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Drei Bauern, eine Tierärztin und eine Lehrerin – fünf Abgeordnete, deren Weg in die Politik nicht unterschiedlicher gewesen sein könnte. Und dennoch haben sie eins gemeinsam: Sie alle haben sich einem Politikfeld verschrieben, dass zwar nicht großes Prestige verspricht, aber große Auswirkungen für die Menschen in ihrem Alltag hat: die Agrar-, Ernährungs- und Verbraucherschutzpolitik.
Seine Wahl hat Schlagzeilen gemacht: Kees de Vries – sechsfacher Vater, Landwirt und neuerdings auch Bundestagsabgeordneter. Kein Wunder, ist der 58-Jährige nicht nur der erste gebürtige Holländer im deutschen Parlament, sondern auch der Christdemokrat, dem es gelang, den Wahlkreis Anhalt mit großer Mehrheit dem linken Mandatsinhaber und Mitbewerber Jan Korte abzujagen.
Gute Gründe also, dass nicht nur die lokale Presse intensiv über de Vries berichtete, sondern auch Journalisten von überregionalen Zeitungen und Fernsehsender nach Sachsen-Anhalt reisten, um über das kleine Wunder von Deetz zu berichten.
Ein kleines Wunder – das ist der Einzug in den Bundestag für de Vries auch noch zwei Monate nach dem Wahltag: "Es ist unglaublich, dass ich tatsächlich hier bin und über die Zukunft Deutschlands mitentscheiden darf", sagt er mit seinem weichklingenden, holländischen Akzent, der Deutsche unweigerlich an Rudi Carrell denken lässt.
Mit Krawatte und Anzug sitzt der kräftige Mann, den man sich auch sehr gut in Gummistiefeln und Arbeitshose vorstellen kann, nun in einem repräsentativen Sitzungssaal im obersten Stockwerk des Jakob-Kaiser-Hauses in Berlin. Durch die verglaste Fassade lässt er kurz seinen Blick über die Bäume des Tiergartens bis hin zur Siegessäule und den Hochhäusern am Potsdamer Platz schweifen, bevor er beginnt, von seinen Erinnerungen an die konstituierende Sitzung des Bundestags vor sechs Wochen zu erzählen.
Für ihn ein bewegendes Erlebnis: "Das war ein Glücksmoment. Gänsehaut pur." Und dann sagt de Vries diesen schlicht-schönen Satz, den er zwar schon oft in Interviews gesagt hat, der aber dennoch seine Wirkung nicht verfehlt: "Eigentlich bin ich nach Deutschland gekommen, um Kühe zu melken." Es klingt wie der Beginn einer Saga.
Und tatsächlich hat die Vergangenheit der Bauernfamilie de Vries, die aus Nordholland auszog, um im "wilden Osten" Deutschlands ihr Glück zu finden, einiges von einer Heldengeschichte. Vor fast 22 Jahren, kurz nach der Wende, kam sie – neben de Vries auch seine Frau Ella, die vier ältesten Kinder sowie drei Brüder und deren Familien – in das sachsen-anhaltische Dorf Deetz, um einer brachliegenden, ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) neues Leben einzuhauchen.
Ein risikoreiches Unternehmen: Die de Vries mussten sich Geld leihen, beantragten Förderung, zudem begegneten die Menschen in Deetz den Holländern und ihren großen Plänen mit Skepsis. "Es gab viele, die glaubten, wir würden den Betrieb nie in Gang kriegen. Das Wort ‚Totgeburt‘ habe ich oft gehört", erinnert sich de Vries. Einmal wäre er wirklich fast pleite gegangen.
Doch warum ist er das Wagnis überhaupt eingegangen, die Heimat zu verlassen und auszuwandern? "Weil das die Chance war, mir meinen Lebenswunsch zu erfüllen", sagt de Vries: "Kühe melken." In Holland habe er, als Ältestes von zwölf Geschwistern, den Hof der Eltern bewirtschaftet. Mit seinen acht Hektar Land sei dieser aber viel zu klein gewesen, um sich für die große Familie wirtschaftlich zu rentieren. Also greifen die de Vries zu, als nach dem Zusammenbruch der DDR die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften liquidiert werden.
