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Ulrich Maurer ist einer der bekanntesten Abgeordneten der Fraktion Die Linke. Seit 2005 vertritt er linke Positionen im Bundestag mit Engagement und Herzblut. In diesem Jahr hört Ulrich Maurer auf und kandidiert bei der Bundestagswahl im September nicht noch einmal. Er sagt: "Ich habe diese Entscheidung ganz souverän getroffen. Ich hatte mir immer vorgenommen: Im Zenit meiner Karriere höre ich auf. Jetzt ist für mich dieser Zeitpunkt gekommen. Ich steige aus."
Die Entscheidung, sich nicht mehr zur Wahl zu stellen, traf Ulrich Maurer bereits vor einem Jahr, denn einen solchen Entschluss trifft ein Politprofi wie er nicht über Nacht. Den Ausstieg hat er vor allem gedanklich gut vorbereitet, damit der Rückzug aus einem so intensiven politischen Amt in ein "normales" Leben auch gelingt.
"Ich vergleiche Politik gern mit dem Fliegen. Das Starten ist schon schwierig, aber die Landung kann weitaus schwieriger werden. Es kann zu einer Bruchlandung kommen, wenn man sich nicht voll konzentriert und konsequent seine Entscheidung vertritt", sagt Ulrich Maurer.
Seit 44 Jahren ist der studierte Rechtswissenschaftler politisch aktiv. 1969 trat er in die SPD ein, im Jahr 2005 gab er sein Parteibuch zurück und ging zur Linken. Nach 36 Jahren wollte er kein Sozialdemokrat mehr sein. Ende dieses Jahres wird Ulrich Maurer 65 Jahre alt. Er hatte mehr als vier Jahrzehnte viele politische Funktionen inne. Anfangs auf kommunaler Ebene, anschließend viele Jahre in der Landes- und später in der Bundespolitik.
Als vor einem Jahr die Vorbereitungen für die Bundestagswahl begannen, informierte der Jurist seinen Landesvorstand in Stuttgart über seine Entscheidung, nicht erneut für den Bundestag zu kandidieren. Anschließend gab er seinen Rückzug über Facebook bekannt und schrieb dort, dass auch Politiker erkennen sollten, dass alles seine Zeit hat.
Ulrich Maurer erklärt seinen ungewöhnlichen Schritt der Bekanntgabe über Facebook so: "Ich wollte, dass viele Menschen zeitgleich von meiner Entscheidung erfahren. Es ist zeitgemäß, die neuen Medien zu nutzen, denn es ist der schnellste Weg, eine Information breit zu streuen."
Viele Parteikollegen wollten ihn anfangs davon überzeugen, dass er seinen Entschluss noch einmal überdenkt, aber für Ulrich Maurer gab es kein Zurück. "Ich bin schon sehr lange in der Politik und habe oft Politiker gesehen, die sich im Alter verzweifelt an Amt und Mandat geklammert haben. So etwas zu erleben, ist dramatisch. Es sollte keinesfalls mein Weg aus der aktiven Politik sein. Ich wollte die nötige Souveränität haben, um mich zurückzunehmen, wenn es an der Zeit ist", sagt Ulrich Maurer sichtlich entspannt.
Neben Oskar Lafontaine war Ulrich Maurer der prominenteste Sozialdemokrat, der sich im Jahr 2005 der Linkspartei.PDS anschloss. Die nominierte ihn im Wahljahr 2005 als Spitzenkandidat, und er wurde erstmals in den Bundestag gewählt. Dort übertrugen die Linken dem politisch erfahrenen "Neuling" den Posten des Parlamentarischen Geschäftsführers der Bundestagsfraktion – ein hoher Vertrauensbeweis. Im Juni 2007 wurde der Jurist Mitglied im geschäftsführenden Vorstand seiner Partei. Seit Oktober 2009 ist Ulrich Maurer, der immer ein enger Vertrauter von Oskar Lafontaine war, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion.
Als Politiker einer linken Partei schlägt sein Herz für sozial Benachteiligte in der Gesellschaft, denn Ulrich Maurer hat nie vergessen, dass er selbst aus bescheidenen Verhältnissen kommt. Ein weiteres Anliegen war ihm immer, sich für die Menschen in den neuen Ländern einzusetzen. Seiner Meinung nach gibt es zum Beispiel immer noch Benachteiligungen beim Rentenniveau. Immer wieder hat er im Bundestag daran erinnert, dass im Koalitionsvertrag die Angleichung der Ostrenten versprochen wurde.
