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Dr. Jürgen Koppelin war Zeitsoldat bei der Luftwaffe und Referent eines Bundestagsabgeordneten, betreute als Promotionmanager Schlagerstars und moderierte Musikshows im Radio und Fernsehen. Die Konstante in dieser ungewöhnlich kurvenreichen Laufbahn? Die Politik. Mit 17 kam der gelernte Bankkaufmann zur FDP, zog nach zwanzig Jahren Kommunalpolitik 1990 in den Bundestag ein und machte sich als Parlamentarischer Geschäftsführer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und zuletzt als haushaltspolitischer Sprecher bundesweit einen Namen. Nun soll mit der Politik Schluss sein. Aber der Reihe nach.
Sein Besprechungsraum ist mit allerlei Kuriositäten geschmückt: auf dem Regal eine alte Stechuhr und drei Flaschen Putzmittel aus der DDR, auf dem Tisch einige Ausgaben der "Apotheken-Umschau". "Lesestoff", schmunzelt Koppelin. Solche Scherze machen dem 67-jährigen Abgeordneten aus Dithmarschen offenkundig Spaß. Humorvoll, fair, loyal – aber auch eigenwillig, so charakterisieren ihn Politiker über Fraktionsgrenzen hinweg.
Seinen eigenen Kopf hatte Koppelin schon früh: Mit 17 Jahren emanzipiert er sich von der SPD-Familie, tritt in die FDP ein. Der Grund? "Die Deutschlandpolitik der FDP, die auf Gespräche mit Ost-Berlin und Moskau setzte." Koppelin beginnt sich kommunalpolitisch zu engagieren, absolviert eine Ausbildung zum Bankkaufmann und verpflichtet sich von 1965 bis 1969 als Berufssoldat bei der Luftwaffe. Noch heute fühlt sich Koppelin der Bundeswehr verbunden – als Berichterstatter im Haushaltsausschuss ist er unter anderem für den Verteidigungsetat zuständig.
1969 wird er Referent des FDP-Bundestagsabgeordneten Walter Peters. Er ist damit einer der ersten Referenten überhaupt: "Die Regelung gab es erst ab 1. April 1969, dass Abgeordnete einen Mitarbeiter einstellen durften. Ich bin genau am 1. April eingestellt worden – ich weiß das so genau, denn ich habe noch eine Gehaltsüberweisung aufbewahrt", erzählt Koppelin.
Doch der Job war nichts für ihn: "Ich dachte, ich mache Politik – aber im Grunde heftete ich nur Drucksachen ab." Trotzdem hat er in Bonn ein Schlüsselerlebnis. Seinem tatendurstigen Mitarbeiter gibt Peters einen Rat, den Koppelin nie vergessen hat: "Willst du Politik machen? Dann kümmere dich nicht um Sachen, die auf der Tagesordnung stehen. Die haben andere längst entschieden. Kümmere dich besser um Dinge, die nicht auf der Tagesordnung stehen. Sonst bewegst du nichts."
Zunächst jedoch verschlägt es Koppelin – der nach eigenem Bekunden zwar Musik liebt, aber weder Noten lesen oder ein Instrument spielen kann – in die Musikbranche: Er wird Promotionmanager bei der Schallplattenfirma Philips-Polygram, betreut Stars wie Nana Mouskouri, Jürgen von der Lippe und begleitet Elton John zu seinen Konzerten in Deutschland. Auch den Liedermacher Reinhard Mey lernt Koppelin in dieser Zeit kennen. Er zählt bis heute zu seinen Freunden. Zehn Jahre ist Koppelin für die Musik viel auf Achse – irgendwann zu viel.
Er ist inzwischen Vater zweier Töchter. Er will mehr Zeit mit der Familie verbringen und wechselt zum Norddeutschen Rundfunk, wo er im Radio und Fernsehen Musikshows wie die Schlagerparade oder das Notenlotto moderiert. In nur wenigen Jahren macht er Karriere, wird Leiter der Musikredaktion. Für eines hat er in dieser bewegten Zeit trotzdem Zeit: die Kommunalpolitik zuhause in Bad Bramstedt. "Ich fand das immer spannend, eigentlich das Spannendste überhaupt, weil man sieht, was man entscheidet – anders als in der großen Politik."