Die richtige Entscheidung für die Familie: Bald ist der Betrieb aus dem Gröbsten raus, prosperiert, und Arbeitsplätze entstehen. Keiner redet mehr von einer Totgeburt. "Dann hieß es: Die Familie de Vries ist ein Gewinn für Deetz", sagt der Landwirt stolz. Inzwischen beschäftigt er auf seinen 1.300 Hektar Land 18 Mitarbeiter und drei Auszubildende. 700 Milchkühe und 600 Jungrinder gehören zum Betrieb.
Doch entscheidend für den Erfolg des heutigen Politikers de Vries scheinen nicht nur sein unternehmerischer Mut, sondern seine offene und zupackende Art zu sein: "Uns de Vries war immer klar, dass wir zunächst einmal Gäste in Deetz waren", betont er. "Aber wir wollten dort nicht nur unser Einkommen verdienen, sondern leben." Der Wahl-Anhalter beginnt sich also zu engagieren: zunächst im Bauernverband, in der Kirche, seit 1999 auch als Mitglied der CDU.
Dass die seine politische Heimat ist steht außer Frage: "Das war klar – wenn eine Partei, dann diese", sagt de Vries. Als junger Mann sei er bereits Mitglied der CDA gewesen, der christlich-demokratischen Partei in den Niederlanden. 2003 wird er Mitglied des Kreistags im Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Von da aus ist der Schritt nicht mehr weit zur Kandidatur für den Bundestag.
Freunde aus der Politik fragen ihn, ob er antreten wolle. "Für mich war das ein Schock. Ich fand mich schon mutig, dass ich manchmal mit dem Gedanken spielte, für den Landtag zu kandidieren. Aber der Bundestag? Ich fand das etwas zu hochgegriffen für einen Holländer aus Sachsen-Anhalt." Doch schließlich überlegt er es sich anders und nimmt am 17. Juni 2005 die deutsche Staatsbürgerschaft an.
Für die Neuwahlen im selben Jahr ist es zu spät – er wird nicht nominiert. Aber er habe "Blut geleckt", gesteht de Vries, und es 2009 wieder probiert. Dieses Mal überzeugt er seine Partei, jedoch nicht genügend Wähler: Es ist Jan Korte von der Partei Die Linke, der, wenn auch knapp, das Mandat erringt. Erst im dritten Versuch ist "Kees", wie sie ihn in Deetz nennen, schließlich erfolgreich.
Seine Kampagne mit dem augenzwinkernden Slogan "Kees spricht unsere Sprache" hat die Mehrheit der Wähler überzeugt. Und wer ihn trifft, bekommt auch schnell eine Ahnung, warum. De Vries weiß, was er will und spricht stets geradeheraus. Auch gegenüber Journalisten nimmt er kein Blatt vor den Mund und vertritt seine Meinung – auch wenn die so gar nicht auf der Linie der Partei liegen sollte.
Wofür will er sich im Bundestag besonders einsetzen? Sein Schwerpunkt ist die Agrarpolitik: "Hier liegt mein Know-how: Landwirtschaft, Umwelt, ländlicher Raum", sagt de Vries. Ob er aber in den Landwirtschaftsausschuss kommen wird? Er weiß es noch nicht. In jedem Fall einbringen möchte er ein Stück seiner unternehmerischen Erfahrungen.
"Ich hoffe, dass ich dazu beitragen kann, den politischen Prozess ein bisschen schneller und effizienter zu machen", sagt er – und ahnt gleichzeitig, dass auch er sich wird anpassen und geduldiger werden müssen. Politik sei eben etwas ganz anderes als ein Unternehmen zu führen, sagt er und setzt dann trocken hinzu: "Kühe kann man treiben. Politiker nicht." (sas/12.12.2013)