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Die friedliche Revolution von 1989 änderte sein Leben radikal: Aus dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Michael Luther (CDU/CSU) von der Technischen Hochschule Zwickau wurde quasi über Nacht ein Politiker. Der Sachse gehörte der Volkskammer an und zog 1990 in den ersten gesamtdeutschen Bundestag ein. Dort erwarb sich der Nichtjurist im Rechtsausschuss große Verdienste um die deutsch-deutsche Rechtsangleichung. Zwei Jahre war Luther Fraktionsvize, bevor er 2000 Vorsitzender der sächsischen Landesgruppe wurde. Seit 2009 leitet Luther den Rechnungsprüfungsausschuss, im August 2012 kündigte der heute 56-Jährige überraschend an, nicht mehr für den Bundestag kandidieren zu wollen.
Auf die Frage, was ihn politisch am meisten geprägt hat, antwortet Michael Luther kurz und knapp "Die DDR". Dann setzt der Mann mit dem Schnauzbart in unüberhörbar sächsischem Dialekt hinzu: "Dass man sich dort nicht über die kleinste Kleinigkeit Gedanken machen durfte, war schwierig."
Der gläubige Katholik hält Distanz zum System der DDR, arrangiert sich aber mit den Gegebenheiten: "Ich war kein Held, wie manch anderer", sagt er ehrlich. Einschränkungen erlebt er gleichwohl, etwa bei der Berufswahl: "Ein Jurastudium oder eine Laufbahn bei der Polizei wären für mich als Christ von vornherein ausgeschlossen gewesen." Luther studiert schließlich Angewandte Mechanik an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt, schließt 1982 mit Diplom ab. 1987 folgt die Promotion.
Die Kommunalwahl im Mai 1989 wird zum Weckruf: Wahlkontrollen offenbaren erstmals klare Wahlfälschungen der DDR-Regierung. Als dann am 27. Juni in Ungarn als erstem kommunistischen Land der "Eiserne Vorhang" fällt und die Grenze zu Österreich geöffnet wird, steht für Luther und seine Frau fest: "Bei uns soll es nicht so bleiben. Wenn es jetzt ein Zeitfenster gibt, wo wir etwas ändern können, dann wollen wir mitmachen."
Im Oktober läuten die Massendemonstrationen in vielen Städten das Ende der DDR ein. Auch Luther ist in Zwickau auf der Straße. Zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober stellt er demonstrativ eine Kerze in sein Fenster – obwohl gegenüber eine Kollegin aus der Hochschule wohnt, die dort im Institut für Marxismus-Leninismus arbeitet. "Sie hatte natürlich die DDR-Fahne draußen", erinnert er sich. Dass die Teilnahme an Demonstrationen von der Staatsicherheit dokumentiert wird, hält ihn nicht zurück: "Meine Frau und ich waren uns einig, dass wir es nicht vor unseren Kindern verantworten können, wenn wir nicht etwas tun."
Im November 1989 wird Luther Mitglied der CDU. Dass die alte Ost-CDU eine der staatstragenden Blockparteien war, ist für ihn zu dem Zeitpunkt zweitrangig. "Ich habe diese Partei damals mit Helmut Kohl und dem Westen identifiziert", sagt er später einmal in einem Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". Andere Parteien kommen für ihn nicht in Frage: "Das Neue Forum strebte ja Glasnost an, eine andere Form des Sozialismus. Aber das wollte ich nicht."
Sein Ziel ist klar: "Die deutsche Einheit." Dann geht alles sehr schnell: Der Kreisverband nominiert den von der Vergangenheit unbelasteten Luther als Kandidaten für die Volkskammerwahl im März 1990. "Da hieß es plötzlich: "Nehmen wir doch den Luther, der ist neu. Das war meine Qualifikation damals", sagt er amüsiert. Die sieben Monate in der Volkskammer, in denen er parlamentarischer Geschäftsführer der CDU war, hat er als "dynamische und chaotische Zeit" in Erinnerung: "Die alte Volkskammer war ja ein Scheinparlament gewesen. Es gab zwar den Parlamentssaal, aber Räume für die Ausschüsse fehlten. Genauso wie eine Geschäftsordnung, Büros, Übernachtungsmöglichkeiten und Bezahlung für uns Abgeordnete."
