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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 18. April 2011)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Edzard Schmidt-Jortzig, plädiert für eine eingeschränkte Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID). „Einem Paar sollte der Weg zur Erfüllung seines Kinderwunsches offenstehen, auch wenn ein schwerwiegendes genetisches Risiko besteht“, sagte der frühere Bundesjustizminister in einem Interview der Zeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 18. April 2011). Zwar sei der Lebensschutz ein hochrangiges Ziel der Gesellschaft und des Staates. Vor dem Leid derjenigen Paare, die bei einer In-vitro-Fertilisation nur über die Auswahl lebensfähiger Embryonen zu einem Kind kommen könnten, wolle er aber nicht die Augen verschließen. Zudem werde bei der PID nicht auf grundsätzlich andere Weise in das Lebensrecht des Embryos eingegriffen als bei einem Schwangerschaftsabbruch.
Der FDP-Politiker sprach sich für eine Reform des Embryonenschutzgesetzes aus. Dieses entspreche „an vielen Stellen nicht mehr dem medizinisch-wissenschaftlichen Stand“. So sei die Frage, wie mit den bei einer künstlichen Befruchtung entstehenden überzähligen Embryonen umzugehen ist, „möglicherweise heute anders zu beantworten als 1990“, sagte Schmidt Jortzig und verwies in diesem Zusammenhang auf neue Möglichkeiten der Konservierung.
Der Ethikrat-Vorsitzende bejahte die Frage, ob eine – wenn auch eingeschränkte – PID-Zulassung zu einem abgestuften Lebensrecht führe. Er glaube, „dass die Leugnung einer abgestuften Lebensentwicklung ein Dogmatismus ist, der an der Realität vorbeigeht“. Rechtlich sei schon heute nicht Leben in jedem Stadium gleich geschützt. Schmidt-Jortzig sagte, er könne sich vorstellen, dass ein striktes PID-Verbot „zunehmend ins Leere läuft, da die Möglichkeit der PID im benachbarten Ausland wahrgenommen werden kann“. Mit Blick auf die zwei in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe, die eine PID in Grenzen ermöglichen wollen, sagte Schmidt-Jortzig, er fände es „merkwürdig“, wenn die letzte Entscheidung über einen Gentest an Embryos von einem Ethikkomitee getroffen, „also dessen moralische Überzeugung über die der Eltern gestellt“ würde.
Die Kritik, die im Zuge der PID-Debatte am Deutschen Ethikrat laut geworden ist, wies Schmidt-Jortzig zurück. Das Gremium sei qua seines gesetzlichen Auftrages gehalten, die unterschiedlichen Strömungen der Gesellschaft zu repräsentieren. „Eine einheitliche Positionierung zum Thema PID zustande zu bringen, ist schon vor diesem Hintergrund unmöglich und im Übrigen auch nicht wünschenswert“, betonte der emeritierte Rechtsprofessor.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Schmidt-Jortzig, der Bundestag hat vergangenen Donnerstag in einer eindrucksvollen Debatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID) diskutiert. Bis zum Sommer soll es eine Entscheidung zu den umstrittenen Gentests an künstlich befruchteten Eizellen geben. Reicht die Zeit für die parlamentarischen Beratungen zu dieser schwierigen Frage aus?
Die Beratungszeit müsste reichen. Es liegen mittlerweile sämtliche Argumentationen auf dem Tisch. Neben dem Deutschen Ethikrat haben auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Kirchen und verschiedene andere Gremien Positionen formuliert. Aus meiner Sicht haben sich außerdem erstaunlich und erfreulich viele Abgeordnete des Bundestages eingehend mit dem Thema beschäftigt.
Ist nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes, derzufolge die Anwendung der PID nicht grundsätzlich unzulässig ist, überhaupt das Parlament gefragt?
Mit dem Embryonenschutzgesetz gibt es einen gesetzlichen Rahmen. Mit seiner Entscheidung zur PID hat der Bundesgerichtshof allerdings deutlich gemacht, dass dieser Rahmen nicht präzise genug gefasst ist. Den Gesetzgeber braucht es allein schon deshalb, um rechtliche Sicherheit für Ärzte und Patienten zu schaffen.
Der Ethikrat hat eine Stellungnahme zur PID vorgelegt. Haben Sie den Eindruck, dass sie im Bundestag ausreichend zur Kenntnis genommen worden ist?
Ja – insbesondere nachdem durch informelle Absprachen erreicht werden konnte, dass die parlamentarischen Beratungen erst nach Erscheinen der Stellungnahme beginnen.
Zu einer Empfehlung für oder gegen die PID konnte sich das Gremium nicht durchringen. Wieso nicht?
Wir sind schon qua unseres gesetzlichen Auftrages gehalten, die unterschiedlichen Strömungen der Gesellschaft zu repräsentieren. Eine einheitliche Positionierung zum Thema PID zustande zu bringen, ist schon vor diesem Hintergrund unmöglich und im Übrigen auch nicht wünschenswert.
Welche grundsätzlichen Unterschiede gibt es denn in der Auffassung der Ethikratmitglieder?
Der grundlegende Konflikt dreht sich um die Absolutheit des Lebensschutzes. Wenn man diesen als oberstes, nicht diskutierbares Prinzip akzeptiert, führt dies unweigerlich zu der Forderung nach einem strikten Verbot der PID. Elf der 26 Mitglieder des Ethikrates tragen diese Forderung mit.
