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Berlin: (hib/CHE) Das Tarifpaket der Bundesregierung zur Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro ab 2015 sollte aus Sicht von Experten noch in einigen Punkten verändert werden. Das ist das Ergebnis einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagmittag, bei der das Tarifautonomiestärkungsgesetz (18/1558) sowie ein Antrag (18/590) der Fraktion Die Linke zur Einführung eines Mindestlohns von 10 Euro pro Stunde diskutiert wurden. Dabei ging es unter anderem um die geplanten Ausnahmeregelungen, die Arbeit der Mindestlohnkommission oder die Kontrolle des Mindestlohns durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
Reinhard Göhner von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bezeichnete die derzeit im Gesetzentwurf formulierten Aufgaben der Mindestlohnkommission als „die schlechtmöglichste Lösung“. Nötig sei vielmehr eine staatsferne Lösung, die sicherstellt, dass Tarifverträge nicht von Entscheidungen der Mindestlohnkommission verdrängt werden. Genau dies bewirke aber das Gesetz, weshalb es den Namen Tarifautonomiestärkungsgesetz auch nicht verdient habe, sagte Göhner. Er mahnte, dass durch die Entscheidungen der Kommission über die Anpassung des Mindestlohns kein Präjudiz für künftige Tarifverhandlungen gesetzt werden dürfe.
Karl-Sebastian Schulte vom Zentralverband des Deutschen Handwerks kritisierte den Gesetzentwurf als „Schwächung der Tarifautonomie“, der gewachsene regionale Tarifstrukturen zerstöre. Die künftige Anpassung des Mindestlohns dürfe auf keinen Fall jährlich erfolgen, da Tarifverträge auch heute schon eine wesentlich längere Laufzeit hätten, so Schulten.
Auch Reiner Hoffmann, der neue Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), plädierte dafür, den Mindestlohn nicht jährlich, sondern alle zwei Jahre anzupassen. Dafür sollte der Mindestlohnkommission die „nachlaufende Betrachtung“ der Tarifentwicklung zugrunde liegen. Eine vorgreifende Anpassung, die sich an künftigen Lohnentwicklungen orientiert, „wollen wir definitiv“ nicht, betonte Hoffmann.
Zur Frage, ob vor allem in der Landwirtschaft tätige Saisonarbeitskräfte in die Mindestlohnregelung einbezogen werden sollten oder nicht, äußerte sich Burkhard Möller vom Deutschen Bauernverband sehr eindeutig. „Ein Mindestlohn für die Sonderkulturbetriebe ist eine Katastrophe“, sagte er. Von den derzeit rund 300.000 Saisonarbeitskräften würde ein Großteil wegfallen, hinzu kämen noch Arbeitsplatzverluste in den vor- und nachgelagerten Bereichen, warnte Möller.
Während der DGB-Vorsitzende betonte, auch Saisonarbeitskräfte gehörten zum Mindestlohn, sah dies Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, anders. Man müsse den Mut haben, „bei einzelnen Branchen genauer hinzusehen, um negative Beschäftigungseffekte zu vermeiden“, forderte er. In seiner Stellungnahme schreibt Thüsing dazu, dass die Ausnahme nur für solche Arbeitskräfte bestehen sollte, die nicht mehr als 90 Tage im Jahr der deutschen Sozialversicherungspflicht unterliegen. Auf diese Weise würde sichergestellt, dass die Ausnahme nur dort greift, wo der Mindestlohn tatsächlich nicht zur einer Entlastung der Sozialkassen führen und damit sein Ziel nicht erreichen würde.
Die diskutierten Ausnahmeregelungen für die Zeitungsbranche kritisierte Thorsten Schulten von der Hans-Böckler-Stiftung. Diese Branche auszunehmen, sei sehr „seltsam und wahrscheinlich verfassungsrechtlich fragwürdig“. Denn im bisherigen Gesetzgebungsverfahren sei es Grundkonsens gewesen, dass Sonderregelungen einzelner Branchen nicht über 2017 hinaus gelten sollen. Ähnlich argumentierte Ulrich Preis, Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Köln. Der Grundsatz, dass man nur mit einem Tarifvertrag vom Mindestlohn abweichen könne, würde durch eine solche Regelung aufgeweicht. „Dieser valide, sachliche Grund ist nicht zu erkennen“, bemerkte er. In seiner Stellungnahme führt Preis aus: „Ein verfassungsrechtliches Gebot einer Differenzierung nach Branchen und Personengruppen hinsichtlich des Mindestlohns besteht nicht.“ Auch die Herausnahme von Jugendlichen unter 18 Jahren bezeichnete er darin als „verfassungs- und unionsrechtswidrig“. Die Begründung, Jugendliche sollten nicht dazu animiert werden, wegen eines besser bezahlten Jobs auf eine qualifizierte Ausbildung verzichten, habe wegen „evidenter Sachwidrigkeit keinen Bestand“, schreibt Preis.
Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, sagte dazu: „Wir brauchen ein transparentes System mit möglichst wenig Ausnahmen, vor allem sollte es keine branchenspezifischen Ausnahmen geben.“ Denn differenzierte Mindestlöhne eröffnen zusätzliche Schlupflöcher, um diese zu umgehen, warnte er. Gleichwohl gebe es jedoch Bereiche, in denen Ausnahmeregelungen sinnvoll sein können, wie zum Beispiel für Jugendliche. Hier hätte man die Altersgrenze auch auf 21 Jahre festlegen können, so Möller.
Grundsätzlich skeptisch, was die Kontrolle der Einhaltung der Mindestlöhne angeht, äußerte sich Dieter Dewes von der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft. „Wir arbeiten heute schon an unserer Kapazitätsgrenze“, sagte er. Schon jetzt würde die Finanzkontrolle Schwarzarbeit 300.000 Befragungen und 30.000 Geschäftsprüfungen jährlich durchführen, der zu erwartende Mehraufwand durch das Mindestlohngesetz sei nur mit rund 2.500 zusätzlichen Personalstellen zu erfüllen, rechnete Dewes vor.
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