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Die Union will die Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für schlechte Zeiten sichern. Opposition und FDP fordern dagegen die Abschaffung der Praxisgebühr, um die Versicherten zu entlasten. Diese unterschiedlichen Auffassungen wurden am Mittwoch, 21. März 2012, in einer Aktuellen Stunde deutlich. Diese war auf Verlangen der SPD-Fraktion auf die Tagesordnung gesetzt worden.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) betonte in der Debatte, er halte die Diskussion um die Abschaffung der Praxisgebühr für „gerechtfertigt“. Es sei im Koalitionsvertrag verabredet, das Instrument zu überprüfen und nach weniger bürokratischen Wegen zu suchen.
Die „unbürokratischste Regelung“, so Bahr, wäre sicher „der Verzicht auf die Praxisgebühr“. Man werde diese Diskussion in diesem Jahr „in Ruhe führen“.
Eine mögliche Abschaffung der Praxisgebühr dürfte die Mehrheit des Parlaments finden: Ihre Fraktion wolle dies, betonte die gesundheitspolitische Sprecherin der Liberalen, Christine Aschenberg-Dugnus. Die Gebühr sei von Rot-Grün als Steuerungsinstrument eingeführt worden, um die Zahl der Praxisbesuche zu reduzieren - diese Funktion habe sie aber nie erfüllt.
Verantwortlich für die derzeit gut gefüllten Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung seien die Beitragszahler; das Geld gehöre nicht Politikern oder Ministerien, sondern ihnen. Aschenberg-Dugnus betonte, man habe noch im Jahr 2009 über drohende Defizite in der GKV gesprochen. Das heutige Milliardenplus sei ein Ausweis erfolgreicher schwarz-gelber Politik.
Dies sieht die Opposition anders, obwohl sie die Forderung nach einer Abschaffung der Praxisgebühr teilt. Dass die Krankenkassen derzeit einen Überschuss von zehn Milliarden Euro hätten, sei der günstigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt geschuldet, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Prof. Dr. Karl Lauterbach. Diese ginge auf die erfolgreiche Reformpolitik des früheren SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder zurück.
Die FDP sei in der Vergangenheit zwar Ärzten und der Pharmaindustrie entgegengekommen, tue momentan aber nichts, um die Bürger von den Überschüssen profitieren zu lassen. Sie müssten stattdessen einen zu hohen Einheitsbeitrag zahlen. Es sei möglich, vier Milliarden Euro an die Bürger auszuschütten, ohne dass es einen Verlust an Versorgungsqualität gebe oder die Kassen in die ihrer Liquidität gefährdet seien.
Für Die Linke betonte der Gesundheitsexperte Harald Weinberg, das Geld gehöre den Versicherten und nicht dem Finanzminister, der zwar 2010 und 2011 zu viel Geld an den Gesundheitsfonds gezahlt habe, aber noch erhebliche Summen für die Jahre 2007, 2008 und 2009 schulde. Eine Senkung des Beitragssatzes würde vor allem den Arbeitgebern zugute kommen, seit Schwarz-Gelb die „solide Finanzierung der Krankenversicherung auf den Kopf gestellt“ habe.
Seine Fraktion fordere daher die Abschaffung der Praxisgebühr. Der SPD gratulierte Weinberg zu der „späten Erkenntnis“, dass deren Einführung im Rahmen der Agenda 2010 ein Fehler gewesen sei.
Bündnis 90/Die Grünen werfen der Koalition Wahlkampftaktik vor. Sie fürchte sich kurz vor der Bundestagswahl vor Zusatzbeiträgen.
Die FDP fordere in ihrem „Überlebenskampf“ nun die Abschaffung der Praxisgebühr, werde das Geld aber später wieder über diese „Zusatzbeiträge bei den Versicherten abholen", so die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Birgitt Bender.
Allein CDU und CSU verweigern sich den Forderungen nach der Abschaffung der Gebühr. Den Versicherten seien „christlich-liberale Überschüsse“ in der GKV lieber als „rot-grüne Schulden“, so der stellvertretende CSU-Fraktionsvorsitzende Johannes Singhammer. Man müsse jetzt, da alle Sparpläne der Koalition aufgegangen seien und die Einnahmen der Sozialversicherung sprudelten, sorgsam mit den Rücklagen umgehen und sie „hegen und pflegen“. Man habe heute die „einmalige Chance“, die Rücklagen als Reserve zu erhalten.
Dafür wirbt auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn. Die Überschüsse seien „Anlass zur Freude“, man müsse nun aber aufpassen, „dass wir nicht übermütig werden“. Er sei verwundert, so der Abgeordnete, dass die ersatzlose Abschaffung der Praxisgebühr nun vor allem von denen gefordert werde, die „sonst zu jeder Zeit nach mehr Eigenbeteiligung schreien“. Er erwarte vielmehr, dass die Kassen, die in der Lage seien, Prämien an ihre Versicherten auszuzahlen, dies auch täten. (suk)