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Geprägt von persönlichen Erlebnissen und Einschätzungen der Abgeordneten hat das Parlament am Donnerstag, 13. November 2014, über Sterbebegleitung und Sterbehilfe diskutiert. Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert sprach von dem vermutlich anspruchsvollsten Gesetzgebungsprojekt dieser Legislaturperiode und wies darauf hin, dass bis zu einer Entscheidung neben der aktuellen rund vierstündigen Debatte noch zwei weitere große Aussprachen im kommenden Jahr anstünden.
Das vom Fraktionszwang losgelöste Beratungsverfahren in Form von Fünf-Minuten-Beiträgen der Abgeordneten nannte er ungewöhnlich. Im Kern geht es darum, ob und wie der Gesetzgeber die Sterbehilfe künftig regeln sollte. Voraussichtlich im Herbst 2015 wird der Bundestag über die dann vorliegenden Gesetzentwürfe abstimmen. Ein erster Versuch, zu einer umfassenden gesetzlichen Regelung zu kommen, war 2012 gescheitert.
Unterschieden wird zwischen der aktiven, der passiven und der indirekten Sterbehilfe. Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland als Tötung auf Verlangen strafbar, passive und indirekte Sterbehilfe nicht. Bei der passiven Sterbehilfe werden lebensverlängernde medizinische Maßnahmen entsprechend dem Patientenwillen nicht eingeleitet, nicht fortgesetzt oder abgebrochen.
Bei der indirekten Sterbehilfe bekommt der Patient zur Schmerzlinderung medizinisch gebotene Mittel, die als unvermeidbare Folge eine lebensverkürzende Wirkung haben. Auch eine Beihilfe zur Selbsttötung ist nicht strafbar. Die Mediziner betonen jedoch, dass Ärzten in Deutschland die Beihilfe zum Suizid nach dem Berufsrecht verboten sei. So verpflichte das Berufsethos den Arzt, Hilfe zum Leben zu leisten, nicht Hilfe zum Sterben. Verstößt ein Arzt gegen das Berufsrecht, kann er seine Zulassung verlieren. Allerdings ist das Berufsrecht der Ärzte in den Ländern unterschiedlich streng geregelt, wa s die Sterbehilfe angeht.
Die Redebeiträge im Parlament zeigten weitgehende Einigkeit in zumindest zwei Punkten: Die kommerzielle organisierte Sterbehilfe wird abgelehnt. Niemand soll mit dem Leid und Tod anderer Menschen noch Profit machen können. Zudem äußerten Vertreter aller Fraktionen die Hoffnung, dass die Zahl der Hospize ausgebaut und die Palliativversorgung, zu der die Schmerzmittelgabe zählt, verbessert wird.
Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der sich in der Debatte gegen eine Verklärung der Selbsttötung wandte, hat dies auch schon zugesichert. Der Minister will kein Sonderstrafrecht für Ärzte schaffen, befürwortet aber die Ablehnung der ärztlichen Beihilfe zum Suizid durch die Bundesärztekammer.
Wie Gröhe wies auch Michael Brand (CDU/CSU) darauf hin, dass die Möglichkeiten zur Schmerzlinderung heute sehr fortgeschritten seien. Niemand müsse deswegen extra in die Schweiz fahren.
Er warnte davor, der organisierten Sterbehilfe die Tür zu öffnen. Hier könnte das Angebot die Nachfrage schaffen, wie es in den Niederlanden zu beobachten sei. Es gelte jedoch, die Schwachen und Alten zu schützen.
Kathrin Vogler (Die Linke) wandte sich wie andere Abgeordnete auch energisch gegen eine Kommerzialisierung der Sterbehilfe. Sie wolle nicht, dass Geld damit verdient werde, anderen zum Tod zu verhelfen.
Hier gehe es um eine große gesellschaftliche Verantwortung. Personen mit einer besonderen Vertrauensbeziehung zum Patienten sollten bei der Sterbehilfe aber straffrei bleiben.
