Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Eduard Oswald (CDU/CSU), hat in einem am Montag, 10. Juni 2013, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" Kritik aus den Kommunen zurückgewiesen, die Bundespolitik würde ihre Belange nicht genügend berücksichtigen. Zum Vorwurf, Städte und Gemeinden müssten Gesetze finanziell ausbaden, die der Bund mache, sagte Oswald, in jedem Ausschuss säßen Parlamentarier, die bei Gesetzesberatungen "an die Auswirkungen auf die Kommunen erinnern". Das Interview im Wortlaut:
Herr Oswald, Sie haben, wie auch viele andere Mitglieder des Bundestages, in der Kommunalpolitik angefangen. Hilft diese Erfahrung bei der Arbeit auf Bundesebene?
Für mich ist die Kommunalpolitik das Herzstück der Politik. Mit wem kommt denn der Bürger in Berührung? Zumeist mit seinem Rathaus. Der Satz stammt nicht von mir, aber könnte von mir stammen: Im Bild der Gemeinde begreift der Bürger den Staat. Darum sollte jeder, der in der Bundespolitik tätig ist, schon einmal in der Kommunalpolitik gewesen sein oder parallel ehrenamtlich noch einem Kommunalparlament angehören. Das ist durchaus möglich. Dann erfährt er, wie jedes Gesetz unten ankommt, wie die Auswirkungen sind. Er weiß, was die Menschen bewegt.
In Ihrer parlamentarischen Laufbahn haben Sie drei Ausschüsse geleitet – für Verkehr und Bau, für Finanzen und für Wirtschaft. Wenn man dort am laufenden Band Gesetze berät, denkt man dann überhaupt noch an die Kommunen, die das betrifft?
Es gibt kaum ein Ressort und kaum einen Ausschuss im Bundestag, in dem nicht Vorhaben behandelt werden, die die kommunale Ebene betreffen. Und der Abgeordnete ist ja zur Hälfte hier im Bundestag und zur Hälfte im Wahlkreis. Nach meiner Erfahrung gibt es in jedem Ausschuss Parlamentarier, die, sollten es einige vergessen, an die Auswirkungen auf die Kommunen erinnern. Die letzten Jahre ist diese Rückkoppelung mit der kommunalen Ebene sogar stärker geworden.
Von Kommunalpolitikern hört man aber oft: Die in Berlin machen Gesetze, und wir dürfen's ausbaden. Ist da was dran?
So wird in der Tat geredet. Aber tatsächlich hat sich hier viel verändert seit der Föderalismusreform 2006. Der Bund kann nicht mehr Aufgaben direkt auf die Kommunen übertragen. Er ist zwar weiter zuständig für die gesetzlichen Regelungen, die die öffentliche Fürsorge betreffen, also Leistungen für Bildung, Sozialhilfe und so weiter, aber hier sind die Länder zwischengeschaltet. Staatsorganisatorisch sind die Kommunen ja Teil der Länder.
Wenn Sie einen Bürgermeister mitten in der Nacht aufwecken, kann der Ihnen meist sofort herunterbeten, wo seiner Gemeinde überall Geld fehlt.
Das könnte ein Bundespolitiker für seinen Bereich auch. Aber im Ernst: Es gibt Kommunen, die gut ausgestattet sind, andere haben Probleme. Insgesamt ist die Finanzsituation ganz sicher positiv. 2012 konnten die Kommunen erstmals seit 2008 wieder einen Finanzierungsüberschuss verzeichnen. Übrigens lässt sich der Anstieg der kommunalen Sachinvestitionen in den Jahren 2009 bis 2012 auf das Konjunkturpaket II zurückführen – hier sind wir wieder beim Zusammenwirken von Bund und Kommunen. Wir haben in den letzten Jahren viel gemacht, um die Kommunen zu entlasten, ich erwähne das Bildungspaket und die Grundsicherung im Alter, mit der die Kommunen bis 2020 um rund 50 Milliarden Euro entlastet werden. Das ist die größte Kommunalentlastung in der Geschichte Deutschlands.
Die Finanzkraft von Gemeinden hängt sehr davon ab, ob dort gewinnträchtige Unternehmen sitzen, die Gewerbesteuer zahlen. Im Osten Deutschlands gibt es hauptsächlich Betriebe, deren Zentralen im Westen sitzen. Im Ruhrgebiet sind viele Industrien weggebrochen, die früher sehr stark waren. Und überall spürt man Konjunkturschwankungen. Bräuchten die Kommunen eine andere, stetigere Grundlage für ihre Finanzen?
