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Von einem Bierdeckel war die Rede, auf den die Steuererklärung passen sollte. Später hieß es, höchstens zehn Minuten solle der Einzelne brauchen, um seine Steuerlast zu ermitteln. Doch noch immer ist das deutsche Steuerrecht sehr kompliziert, kann kaum jemand ohne fremde Hilfe seine Steuererklärung machen. In dieser Feststellung sind sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages einig. Oder etwa nicht? "Wenn man das so abstrakt sagt, stimmt es", sagt die FDP-Abgeordnete Dr. Birgit Reinemund (links). Werde es aber konkret, kämen die Bedenken aus den verschiedenen Lagern. Dann sei man schnell im Spannungsfeld zwischen Steuervereinfachung und Einzelfallgerechtigkeit, fügt Reinemund hinzu. "In diesem Spannungsfeld diskutieren wir ständig", sagt die 53-Jährige, die seit Juli 2011 dem Finanzausschuss des Bundestages vorsitzt.
Der Finanzmarkt und die Steuergesetzgebung seien die zwei Hauptgebiete, in denen der Ausschuss aktiv ist, sagt Birgit Reinemund. Was macht ihr mehr Spaß? Als Unternehmerin sei sie persönlich mehr mit der Steuergesetzgebung beschäftigt, sagt sie und fügt hinzu: "Mit Spaß hat das aber nix zu tun." Nicht nur die Unternehmerin Birgit Reinemund, sondern auch die meisten Bürger sind wohl eher konkret von der Steuergesetzgebung betroffen als von den Aktivitäten auf dem Finanzmarkt.
Stichwort Erbschaftssteuer: Immer wieder wurde kritisiert, dass damit ein und dieselbe Sache doppelt besteuert werde. Auch die seit 2010 geltende Reform der Erbschaftssteuer hat daran nichts geändert. Ist das Thema dennoch durch? So könne man das nicht sagen, meint die Ausschussvorsitzende. "Es gibt immer wieder aktuelle Rechtsprechungen dazu, die sich in der Steuergesetzgebung widerspiegeln müssen." Aktuell stehe das Thema aber nicht auf der Tagesordnung.
Ganz anders sieht das bei der Finanzmarktregulierung aus. Spätestens seit Beginn der Wirtschafts- und Währungskrise ein Dauerbrenner. Wie sieht's aus – brauchen wir mehr Regulierungen auf den Finanzmärkten? "Es geht nicht um viel oder wenig Regulierung, sondern um die beste Regulierung", antwortet die FDP-Politikerin. Schließlich sei "viel nicht immer gleich gut". Zudem gebe es Regulierungsvorhaben auf nationaler, auf europäischer und auf G-20 Ebene.
"Es macht keinen Sinn, eine deutsche Gesetzgebung auf den Weg zu bringen, wenn parallel in Europa das gleiche Thema diskutiert wird", sagt Reinemund. Gleichzeitig räumt sie aber ein, dass zumindest im Fall der ungedeckten Leerverkäufe das "nationale Vorpreschen" zum Erfolg geführt hat. "Ja - inzwischen hat man sich da europaweit geeinigt." Und auch in Sachen Finanztransaktionssteuer hat sich etwas getan: 11 der 27 EU-Länder sind inzwischen bereit, eine solche Steuer einzuführen.
Die Vorsitzende des Finanzausschuss teilt im Übrigen auch nicht die Kritik, der Bundestag nicke nur die Vorgaben der Bundesregierung – insbesondere im Rahmen der Eurokrise – ab und habe zu wenig Zeit, sich damit angemessen zu beschäftigen. "Wenn wir Beratungsbedarf haben, setzen wird den auch durch", stellt sie klar. Natürlich, so Reinemund weiter, gebe es den Wunsch, "europäischen Prozesse nicht einseitig zu verlängern". Aber nochmal: "Wenn Beratungsbedarf angemeldet wird hat der Bundestag jederzeit die Möglichkeit, den Zeitablauf zu verändern."
Und wie steht es mit dem Informationsfluss von Seiten der Bundesregierung in Richtung Bundestag? "Wir bekommen auf jede Frage eine Antwort", sagt die Ausschussvorsitzende diplomatisch. Ob die immer befriedigend ist, sei eine andere Sache, fügt sie hinzu und stellt fest: "Es ist immer wieder erstaunlich, wie man Erklärungen abgeben kann, ohne etwas zu sagen."
Bei solch komplizierten Themen wie Steuern und Finanzmärkten bedient sich auch der Finanzausschuss gelegentlich externen Sachverstandes. "Wir veranstalten dazu öffentliche Expertenanhörungen", sagt Birgit Reinemund. Zu einer solchen Veranstaltung seien auch schon mal 37 Sachverständige und Verbände geladen gewesen. Zu viele, findet die Vorsitzende.
"Erfahrungsgemäß sind die Fachgespräche und die Anhörungen mit zehn oder zwölf Experten ergiebiger." Welche Experten zu diesen Anhörungen eingeladen werden, entscheiden die Fraktionen. Die Ausschussvorsitzende berät mit den Obleuten Hans Michelbach (CDU/CSU), Ingrid Arndt-Brauer (SPD), Daniel Volk (FDP), Barbara Höll (Die Linke) und Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) über Inhalt, Dauer und Umfang der Anhörungen.
Entschieden haben sich die Fraktionen auch dazu, einen "Tagesordnungspunkt Null" in den Ausschusssitzungen einzuführen. "Das ist eine Besonderheit des Finanzausschusses, der den Oppositionsfraktionen die Möglichkeit zur Befragung der Bundesregierung gibt", betont Reinemund. Dieser Tagesordnungspunkt könne dann auch mal ein oder zwei Stunden dauern, sagt die Vorsitzende.
Grundsätzlich aber beruhen – anders als noch vor wenigen Jahren - fast 70 Prozent der Tagesordnungspunkte auf EU-Vorlagen. "Das ist eine völlig andere Arbeit, weil man bei diesen Prozessen ganz früh dabei sein muss, um wirklich Mitwirkungsmöglichkeiten zu haben", macht Reinemund deutlich. Auf diesem Wege sei der Ausschuss besser geworden. "Früher haben wir viel zu spät mitbekommen, was auf europäischer Ebene läuft", sagt sie. Dabei sei es sehr wichtig, mit Entschließungsanträgen oder auch der Subsidaritätsrüge frühzeitig einzugreifen.
Den Ausschussvorsitz hat Birgit Reinemund jetzt seit 15 Monaten inne und ist zufrieden mit ihrer Aufgabe. "Es entspricht meinem Temperament zu moderieren", sagt sie. Auch die repräsentativen Aufgaben, zu denen auch die Begrüßung ausländischer Delegationen gehört, übernehme sie gern.
Muss sie denn als Ausschussvorsitzende ihre politischen Überzeugungen abgeben? Die Antwort ist ein klares Nein. "Das politische Polarisieren behalte ich mir aber für das Plenum vor", sagt die FDP-Abgeordnete. (hau/30.10.2012)