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Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales, Kerstin Griese (SPD), rechnet nicht mit einer Frühverrentungswelle durch die Sonderregelung der Rente mit 63. Der Wochenzeitung "Das Parlament" in einem am Montag, 7. April 2014, erschienenen Interview, für die meisten Arbeitnehmer sei es "nicht attraktiv, mit 61 aus dem Job zu gehen, weil sie dann ihr Leben lang eine niedrigere Rente bekämen". Das Interview im Wortlaut:
Frau Griese, bei dem Tempo, mit dem das Bundesarbeitsministerium an das Rentenpaket ranging, hat man den Eindruck, sie dürften keine Minute verlieren.
Gerade bei der Rente, genauso wie beim Mindestlohn warten viele Menschen darauf, dass wir das, was wir versprochen haben, auch halten und zügig umsetzen. Nichts anderes tun wir gerade und schaffen damit konkrete Verbesserungen für viele Menschen in unserem Land.
Aber warum diese Eile ausgerechnet bei der Rente? Beim Mindestlohn lassen Sie sich mehr Zeit.
Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass die Änderungen bei der Rente zum 1. Juli 2014 und die Änderungen beim Mindestlohn zum 1. Januar 2015 greifen. Deswegen kommt das Rentenpaket nun zuerst. Beides ist sehr schnell, sehr ambitioniert, und beides werden wir hinkriegen, wie es im Koalitionsvertrag steht.
2012 bezogen so viele Rentner wie noch nie staatliche Unterstützung. Müsste das Thema Altersarmut nicht auch ganz oben auf der Agenda stehen?
Es ist ein dringendes Thema und es wird in Zukunft größer werden, denn wir haben immer mehr Menschen ohne geschlossene Erwerbsbiografie und mit prekären Jobs. Doch man kann mit der Rente nicht korrigieren, was in der Lohnpolitik falsch gemacht wurde. Deshalb müssen wir über Mindestlöhne und gute Tariflöhne reden, wenn wir über Rezepte gegen Altersarmut nachdenken. Das Rentenpaket beschäftigt sich mit vier Bereichen, die für uns ganz vordringlich sind: die Mütterrente, die abschlagsfreie Rente mit 63, Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und bei der Rehabilitation. Das Reha-Budget fällt immer etwas unter den Tisch, aber es ist von zentraler Bedeutung. Denn Prävention und Rehabilitation sorgen dafür, dass die Menschen überhaupt länger arbeiten können.
Aktuell wird meist der Betrag von 850 Euro genannt, wenn es um die Grundrente geht. Damit liegt man aber immer noch unterhalb der Armutsgrenze.
Damit zukünftige Rentenbeziehende auskömmliche Renten erhalten, ist es wichtig, dass die Menschen erstens kontinuierlich in Jobs sind und zweitens anständige Löhne bekommen. Und das packen wir an. Die solidarische Lebensleistungsrente, die wir planen, wird neben der Grundsicherung im Alter ein weiterer wichtiger Schritt gegen Armut im Alter.
Die Linke fordert seit Jahren einen Mindestlohn von zehn Euro, mit dem Argument, dass 8,50 Euro den Betroffenen keine armutsfeste Rente sichert.
Die Linke fordert einfach immer ein oder zwei Euro mehr als die SPD, das wird so bleiben. Dieser Überbietungswettbewerb hilft niemandem. Wir starten den Mindestlohn mit 8,50 Euro, das ist der Vorschlag der Gewerkschaften. Künftig werden dann Arbeitgeber und Gewerkschaften über die Höhe des Mindestlohnes entscheiden.
Heute finanzieren drei Erwerbstätige einen Rentner. Im Jahr 2050 werden 1,5 Erwerbstätige eine Rente finanzieren. Das Sicherungsniveau der Rente wird in den nächsten Jahren deutlich sinken. Wie sieht eine nachhaltige Rentenstrategie aus, die dafür sorgt, dass man auch in Zukunft von seiner Rente leben kann?
Mit der schrittweisen Einführung der Rente mit 67 haben wir bereits eine Antwort auf diese Herausforderungen gefunden. Der Anstieg des Renteneintrittsalters ist eine nachhaltige Rentenpolitik, denn er bezieht sich auf diese demografische Komponente.
Aber ist es mit der Anhebung der Altersgrenze tatsächlich getan? Arbeiten wir irgendwann bis 70, wie es einige bereits voraussagen?
