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Die Arbeit der Spionageabwehr seitens des Verfassungsschutzes war Thema im Untersuchungsausschuss. © pa/chromorange
Vor dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA) hat ein weiterer Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) die Auffassung bekräftigt, dass seine Behörde gar nicht in der Lage sei, Beihilfe zu tödlichen Drohneneinsätzen des US-Militärs zu leisten. Der Verfassungsschutz verfüge über keinerlei Daten, die geeignet seien, Personen präzise zu orten, betonte der Zeuge Henrik Isselburg in seiner Vernehmung am Donnerstag, 2. Juni 2016. Der heute 42-jährige Historiker ist seit Sommer 2006 Referatsleiter in der für die Abwehr radikalislamischer Bestrebungen zuständigen Abteilung 6 und befasst sich hauptsächlich mit dschihadistischen Netzwerken in Afghanistan und Pakistan.
"Nein, selbstverständlich will und wollte das BfV kein Teil des Drohnenkrieges der Amerikaner sein", entgegnete Isselburg auf eine direkte Frage des Grünen Dr. Konstantin von Notz. Er wisse zwar von sechs oder sieben deutschen Islamisten, die vom Verfassungsschutz beobachtet worden und nach ihrer Ausreise ins afghanisch-pakistanische Kriegsgebiet gewaltsam zu Tode gekommen seien.
Es gebe aber in keinem Fall einen Zusammenhang zwischen dem Schicksal der Betroffenen und den Informationen über sie, die der Verfassungsschutz zuvor an US-Behörden weitergegeben habe. Dabei handele es sich nämlich allenfalls um Mobilfunkdaten von Verdächtigen. Diese seien aber nach seiner und der Überzeugung aller seiner Kollegen allein nicht geeignet, Personen als Drohnenziele zu markieren.
Isselburg berichtete über die Umstände, die dazu geführt hatten, dass das Bundesinnenministerium am 24. November 2010 den Verfassungsschutz anwies, beim Informationsaustausch mit befreundeten Diensten darauf zu achten, dass gelieferte Daten nicht dazu dienen konnten, Personen zu lokalisieren.
In den Jahren 2009 und 2010 hätten sich Hinweise verdichtet, dass eine Serie radikalislamischer Anschläge in Europa unmittelbar bevorstand. Die Ermittlungen dazu hätten deutsche, britische und amerikanische Dienste gemeinsam geführt. Um der Fülle der eingehenden Hinweise Herr zu werden, sei beim Verfassungsschutz eine Sonderauswertungsgruppe unter seiner Leitung gebildet worden, sagte Isselburg.
Im Zuge der Ermittlungen hätten die beteiligten Dienste einen verstärkten Informationsaustausch vereinbart. So habe der Verfassungsschutz im September 2010 den Amerikanern eine Liste mit Namen, Pass- und Mobilfunkdaten zahlreicher Verdächtiger überlassen wollen. Solche Datenübermittlungen seien bis dahin aber nur in Einzelfällen erfolgt. Eine ganze Liste sei noch nie weitergeleitet worden.
Er habe sich, sagte Isselburg, daher beim Innenministerium vergewissern wollen, ob das Verfahren statthaft sei. Daraufhin sei im November zunächst mündlich, dann schriftlich der Bescheid gekommen, gegen die Weitergabe der Liste bestehe kein Einwand, "sofern sichergestellt ist, dass mit den übermittelten Daten keine Ortung von Personen möglich ist".
Isselburg widersprach der Vermutung, der Erlass sei eine Reaktion auf den Tod des deutschen Staatsbürgers Bünyamin Erdoğan gewesen, der im Vormonat gemeinsam mit einem Begleiter im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet einer Drohnenattacke zum Opfer gefallen war. Der Vorfall stehe in keinem Zusammenhang mit seiner Anfrage beim Innenministerium. Schließlich habe er die Übermittlung der brisanten Liste bereits im September geplant. Erdoğan sei aber erst im Oktober zu Tode gekommen: "Der zeitliche Zusammenhang ist schlicht ein unglücklicher Zufall."
