Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2011
Während der Stiftungsreise nach Sylt regnet es den ganzen Tag. Und das im Juni. Vusal Mammadov ist enttäuscht. "Bei uns ist es im Sommer sonnig und warm", sagt er. Gemeint ist Aserbaidschan sein Heimatland. Ein Land, das um Stabilität ringt und große Ölreserven besitzt. Ein Land, in dem das Parlament keine "führende Rolle" spielt, weil Aserbaidschan eine Präsidialrepublik ist, wie Mammadov sagt.
Umso interessanter ist es für ihn hautnah zu erleben, wie eine parlamentarische Demokratie funktioniert. Dazu hat der 30-Jährige derzeit viele Möglichkeiten: Vusal Mammadov absolviert seit März als Internationaler Parlaments-Stipendiat ein Praktikum im Büro des Bundestagsabgeordneten Frithjof Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen).
Im Umgang mit Politikern hat Vusal Mammadov, der 2007 seinen Master der Internationalen Beziehungen an der Universität Baku gemacht hat und 2008 als Magister sein Studium der Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Magdeburg abgeschlossen hat, reichlich Erfahrung. "Ich habe von 2006 bis 2009 als Generalsekretär des Forums der Aserbaidschanischen Studenten in Europa Lobbyarbeit im EU-Parlament gemacht", sagt er. Damals habe er zum ersten Mal vom IPS-Programm gehört. Aber auch bei Treffen mit deutschen Diplomaten in Baku hätten diese darüber informiert.
Beworben für das Programm hat er sich schließlich gemeinsam mit seiner Verlobten Gunash Valiyeva, die Anfang des Jahres seine Ehefrau wurde. Beide wurden angenommen, was zu kleineren Problemen führte, wie Vusal Mammadov erzählt: "Meine Frau kam in das Büro von Thomas de Maizière, der gerade zum Verteidigungsminister ernannt worden war."
Da Mammadovs Chef, Frithjof Schmidt, stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss ist, habe man im Büro de Maizière einen unkontrollierbaren Informationsfluss von Schwarz nach Grün vermutet, sagt Mammadov und lacht: "Dabei gehört die deutsche Politik nicht gerade zu dem, was wir privat diskutieren." Das "Problem" lösten die Eheleute schließlich selbst.
Gunash Valiyeva habe das Praktikum vorzeitig beendet, um zuhause weiter an ihrer Doktorarbeit schreiben zu können, sagt er. "Meine Frau war wohl auch etwas überqualifiziert für das Praktikum." Schließlich arbeite sie als Expertin für Verwaltungsrecht für das aserbaidschanische Parlament.
Vusal Mammadov ist mit seinem Praktikum hingegen sehr zufrieden. Nicht nur weil im Büro Schmidt die "nettesten Mitarbeiter der Welt" arbeiten würden. Vielmehr bietet der Aufenthalt in Berlin dem Netzwerker Mammadov die Möglichkeit, alle möglichen Kontakte herzustellen.
"Networking ist etwas, das ich wirklich gern mache"' sagt er. Auch Dank der Kontakte durch das IPS will er künftig die im Ausland gemachten Erfahrungen "in meinem Land investieren".
Damit stehe er nicht allein, so Mammadov. "Es studieren sehr viele junge Aserbaidschaner derzeit im Ausland. Wenn die alle in den kommenden Jahren zurückkommen, hat Aserbaidschan gar keine andere Wahl, als zu einer Demokratie zu werden."
Das Land befinde sich geografisch und politisch im "Sandwich zwischen Russland und Iran".In einer solchen Umgebung eine funktionierende Demokratie zu schaffen, sei eine ziemliche Herausforderung, sagt er und gibt sich zugleich hoffnungsvoll: "Mit unserer jährlich wachsenden Zahl von im Ausland ausgebildeten Fachkräften schaffen wir das auf jeden Fall."
Hauptthema im Land sei derzeit ohnehin eher die Situation in und um Berg Karabach. Dort stünden "20 Prozent des aserbaidschanischen Gebietes unter Okkupation". Zwar gebe es derzeit eine gewisse Stabilität, die angesichts der Ölvorkommen auch von den "großen Mächten" gestützt werde. Dennoch ist diese Stabilität nach Mammadovs Einschätzung fragil. Die jährliche Erhöhung der Militärausgaben in seinem Heimatland mache deutlich: "Aserbaidschan will seine Gebiete zurück." In dieser Frage, so der 30-Jährige, seien sich alle Aserbaidschaner einig.
Gleichzeitig suche das Land derzeit "seinen Platz in der Welt". Dieser liege in Europa, was nicht zuletzt der Erfolg beim Eurovision Song Contest 2011 gezeigt habe. "Ich war an diesem Tag in Baku und habe live miterlebt, wie stolz die Leute darauf waren, sich in Europa durchgesetzt zu haben." Die Reaktionen hätten deutlich gemacht: "Wir fühlen uns als einen Teil von Europa."
Dass viele junge Menschen den Weg zum Studium in Europa und besonders in Deutschland finden würden, habe viel mit Stipendien zu tun, erklärt Vusal Mammadov. Der größte Stipendiengeber sei der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD). Mit der Folge, dass Deutsch in Aserbaidschan derzeit Trendsprache ist.
So erklären sich auch Mammadovs sehr gute Deutschkenntnisse. "Bei meinem ersten Versuch, ein DAAD-Stipendium zu erhalten, waren meine Sprachkenntnisse noch zu schlecht", erinnert er sich. Während eines Forschungsaufenthalts an der Universität Fribourg in der Schweiz habe er jedoch Deutschkurse belegt, sodass er schließlich mit einem DAAD-Stipendium in Magdeburg studieren konnte.
Inzwischen gibt es auch immer mehr Stipendien vom aserbaidschanischen Staat, erzählt Vusal Mammadov. Zurückzuführen sei dies nicht zuletzt auch auf die Arbeit des Forums der Aserbaidschanischen Studenten in Europa. "Wir haben damals eine klare Forderung an unsere Regierung gesandt, einen Teil der Ölgelder in Humankapital zu investieren." Irgendwann werde schließlich die Zeit kommen, in der es kein Öl mehr gibt. "Wenn wir keine 'Nicht-Öl-Faktoren' für unsere Wirtschaft entwickeln, stehen wir eines Tages ohne Einnahmequellen da", sagt Mammadov.
Neben der IT-Branche solle nach den Vorstellungen der Regierung auch der Tourismus zu diesen Faktoren zählen. Das Wetter spielt dabei schon mal mit: Anders als an der Nordsee ist es am Kaspischen Meer im Sommer sonnig und warm. (hau)