Wenn wir alle über 100 Jahre alt würden, dann könnten wir auch bis 70 arbeiten. Nein im Ernst, es ist keine weitere Erhöhung nötig oder geplant.
Was sagen Sie zu der Kritik, dass die Rente mit 63 nur für einen relativ überschaubaren Personenkreis gemacht ist?
Die abschlagsfreie Rente mit 63 ist für Menschen gedacht, die hart gearbeitet und auch mehr in die Rentenversicherung eingezahlt haben als andere. Bei vielen gibt es da eine gefühlte Gerechtigkeitslücke, dass ihre Lebensleistung nicht genug gewürdigt wird. Wir werden dem nun gerecht. Die Rente mit 63 ist verdient und nicht geschenkt, und deshalb ist es richtig, sie jetzt so einzuführen.
Im Mai soll das Gesetzespaket vom Bundestag beschlossen werden und ab Juli gelten. Wie sollen sich die Betriebe in so kurzer Zeit auf den Verlust qualifizierter Mitarbeiter einstellen?
Diejenigen, die das betrifft, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, beschäftigen sich doch schon damit, seitdem wir die abschlagsfreie Rente mit 63 im Koalitionsvertrag beschlossen haben. Es steht ja kein Arbeitgeber am 30. Juni plötzlich vor dem leeren Schreibtisch seines Mitarbeiters. Auch bisher gingen Leute mit 63 in Rente, aber mit Abschlägen.
Nun reist die Kritik aus der Wirtschaft und aus der Union an der Rente mit 63 nicht ab. Warum sind Sie so optimistisch, dass es nicht zu einer Frühverrentungswelle kommen wird?
Es gibt gute Gründe, warum es nicht zu einer Frühverrentungswelle kommen wird. Für die meisten Arbeitnehmer ist es nicht attraktiv, mit 61 aus dem Job zu gehen, weil sie dann ihr Leben lang eine niedrigere Rente bekämen. Für kluge Arbeitgeber ist es in Zeiten von Fachkräftemangel nicht interessant, ihre Arbeitskräfte früher loszuwerden. Wenn Arbeitgeber Beschäftigte vor dem 63. Geburtstag in die Arbeitslosigkeit entlassen, muss man das sanktionieren. In solchen Fällen sollten die Arbeitgeber verpflichtet werden, die Sozialbeiträge für diese Zeit komplett zu übernehmen.
Umstritten ist derzeit noch, wie viele Jahre Arbeitslosengeld I auf die 45 Jahre Wartezeit angerechnet werden. Der Gesetzentwurf legt sich da bisher nicht fest. Die Union fordert maximal fünf Jahre und eine Stichtagsregelung.
Wir haben bewusst auf eine Jahreszahl verzichtet und statt dessen eine strukturelle Lösung gefunden: Zeiten, in denen Menschen Arbeitslosengeld I bezogen, in denen sie Kinder erzogen, Angehörige gepflegt haben oder in Kurzarbeit waren, werden anerkannt. Das ist eine logische Lösung, weil es sich um Beitragszeiten handelt. Die Zahl derjenigen, die für die Rente mit 63 infrage kommen und mehr als fünf Jahre Arbeitslosigkeit in ihrem Erwerbsleben haben, ist sehr klein. Insofern existiert das Problem so gut wie gar nicht.
Identifiziert sich die SPD inzwischen mit dem von ihr noch im Wahlkampf so heftig kritisierten Projekt der Mütterrente?
Wir waren nie gegen die Anerkennung von Erziehungsleistungen. Es ist natürlich richtig und ein Stück mehr Gerechtigkeit, die Erziehungsleistung für vor 1992 geborene Kinder derjenigen für nach 1992 geborene Kinder anzupassen. Die SPD wollte aber, dass diese Leistung komplett von allen Steuerzahlern finanziert wird, nicht nur von den Erwerbstätigen, die Rentenbeiträge zahlen.
Frauen mit vor 1992 geborenen Kindern erhalten künftig zwei statt bisher einen Rentenpunkt gutgeschrieben. Ist es nicht nur eine Frage der Zeit, bis es zu einer völligen Gleichstellung aller Eltern kommt?
Das halte ich für nicht finanzierbar. Die Mütterrente wird im Jahr 2017 ungefähr 6,6 Milliarden Euro kosten und die Rente mit 63 ungefähr zwei Milliarden.
(che/07.04.2014)