13 Ethikratmitglieder, zu denen auch Sie zählen, sprechen sich für eine eingeschränkte Zulassung der PID aus. Warum?
Auch wir sehen den Lebensschutz als ein hochrangiges Ziel der Gesellschaft und des Staates an. Aber wir wollen nicht die Augen vor dem Leid derjenigen Paare verschließen, die bei einer In-vitro-Fertilisation nur über die Auswahl lebensfähiger Embryonen zu einem Kind kommen können. Diesen Paaren die Anwendung der vorhandenen medizinischen Möglichkeiten zu verbieten, erschien uns nicht angängig. Oder anders formuliert: Einem Paar sollte der Weg zur Erfüllung seines Kinderwunsches offenstehen, auch wenn ein schwerwiegendes genetisches Risiko besteht. Bei der PID wird zudem nicht auf grundsätzlich andere Weise in das Lebensrecht des Embryos eingegriffen als bei einem Schwangerschaftsabbruch.
Der Ethikrat hat die Frage aufgeworfen, was im Falle einer eingeschränkten PID-Zulassung bei künstlicher Befruchtung mit überzähligen Embryonen passieren soll. Muss das Embryonenschutzgesetz geändert werden?
Schon vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur PID im vergangenen Juli hat sich der Ethikrat entschieden, die Fortpflanzungsmedizin auf seine Agenda zu setzen. Das Embryonenschutzgesetz entspricht an vielen Stellen nicht mehr dem medizinisch-wissenschaftlichen Stand. Deshalb ist die Frage, wie mit den bei einer künstlichen Befruchtung entstehenden überzähligen Embryonen umzugehen ist, möglicherweise heute anders zu beantworten als 1990, wenn Sie allein an die neuen Möglichkeiten der Konservierung denken.
Aber das längere Aufbewahren von befruchteten Eizellen wäre doch nur eine Verschiebung des ethischen Grundproblems, was mit den mittels PID aussortierten Embryonen geschehen soll, aus denen sich ein Mensch entwickeln könnte?
Im Grunde ja. Da es – jedenfalls nach der Vorstellung fast aller – bei Embryonen um menschliches Leben geht, muss es dazu möglichst feste Vorschriften geben. Aufgabe des Staates ist es, Leben zu schützen.
Führt eine – wenn auch eingeschränkte PID-Zulassung – nicht automatisch zu einem abgestuften Lebensrecht je nach Entwicklungsstadium?
Ja. Aber ich glaube, dass die Leugnung einer abgestuften Lebensentwicklung ein Dogmatismus ist, der an der Realität vorbeigeht. Rechtlich ist schon heute nicht Leben in jedem Stadium gleich geschützt. Das Strafrecht interessiert sich nicht dafür, was vor der Einnistung der befruchteten Eizelle passiert. Denken Sie etwa an bestimmte Verhütungsmethoden. Eine weitere Abstufung gibt es bei der Abtreibung. Erst bei Schwangerschaften, die länger als drei Monate bestehen, sind Abbrüche nur noch bei erheblicher Gesundheitsgefährdung der Mutter möglich.
Lässt sich die PID, ist sie erst einmal zugelassen, tatsächlich in Grenzen halten?
Wir sehen in anderen europäischen Ländern, etwa in Frankreich, dass das durchaus geht. Außerdem weiß ich nicht, woher eigentlich die Sicherheit genommen wird, dass eine Begrenzung weniger haltbar sein soll als ein striktes Verbot. Ich könnte mir sogar eher vorstellen, dass ein solches Verbot zunehmend ins Leere läuft, da die Möglichkeit der PID im benachbarten Ausland wahrgenommen werden kann.
Keiner der drei in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe überlässt es der Gewissensentscheidung der potenziellen Eltern, nach einer künstlichen Befruchtung eine PID durchzuführen. Hat Sie das überrascht?
In der Tat fände ich es merkwürdig, wenn, wie in den beiden Entwürfen für eine eingeschränkte PID-Zulassung vorgesehen, die letzte Entscheidung von einem Ethikkomitee getroffen würde; also dessen moralische Überzeugung über die der Eltern gestellt wird. Diese Forderung findet sich auch nicht in dem Votum des Ethikrates für eine eingeschränkte Zulassung der PID, dem ich mich angeschlossen habe. Wir wollen nur einen Rahmen ziehen, in dem Eltern ihre persönliche Entscheidung treffen.
Welche Begrenzungen regen Sie an?
Gesetzlich verbieten wollen wir die PID zur Geschlechtsfeststellung oder wenn beabsichtigt ist, Embryos für die Spende von Zellen, Geweben oder Organen auszuwählen. Die PID sollte dagegen zulässig sein, wenn die Eltern nachweislich Erbanlagen tragen, die beim Kind zu einer schweren Krankheit oder Behinderung führen würden und wegen der Gesundheitsgefährdung der betreffenden Frau Anlass für eine medizinische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch wären. Ferner soll die PID zugelassen werden, wenn bei den Eltern ein hohes Risiko vorhanden ist, eine Chromosomenstörung zu vererben, die eine Lebensfähigkeit des Embryos außerhalb der Gebärmutter ausschließt. Ähnliches soll für Eltern mit wiederholten Fehlgeburten gelten.
Erwarten Sie, dass mit der PID Spätabtreibungen verhindert werden können?
Ja, das halte ich für möglich. Allerdings muss man sehen, dass die PID auf wenige hundert Fälle pro Jahr beschränkt bleiben wird. Doch selbst wenn nur ein kleiner Teil an Spätabtreibungen verhindert werden kann, lohnt es sich schon.
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