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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 26. März 2012)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Der Vizevorsitzende des Deutschen Ethikrates, Eberhard Schockenhoff, spricht sich für eine verbindlichere Regelung der Organspende aus als vom Bundestag geplant. „Ich hätte mir durchaus eine weitergehende Lösung vorstellen können“, sagte der katholische Moraltheologe in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“, „nämlich eine Pflicht, sich zu erklären“. Danach müssten Versicherte „ihre Haltung zur Organspende dokumentieren, etwa wenn sie eine neue Krankenkassenkarte beantragen“, erläuterte Schockenhoff. Natürlich müsse sichergestellt werden, dass niemandem aus einem Nein zur Organspende „Nachteile für die eigene Gesundheitsversorgung entstehen“.
Gleichwohl halte er die von den Bundestags-Fraktionen geplante „Entscheidungslösung“ für einen „sehr guten Kompromiss“, fügte Schockenhoff hinzu. Der Bundestag befasst sich zurzeit mit einem Gesetzentwurf aller Fraktionen, nach dem die Krankenkassen ihre Versicherten künftig auffordern sollen, sich zu entscheiden, ob sie im Falle des Hirntodes bereit sind, ihre Organe zu spenden. Eine Pflicht sich zu entscheiden, soll es nicht geben.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Professor Schockenhoff, welchen Rat geben Sie als Moraltheologe denen, die überlegen, Organspender zu werden?
Es ist wichtig, eine ernsthafte Entscheidung zu treffen. Es ist natürlich unangenehm, an den eigenen Tod zu denken. Aber angesichts der Tatsache, dass man einem anderen Menschen mit einer schweren gesundheitlichen Bedrohung zu einem von hoher Lebensqualität getragenen Leben verhelfen kann, ist es moralisch nicht vertretbar, diese Auseinandersetzung von sich fernzuhalten. Zur Entscheidung selbst gibt es die sogenannte Goldene Regel. Jesus greift dieses viel ältere popularphilosophische Kriterium in der Bergpredigt auf. Die Goldene Regel lautet: Alles, was Ihr erhofft, dass die anderen Euch tun, das seid auch bereit, ihnen zu erweisen.
Ist die Organspende ein Akt christlicher Nächstenliebe?
Streng genommen setzt ein Akt christlicher Nächstenliebe immer ein personales Verhältnis voraus. Ein solches personales Vertrautsein ist bei der postmortalen Organspende nicht gegeben, da der Empfänger anonym bleiben soll, auch um Abhängigkeiten zu vermeiden. Aber es ist sicher vom Geist der Nächstenliebe getragen, wenn ich bereit bin, nach meinem Tod ein Organ zu spenden, das einem unbekannten Mitmenschen hilft.
Die Fraktionen im Bundestag haben sich auf einen Gesetzentwurf verständigt, der dafür sorgen soll, dass mehr Menschen in Deutschland ihre Bereitschaft zur Organspende erklären. Was halten Sie von der geplanten „Entscheidungslösung“?
Sie geht zurück auf einen Vorschlag des Nationalen Ethikrates, also dem Vorgängergremiums des Deutschen Ethikrates. Dahinter steckt die Überlegung, dass eine rechtliche Regelung der Organspende zwei Anforderungen genügen muss: Sie muss zum einen das Kriterium der Freiwilligkeit der Organspende sicherstellen. Sie muss zum anderen den Interessen der Kranken, der potenziellen Organempfänger in ausreichender Weise Rechnung tragen, indem sie die in der Bevölkerung vorhandene Spendenbereitschaft so weit es geht ausschöpft. Beides erfüllt der Gesetzentwurf, ich halte ihn daher für einen sehr guten Kompromiss.
Der Staat will drängeln...
Die Entscheidung über die Organspende bleibt aber freiwillig. Der staatliche Zwang wird darauf beschränkt, dass man immer wieder darauf gestoßen wird, sich zu entscheiden. Das ist vertretbar angesichts des Nutzens für die potenziellen Organempfänger. Der Staat hat eben auch eine Fürsorgepflicht und eine Organisationshoheit für die Gewährleistung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung.
Warum haben bislang nicht mehr Menschen einen Organspendeausweis?
Man darf die Last der Dokumentation nicht unterschätzen: Bislang gilt die sogenannte Zustimmungslösung. Das heißt, man muss seine eigene Trägheit überwinden, muss sich selbst aktiv um einen Organspendeausweis bemühen. Seine Spendebereitschaft zu dokumentieren, hat ein Moment des Definitiven. Davor schrecken viele zurück. Grundsätzlich sind, was auch Umfragen zeigen, viele bereit zu spenden. Aber den letzten Konsequenzen möchte man dann doch nicht verbindlich ins Auge sehen.
Reicht es aus, die Menschen zu einer Entscheidung aufzufordern, um mehr Spenderorgane zu bekommen?
