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Der Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg ist dank KaDeWe und Rathaus Schöneberg republikweit ein Begriff. Doch längst nicht alles läuft rund im siebten Verwaltungsbezirk der Hauptstadt. Unterwegs mit dem Berliner FDP-Abgeordneten Holger Krestel, der seit Mai 2010 als Nachrücker im Bundestag sitzt.
"Hier geht's glaub' ich rein", murmelt Holger Krestel und biegt schwungvoll von der Havelchaussee in einen kleinen Waldweg ein.
Sein kleines Auto holpert über Schlaglöcher und Baumwurzeln. Nach einigen hundert Metern haben wir unser Ziel erreicht: Die Wasserrettungsstation Kuhhorn, idyllisch an der Havel nicht weit vom Berliner Grunewaldturm gelegen. Betrieben wird sie von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Berlin-Schöneberg.
Etwa acht Rettungsschwimmer leisten an diesem trüben Sonntag ehrenamtlich Dienst am schmalen Sandstrand von Kuhhorn. Viel zu tun haben sie nicht; ein Schwimmer zieht einsam seine Runden, ab und an gleitet ein Segelboot auf der spiegelglatten Havel vorbei. Krestel wird begrüßt wie ein alter Bekannter, es gibt Kaffee und selbstgebackenen Kuchen. Thomas Schüler, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des DLRG-Bezirksverbands, ist extra hergekommen, um den Abgeordneten, der für den Berliner Bezirk Tempelhof-Schönefeld im Bundestag sitzt, zu begrüßen.
Er kennt Krestel gut, vor Jahren hat der FDP-Politiker einen Kurs als Rettungsschwimmer bei ihm absolviert. Das hat ihm offensichtlich einige Sympathiepunkte eingetragen; jedenfalls gibt's von Schüler gleich ein großes Lob für Krestel: "Es gibt Politiker, und es gibt Menschen. Und dann gibt es die, die beides sind, und zu denen zählt der Holger."
Der nutzt seinen Besuch, um sich über die aktuellen Sorgen der Rettungsschwimmer informieren zu lassen. Das kommt auch seiner Wesensart entgegen: Ein großer Redner ist Krestel nicht; lieber hört er zu. Umso mehr erzählt Schüler: von den jüngsten Einsätzen, den Nachwuchsproblemen, dem altersschwachen Rettungsboot "Pelikan 15". Von Krestel erhofft er sich vor allem Unterstützung bei der Finanzierung eines neuen, größeren Rettungsbootes: "Holger hat ja gute Kontakte in die Wirtschaft, vielleicht lässt sich darüber was machen."
Nach einem weiteren Stück Kuchen geht's zurück in die Stadt. "Die Sommerpause nutze ich gern, um persönlich bei Vereinen oder Unternehmen in meinem Wahlkreis vorbeizuschauen", erzählt Krestel auf dem Rückweg im Auto. "In den Sitzungswochen kommt man dazu meist ja nicht."
Seinen Wahlkreis kennt der 56-Jährige wie seine Westentasche. Der gebürtige Spandauer lebt seit vielen Jahren im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg und wurde früh politisch aktiv. Von 1973 bis 1987 war er Mitglied der CDU, die er nicht zuletzt aus Enttäuschung über die seiner Meinung nach zu laxe Haltung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) gegenüber der DDR-Führung verließ.
Zwei Jahre später trat der Verwaltungswirt und Politologe in die FDP ein, wo er rasch Karriere machte. Sechs Jahre lang war Krestel stellvertretender Vorsitzender des Berliner FDP-Bezirksverbandes Tempelhof, der im Zuge der Berliner Bezirksreform von 2001 mit dem FDP-Bezirksverband Schöneberg fusionierte; seit 2007 ist er dessen Vorsitzender.
Und von 2001 bis 2006 gehörte er dem Abgeordnetenhaus von Berlin an und vertrat dort unter anderem die Liberalen im Untersuchungsausschuss zum Berliner Bankenskandal. Im Mai 2010 dann der Sprung in den Bundestag — als Nachrücker für den FDP-Abgeordneten Hellmut Königshaus, der als neuer Wehrbeauftragter sein Bundestagsmandat aufgab.
Es ist ein prestigeträchtiger Wahlkreis, der mit dem Rathaus Schöneberg, dem Winterfeldtplatz und dem berühmten Kaufhaus des Westens (KaDeWe) republikweit ein Begriff ist. Krestel weiß allerdings auch um seine Schwächen. "Was mir Sorgen macht, ist, dass Teile des Bezirks sozial abgleiten", erzählt er. "Deshalb ist es mir ein großes Anliegen, durch Besuche vor Ort deutlich zu machen, für wie wichtig ich die Arbeit etwa von Vereinen halte. Denn sie haben eine ganz stark integrierende Funktion."
Ein sozialer Problemfall ist für Krestel die Gegend rund um den früheren Flughafen Tempelhof. Durch die Schließung des Flughafens seien viele Einzelhandelsgeschäfte in ihrer Existenz bedroht oder hätten bereits schließen müssen, sagt er. Vor allem die Entwicklung am Platz der Luftbrücke, an dem der Zugang zum ehemaligen Flughafen liegt, macht Krestel Sorgen.
Die Grünfläche in der Mitte des Platzes rund um das Luftbrückendenkmal entwickele sich immer mehr zum Drogentreff, erzählt er auf dem Weg zu einem Gespräch mit den Wirtsleuten des Restaurants "Romi", das direkt am Platz der Luftbrücke liegt.
Dort wird er mit großem Hallo begrüßt. Die Restaurantbesitzer kennt Krestel seit dem Frühsommer 2009. Damals hängte er gerade Plakate der FDP für die Europawahl im Juni 2009 auf, als ihn die beiden ansprachen. "Ich hab ja gar nicht gewusst, wen wir da vor uns haben", erzählt die Wirtin, eine patente Frau mittleren Alters, die mit ihrem Mann und einem weiteren Anwohner an einem der Tische vor dem Lokal auf Krestel gewartet hat. "Ich dachte, das ist halt so ein Plakat-Heini. Als ich ihn dann um Info-Material gebeten habe, sind wir gleich ins Gespräch gekommen. Und seitdem ist der Herr Krestel für uns der Ansprechpartner bei allem, was hier im Kiez nicht gut läuft."
Und das ist eine ganze Menge, finden sie. Spielhöllen statt Einkaufsläden, steigende Mieten, der zunehmende Drogenhandel — mit der Entwicklung in ihrem Kiez sind die drei, die sich mit anderen Anwohnern zu einer Art Bürgerinitiative zusammengeschlossen haben, gar nicht zufrieden.
Heute wollen sie von Krestel wissen, wie die Sache mit dem Fahrstuhl für den U-Bahnhof am Platz der Luftbrücke vorankommt. Da gibt es einen Teilerfolg zu vermelden: Statt wie ursprünglich geplant in vier Jahren soll nun bereits 2014 ein Fahrstuhl für einen barrierefreien Zugang vom Platz der Luftbrücke zu der gleichnamigen U-Bahn-Station der Linie 6 sorgen, berichtet Krestel.
Es war seine Idee, über eine Petition dafür zu sorgen, dass der Fahrstuhl früher gebaut wird als vorgesehen. Als Mitglied des Petitionsausschusses des Bundestages kennt er sich natürlich aus mit den Möglichkeiten, durch die Sammlung von Unterschriften politische Entscheidungsprozesse zu beschleunigen. Die drei vorm Restaurant "Romi" wirken zufrieden. Der persönliche Kontakt zu "ihrem" Abgeordneten — er hat sich wieder einmal gelohnt. (nal)