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Eigentlich wollte Ingo Egloff Kapitän werden – wie es sich für einen echten "Hamburger Jung" gehört. Doch der Reiz der Politik war größer: Mit 19 Jahren wird er SPD-Mitglied, mit 45 zieht er in die Bürgerschaft ein, mit 50 wird er Vorsitzender der Sozialdemokraten in der Hansestadt. Doch als die Partei unter seiner Führung 2009 bei der Bundestagswahl eine Niederlage einfährt und er selbst den Einzug in den Bundestag verpasst, tritt er zurück. Ein Tiefpunkt in seiner Karriere. An Reiz scheint die Politik dennoch nicht eingebüßt zu haben: Am 11. März 2011 zieht der 56-jährige Jurist und Wirtschaftsexperte erstmals in den Bundestag ein – als Nachrücker. Ein Tag, den er niemals vergessen wird.
"Da war Fukushima", sagt Egloff knapp und erinnert an das schwere Erdbeben, welches das japanische Atomkraftwerk so stark beschädigt hatte, dass in seinem Innern die Brennstäbe zu schmelzen begannen. Der Abgeordnete sitzt weit zurückgelehnt in einem Sessel in seinem Büro, das Gesicht in die Hand gestützt. Sachlich wirkt er, zurückhaltend, fast ein bisschen kühl. Doch wenn der Mann mit dem angegrauten, kurz getrimmten Bart über Politik redet, spürt man Leidenschaft.
1956 in Hamburg geboren, wächst Egloff in einem politischen, diskussionsfreudigen Elternhaus auf. "Mein Opa war in der SPD. Mein Vater zwar nicht – der wollte nie wieder in einer Partei sein – aber wir waren schon sehr sozialdemokratisch ausgerichtet." Es ist die Zeit der Studentenunruhen und der Debatte um die Ostverträge, die Egloff besonders prägt.
"Mit 15 war ich das erste Mal auf einer Demo. Für die Verträge". Sein Vorbild heißt bis heute selbstverständlich Willy Brandt. Wie für viele in seiner Generation ist war der erste sozialdemokratische Bundeskanzler auch für Egloff der Grund, in die SPD einzutreten. "Brandt hatte Charisma. Aber vor allem seine Geschichte – die Emigration und der Widerstand gegen die Nazis — hat mich beeindruckt."
Auch in Egloffs Familie gab es Menschen, die gegen das Hitler-Regime gekämpft haben: "Der Bruder meiner Urgroßmutter war der Reichstagsabgeordnete Bernhard Bästlein", erzählt er. "Er gehörte zum kommunistischen Widerstand. 1944 hat man ihn deswegen hingerichtet." Noch heute erinnert an Bästlein im Untergeschoss des Reichstagsgebäudes das Kunstwerk "Archiv der Deutschen Abgeordneten".
Rund 5.000 symbolische Archivkästen aus Metall hat der französische Künstler Christian Boltanski hier gestapelt und beschriftet, um an jene Abgeordneten zu erinnern, die von 1919 bis 1999 demokratisch in Deutschland gewählt wurden. Bästlein ist einer von ihnen. Dass Urgroßneffe Egloff, nun selbst Abgeordneter, längst das "Archiv" besucht hat, versteht sich von selbst. "Die Lebensleistung der Widerstandskämpfer ist beeindruckend – und Brandt gehört dazu."
Dass Oppositionsführer Rainer Barzel im April 1972 versuchte, diesen Kanzler mit einem Misstrauensvotum zu stürzen, empört und politisiert den jungen Egloff: "Das fand ich unterirdisch! Ich erinnere mich daran, wie in der Schule Fernseher aufgestellt wurden und alle – vom Schulleiter bis zum Hausmeister – gebannt das Geschehen verfolgt haben."
Das Misstrauensvotum scheiterte, und Brandt blieb Kanzler. Egloff aber beginnt sich zu engagieren: Noch im selben Jahr wird er Schülersprecher, gehört zu den Gründern des Sozialistischen Schülerbunds Hamburg und engagiert sich bei den Jusos. 1975 tritt er in die SPD ein.
In den folgenden Jahren lernt er Parteiarbeit von der Pike auf. 1976 beginnt er zwar ein Studium der Rechtswissenschaften, das er 1985 mit dem Zweiten Staatsexamen abschließt, doch daneben gilt sein ganzes Engagement der SPD, insbesondere dem Ortsverein Bramfeld-Nord: "15 Jahre habe ich dort alles gemacht, von der Stadtteilzeitung bis zum Vorsitzenden, bevor ich zum ersten Mal für ein Wahlamt kandidiert habe", erinnert er sich.
