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Berlin: (hib/PK) Das von der Bundesregierung vorgelegte zweite Pflegestärkungsgesetz (18/5926) wird von Fachleuten grundsätzlich positiv beurteilt, jedoch werden bei der praktischen Umsetzung mögliche Ungerechtigkeiten im Pflegealltag befürchtet. In einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am Mittwoch in Berlin sowie in schriftlichen Stellungnahmen äußerten Experten aus Pflege-, Sozial- und Gesundheitsverbänden die Sorge, dass mit der neuen Pflegesystematik bestimmte Patientengruppen benachteiligt werden könnten.
Heftig kritisiert werden zu erwartende hohe Hürden für eine vollstationäre Versorgung. Zudem wird bemängelt, dass ein übergreifendes Reformkonzept innerhalb der Sozialgesetzbücher (SGB) nicht ersichtlich sei, unter anderem mit Blick auf die Behindertenhilfe. Ungelöst ist aus Sicht Sachverständiger auch der akute Personalnotstand in Kliniken und Altenpflegeeinrichtungen.
Die geplanten Verbesserungen für pflegende Angehörige werden von einigen Experten weiter als unzureichend angesehen. Aufgrund der Komplexität der gesetzlichen Änderungen wird zudem eine parallele Überprüfung der Resultate dringend empfohlen wie auch eine Begleitforschung zu den neu eingeführten Pflegebegriffen.
In der Anhörung explizit gelobt wurden die neuen Beratungsangebote für Patienten und Angehörige. Ein Einzelsachverständiger warnte jedoch vor überzogenen Erwartungen an die Reform. Die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs sei zwar "ein Meilenstein", es bleibe aber noch viel zu tun.
Im vergangenen Jahr hatte das Parlament den ersten Teil der großen Pflegereform mit umfassenden Leistungsverbesserungen gebilligt. Mit dem zweiten Teil wird nun vor allem ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt. Künftig soll die Pflegebedürftigkeit unabhängig davon ermittelt werden, ob Pflegebedürftige körperliche Einschränkungen haben oder unter Demenz leiden. Dazu werden die bisher drei Pflegestufen zu fünf Pflegegraden ausgebaut. Entscheidend ist künftig der Grad der Selbstständigkeit im Alltag.
Mit bis zu 500.000 neuen Anspruchsberechtigten wird in den nächsten Jahren gerechnet. Nachteile für Alt-Pflegefälle soll es nicht geben. Verbesserungen sind für pflegende Angehörige vorgesehen. Überarbeitet werden die Regelungen zur Qualitätssicherung, das betrifft auch den sogenannten Pflege-TÜV.
Pflegeheimbewohner werden nach Ansicht der Deutschen Stiftung Patientenschutz mehrfach künftig benachteiligt, einmal bei der unzureichenden Hospiz- und Palliativversorgung und zudem in der medizinischen Behandlungspflege, die von der Pflegeversicherung statt von der Krankenversicherung getragen wird. Die Pflegeversicherung übernehme aber nur die Kosten in Höhe der pauschalen Leistungsbeiträge. Da diese in der Praxis schon ohne Behandlungspflege ausgeschöpft seien, müssten Pflegeheimbewohner die Leistung faktisch selbst finanzieren.
Laut einer Studie summiere sich die Mehrbelastung auf bis 2,3 Milliarden Euro pro Jahr, während die anderen Versicherten die Kosten über die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) abrechnen könnten. Diese Ungleichbehandlung sei verfassungsrechtlich bedenklich. Auch andere Verbände weisen auf diese missliche Lage hin. Der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VkAD) sprach von einem sozialethischen Problem und forderte, die Behandlungspflege müsse unabhängig vom Aufenthaltsort der Patienten von der GKV getragen werden.
Der Sozialverband Volkssolidarität rügte wie zahlreiche andere Verbände außerdem die geplante Leistungsminderung in den unteren Pflegegraden 2 und 3 im stationären Bereich. Vor allem die Absenkung des Leistungssatzes für den Pflegegrad 2 (bisher Pflegestufe I) um rund 300 Euro sei inakzeptabel und werde "schwerwiegende negative Folgen" haben, weil Pflegebedürftige künftig die vollstationäre Versorgung nicht in Anspruch nehmen könnten.