Wenn Ulrich Maurer an seine langjährige Politikerkarriere zurückdenkt und die politischen Ereignisse und Begegnungen der letzten 40 Jahre Revue passieren lässt, fällt ihm eine Begegnung ein, die er als prägend beschreibt. "Anfang der Siebzigerjahre lernte ich Willy Brandt persönlich kennen. Ich war ein junger Mann und traf diesen charismatischen Politiker in der Alten Kanzlei in Stuttgart. Diese Begegnung hat mich nachhaltig beeindruckt. Willy Brandt war authentisch, den Menschen zugewandt, und was er sagte hatte Substanz. Bei ihm habe ich gespürt, dass man Politik mit einer tiefen Humanität verbinden kann. Hätten die Sozialdemokraten die Partei in seinem Sinn weitergeführt, hätte ich nicht mit ihnen gebrochen", sagt Ulrich Maurer.
Dieser Bruch vollzog sich im Jahr 2003, zwei Jahre bevor Ulrich Maurer enttäuscht aus der SPD austrat. Im März 2003 verkündete der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in einer Regierungserklärung die Agenda 2010. "Für mich war es ein Tiefpunkt in meinem politischen Leben, als auf einem Sonderparteitag 80 Prozent der Delegierten für die Umsetzung der Agenda 2010 stimmten, weil Gerhard Schröder mit Rücktritt gedroht hatte. Und ein Mitgliederbegehren, das linke SPD-Mitglieder gestartet hatten, um den Sozialabbau noch zu stoppen, scheiterte", sagt Ulrich Maurer.
Nach der Wahlniederlage der SPD bei den Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2005 verkündete der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Franz Müntefering, vorgezogene Neuwahlen und begründete diese Entscheidung mit fehlendem Vertrauen der Menschen in die rot-grüne Regierung. "Ich erfuhr das aus der Tagesschau und wusste natürlich, dass es die Agenda 2010 war, die die Menschen ablehnten. An diesem Abend habe ich meinen Austritt aus der SPD beschlossen."
Nach acht Jahren als Bundestagsabgeordneter für die Partei Die Linke geht in diesem Jahr ein Politprofi in Sachen linke Parteipolitik in den Ruhestand. Ulrich Maurer sagt zwar: "Die Bezeichnung Ruhestand ist für einen wie mich eigentlich gar nicht denkbar." Trotzdem verabschiedet sich Ulrich Maurer aus der aktuellen Tagespolitik. Ein Parteiamt strebt er nicht mehr an, aber er wird seine Partei im Bundeswahlkampf natürlich unterstützen. Wehmut? Nein, die empfindet Ulrich Maurer nicht. "Ich lebe inzwischen in Berlin und werde meiner Partei, wo meine Erfahrungen gefragt sind, gern als Gesprächspartner zur Verfügung stehen."
Auf die Frage, worauf er sich am meisten freut, wenn er nicht mehr als Berufspolitiker im Tagesgeschäft verhaftet ist, antwortet er ohne zu zögern: "Ich bin froh, dass ich keine Wahlen mehr gewinnen muss, denn ich war mehr als vier Jahrzehnte in einer Art Dauerwahlkampf. Ob Landtagswahlen, Bundestagswahlen, Wahlen für Präsidien innerhalb der Fraktion oder in Ausschüssen – irgendeine Wahl stand immer an, und ich wollte natürlich gewinnen und habe mich immer leidenschaftlich engagiert. Jetzt bin ich entspannt und spüre keinen Druck mehr", sagt er.
"Ich bin künftig allein für meinen Terminkalender verantwortlich und kann endlich ohne Zeitdruck mit meiner Frau verreisen. Außerdem möchte ich wieder Tennis spielen gehen und hin und wieder eine Partie Schach." Und das Lesen von Büchern, die nichts mit Politik zu tun haben, werde er genießen, so Maurer. "Ebenso gern sitze ich in Cafés mit einer Zeitung oder beobachte meine Mitmenschen. Das kann sehr interessant und entspannend sein, solange ich keinen Termin im Rücken habe." (bsl/29.05.2013)