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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 14. Juni 2011)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Der Vorsitzende des Bundestags-Europaausschusses, Gunther Krichbaum (CDU), fordert Griechenland in der aktuellen Schuldendiskussion auf, seine selbst gegebenen Versprechungen zu erfüllen. „Das Land kann aus eigener Kraft noch mehr tun“, sagte Krichbaum. Zudem kritisierte er, das angedachte Privatisierungsprogramm und die dabei geplanten Erlöse in der Größenordnung von 50 Milliarden Euro „hätte man schon vor Jahren auf die Bahn bringen können“. Gleichzeitig nannte Krichbaum Stimmen, die fordern, Griechenland solle zurück zu seiner ursprünglichen Währung, der Drachme, „alles andere als hilfreich“.
Mit Blick auf den künftigen dauerhaften Euro-Rettungsschirm (ESM) schloss er nicht aus, dass einzelne Fraktionen das Bundesverfassungsgericht zur Streitlösung anrufen werden. In dem Streit zwischen Bundesregierung und Parlament über die Frage, ob der Bundestag zustimmen muss, wenn Deutschland angeschlagene Euro-Länder mit milliardenschweren Kapitalspritzen stützt, hatte sich bereits Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) eingeschaltet. Dabei hatte Lammert auf die verfassungsrechtliche Budgetverantwortung des Bundestages verwiesen.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Krichbaum, erst der Streit um Schengen, nun erneut Sorgen um Griechenland - die Zahl der Euroskeptiker wächst. Bleiben Sie dennoch Optimist?
Krichbaum: Absolut. Europa ist eine Notwendigkeit, und wir müssen die Bürger davon überzeugen, dass es zu einem geeinten Europa gerade im Zeitalter der Globalisierung überhaupt keine Alternative gibt. Wir brauchen jetzt positive, unterstützende Stimmen. Ich habe den Eindruck, dass Errungenschaften des vereinten Europas in diesen Tagen etwas zu selbstverständlich geworden sind.
Was meinen Sie damit?
Krichbaum: Um Frieden, Freiheit, Rechtstaatlichkeit und Wohlstand werden wir weltweit beneidet, beispielsweise in den nordafrikanischen Ländern. Dort gehen die Menschen für Demokratie und Freiheit auf die Straße und riskieren ihr Leben. Hier aber geht man davon aus, dass alles auch morgen und übermorgen so bleiben wird. Wir werden unsere Werte allerdings nur gemeinsam verteidigen können. Dafür brauchen wir Europa und insbesondere den Euro.
Das sehen inzwischen viele anders.
Krichbaum: Die Euroskepsis, die Sie ansprechen, resultiert aus einer Verunsicherung, die wir in diesen Tagen mit Händen greifen können. Gerade mit Blick auf Griechenland. Die Leute fragen sich zurecht, wie es mit unserer Währung weiter geht. Hier müssen wir dringend Überzeugungsarbeit leisten. Wir müssen darauf hinweisen, dass wir keine Euro-Krise haben, sondern eine Krise in einzelnen Staaten der Eurozone. Und wir müssen auch immer wieder erklären, dass gerade Deutschland in den letzten Jahren vom Euro überdurchschnittlich stark profitiert hat. Weder der Aufschwung nach 2005 noch die schnelle Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise wären in dieser Form ohne den Euro möglich gewesen.
Also dominieren hierzulande Pessimisten und Schwarzseher?
Krichbaum: Das nicht. Aber ich würde mir insbesondere von der deutschen Wirtschaft mehr Bekennermut wünschen. Und ich möchte auch die öffentliche Diskussion nicht einem ehemaligen BDI-Präsidenten überlassen, der von Talkshow zu Talkshow tingelt, um den Verkauf seines Buches anzukurbeln. Da würde ich schon lieber die aktuellen Repräsentanten der deutschen Wirtschaft an der Front sehen. Sie müssen klar machen, dass der Euro unseren Wohlstand, Arbeitsplätze und unsere Exportwirtschaft sichert. Nur zwei Zahlen: Früher musste die deutsche Wirtschaft jährlich über zehn Milliarden Euro für die Absicherung gegen Währungsschwankungen ausgeben. Dies macht bis heute eine Ersparnis von über 100 Milliarden aus!
Momentan scheinen aber die Stimmen in der Überzahl, die Griechenland als ein Fass ohne Boden bezeichnen.
