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Der Tanz geht weiter. Anders kann man die Einladung in das Foyer des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses kaum verstehen: Not the Last Dance steht auf dem Flyer, zu dem ein gewisser Paul S. featuring AnnenMayKantereit einlädt. Nicht ohne das möglicherweise musikalisch etwas ungeübte Publikum zu warnen: "Bei Rock- und Popkonzerten besteht aufgrund der Lautstärke die Gefahr von Hör- und Gesundheitsschäden. Aber: Sich bewegen und Spaß haben ist gesund." Dann steht da noch ein zweiter Auftritt angekündigt: von "The Defenders" – das sind, wie Paul S. gut gelaunt berichtet, die verteidigungspolitischen Sprecher aller Fraktionen außer der CDU/CSU. Dass der Unionsvertreter fehlt, beeilt er sich hinzuzufügen, habe nichts mit politischer Distanz zu tun: "Der kann nicht singen. Ansonsten gehen wir im Ausschuss – sozusagen, wenn die Fenster geschlossen sind – in aller Regel vernünftig miteinander um."
Paul S. heißt mit vollem Namen Paul Schäfer – und ist im Bundestag in den vergangenen acht Jahren eher unter den Stichworten Euro Hawk, Afghanistan-Einsatz oder Bundeswehrreform bekannt geworden denn als Gitarrist. Seit 2005 ist er verteidigungs- und abrüstungspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke.
Nun, mit 64, soll Schluss sein. Paul Schäfer, der mit seiner Erfahrung in Außen- und Sicherheitspolitik wohl schnell ein Büro einer Organisation oder Stiftung auf einem anderen Kontinent leiten könnte, zieht es nach Hause. "Ich habe nicht vor, zu gärtnern. Aber ich will weder nach Afrika noch nach Asien. Sondern nach Köln." In eine Wohnung im Szene-Stadtteil Sülz, der er in all den Jahren treu geblieben ist – und in der er in jeder zweiten Woche seinen kölschen Zungenschlag so reaktiviert, dass er zu denen gehört, die ihre Herkunft gleichsam ganzjährig auf der Zunge tragen. Raus aus einem Parlament, das er nicht nur als Abgeordneter, sondern auch als Mitarbeiter kennt.
Zur Politik zog es ihn fast wie von selbst: Als Schüler des längst verstorbenen, aber in linken Kreisen unvergessenen Politikwissenschaftlers Wolfgang Abendroth studierte der gebürtige Mainzer in den Jahren nach 1968 an der Philipps-Universität Marburg, einer Uni, an die es noch heute Studierende zieht, die eine einschlägige politische Bildung suchen.
In der Universitätsstadt an der Lahn engagierte Schäfer sich nicht nur im Studium, sondern auch im AStA, dem Allgemeinen Studierendenausschuss – und auf der Straße: gegen Vietnam-Krieg und Notstandsgesetze und die Wiedererstarkung der NPD. 1969 zog es Schäfer in die DKP, 1971 gründete er den Marxistischen Studentenbund Spartakus (MSB Spartakus) mit. Von 1972 bis 1975 war er dessen stellvertretender Bundesvorsitzender. An Wolfgang Abendroth erinnert besonders dessen unerbittliches Eintreten für die Verbindung von Eigentum und Sozialbindung: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. So steht es im Grundgesetz", sagt er.
Nach dem Studium engagierte sich Schäfer in der Friedensbewegung. Ab 1983 arbeitete er als Redakteur der Zeitschrift "Wissenschaft und Frieden", einer Publikation des ebenfalls maßgeblich von Marburgern betriebenen Bundes demokratischer Wissenschaftler. An den Nagel hängte er dafür seine zweite Karriere, der er seit den frühen achtziger Jahren treu geblieben war: die als Musiker, die ihn in Marburger Kellerkneipen ebenso wie in ein zweites Studium mit dem Hauptfach Gitarre geführt hatten.
Über die Aufweichung der Fronten im Kalten Krieg trat der Journalist aus der DKP aus. "Sich angesichts der Ignoranz gegenüber Glasnost und Perestroika von ihr loszusagen, war 1988 dringend erforderlich", erklärt Schäfer, der nicht lange brauchte, sich eine neue politische Heimat zu suchen: 1993 trat er in die SPD ein, deren Mitglied er bis 1999 blieb. Von dort vertrieben ihn die Beteiligung der Regierung von Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) am Kosovo-Krieg sowie die Agenda 2010.
Eine parteipolitische Heimat fand er noch ein drittes Mal. Als der Abgeordnete der damaligen PDS, der vor allem als Schriftsteller bekannt gewordene Gerhard Zwerenz einen Referenten suchte, zog Schäfer – der auch schon Mitarbeiter der SPD-Abgeordneten Katrin Fuchs gewesen war – in den Bundestag. Parteimitglied wurde er erst, als die PDS den Bundestag 2002 verlassen musste. "Die Lage war ernst, ich hatte den Eindruck, ich sollte mich an der Rettung beteiligen", erzählt Schäfer.
2005 glückte der Wiedereinzug ins Parlament – mit dem Linken-Abgeordneten Paul Schäfer. Nichts Neues für einen, der schon so lange dabei ist? "Nein", sagt er, "ich kannte das Haus. Aber als Abgeordneter ist der Druck noch einmal ein anderer. Aber auch die Bühne, die sich einem bietet."
Neben der verteidigungspolitischen Linie seiner Fraktion, die er seit 2005 vertreten hat, erinnern ihn viele auch als Befürworter der Beibehaltung der Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin. "Mit Berlin als Regierungssitz und Bonn als Bundesstadt haben wir einen fairen Modus vivendi gefunden", sagt er, "das sollten wir beibehalten. Alles andere wäre eine Übertölpelung der Menschen."
Darüber, dass er persönlich lieber in der Nähe seines Bonner Abgeordnetenbüros geblieben wäre, hat er nie ein Hehl gemacht: "Sie wissen doch: Leute wie ich haben immer mit der Toscana oder der Provence geliebäugelt – nicht mit der masurischen Seenplatte", frotzelt er.
Nicht zuletzt zieht ihn auch die Pendelei aus dem Bundestag: "Tennis, Fußball, Freunde – das alles leidet unter der Entfernung schon sehr." Und so ist sein erstes Ziel nach seiner Rückkehr auch ein privates: "Es wird Zeit, dass ich wieder eine anständige Blues Band zusammenbekomme." Ein passendes Bewerbungsfoto hängt an der Tür seines Bundestagsbüros – von außen: Paul Schäfer mit Gitarre. (god/29.07.2013)