Der Kompromiss bietet die Chance dazu. Ich hätte mir aber durchaus eine etwas weitergehende Lösung vorstellen können, wie sie vom Nationalen Ethikrat vorgeschlagen worden ist, nämlich eine Pflicht, sich zu erklären. Danach müssten Versicherte ihre Haltung zur Organspende dokumentieren, etwa wenn sie eine neue Krankenkassenkarte beantragen. Natürlich müsste sichergestellt werden, dass einem aus einem Nein zur Organspende keine Nachteile für die eigene Gesundheitsversorgung entstehen.
Im Bundestag wie im Ethikrat gibt es Befürworter einer „Widerspruchslösung“. Ist das für Sie ein gangbarer Weg?
Der Nachteil einer reinen Widerspruchslösung ist, dass sie die Freiwilligkeit minimiert: Wer nicht widerspricht, wird als organspendebereit angesehen. Dieses Prinzip ist unserem Rechtssystem fremd.
Die Bundesregierung hat ein Gesetz vorgelegt, das vorsieht, dass es künftig in allen Kliniken mit Intensivmedizin einen Transplantationsbeauftragten geben soll. Ist das sinnvoll?
Das ist eine guter Vorschlag. Denn richtig ist, dass das Fehlen von Organspenden wesentlich auf organisatorische Mängel in den Krankenhäusern zurückgeht. Hier könnte ein Transplantationsbeauftragter Abhilfe schaffen.
In Deutschland gilt wie in den meisten europäischen Ländern der Hirntod als Kriterium für die legale Organentnahme. Doch sind Hirntote wirklich tot?
Der Hirntod ist ein geeignetes Zeichen für den Tod des Menschen. Als Hirntod wird der Ausfall von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm definiert. Ich halte die Todesfeststellung mithilfe des Hirntodkriteriums für medizinisch valide und für ethisch wohlbegründet. Es gibt gleichwohl eine nicht endende philosophische Debatte um den Hirntod. Der Einwand, dass damit der Tod eines Menschen nur am Ausbleiben der Bewusstseinsleistungen festgemacht wird, trifft aber nicht den Kern des Hirntodkriteriums. Denn das Gehirn ist nicht nur das Organ, mit dem wir denken, sondern das Gehirn leistet auch die Integration der Teilfunktionen der einzelnen Organe in eine selbst erlebte Ganzheit.
Künstlich beatmete Hirntote können aber noch eine solche körperliche Integration zeigen: Einige wehren Infekte durch Fieber ab, einige reagieren auf Schmerzreize mit Blutdruckanstieg. Was sagen Sie zu solchen Zweifeln am Hirntodkonzept?
Das Problem ist, dass durch die künstliche Beatmung der Anschein des Vorhandenseins von Leben im hirntoten Körper entsteht. Das sind nicht lebende Menschen, das sind auch nicht sterbende Menschen, sondern das sind Menschen, die bereits verstorben sind, deren Körper aber zum Zweck der Organentnahme künstlich durchblutet wird. Nur deshalb werden bestimmte Funktionen im Körper aufrechterhalten. Es handelt sich dabei nicht um Eigenaktivitäten des Körpers.
Welcher ethische Umgang ist aus Ihrer Sicht im Umgang mit hirntoten Menschen geboten?
Grundsätzlich muss an der Regel festgehalten werden, dass der Tod eines Patienten vor einer Organentnahme zweifelsfrei festgestellt sein muss – und zwar unabhängig von zwei Medizinern. Ein weiteres ethisches Erfordernis ist, den Angehörigen den Leichnam nach der Entnahme von Organen in einem würdigen Zustand zu übergeben. Für die Angehörigen ist die Organspende ohnehin eine Belastung. Das Abschiednehmen steht unter dem Diktat weiterer medizinischer Vorgänge. Wenn kein Organspendeausweis vorliegt, wird eine Entscheidung von ihnen erwartet, ob sie einer Organentnahme zustimmen.
Spätestens seit der Nierenspende von SPD-Fraktionschef Steinmeier an seine Frau ist das Thema Lebendspenden in der Öffentlichkeit präsent. Sollte davon abgerückt werden, dass Spenden zu Lebzeiten nur an nahe Angehörige erlaubt sind?
Die Spende zu Lebzeiten verdient besondere Hochachtung, weil sich der Spender einem gesundheitlichen Risiko für einen nahen Menschen aussetzt. Deshalb hat Papst Johannes Paul II. die Bereitschaft zur Lebendspende auch einmal als „Heroismus im Alltag“ bezeichnet. Man sollte die Lebendspende nicht über Gebühr restriktiv handhaben. So halte ich die sogenannte Crossover-Spende für ethisch unbedenklich, bei der von zwei Paaren jeweils ein Partner als Spender und einer als Empfänger für das andere Paar fungiert.
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