Auch Dr. Carola Reimann (SPD) forderte, den "selbsternannten Sterbehelfern" das Handwerk zu legen. Zugleich werde ein Freiraum für Ärzte benötigt, um das Vertrauensverhältnis zu stärken. Der jetzige "Flickenteppich" an Regelungen zum ärztlich assistierten Suizid müsse jedoch beseitigt werden mit dem Ziel, mehr Rechtssicherheit für Ärzte zu schaffen.
Der ärztlich assistierte Suizid werde gleichwohl "die krasse Ausnahme bleiben". Reimann wies wie viele andere Redner darauf hin, dass die Menschen am Ende ihres Lebens in Würde und selbstbestimmt sterben wollten.
Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) gab zu bedenken, dass viele Menschen tatsächlich große Angst vor dem letzten Weg bis zum Tod hätten. Es sei daher wichtig und gut, über die Gestaltung der letzten Lebensphase zu sprechen.
Allerdings belege die jetzige Rechtslage keine Fehlentwicklung. Somit stelle sich die Frage, ob eine neue Strafgesetzgebung sinnvoll sei.
Peter Hintze (CDU/CSU) berichtete wie andere Parlamentarier aus eigenen Erfahrungen. Wer einmal den Todeskampf eines Menschen erlebt habe, werde das nie vergessen, sagte er und sprach sich für Möglichkeiten der Sterbehilfe aus. Auch die Palliativmedizin stoße bisweilen an ihre Grenzen, es dürfe keinen "Zwang zum Qualtod" geben. So müssten Ärzte dem Wunsch des Patienten folgen dürfen, friedlich zu entschlafen.
Es gehe um Rechtssicherzeit für Ärzte und Patienten, denn die Selbstbestimmung gehöre zur Menschenwürde. Hintze betonte, die politische Debatte sei gut, weil damit das Sterben der Menschen "aus dem allgemeinen Schweigen" herausgenommen werde.
Auch Dr. Petra Sitte (Die Linke) war sichtlich ergriffen und wandte sich gegen "elende Quälerei", die manchmal heute noch bei Sterbenden zu erleben sei. Die Ohnmacht der Freunde und Verwandten in solchen Fällen sei nicht hinnehmbar.
Die Sterbehilfe sollte dazu beitragen, Frieden zu schließen. Ärzte und Angehörige sollten Hilfe geben können, vielleicht auch Vereine, aber nicht unter kommerziellen Motiven.
Der Mediziner Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) wandte sich entschieden gegen "Seriensterbehelfer". Er wies zugleich darauf hin, dass viele psychisch Kranke bei guter Betreuung gerettet werden könnten vor dem Freitod.
Bei einem Verbot der organisierten Sterbehilfe müsse es gleichzeitig Rechtssicherheit für Ärzte geben, weil Patienten sonst keine Alternative hätten.
Elisabeth Scharfenberg (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte daran, dass immer mehr ältere und pflegebedürftige Menschen in Deutschland lebten und damit das Thema selbstbestimmtes altern und sterben immer wichtiger werde.
Viele Menschen hätten Angst vor dem Alter, vor Schmerzen und Einsamkeit und einem Leben, das als würdelos empfunden werde. Scharfenberg forderte, neben der Palliativbetreuung auch die psychiatrische Versorgung auszubauen.
Johannes Singhammer (CDU/CSU) gab zu bedenken, dass mit der organisierten Sterbehilfe der Druck auf Schwerkranke zunähme, das Angebot auch anzunehmen. Das Land brauche aber vielmehr "eine Kultur der Wertschätzung" gegenüber kranken Menschen.
Im Zusammenhang mit dem Tod dürften keine Geschäfte gemacht werden. Was die ärztliche Beihilfe angehe, sei eine einheitliche Lösung gefordert, so Singhammer. (pk/13.12.2014)