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Unter hohem Erwartungsdruck steht die Plenardebatte über das Ergebnis des Untersuchungsausschusses zu den Ermittlungen der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie am Montag, 2. September 2013. Erstmals in der Geschichte des Bundestages diskutieren die Abgeordneten über den Abschlussbericht eines solchen Gremiums, der einstimmig verabschiedet wurde und nicht zwischen Opposition und Regierungslager umstritten ist. Die Debatte über den NSU-Bericht (17/14600) beginnt um 16.30 Uhr und dauert 90 Minuten.
Es bleibt abzuwarten, wie sich dieses Novum auswirken wird und welchen Charakter diese Debatte über die jahrelang erfolglosen Ermittlungen zu der Mordserie haben wird. Auf der Besuchertribüne werden Bundespräsident Joachim Gauck und Angehörige der Opfer Platz nehmen.
Die Debatte wird live im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.
Traditionell ist ein Untersuchungsausschuss ein Kampfinstrument der Opposition gegen das Regierungslager. Der Schock nach dem Auffliegen der rechtsterroristischen Zelle im Herbst 2011 schuf jedoch eine besondere Situation.
So wurde das Gremium, das Fehlgriffe und Pannen bei den Ermittlungen zu der dem NSU zugerechneten Erschießung von neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin durchleuchten sollte, einstimmig von allen Fraktionen einberufen. Das war bei den vorangegangenen 48 Untersuchungsausschüssen nicht der Fall. Erstmals verstanden sich die Abgeordneten als Kontrollinstanz des gesamten Parlaments gegenüber der Exekutive.
Die elf Volksvertreter bewahrten diesen Konsens die gesamte Zeit über. Angesichts der Herausforderung durch den Rechtsterrorismus habe sich eine "parteipolitische Profilierung" verboten, sagt der Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD).
Die fast 400 Beweisbeschlüsse wurden ausnahmslos einstimmig gefasst. Um Formulierungen im Bericht wurde teilweise zwar hart gerungen, schließlich verständigte man sich jedoch in allen Punkten. Trotz des Wahlkampfjahres kam es zu einer außergewöhnlichen Zusammenarbeit, von der die Abgeordneten zuletzt selbst beeindruckt waren.
Ist bei so viel Einigkeit am 2. September eine eher langweilige Debatte zu erwarten? Dem wird wohl nicht so sein. Zum einen wird die Brisanz der Vorwürfe gegenüber den Sicherheitsbehörden für Aufmerksamkeit sorgen. Zum anderen haben die Fraktionen zwar einhellig fast 50 Forderungen als Konsequenz aus dem NSU-Debakel beschlossen, doch setzen sie auch eigene Akzente.
In erster Linie prägt die Analyse der Fehler und Versäumnisse von Polizei und Geheimdiensten den Bericht. Die Abgeordneten fällen ein vernichtendes Urteil. Edathy spricht von einem "historisch beispiellosen Desaster", im Ausschuss ist die Rede von einer "beschämenden Niederlage" der Behörden, von einem "Ermittlungs-GAU" oder "multiplen Versagen".
Aus der Fülle der Fehlgriffe dürften die Redner einige besonders einprägsame Beispiele herausstellen. So hat die Polizei die bei einer Garagendurchsuchung Anfang 1998 aufgespürte Liste mit Adressen aus dem rechtsextremen Spektrum, die zu dem untergetauchten NSU-Trio hätten führen können, bei der Fahndung nicht genutzt. Nach einem Nagelbombenattentat 2004 in Köln wurde nicht gründlich in polizeilichen Datenbeständen geforscht, in denen man auf Böhnhardt und Mundlos hätten stoßen können.
Auch Skurriles fanden die Parlamentarier heraus. In Nürnberg betrieb die Polizei getarnt eine Dönerbude, um auf diese Weise vielleicht Tipps auf die im kriminellen Milieu vermuteten Täter zu bekommen. In Hamburg wandte sich die Polizei an einen "Metaphysiker", der im Jenseits ein Mordopfer kontaktierte – danach aber leider nichts Hilfreiches zu berichten wusste.
Während die Kritik an den Behörden die Tätigkeit des Ausschusses die ganze Zeit über beherrschte, sind die von den Abgeordneten vorgeschlagenen Konsequenzen neu und werden deshalb wohl einen Schwerpunkt der Debatte am 2. September bilden. Gefordert wird etwa eine bessere Vernetzung der Sicherheitsinstanzen.
Bei bedeutsamen länderübergreifenden Delikten müsse eine "zentrale ermittlungsführende Dienststelle" eingerichtet werden. Zu erweitern seien die Befugnisse des Generalbundesanwalts, der gravierende Fälle leichter an sich ziehen können soll. Sinnvoll sei eine polizeiliche Einheit, die alte ungelöste Delikte immer mal wieder neu prüft. Bei den Behörden müsse die "interkulturelle Kompetenz" gesteigert werden. Für Speicherung, Archivierung und Löschung von Akten bedürfe es klarer Vorgaben. Unabdingbar sei eine effizientere parlamentarische Kontrolle des Geheimdiensts.
Differenzen offenbaren wird die Plenardebatte wohl beim Thema Verfassungsschutz. Die Linke will den Einsatz von Spitzeln sofort beenden und den Geheimdienst komplett abschaffen. Auch die Grünen plädieren für die Auflösung des Verfassungsschutzes, der dann aber neu aufgebaut werden soll.
Solche Ideen stoßen bei Union, SPD und FDP auf Ablehnung, die den Geheimdienst für reformierbar halten. Neu geregelt werden sollen vor allem die Auswahl und Führung von V-Leuten. Im Fall NSU war offenbar geworden, dass Spitzel teilweise strafrechtlich verurteilt waren, zuweilen hohe Vergütungen bekamen und das Geld manchmal zur Finanzierung der rechtsextremen Szene nutzten.
Die Liberalen plädieren dafür, angesichts noch vieler offener Fragen in der NSU-Affäre im neuen Bundestag wieder einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Unterstützung für diesen Vorstoß bei den anderen Fraktionen dürfte es am 2. September indes nicht geben. (kos/28.08.2013)