Zuvor hatte der Chef der deutschen Spionageabwehr hat vor dem Ausschuss unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) "knappe Ressourcen" als Ursache der auch nach seiner Einschätzung oftmals "unbefriedigenden" Aufklärungsergebnisse genannt. "Spionageabwehr kostet Geld", sagte der Zeuge Burkhard Even. "Wenn man das Geld ausgibt, kann man auch erwarten, dass wir mehr bringen." Ansonsten müsse sich die Politik mit bescheidenen Resultaten begnügen. Der heute 56-jährige Jurist ist nach ersten Berufsjahren im Bundesinnenministerium seit 1998 im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) tätig, wo er seit Sommer 2007 die für Spionageabwehr zuständige Abteilung 4 leitet.
Nach dem Ende des Kalten Krieges habe weithin die Auffassung geherrscht, dass Spionage und mithin auch ihre Abwehr an Bedeutung eingebüßt hätten, berichtete Even. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA habe zudem der Verfassungsschutz weitere Kräfte umgeschichtet, um der neuen Herausforderung durch radikalislamische Bestrebungen zu begegnen.
Er selbst habe bereits nach einem Jahr als Abteilungsleiter erleben müssen, dass die Zahl der ihm unterstellten Referatsgruppen von drei auf zwei geschrumpft sei. Die knappe materielle Ausstattung zwinge dazu, Prioritäten zu setzen. So gelte das Hauptaugenmerk den Diensten Russlands, Chinas und des Iran. "Systematische Beobachtung ist sehr ressourcenintensiv. Sie findet bei Bündnispartnern grundsätzlich nicht statt", sagte der Zeuge.
Es sei natürlich "keine neue Erkenntnis", dass sich auch westliche Geheimdienste in der Bundesrepublik in einer Weise betätigten, "die wir aus deutscher Sicht nicht gut finden", sagte Even. Die Konzentration diplomatischer Vertretungen im direkten Umfeld des Brandenburger Tores etwa bereite den Sicherheitsbehörden seit dem Regierungsumzug nach Berlin erhebliches Kopfzerbrechen.
Wer auf dem Pariser Platz mit dem Handy telefoniere, müsse davon ausgehen, aus einer der umliegenden Botschaften belauscht zu werden. Es gebe schließlich kaum einen anderen Ort, wo mehr interessante Gespräche abzuhören seien: "Ich glaube nicht, dass irgendeine zuständige Stelle in Deutschland sagen kann, sie hätte es nicht gewusst", betonte Even.
Dennoch sei er überzeugt, dass der "ganz, ganz überwiegende Teil" der Aktivitäten westlicher Geheimdienste in der Bundesrepublik in Kooperation mit deutschen Behörden und im gemeinsamen Interesse erfolge. Zwar hätten gerade die Amerikaner die Neigung, "großflächig" Kommunikationsdaten abzugreifen. Doch auch sie seien in erster Linie am radikalislamischen Terrorismus interessiert, an deutscher Innenpolitik weniger.
Als im Sommer 2013 die Enthüllungen Edward Snowdens über die amerikanische National Security Agency (NSA) die deutsche Öffentlichkeit erregten, habe der Verfassungsschutz 20 Behauptungen des US-Geheimdienstkritikers überprüft, berichtete Even. Die meisten seien "als technisch möglich, auch als plausibel" erschienen. Dennoch sei in keinem einzigen Punkt der "konkrete Nachweis" gelungen, dass die Vorwürfe zutrafen.
In ähnlicher Weise sei die Vermutung, dass aus Botschaften verbündeter Staaten heraus Spionage betrieben werde, plausibel, aber nicht beweisbar. Dass die NSA sogar das Handy der Kanzlerin abgehört haben soll, habe den Verfassungsschutz daher "im ersten Moment sehr überrascht, im zweiten dann wiederum nicht". (wid/03.06.2016)