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Arbeitnehmer sollen vom Aufschwung stärker profitieren, fordert Die Linke. © picture-alliance / Sven Simon
Die Forderung der Fraktion Die Linke nach gesetzlichen Maßnahmen zur Eindämmung von Lohndumping und Tarifflucht hat am Donnerstag, 24. März 2011, im Bundestag erneut zu Streit zwischen Koalition und Opposition über den richtigen Kurs in der Arbeits- und Sozialpolitik geführt. Dabei prallten insbesondere die unterschiedlichen Positionen zu Leiharbeit und Mindestlöhnen im Plenum hart aufeinander. Die Linke warf sowohl der schwarz-gelben wie auch der früheren rot-grünen Regierung vor, mit ihrer Politik dem "Lohn- und Sozialdumping“ Vorschub geleistet zu haben. Redner von Union, FDP und auch der SPD bezichtigten hingegen die Linksfraktion der realitätsfernen "Wünsch-Dir-was-Politik“.
Der Antrag (17/4877), mit dem sich diese unter anderem für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von zehn Euro und umfangreiche Neuregelungen im Bereich der Leiharbeit stark macht, wurde nach der rund 60-minütigen, über Strecken emotionalen Debatte zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen.
Zu Beginn der Aussprache begründete Michael Schlecht (Die Linke), Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Vorstoß seiner Partei: Er nannte es einen "grandioser Skandal“, dass seit zehn Jahren bei gleichzeitiger Produktivitätssteigerung das "durchschnittliche, preisbereinigte Realeinkommen“ in Deutschland um drei bis vier Prozent gesunken sei.
"Merkel und Brüderle bejubeln den Aufschwung der Produktivität, der aber bei den Beschäftigten nicht ankommt“, monierte Schlecht. Es sei zudem "heuchlerisch“, die Verantwortung für Lohnerhöhungen allein den Tarifpartner zu überlassen, wo doch bekannt sei, dass immer weniger Beschäftigte überhaupt einem Tarifvertrag unterliegen.
Der Linkspolitiker kritisierte zudem, Leiharbeit, Billiglöhne und Minijobs hätten massiv zugenommen seit der Einführung der Agenda 2010. Diese forderte Schlecht ebenso abzuschaffen wie Hartz IV. Bis es soweit sei, werde sich Die Linke für einen gesetzlichen Mindestlohn, "Equal Pay“ und zusätzliche Prämien in der Leiharbeit einsetzen, kündigte Schlecht an.
Diese Forderungen geißelte Gitta Connemann, Arbeits- und Sozialpolitikerin der CDU/CSU, als "Tischlein-Deck-Dich-Politik“. Das Problem sei dabei: Anders als im Märchen decke sich in der Realität der Tisch nicht von alleine. "Die Zeche sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen.“
Punkt für Punkt nahm sich die CDU-Politikerin den Forderungskatalog der Linken in ihrer Rede vor: Zehn Euro Mindestlohn? Zu hoch, das koste Arbeitsplätze und gehe zulasten der Schwächsten. Grundeinkommen statt Arbeitslosengeld II? Ungerecht, denn das treffe den Steuerzahler, darunter auch viele Geringverdiener wie "Verkäuferinnen und Maurer“.
Connemanns Fazit: "Ihr Wunschzettel kostet Milliarden.“ Die geforderte Politik sei außerdem eine der "leeren Versprechungen“. Die Erfahrung zeige, dass in rot-rot-regierten Bundesländern Die Linke eine andere Politik mache, als sie im Bundestag propagiere. "Sie dreschen nur Phrasen und halten nicht, was sie versprechen“, so Connemann
Auch Josip Juratovic (SPD), wie seine Vorrednerin Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, warf der Linksfraktion "Realitätsferne“ vor: Die Politik könne nicht einfach die Höhe des Mindestlohns festlegen. Ein Anfangsmindestlohn müsse mit den Gewerkschaften abgestimmt werden, so der Abgeordnete.
Er hielt aber auch der Koalition vor, die Wirklichkeit aus dem Blick verloren zu haben. Sie wolle die massiven Verwerfungen im Niedriglohnsektor einfach nicht sehen, kritisierte Juratovic. Die Löhne von Leiharbeitern seien aber so gering, dass sie sich zum Beispiel keine Riesterrente leisten könnten.
"Leiharbeiter sind die Armutsrentner von morgen“, warnte der Sozialdemokrat und plädierte für gleiche Bezahlung von regulär Beschäftigten und Leiharbeitern. Eine unterschiedliche Entlohnung führe auch zu einer Entsolidarisierung. "Arbeiter dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden!“
Der Sprecher für Arbeits- und Sozialpolitik der FDP, Dr. Heinrich L. Kolb, hielt der Linksfraktion entgegen, ihre Forderungen fußten auf einem "Denkfehler“. Es sei nicht so, dass der durchschnittliche Beschäftigte in Deutschland heute weniger verdiene als vor zehn Jahren.
Dass die durchschnittlichen Löhne gesunken seien, habe dagegen etwas mit dem gewachsenen Niedriglohnsektor zutun. "Daraus aber zu schlussfolgern, in den Unternehmen finde Lohndrückerei statt, ist eine falsche Annahme“, sagte Kolb. Es sei außerdem nur verständlich, dass die Unternehmen nach einer der "schwersten Wirtschaftskrisen“ vorsichtig beim Aufbau ihrer Belegschaft agierten.
Kolb zeigte sich aber optimistisch, dass aus immer mehr "flexiblen“ Beschäftigten "dauerhafte“ Beschäftigte würden. "Die Unternehmen sind auch gut beraten, denn in naher Zukunft wird der Arbeitsmarkt leergefegt sein, und es wird ein Mangel an qualifizierten Arbeitern herrschen“, so der Liberale.
Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen) war die Einzige in der Debatte, die klar Zustimmung zu mehreren von der Linksfraktion vertretenen Forderungen signalisierte: So verlangte auch sie von der Bundesregierung für die nötigen Rahmenbedingungen zu sorgen, damit "prekär Beschäftigte mehr Lohn“ bekommen.
Dazu zählte Müller-Gemmeke insbesondere die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns: "Stellen Sie sich endlich diesem Thema“, rief die Abgeordnete den Koalitionsfraktionen zu.
Sie äußerte zudem die Hoffnung, die Opposition werde bei diesem Thema "an einem Strang“ ziehen. Die Höhe des Mindestlohns sei schließlich nicht das Entscheidende, sondern dass er eingeführt werde. (sas)