Dort im Stadtrat von Bad Bramstedt wäre er womöglich geblieben, "hätte mich nicht mein Freund Wolfgang Kubicki (FDP) angerufen und gesagt: Du musst kandidieren. Dich kennt man. Wir brauchen in Schleswig-Holstein ein gutes Ergebnis."
Das war 1990. Die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl steht vor der Tür. Glaubt man Koppelin, dann hat er sich nicht unbedingt um ein solches Angebot gerissen. Er sagt dennoch zu – allerdings unter einer Bedingung: "Nur auf einem Platz, der nicht so sicher ist und nicht so aussieht, als hätte ich echtes Interesse." Er landet auf Platz drei der Landesliste und zieht tatsächlich in den Bundestag ein.
Die politische Karriere nimmt Fahrt auf: 1993 wird Koppelin Landesvorsitzender der FDP in Schleswig-Holstein, 1998 Parlamentarischer Geschäftsführer im Bundestag. Eine Aufgabe wie gemacht für den früheren Moderator. "Ich hatte die große Chance, mit Wolfgang Gerhardt und vor allem mit Guido Westerwelle eng zusammenzuarbeiten. Wir haben alles besprochen: Strategie, Taktik. Das war meine Stärke."
Er versteht es, den Laden zusammenzuhalten – auch weil er das Menschliche nicht außer Acht lässt: "Ich habe mich immer in der Rolle der Mutter der Kompanie gesehen", sagt Koppelin. 2009 jedoch, nach dem großen Erfolg der FDP bei der Bundestagswahl, wird er nicht im Amt bestätigt und übernimmt stattdessen den stellvertretenden Fraktionsvorsitz.
"Es gibt eben manche in der FDP, denen nicht passt, dass er auch mal Positionen vertritt, die in der Fraktion nicht mehrheitsfähig sind", sagte einer seiner politischen Freunde, der Linken-Abgeordnete Dietmar Bartsch einmal in einem Interview.
So gehörte Koppelin etwa zu den Gegnern des Afghanistan-Einsatzes und stimmte als einer von wenigen Liberalen 2010 gegen die Verlängerung der Restlaufzeiten für Atomkraftwerke. Parteiinterne Kritik kennt der "Dithmarscher Dickschädel", wie "Das Parlament" einmal titelte, also gut: "In der FDP wollen sie zwar Politiker mit Ecken und Kanten. An denen stößt man sich aber. Das kapieren viele in der Partei nicht", murrte er einmal im "Cicero".
Den Medien gibt er auch die Schuld daran, ein negatives Bild von der Politik und ihren Akteuren zu vermitteln. "Es ist der Umgang. Der hält auch Leute, die man dringend bräuchte, davon ab, in die Politik zu gehen."
Trotzdem: Koppelin ist mit Leib und Seele Parlamentarier. Minister oder Staatssekretär zu werden, habe ihn nie interessiert, beteuert er – und man ist geneigt ihm zu glauben. Hat ihn die Macht nie gereizt? "Ein Minister hat doch keine Macht", sagt Koppelin entschieden. "Die haben die Haushälter im Parlament! Sie sind es, die entscheiden!"
Ob er sich nun für Kultureinrichtungen wie das Jüdische Museum stark macht oder für traumatisierte und strahlengeschädigte Bundeswehrsoldaten – die Gestaltungskompetenz des Haushälters schätzt Koppelin.
Dennoch: Nun soll Schluss sein. Nach 23 Jahren im Bundestag wird der Abgeordnete nicht wieder kandidieren. Wahlkampf wird er zwar noch führen – doch dann will er endlich mehr Zeit haben für Projekte, die ihm wichtig sind: die vom Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) geförderte erste Kinderuniversität in Thailand etwa oder eine geplante Stiftung, die jungen Vietnamesen eine duale Ausbildung nach deutschem Vorbild ermöglichen soll.
Dieses Engagement ist eine Herzenssache für Koppelin, der stellvertretender Vorsitzender der ASEAN-Parlamentariergruppe ist und sich dem Buddhismus nahe fühlt. Vielleicht aber nutzt er seine wiedergewonnene Zeit dafür, ein Drehbuch für einen TV-Krimi zu schreiben. Eines ist schon jetzt klar: "Garantiert ist einer der Toten ein Journalist", sagt Koppelin und lacht. "Ein Sensationsreporter muss dran glauben, das habe ich mir fest vorgenommen." (sas/29.05.2013)