbedingungen ist inklusive Schulbildung möglich“, betonte er und forderte umfassende Änderungen aller Schulgesetze ohne Einschränkungen.
Als Problem bei der Umsetzung der ”inklusiven Bildung“ machten die Experten einstimmig die föderale Struktur des Bildungswesens aus. Jedes Bundesland interpretiere die Konvention unterschiedlich. ”Wir brauchen ein einheitliches Leitbild“, forderte Wolfgang Blaschke und bat die Kinderkommission des Bundestages das Thema durch bundespolitische Initiativen voranzubringen.
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