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Grußwort
der Professorin Dr. Annette Kuhn zur Eröffnung der POLITEIA-Ausstellung "Frauen, die Geschichte mach(t)en" am 7. Mai 2003 im Deutschen Dom
- Es gilt das gesprochene Wort -
Im Oktober 1998 eröffnete Christine Bergmann, als Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Frauen Museum in Bonn die Ausstellung: POLITEIA. Szenarien der deutschen Geschichte nach 1945 aus Frauensicht. Seit dieser Zeit wurde die POLITEIA-Ausstellung an verschiedenen Orten in Deutschland gezeigt: in Offenbach, in München, in Leipzig. Von Februar bis August 2000 wurde sie hier in Berlin in der kommunalen Galerie in Wilmersdorf gezeigt. Bei diesen Inszenierungen der deutschen Nachkriegsgeschichte hingen stets die Fahnen, die Sie heute in dieser Ausstellung im Deutschen Dom sehen werden. Frauen, die unsere Geschichte seit 1945 entscheidend geprägt haben, sind zu sehen. Die hier gezeigten "Fahnen-Frauen" stehen stellvertretend für die politische Kraft von Frauen bei der Gestaltung unserer den Werten der Freiheit, der Demokratie und der Menschenwürde verpflichteten Nachkriegsgesellschaft. Sie personifizieren eine umfassende Konzeption von Politik. Daher haben wir in Erweiterung der platonischen Definition von Politik, die die Frauen als gleichberechtigte Bürgerinnen ausschloss, dieser Fahnen – Ausstellung auch den Namen: Politeia gegeben .Die diese Ausstellung begleitende Broschüre von Marianne Hochgeschurz trägt die Überschrift: Frauen – die treibende Kraft. Frauen werden als eigenständige, eigensinnige politische Akteurinnen, als Avantgarde auf den Weg Deutschlands in eine nachfaschistische Gesellschaft sichtbar gemacht.
Vielleicht werden Sie fragen: Wo sind die Männer? Sind sie anwesend? Sind sie mit einbezogen? Erzählen wir auch ihre Geschichte? Zu den Erkenntnissen der frauengeschichtlichen Forschung gehört, dass Frauen in ihrer politischen Praxis und gesellschaftspolitischen Konzeptionen und Visionen niemals Männer als gleichberechtigte Partner ausschließen. Hierin sehe ich ein besonders Merkmal der Politik von Frauen. Bei der Definition ihrer eigenen politischen Interessen haben sie stets die Interessen der anderer in Blick. Sie denken und handeln in Beziehungen. Autonomie und sozial bestimmtes Handeln gehören zusammen. Somit definieren Frauen das Allgemeine und das allgemeine Wohl in einem umfassenderen Sinne als die Männer. Aus der Sicht der Politik von Frauen verwirklicht sich unser Anspruch auf Demokratie erst in geschlechterdemokratischen Verhältnissen durch die Anerkennung von Gleichheit in allen Lebensbereichen.
Seinem nachdenklichen Buch zur Zukunft der Aufklärung stellte Wolfgang Ullmann den Satz des russischen Philosophen Pawel Florenski voran: "Mit dem Beginn dieses Jahrhunderts erfuhr das wissenschaftliche Weltverständnis eine Verschiebung, die im Verlauf des menschlichen Denkens wohl kaum ihresgleichen kennt; selbst der Sprung vom Mittelalter zur Renaissance verliert im Vergleich zu dem Denksturz unserer Zeit an Bedeutung." Sein Bemühen, das dualistische Denken, ein fatales Erbe der patriarchal bestimmten abendländisch-westlichen Denktradition, zu überwinden, verbindet die Philosophie von Pawel Florenski mit feministischen Theorieansätzen und frauen- und geschlechtergeschichtlichen Interpretationen unseres historischen Prozesses. Die Überwindung eines dualistischen Denkens, eines Denkens in Gut und Böse, in Sieg und Niederlage, kennzeichnet das Fühlen, das theoretische Begreifen und das Handeln der hier porträtierten Frauen. Sie haben die Regeln einer Politik , die menschliche Zusammenhänge zerschneidet, um Scheinlösungen herbeizuführen, missachtet, um nach eigenen Regeln und Normen zu handeln. "Die Mütter, die Töchter, die Frauen dieses Landes verlangen, aus der Nation, die nur Unglück hervorbringt, entlassen zu werden. Der Ernst der Lage verbietet eine weitere Verschärfung des Ernstes. Deshalb nehmen wir das Recht des Lachens in Anspruch" heißt es in einem Aufruf an alle Frauen zur Entdeckung des Glücks" aus dem Jahr 1977.
Seit Jahrzehnten ist die historische Frauen- und Geschlechterforschung damit beschäftigt, die historischen, geschlechtergeschichtlich bedingten Ursachen des verfehlten, immer neue Widersprüche, Irrationalitäten und Gewalt hervorbringenden , dualistischen Denkens, Fühlens und Handelns in unserer Geschichte aufzudecken und auf einer tieferen Schicht unseres historischen Prozesses das verborgenere, kreative und humane Wechselspiel von der Durchsetzung menschlicher Differenzansprüche und Gleichheitsforderungen sichtbar zu machen. Wir alle haben, um mit Anna Seghers zu sprechen, "große Sehnsucht nach einer besonderen Art von Welt, in der man arbeiten und atmen und sich manchmal wie verrückt freuen kann.".
Im Namen aller, die diese Ausstellung erarbeitet haben, und als Vorsitzende des Vereins Haus der FrauenGeschichte freue ich mich, Sie bei dieser Eröffnung zu begrüßen. Mein Dank gilt allen, die das Zeigen dieser Ausstellung hier im Deutschen Dom ermöglicht haben. Ihnen allen wünsche ich einen Gewinn und viel Freude.