Krichbaum: Griechenland ist nun gefordert, seine selbst gegebenen Versprechungen zu erfüllen. Ich denke, das Land könnte aus eigener Kraft noch mehr tun. Nehmen Sie nur das angedachte Privatisierungsprogramm und die dabei geplanten Erlöse in der Größenordnung von 50 Milliarden Euro. Dieses hätte man schon vor Jahren auf die Bahn bringen können, denn immerhin gehört Griechenland zu den EU-Ländern mit der höchsten Staatseigentumsquote. Auch im Bereich des Steuervollzugs gibt es Defizite. Die Verwaltung ist nicht gerade optimal aufgestellt. Gerade dann nicht, wenn wir dieser Tage davon hören, dass über viele Jahre an bereits Verstorbene weiter die Rente gezahlt wurde. All das trägt dazu bei, dass hierzulande Misstrauen und Vorbehalte in der Bevölkerung entstehen und sich viele fragen, warum sollen wir jetzt einem Staat helfen, der selbst nicht das Notwendige für sich tut?
Sagen Sie es uns.
Krichbaum: Weil dies in unserem ureigenen Interesse liegt. Es geht um die Stabilität des Euro. Noch einmal: Griechenland muss seine Hausaufgaben erledigen. Aber: Stimmen, die etwa fordern, Griechenland solle zurück zur Drachme, sind alles andere als hilfreich - im Gegenteil.
Das müssen Sie erklären.
Krichbaum: Die „neue“ Drachme müsste zum Zeitpunkt ihrer Einführung gegenüber dem Euro deutlich abgewertet werden. Die Schulden wurden aber in Euro gemacht und sind daher auch in Euro zurückzuzahlen. Dies bedeutet, dass der Schuldenstand plötzlich um den Faktor steigt, um den die Drachme fällt. Damit würde die Krise nicht gelöst. Denn in diesem Fall würde in Griechenland zunächst der Auslandsschuldenstand, in Euro notiert, derselbe bleiben. Wenn Griechenland eine wieder eingeführte Drachme dann gegenüber dem Euro um die Hälfte abwerten würde, würden sich die Auslandsschulden aus seiner Perspektive exakt verdoppeln. Spätestens dann müsste international wieder geholfen werden.
Auch dies wäre also ein Fass ohne Boden.
Krichbaum: Eben. Außerdem könnten dann die ausstehenden Verbindlichkeiten Griechenlands gegenüber anderen Mitgliedstaaten gravierende Auswirkungen auf deren Bonität haben. Könnte dadurch ein Mitgliedstaat eine bestehende AAA-Bewertung nicht aufrecht erhalten, so hätte dies Auswirkungen auf den derzeitig gültigen Euro-Rettungsschirm EFSF, der ja gerade durch die AAA-bewerteten Länder seine Bonität generiert. Die globalen Auswirkungen wären kaum zu beherrschen. Was dies bedeuten würde, wissen wir spätestens seit der „Lehman-Brothers Bank“-Pleite in den USA, aus der sich bekanntlich die größte Weltwirtschaftskrise seit Ende der zwanziger Jahre entwickelt hat. Kurz: Bei allen Alternativvorschlägen stellt sich immer die Frage: Sind diese auch zu Ende gedacht?
Kann sich das Parlament in diesen Fragen in ausreichendem Maß einbringen? Zuletzt gab es Beschwerden über die aus seiner Sicht mangelnde Unterrichtung durch die Bundesregierung.
Krichbaum: Nach dem Vertrag von Lissabon und den sogenannten „Begleitgesetzen“ stehen dem Bundestag erweiterte Mitwirkungs- und Informationsrechte in der Europapolitik zu. Den daraus resultierenden Unterrichtungsverpflichtungen kommt die Bundesregierung ganz überwiegend nach. Es gibt aber einzelne Streitpunkte wie beispielsweise in der Diskussion über die Zuleitung der Dokumente zum dauerhaften Rettungsschirm ESM. Hier kann ich tatsächlich nicht ausschließen, dass einzelne Fraktionen das Bundesverfassungsgericht zur Streitlösung anrufen werden.
Das klingt nicht nach harmonischer Zusammenarbeit.
Krichbaum: Kritische Fragen zu stellen, ist nicht nur zulässig, sondern notwendig. Schließlich hat das Parlament nicht nur die Aufgabe, die Bundesregierung zu kontrollieren, sondern wir tragen auch letztlich die Verantwortung gerade in allen Budgetfragen. Und die Entscheidungen, die in der Zukunft noch anstehen werden, können handfeste Auswirkungen auf den Haushalt der Bundesrepublik haben.
Und eine Alternative zu Karlsruhe…
Krichbaum: …. gibt es natürlich auch! Noch einmal: Insgesamt fühlen wir uns durch die Bundesregierung gut informiert. Nur in wenigen Einzelfällen eben nicht. Im Übrigen: Es handelt sich in diesen Fragen ja immerhin um Gesetze des Deutschen Bundestags. Und wenn es Interpretationsschwierigkeiten gibt, dann ist das Parlament eben selbst dazu berufen, im Zweifelsfall Klarheit zu schaffen - und für eine entsprechende Klarstellung in den Gesetzestexten selbst zu sorgen. So selbstbewusst sollte ein Parlament sein.
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