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Sensburg: BND hat EU-Ziele nicht rausgehalten

Rund 5000 Aktenordner Material der Bundesregierung, davon 500 geheime oder streng geheime Ordner, hat der aufgrund der NSA-Affäre im vergangenen Jahr eingesetzte 1. Untersuchungsausschuss bereits gesichtet. „Wir haben mittlerweile ein genaueres Bild von dem, was der Bundesnachrichtendienst macht, wie Kooperationen mit anderen Diensten vonstatten gehen, aber auch, was nicht rund gelaufen ist“, bilanziert der Vorsitzende Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) vor der parlamentarischen Sommerpause.

Spätesten Anfang 2017 soll die Untersuchungsarbeit abgeschlossen sein, ob jedoch Edward Snowden vor dem Untersuchungsausschuss aussagen wird, sei noch offen. Frank-Walter Steinmeier als ehemaliger Kanzleramtschef soll kommen. Sensburg hält es zudem für möglich, dass auch Kanzlerin Angela Merkel als Zeugin benannt wird.

Im Interview schätzt der Vorsitzende die Problematik der Selektoren als besonders sensibel ein, weil dadurch das Ausforschungsprofil eines Nachrichtendienstes erkennbar werde. „Das Thema ist auch deshalb so hochsensibel, weil es anscheinend über einen langen Zeitraum dem BND nicht gelungen ist, europäische Ziele aus der Erfassung herauszuhalten", sagt Sensburg. Das Interview im Wortlaut:

Der Ausschuss tagt seit Frühjahr 2014. Was wissen Sie heute mehr als damals?

Sehr viel. Das würde wahrscheinlich den Umfang einer Sonderausgabe sprengen. Wir haben 5000 Aktenordner an Materialien der Bundesregierung, davon 500 Ordner eingestuft als zum Beispiel geheim oder streng geheim. So haben wir mittlerweile doch ein genaueres Bild von dem, was der Bundesnachrichtendienst macht, wie Kooperationen mit anderen Diensten vonstatten gehen, aber auch, was nicht rund gelaufen ist und wo es Verbesserungsbedarf gibt.

Was hat Sie bisher am meisten überrascht?

Dass wir in diesem Untersuchungsausschuss zu einem nicht unerheblichen Teil in öffentlicher Sitzung über nachrichtendienstliche Dinge reden. Wir erörtern detailliert Programme, Verfahren Kooperationen. Wir erfahren von Geheimschutzabkommen, von Standorten, wo Satelliten- oder Kabelkommunikation abgegriffen wird. Das finde ich beachtlich. Man kann nicht sagen, dass hier etwas unter den Tisch gekehrt wird.

Gibt es Zeugen, die in geheimer Sitzung das Gegenteil von dem sagen, was sie öffentlich äußern?

Es kommt natürlich vor, dass einem Zeugen in eingestufter Sitzung ein konkreterer Vorhalt gemacht werden kann. Wenn man ihn nur pauschal fragen darf, kann er auch nur pauschal antworten in öffentlicher Sitzung. Aber dass ein Zeuge sich total revidieren muss, ist eher die Ausnahme und nicht die Regel.

Gibt es Themenkomplexe, über die Sie schon genug wissen?

Wir sind mit keinem Komplex am Ende. Wir haben uns zuerst die deutschen Dienste vorgenommen, speziell den Bundesnachrichtendienst, und arbeiten uns von unten nach oben. Von der Sachbearbeiterebene zur Gruppen- und Abteilungsleiterebene, dann zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes. Jetzt kommen wir zur Ebene Kanzleramt.

Ausgangssachstand waren 2013 die Enthüllungen Edward Snowdens mit dem großen Aufreger, dass das Handy der Kanzlerin abgehört wurde. Wo stehen wir heute?

Wir haben im Laufe des vergangenen Jahres festgestellt, dass das eine oder andere, was am Anfang behauptet wurde, nicht stimmt. So konnte ein massenhaftes Abgreifen von Inhaltsdaten, die dann womöglich noch an die Amerikaner weitergeleitet worden sein sollen, an keiner Stelle belegt werden. Selbst der frühere Datenschutzbeauftragte Peter Schaar hat gesagt, dass er keine Erkenntnisse darüber hat. Nicht weitergekommen sind wir in der Frage, ob das Handy der Bundeskanzlerin abgehört wurde. Das Problem ist, dass wir zu diesem Thema über kein Originaldokument verfügen, nur über eine Art Gedächtnisabschrift eines Spiegel-Redakteurs. Nach den jüngsten Enthüllungen über die Überwachung französischer Präsidenten wäre es natürlich ebenso interessant, hierzu entsprechende Unterlagen zu bekommen. Was wir auch noch nicht wissen: Sind massenhaft Metadaten – also Handynummer, Funkzelle, Gesprächsdauer, IP-Adresse – erhoben und möglicherweise an die Amerikaner weitergeleitet worden?

Eine wesentliche Zäsur war im April 2015 wohl die Enthüllung, dass die NSA Suchmerkmale in das Abhörprogramm eingeschleust hat, die sich gegen Ziele in Ländern der EU richten. Haben Sie das genauso empfunden?