Die Politik lässt den pragmatischen Zwickauer nicht mehr los: Er bewirbt sich als Bundestagskandidat – auch aus Verantwortungsgefühl: "Ich wollte nicht, dass ein Altkader das macht." Tatsächlich wird Luther bei der ersten gesamtdeutschen Bundestageswahl 1990 aufgestellt, gewählt und kann in den Bundestag einziehen. "Bewegend" sei die erste Fraktionssitzung gewesen: "Da saßen Helmut Kohl und Norbert Blüm, die kannte ich doch nur aus dem Fernsehen. Das waren ja Götter – gestandene, achtenswerte Politiker, und mit ihnen saß ich nun an einem Tisch."
Trotz solcher Hochachtung – selbstbewusst fordern er und andere ostdeutsche Abgeordnete ihre Rechte ein. Für manchen westdeutschen Parlamentarier mitunter überraschend: "Ich erinnere mich an eine Sitzung", erzählt Luther, "in der es um die Besetzung von Ämtern ging. Die wurden aus langer Tradition vergeben und bei einer Entscheidung, die bisher immer einstimmig getroffen wurde, gab es plötzlich Gegenstimmen aus der sächsischen Landesgruppe." Der Abgeordnete schmunzelt. "Die meisten haben da erst gemerkt, dass wir auch da sind."
Nach einem kurzen Intermezzo im Familienausschuss wird Luther 1991 Mitglied im Rechtsausschuss. Er ist einer der wenigen Nichtjuristen und der einzige Ostdeutsche seiner Fraktion in diesem Gremium. Umso wichtiger ist seine Arbeit in diesen ersten drei Jahren nach der friedlichen Herbstrevolution, in der die Umsetzung des Einigungsvertrags und die deutsch-deutsche Rechtsangleichung die Mitglieder des Gremiums fast vollständig beschäftigt.
Ob das Sachenrechtsbereinigungsgesetz, das Schuldrechtsanpassungsgesetz, das Mietenüberleitungsgesetz oder das SED-Unrechtsbereinigungsgesetz– es sind lauter sperrige Namen, die nur unzureichend die Fülle der oft komplexen juristischen Probleme widerspiegeln, mit denen sich der Abgeordnete zu befassen hat. Für sein "Fingerspitzengefühl" und sein Bemühen um "sozialverträgliche Lösungen", so Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert in seiner Laudatio, wird ihm 2009 im Bundestag das Bundesverdienstkreuz verliehen.
1998 wird Luther zum Fraktionsvize gewählt. Doch die Attacke auf den politischen Gegner ist nicht unbedingt Sache des als fleißig und umgänglich geltenden Abgeordneten. Nach zwei Jahren scheidet Luther aus dem Amt und übernimmt stattdessen den Vorsitz der sächsischen Landesgruppe. 2009 wird er, der inzwischen Mitglied des Haushaltsausschusses ist, auch Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses, eines Unterausschusses des Haushaltsausschusses.
Mit dieser Aufgabe sei er vollauf zufrieden, so Luther. Doch: "Mehr Karriere ist nur schwer familientauglich." Die Familie ist einer der Gründe, weshalb der dreifache Vater bei der Bundestagswahl 2013 nicht mehr antreten wird. "23 Jahre nicht da zu sein und alle vier Jahre zur Wahl zu stehen ist eine Belastung", sagt er. Außerdem wolle er sich beruflich verändern. "Es scheint für manche schwer vorstellbar zu sein, aber man kann die Politik loslassen", sagt er mit Nachdruck. Offenbar ist dies aber doch nicht ganz so einfach: Sein Kreistagsmandat will Luther nämlich behalten. (sas/01.07.2013)