Daran ändere auch die Regelung zu den sogenannten einrichtungseinheitlichen Eigenanteilen wenig, mit der erreicht werden soll, dass der zu tragende Eigenanteil nicht mehr mit der Pflegebedürftigkeit steigt. Argumentiert wird hier, dass die Kosten für die Versorgung der Bewohner mit hohen Pflegegraden in der Zukunft auf Bewohner in niedrigen Pflegegraden verschoben werden.
Der Verband Deutscher Alten und Behindertenhilfe (VDAB) rügte, dass mit der Reform über eine "faktische Einschränkung der Wahlfreiheit durch eingeschränkte Leistungsbeträge" eine Bedarfssteuerung zulasten der stationären Betreuung betrieben werde. Der abgesenkte Leistungsbetrag für den Pflegegrad 2 werde dazu führen, dass viele der neuen Anspruchsberechtigten "aus finanziellen Gründen keine Option auf eine stationäre Betreuung haben werden". Die ambulante Pflege werde aber bei weitem nicht ausreichen, um die vielen betroffenen Menschen professionell zu versorgen.
Auch die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebedürftige Menschen (BIVA) warnte, vor allem rein körperlich Beeinträchtigte würden häufig keinen hohen Pflegegrad erreichen können. Mit der Absenkung der Leistungen in den unteren Pflegegraden müssten Betroffene künftig weitaus höhere Eigenleistungen erbringen mit der Folge, dass diese Patienten häufiger im ambulanten Bereich verbleiben. Dies werde tendenziell dazu führen, dass "Heime hauptsächlich von Schwerstpflegebedürftigen aufgesucht werden".
Der Fachverband gab überdies zu bedenken, dass die Heimbewohner mit ihren Zuzahlungen rund 46 Prozent der Kosten tragen. Im ambulanten Bereich sei es ähnlich, wobei hier die "kaum vergütete" Arbeit der Angehörigen bestimmend sei. Es sei daher nicht einzusehen, weshalb diese Hauptfinanzierer der Pflege, die Patienten selbst und ihre Angehörigen, bei den Leistungsvereinbarungen der Selbstverwaltung nicht mitbestimmen dürften. Die stimmberechtige Teilhabe der Interessenvertretungen Betroffener sei längst überfällig.
Der Deutsche Caritasverband erklärte, wenn in vollstationären Pflegeeinrichtungen die Versorgung für Patienten mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz verbessert werden solle, dann müsse auch das Personal aufgestockt werden, um Nachteile für Bewohner ohne eingeschränkte Alltagskompetenz zu vermeiden. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) forderte mehr Wertschätzung und eine bessere Bezahlung für Pflegekräfte sowie eine "krisensichere Finanzierung" der Pflegeversicherung.
Der Paritätische Gesamtverband forderte in dem Zusammenhang einen Verzicht auf den Pflegevorsorgefonds, der mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz beschlossen worden ist. Die Wirkungen des Sondervermögens in Höhe von rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr seien perspektivisch "marginal". Das Finanzvolumen werde hingegen "aktuell dringend für die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs benötigt", unter anderem, um für künftige Bewohner vollstationärer Einrichtungen Verschlechterungen zu verhindern.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe rügte, es sei nicht ersichtlich, ob der vorliegende Entwurf Teil eines Gesamtkonzeptes oder ein mit der Sozialhilfe (SGB XII) "nicht abgestimmtes Bruchstück" darstelle. Für Menschen mit geistiger Behinderung, die oft von Leistungen der Pflege und Eingliederungshilfe angewiesen sind, sei das reibungslose Ineinandergreifen verschiedener Systeme von besonderer Bedeutung. Überdies würden pflegebedürften Menschen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, aus formal rechtlichen Gründen regelmäßig Pflegeleistungen verwehrt. Dies müsse geändert werden.
In der Anhörung mitberaten wurden Anträge der Fraktion Die Linke (18/5110) zur Einführung einer solidarischen Bürgerpflegeversicherung sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für zukunftsfeste Rahmenbedingungen in der Pflege.
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