1991 ist es dann soweit: Egloff, der inzwischen als Rechtsanwalt zugelassen ist und in der Prozessabteilung der Volksfürsorge- Versicherung arbeitet, wird in die Bezirksversammlung des bevölkerungsreichsten Hamburger Stadtbezirks Wandsbek gewählt. Von 1994 bis 2001 ist er zudem Vorsitzender der SPD-Fraktion. "Das war eine unheimlich gute Schule", sagt er im Rückblick.
Besonders in der Auseinandersetzung um ein großangelegtes Wohnungsbauprogramm erwirbt er sich Meriten: "Zwischen 1991 und 2001 wurden in Hamburg 75.000 neue Wohnungen gebaut, allein bei uns in Wandsbek waren es 20.000. Solche Bauvorhaben gegen Widerstände zu vertreten – da ist man nicht everybody’s darling!" Acht Bürgerbegehren werden in dieser Zeit angestrengt. Keines kommt zur Abstimmung. "Ich habe immer mit den Initiatoren verhandelt, es gab immer Einigungen."
Eine seiner größten Stärken sei es, Ruhe zu bewahren, sagt Egloff über sich selbst. Diese Eigenschaft scheint den Politiker, der zudem als ausgleichend gilt, zum Schlichter in Konfliktsituationen zu prädestinieren. Gleichwohl: Die internen Querelen der Hamburger SPD – die 2007 in einem Machtkampf zwischen dem Vorsitzenden und seiner Stellvertreterin um die Spitzenkandidatur zur kommenden Bürgerschaftswahl kulminieren – kann auch Egloff als Mediator nicht beenden.
Zu dieser Zeit ist er bereits seit sechs Jahren Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses und stellvertretender Fraktionsvorsitzender gilt er als pragmatisch, einer, der auch über die Fraktionsgrenzen hinweg Bündnisse schmiedet – wenn sie denn dem Wirtschaftsstandort Hamburg nützen. Die Elbvertiefung etwa unterstützt er gegen Widerstände ebenso hartnäckig wie die Verlängerung der Airbus-Werkslandebahn.
Als der Parteivorstand dann im Februar 2007 wegen eines manipulierten Mitgliederentscheids über die Spitzenkandidatur zurücktreten muss, ist Egloff der Mann der Stunde: Er, der als Kind davon träumte, Kapitänzu werden, soll nun den Tanker SPD wieder in ruhigere Fahrwasser bringen. Kein leichtes Unterfangen, vor allem, wenn man mit einer zerstrittenen Besatzung auf See ist. Doch Egloff nimmt die Herausforderung an – vor allem aus Verantwortungsgefühl. "Vergnügungssteuerpflichtig war das nicht gerade", bekennt Egloff mit echt hamburgisch trockenem Humor. Deutlicher zeigt er seinen Unmut im Dezember 2008 gegenüber dem "Hamburger Abendblatt": "Ich fühle mich von Quartalsirren umgeben."
Die Zeit auf der Kommandobrücke ist letztlich kurz: Nach der verlorenen Bundestagswahl tritt er zurück. "Ich wollte selbst bestimmen, wie und wann ich aufhöre", erklärt er und setzt selbstbewusst hinzu: "Allerdings bin ich nicht gegangen, ohne meine Nachfolge zu regeln – und der ist heute Bürgermeister."
Gemeint ist Olaf Scholz, der die SPD als Spitzenkandidat bei der Bürgerschaftswahl 2011 nach fast zehn Jahren Opposition wieder an die Regierung gebracht hat. Sein Bundestagsmandat gab Scholz auf, um Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg zu werden. Egloff rückte für ihn nach – und ist nun seit eineinhalb Jahren dort, wo er schon 2009 eigentlich sein wollte: im Parlament in Berlin.
Als Mitglied des Wirtschaftsausschusses und des Rechtsausschusses beschäftigt ihn hier neben Fragen des Unternehmensinsolvenzrechts und der Geldwäscheprävention besonders die von der Bundesregierung geplante Mietrechtsänderung. "Das Thema Wohnen und Mieten ist in Deutschland zu einer sozialen Frage geworden.
In Hamburg sind Mietsteigerungen und die Verdrängung von angestammten Mietern ein großes Problem. Da ist Sprengstoff drin", sagt Egloff und ist ganz schnell wieder mittendrin in der Hamburger Politik. Doch das gehört zu seinem Selbstverständnis als Bundestagsabgeordneter: "Ich verstehe mich als Lobbyist für die Hansestadt." (sas/15.10.2012)