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Die Professorin bezeichnete es als zentrales Manko des BIP, dass diese Messmethode lediglich das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen feststelle und dabei die Verteilung des Reichtums in der Bevölkerung außer acht lasse. In Entwicklungs- oder Schwellenländern entstehe über das BIP zudem ein verzerrter Eindruck über das ökonomische Niveau, da ausländische Unternehmen mit ihren Investitionen zwar vor Ort das BIP steigerten, einen Teil des Geldes aber in ihre Heimat transferierten. Überdies, so Nussbaum, sage etwa das hohe BIP-Wachstum in China nichts aus über die Lebensqualität der Bewohner, die zum Beispiel auch von der Religionsfreiheit abhänge. Das BIP lenke den Blick „nicht auf die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten der Menschen“.
Im Kern kommt es für die US-Philosophin darauf an, die Bürger zu befähigen, ihre persönlichen Potenziale zu verwirklichen. Als wesentliche Voraussetzungen nannte sie den Zugang zu Bildung und Gesundheitsdienstleistungen, eine berufliche Beschäftigung und die Chance zur politischen Teilhabe. Zur Untermauerung ihrer Kritik an der Orientierung von Politik und Wissenschaft am Wirtschaftswachstum wies Nussbaum darauf hin, dass es im armen Süden Indiens um die Alphabetisierung der Bevölkerung und um das Gesundheitswesen vielfach besser bestellt sei als in reicheren indischen Bundesstaaten.
Als sinnvolles Mittel zur Mehrung des gesellschaftlichen Wohlergehens empfahl die Referentin für die Dritte Welt etwa die Gewährung von Kleinkrediten zur Anschaffung von Produktionsmitteln wie Nähmaschinen, um so Frauen die Chance zu einer selbstständigen Existenz einzuräumen. Auf dieser Basis würden dann auch der Fortbildungswillen oder die Mitwirkung in politischen Organisationen befördert. Es genüge im Übrigen nicht, so Nussbaum, Unterernährten einfach Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse man Programme entwerfen, die es den Betroffenen ermöglichen, selbst Nahrungsmittel zu produzieren. Glück, betonte die Professorin aus Chicago, habe auch etwas mit Aktivität zu tun.
Die Enquetekommission, der unter dem Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) 17 Abgeordnete und 17 Wissenschaftler angehören, soll das rein ökonomisch und quantitativ ausgerichtete BIP als Messgröße für gesellschaftliches Wohlergehen weiterentwickeln und etwa um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien ergänzen. Die Debatte mit Martha Nussbaum über den „Fähigkeitenansatz“ als alternatives Modell zur Ermittlung von Lebensqualität fügte sich in diese Bemühungen ein. Letztlich soll die Arbeit des Bundestagsgremiums in die Definition dessen münden, was als qualitatives Wachstum gelten kann und wozu beispielsweise die Entkoppelung des Ressourcenverbrauchs von der Steigerung der Wirtschaftsleistung zählt.
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