Dieses Thema hat mich in meiner ganzen politischen Laufbahn begleitet. Wir hatten hier ja eine Gemeindefinanzkommission, aber es konnte keine Einigung erzielt werden. Eine Reform kann nur durchgeführt werden, wenn es einen Konsens zwischen Bund, Ländern und Kommunen gibt – und wir wissen, dass das nicht das eEnfachste ist. Trotzdem muss die Tür zu Verhandlungen immer offen sein.
Die absehbare demografische Entwicklung stellt eine neue Herausforderung dar, insbesondere für den ländlichen Raum. Inwieweit ist der Bund hier gefragt?
Ich glaube, dass die demografische Entwicklung Anpassungen in allen Lebens- und Politikbereichen erforderlich macht. Ich war ja der letzte Bundesbauminister, der ausdrücklich noch Raumordnung in seinem Titel hatte. Das Wort steht für unser Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen deutschen Regionen zu sichern. Dazu gehört, die ländlichen Räume weiterzuentwickeln. Ein wichtiges Anliegen hierbei ist die Breitbandversorgung. Für die Chancen einer Region ist die volle Verfügbarkeit von Breitband ganz wesentlich.
Aktuell haben viele Städte Probleme mit rasant steigenden Mieten. Jetzt wird eine Begrenzung der Mieterhöhung bei Neuvermietung gefordert. Was halten Sie als ehemaliger Bauminister und Bauausschuss-Vorsitzender davon?
Darüber muss man natürlich reden. Es muss aber darauf geachtet werden, und das sagt die Bundeskanzlerin ja selbst, dass nicht die Schaffung von neuem Wohnraum verhindert wird. Wir müssen aber auch an andere Stellschrauben denken. Eine ist die Wiedereinführung der degressiven AfA, also einer hohen Abschreibung im ersten Jahr, die dann schrittweise sinkt. Damit könnten starke Impulse im freifinanzierten Wohnungsbau ausgelöst werden. Eine andere ist die Eigenheimzulage.
Sie treten bei der Bundestagswahl nicht erneut an. Wenn Sie auf Ihre 27 Jahre im Bundestag zurückblicken, was hat Ihnen am meisten Freude gemacht?
Es sind 35 Jahre, wenn man den bayerischen Landtag hinzurechnet. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich viele Ämter innehatte, die mir alle Freude gemacht haben. Die Jahre als Parlamentarischer Geschäftsführer waren die spannendsten. Man ist Manager des Parlamentsbetriebes und auf der anderen Seite immer bei wichtigen Entscheidungen dabei, etwa in Koalitionsrunden. Danach wurde ich Bauminister und Umzugsbeauftragter der Bundesregierung. Letzteres war ein riesiger zeitlicher Aufwand, in meiner Amtszeit ist am meisten justiert worden. Nach dem Regierungswechsel und dem Führungswechsel in der CSU ist es mir gelungen, den Vorsitz des Verkehrsausschusses zu erhalten. Dann kam der Finanzausschuss und der Wirtschaftsausschuss. Soweit ich weiß, gab es keinen anderen Abgeordneten, der drei Ausschüsse geleitet hat. Was mir aber vor allem Freude gemacht hat und noch macht, ist die Kollegialität aller Parlamentarier. Vielleicht liegt es ein bisschen auch an meiner Wesensart, aber ich glaube, dass die Kollegialität der Bundestagsabgeordneten untereinander besser ist als der Ruf nach außen.
Als Vizepräsident müssen Sie im Präsidium eng mit Kollegen aller Fraktionen zusammenarbeiten. Wie klappt das?
Das Miteinander ist sehr gut. Man gibt natürlich seine politische Meinung nicht an der Garderobe ab. Man versucht auch, seine Positionen durchzusetzen, das ist völlig klar. Aber jeder weiß: Wir stehen in der gemeinsamen Verantwortung für das Erscheinungsbild des Parlamentes.
Was macht für Sie den besonderen Reiz der Arbeit im Parlament aus?
Etwas zu gestalten, mitzuwirken in so vielen Bereichen. Der Parlamentarier muss draußen Generalist sein – er muss auf Bürgerfragen zu allen Themen antworten – und drinnen Spezialist. Weiterhin macht den Reiz aus, dass es jeden Tag neue Herausforderungen gibt. Aber entscheidend für mich ist: Politik ist Dienst am Menschen. Ich verstehe Politik als nichts anderes, als stellvertretend für die Bürgerinnen und Bürger meinen Dienst zu tun."
(pst/10.06.2013)