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Alterspräsident Ludwig Erhard eröffnet die konstituierende Sitzung am 13. Dezember 1972. © Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Das Amt des Alterspräsidenten ist parlamentarische Tradition und Teil der Geschäftsordnung des Bundestages. Ein Amt von hoher Würde, aber nur von kurzer Dauer. Es hat sich nach traditioneller Praxis mit der Wahl des neuen Bundestagspräsidenten erschöpft. Obwohl er nicht in sein Amt gewählt wird, sondern in seiner Eigenschaft als ältester Abgeordneter zu dieser Ehre kommt, ist es anerkannte Tradition, dass der Alterspräsident die erste Rede vor dem Plenum hält. Bisher haben alle Alterspräsidenten der Bundesrepublik von dieser Tradition Gebrauch gemacht und dabei eigene Akzente gesetzt.
1972: Nach der ersten vorgezogenen Bundestagswahl in der Geschichte der Bundesrepublik ist der Alterspräsident wieder ein "Alteingesessener". Prof. Dr. Ludwig Erhard (1897-1977), der Bundeswirtschaftsminister der Ära Adenauer und zweite Bundeskanzler der Bundesrepublik, eröffnet die konstituierende Sitzung des siebten Deutschen Bundestages am 13. Dezember.
In seiner Ansprache stellt der ämtererfahrene Alterspräsident fest: "Das Amt, das ich heute auszufüllen habe, ist nicht gerade beschwerlich. So bin ich mir auch dessen bewusst, daß es mir als erstes in meinem Leben ohne Mühe und Anstrengungen zugewachsen ist."
Schon zum siebten Mal nimmt der 75-Jährige an der Eröffnungssitzung einer neuen Legislaturperiode des Parlaments teil. 1949 wird der Direktkandidat im Wahlkreis Ulm in den ersten Deutschen Bundestag gewählt. Kurze Zeit später ist der promovierte Betriebswirt und Soziologe der erste Wirtschaftsminister der Bundesrepublik im Kabinett Konrad Adenauers.
Bis 1963 bleibt er in diesem Amt und erfreut sich als "Vater der sozialen Marktwirtschaft" bei den Deutschen größter Beliebtheit. In Folge der Wirtschafts- und Währungsreform, an der Erhard als Berater der Alliierten entscheidend mitwirkt, erlebt die Bundesrepublik nach ihrer Gründung ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Der Erfolg wird vor allem ihm und der Umsetzung seines Konzepts der sozialen Marktwirtschaft zugeschrieben.
1963 tritt er Adenauers Nachfolge als Bundeskanzler an. Als Deutschland in seiner Amtszeit die erste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit erlebt und in eine Rezession gerät, schwindet sein Rückhalt in der CDU. Wirtschafts- und finanzpolitische Differenzen mit dem Koalitionspartner FDP führen 1966 zum Bruch der Koalition und kurze Zeit später zu seinem Rücktritt. Erhard bleibt Bundestagsabgeordneter und engagiert sich weiter besonders für wirtschaftspolitische Themen.
1972 führt die Debatte um die von der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt eingeleitete Ostpolitik zu großen Differenzen in der Koalition und in der Folge zur vorzeitigen Neuwahl. Der Alterspräsident Erhard stellt die Einheit Deutschlands in den Mittelpunkt seiner Rede und betont, dass die Abgeordneten in dieser Frage mehr Gemeinsames verpflichten würde, als Trennendes zwischen ihnen stünde.
Auch wenn es unterschiedliche Vorstellungen davon gäbe, wie der Weg zur deutschen Einheit aussehen könnte, wäre wohl niemand in diesem Hohen Hause, der dem Bekenntnis zur deutschen Einheit widersprechen wolle, stellt er fest. "Deutschland wird nicht in Gesichtslosigkeit versinken und sich auch nicht in Buchstaben wie etwa BRD und DDR zergliedern oder auflösen lassen."
Vier Jahre später am 14. Dezember 1976 ist Ludwig Erhard erneut Alterspräsident – des achten Deutschen Bundestages. Inzwischen macht die Ölkrise von 1973 den westlichen Industriestaaten schwer zu schaffen. Trotz verschiedener Konjunkturprogramme der Bundesregierung steigen die Arbeitslosigkeit, die Staatsverschuldung und die Inflationsrate in Deutschland immer weiter an.
Der "Schöpfer des deutschen Wirtschaftswunders" sieht sein Lebenswerk in Gefahr und fordert eine maßvolle Ausgabenpolitik. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit könne nicht gewonnen werden, wenn er nicht zugleich als Kampf gegen die Inflation geführt würde. Ausgaben müssten vor allem von wirtschaftlicher Vernunft getragen sein, betont der Wirtschaftsexperte.
"Jeder Versuch, im Zeichen vermeintlicher Wohlfahrt aus wohltätiger Gesinnung mehr Geld auszugeben, als dem Fiskus aus ordnungsgemäßen und vertretbaren Einnahmen zufließt, verstößt gegen gute und bewährte Grundsätze. Der sozialen Fürsorge ist in letzter Konsequenz auch nicht damit gedient, durch immer höhere Steuerbelastungen die Produktivität und die menschliche Arbeitsergiebigkeit zu schmälern oder auch durch fragwürdiges Finanzgebaren die Volkswirtschaft immer stärker zu verschulden, damit aber auch eine verstärkte Inflation anzufachen. Auch diese Schulden müssen einmal zurückgezahlt werden. Aber wiederum werden dann die Bürger begangene Fehler zu büßen haben und die Leidtragenden sein müssen."
Ludwig Erhard ist fast 27 Jahre ununterbrochen Mitglied des Deutschen Bundestages, als er am 5. Mai 1977 in Bonn stirbt. (klz/09.10.2013)