Wir hatten auch zuvor schon Fehler und Mängel in der Arbeit des BND ermittelt. Es hat Kommunikationsschwächen zwischen Zentrale und Außenstellen gegeben. Wir haben Defizite in der parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste festgestellt, gesetzliche Lücken beim Datenschutz und beim Schutz des Fernmeldegeheimnisses. Aber die Problematik der Selektoren ist jetzt doch ein besonders sensibler Bereich, weil hier das Ausforschungsprofil, das ein Nachrichtendienst zugrundelegt, erkennbar wird. Man kann anhand der Selektoren konkrete Schlüsse ziehen, wie NSA oder BND ihre Ziele auswählen. Das Thema ist auch deshalb so hochsensibel, weil es anscheinend über einen langen Zeitraum dem BND nicht gelungen ist, europäische Ziele aus der Erfassung herauszuhalten. Zwar sind Deutsche von Einzelfällen abgesehen immer geschützt gewesen, Europäer aber so gut wie gar nicht. Das war aus heutiger Sicht definitiv ein Versäumnis.

Wie sehen Sie das Verhältnis der Fraktionen zueinander im Ausschuss? Zieht man an einem Strang?

Der Auschuss hat mit acht Mitgliedern plus Stellvertretern ja eine relativ überschaubare Größe. Da lernt man sich gut kennen. Das Zwischenmenschliche passt. Sicher hat jeder seine Position, aber man schätzt einander unter Kollegen. Ich glaube, dass auch in der Sache alle Fraktionen an einem Strang ziehen. Das sieht man nicht zuletzt daran, dass die weitaus meisten Beweisbeschlüsse, 90 bis 95 Prozent, würde ich sagen, von allen vier gemeinsam eingebracht werden. Das gilt selbst für den Beweisbeschluss, Edward Snowden hier als Zeugen zu vernehmen. Auch die Herausgabe der Selektorenliste ist von allen vier Fraktionen verlangt worden.

Welche Themenkomplexe stehen nach der Sommerpause an?

Wenn wir bis spätestens knapp nach der Sommerpause die Kooperation von BND und NSA abgearbeitet haben, wollen wir uns zunächst dem Problem des Drohnenkrieges zuwenden, also der Frage: Hat sich der BND durch Weiterleitung von Metadaten an die amerikanische Seite an gezielten Tötungen beteiligt? Dann nehmen wir uns den Bereich der ausländischen Dienste vor und dabei auch die Frage, wie die großen Internetkonzerne, Google, Facebook und andere, womöglich mit der NSA zusammengearbeitet haben. Wir haben die Zusage, dass die Vorstandsvorsitzenden dieser Firmen, zumindest Vertreter der Firmenspitze, als Zeugen in den Ausschuss kommen. Ich habe Eric Schmidt von Google noch Anfang des Jahres gefragt: Steht das, dass Google kommt? Er hat ja gesagt. Das stelle ich mir sehr spannend und informativ vor.

Welche anderen Zeugen wollen Sie unbedingt noch hören?

Ich kann selbstverständlich den Überlegungen der Fraktionen nicht vorgreifen. Ich kann sagen, wen wir grundsätzlich benannt haben. Das ist zum Beispiel Herr Frank-Walter Steinmeier als ehemaliger Kanzleramtschef. Ich könnte mir vorstellen, dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kommen wird. Vielleicht der eine oder andere frühere Außenminister – das müssen die Fraktionen benennen. Die Frage ist immer, aus welchen Zeiträumen brisante Erkenntnisse vorliegen.

Wie sind die Aussichten, dass Edward Snowden dem Ausschuss zur Verfügung steht?

Ich kann das nicht sagen. Seit Monaten finden keine Gespräche mehr statt. Wir werden sicher nicht zu ihm nach Moskau fahren. Wir haben andererseits inzwischen viele Unterlagen, die weit über das hinausgehen, was Edward Snowden an Dokumenten über Deutschland preisgegeben hat. Das passt insgesamt in einen Mini-Ordner – wir haben 5000 große Ordner, tatsächliche Beweismittel, die in die Tiefe der Details gehen. Ich frage mich: Was könnte er darüber hinaus als Zeuge noch berichten? Auch die aktuellen Informationen von WikiLeaks über das Abhören französischer Präsidenten stammen ja nicht von Snowden.

Können Sie absehen, wann der Ausschuss seine Arbeit beendet?

Wir versuchen, bis Ende 2016, spätestens Anfang 2017 den Abschlussbericht zu erstellen, weil wir möchten, dass die Empfehlungen, die darin enthalten sein werden, in dieser Legislaturperiode noch umgesetzt werden.

Was könnten die politischen Konsequenzen sein?

Ich vermute, dass wir intensiv über den Bereich der parlamentarischen Kontrolle nachdenken werden. Wo Eingriffsrechte eingeräumt werden, müssen auf der anderen Seite auch entsprechende Kontrollrechte bestehen. Das gilt für Polizei, Staatsanwaltschaften, selbstverständlich auch für Nachrichtendienste. Da haben wir in vielen Fällen bisher eher eine nachgelagerte Information als eine tatsächliche Kontrolle. Wenn etwas passiert, wird das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) einberufen und unterrichtet, bevor es am nächsten Tag in der Zeitung steht. Das ist gut für die Mitglieder des PKGr, weil sie es ein bisschen früher wissen, aber nicht das, was man landläufig unter Kontrolle versteht. Was auch verbessert werden muss, ist die Kommunikation innerhalb des BND. Die Meldekette bis hin zum Präsidenten funktioniert nicht. Es kann nicht sein, dass die Amtsleitung, oder gar der Abteilungsleiter, immer wieder sagt: Ich weiß von nichts, das ist mir nicht gemeldet worden.

(wid/13.07.2105)