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Die Fraktionen im Bundestag machen sich für einen Ausbau der Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent stark – doch die Vorzeichen, unter denen dies geschehen soll, sind umstritten. In einer vereinbarten Debatte zur „Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika – Perspektiven für unseren Nachbarkontinent“ forderten insbesondere die Oppositionsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen am Donnerstag, 18. Juni 2015, einen grundlegenden Wandel in der Entwicklungs-, Handels- und Klimapolitik Deutschlands und Europas ein, während Vertreter der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD - bei allen unstrittigen Problemen auf dem Nachbarkontinent – den Blick auch auf positive Entwicklungen lenkten.
„Afrika ist jung“, sagte Gerd Müller (CSU), Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In Ländern wie Uganda, Nigeria und Mali sei jeder zweite Einwohner jünger als 15 Jahre, im Jahre 2050 dürften in Afrika zwei Milliarden Menschen leben. Afrikanische Länder hätten jüngst die längste Wirtschaftswachstumsphase seit den 1960er Jahren erlebt, viele der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt gebe es hier.
Allerdings würden nach wie vor Jobs fehlen: Rund 60 Prozent der 15- bis 24-Jährigen seien arbeitslos. „So werden junge Leute zur Quelle von Konflikten statt zu einem Schatz für die Zukunft“, sagte Müller. Der Minister verwies unter anderem darauf, dass Deutschland allein 2014 rund 1,5 Milliarden Euro für bilaterale Projekte der Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt habe und zusätzlich nochmals mehr als 300 Millionen Euro für Sonderinitiativen – etwa zur Bekämpfung des Hungers, zur Bekämpfung von Fluchtursachen und für Ausbildungsinitiativen.
Für Niema Movassat (Die Linke) fiel die Bilanz nach einem halben Jahrhundert Entwicklungszusammenarbeit „ernüchternd“ aus: Jeder fünfte Mensch in Afrika hungere, 30 Prozent der Kinder litten an Mangelernährung, deren Folgen ein Leben lang nachwirken. „Wir brauchen eine echte Wende in der Entwicklungspolitik“, sagte Movassat.
Dazu gehöre etwa, die kleinbäuerliche Wirtschaft zu fördern, die 80 Prozent des Nahrungsbedarfs auf dem Kontinent decken würde, statt das „industrielle Modell“ der Landwirtschaft auf Afrika zu übertragen. „Dieses Modell füllt die Taschen der Agrarindustrie, aber nicht die Teller in Afrika.“ Movassat sprach zudem von den „Daumenschrauben“ der EU-Handelspolitik, die mit Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) eigene Wertschöpfung in den Partnerländern verhindere und Afrika zum Rohstofflieferanten und Absatzmarkt degradiere.
Auch Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) forderte, „überzogene Marktliberalisierungen zu stoppen“. Beim G7-Gipfel in Elmau hätte die Chance für die reichsten Industrienationen der Welt bestanden, die „Vorfahrt für Wirtschaft und Eigeninteressen“ zu beenden. Diese Chance sei „komplett vertan“ worden. Im Abschlussdokument stehe „viel Lyrik“, es fehlten aber konkrete und finanziell unterlegte Verpflichtungen.
Die Bundesregierung drücke sich in der Handels-, Landwirtschafts- und Fischereipolitik vor der Verantwortung für einen Politikwechsel gegenüber Afrika. „Die Entwicklungszusammenarbeit bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn Trawler aus der EU vor der Küste des Senegals die Bestände leerfischen“, sagte Roth. Gemessen am Handeln der Bundesregierung erscheine Gerd Müller mit seinen Forderungen wie ein „Minister für das gute Gewissen“ im Kabinett.
Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) wehrte sich gegen den Eindruck, dass Afrika trotz „ziemlich großer Baustellen“ ein „komplett verlorener Kontinent“ sei: Das Pro-Kopf-Einkommen in den Ländern südlich der Sahara steige um drei bis vier Prozent, in mehr als der Hälfte dieser Länder gingen zwei von drei Kindern zur Schule, die Müttersterblichkeit – wenngleich „immer noch dramatisch“ – gehe signifikant zurück. „Insgesamt ist Afrika wesentlich besser als sein Ruf.“
Pfeiffer betonte außerdem, dass man bei den großen Herausforderungen wie Korruptionsbekämpfungen, Einbindung in den Welthandel und Aufbau staatlicher Strukturen die Partnerländer nicht aus ihrer eigenen Verantwortung lassen dürfe: „Wir können das doch nicht alleine machen.“
Auch Gabi Weber (SPD) wollte das Bild vom „kranken Patienten“ Afrika nicht stehen lassen: Dort wo es eine funktionierende Staatlichkeit gebe, seien die Menschen gut ausgebildet, die Demokratie habe eine Chance in Afrika, für Unternehmen gebe es teils „ungeahnte Chancen“. Die deutsche und europäische Entwicklungszusammenarbeit könne helfen beim Aufbau von Steuersystemen und Strukturen der Daseinsvorsorge, bei der Dezentralisierung von Verwaltungen, bei der Anpassung an den Klimawandel, der Überwindung der Ungleichbehandlung von Frauen.
Nötig seien auch Wissenstransfer und der Austausch der Zivilgesellschaften. „Mit Geld allein ist es nicht getan“, sagte Weber. Aber es gehe eben auch nicht ohne Geld: Deutschland müsse mehr tun, um das Ziel zu erreichen, 0,7 Prozent seines Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen: „Und zwar durch frisches Geld – und nicht durch das Umetikettieren von Klimamitteln oder durch das Hoffen auf private Investitionen.“ (ahe/18.06.2015)