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15. Wahlperiode
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   32. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 6. April 2006

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Die Sitzung ist eröffnet.

   Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu unseren heutigen Beratungen.

   Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, erbitte ich Ihre Aufmerksamkeit für einige kurze Mitteilungen.

   Die Kollegin Mechthild Rawert hat ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt. Als Nachfolger schlägt die Fraktion der SPD den Kollegen Dirk Becker vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege Becker zum Schriftführer gewählt.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:

Bundespolitische Folgerungen aus den Vorgängen an der Rütli-Hauptschule in Berlin

(siehe 31. Sitzung)

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Hartz IV weiterentwickeln - Existenzsichernd, individuell, passgenau

- Drucksache 16/1124 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 32)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Die Beziehungen zwischen EU und Lateinamerika solidarisch gestalten - Kein Freihandelsabkommen EU-Mercosur

- Drucksache 16/1126 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Otto Fricke, Ina Lenke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Zwangsheirat wirksam bekämpfen - Opfer stärken und schützen - Gleichstellung durch Integration und Bildung fördern

- Drucksache 16/1156 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 33)

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Luftaufsicht und die Luftfahrtdateien

- Drucksache 16/958 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss)

- Drucksache 16/1159 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Menzner

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

Übersicht 2

über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht

- Drucksache 16/1141 -

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 28 zu Petitionen

- Drucksache 16/1132 -

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 29 zu Petitionen

- Drucksache 16/1133 -

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 30 zu Petitionen

- Drucksache 16/1134 -

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 31 zu Petitionen

- Drucksache 16/1135 -

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 32 zu Petitionen

- Drucksache 16/1136 -

h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 33 zu Petitionen

- Drucksache 16/1137 -

i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 34 zu Petitionen

- Drucksache 16/1138 -

j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 35 zu Petitionen

- Drucksache 16/1139 -

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:

Beitrag des Energiegipfels zur Energieversorgungssicherheit und zur Verringerung der Gefahren durch Atomkraft und Klimawandel

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt über das iranische Atomprogramm - Demokratische Entwicklung unterstützen

- Drucksachen 16/651, 16/1157 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Hörster
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Jürgen Trittin

ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Keine Wettbewerbsverzerrungen für Landwirte durch die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Haltung von Nutztieren in nationales Recht

- Drucksachen 16/590, 16/1142 -

Berichterstattung:
Abgeordente Dr. Peter Jahr
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Bärbel Höhn

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Anforderungen an die Gestaltung eines europäischen und eines nationalen Qualifikationsrahmens

- Drucksache 16/1127 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Josef Philip Winkler, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Menschenhandel bekämpfen - Opferrechte weiter ausbauen

- Drucksache 16/1125 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

   Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.

   Die Tagesordnungspunkte 25 a und b sollen abgesetzt werden. Es wird allein über den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen - Tagesordnungspunkt 25 c - beraten. Außerdem soll der Tagesordnungspunkt 34 - dabei handelt es sich um die Abstimmung über die Beschlussempfehlung zum Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - unmittelbar im Anschluss an die Wahl einer Vizepräsidentin aufgerufen werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Wir kommen nun zur Tagesordnung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 h auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006

- Drucksachen 16/794, 16/1004 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

- Drucksache 16/1078 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Anton Schaaf

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

1-Euro-Jobs aus der Berechnungsgrundlage für die Rentenanpassung herausnehmen

- Drucksachen 16/826, 16/1078 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Anton Schaaf

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen (inkl. 13686/05 ADD 1)

KOM (2005) 507 endg.; Ratsdok. 13686/05

- Drucksachen 16/150 Nr. 2.265, 16/1155 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen)

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Keine Rentenversicherungspflicht für geschäftsführende Alleingesellschafter einer GmbH

- Drucksache 16/966 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren

(Rentenversicherungsbericht 2005 )

und

Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2005 und zum Alterssicherungsbericht 2005

- Drucksache 16/905 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Rentenversicherungsbericht 2005 (Alterssicherungsbericht 2005)

und

Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2005 und zum Alterssicherungsbericht 2005

- Drucksache 16/906 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Nationaler Strategiebericht Alterssicherung 2005

- Drucksache 15/5571 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 SGB VI (Rentenversicherungsbericht 2004)

und

Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2004

- Drucksache 15/4498 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Bundesregierung dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herrn Franz Müntefering, das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen müssen und sollen Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme haben. Deshalb haben wir in diesen Tagen entschieden, dass die Alleingeschäftsführer von GmbHs, die keine Beschäftigten haben, nicht rentenversicherungspflichtig werden. Das war eine wichtige, nötige und schnelle Entscheidung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ihr solltet den FDP-Anträgen öfter folgen, Herr Minister!)

Es gab ein einsames Urteil des Bundessozialgerichts dazu und es gab bei über 500 000 davon Betroffenen große Sorgen. Sie müssen nicht einzahlen und sie müssen vor allen Dingen auch nicht nachzahlen. Das haben wir schnell miteinander klargestellt.

   Zentrale Themen heute sind der Rentenversicherungsbericht und der Alterssicherungsbericht. Damit verbunden sind natürlich auch die Entscheidungen zu dem speziellen Gesetz über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006. Dazu will ich zunächst ein paar Worte sagen.

   Dieses Gesetz über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006 ist von uns veranlasst und auf den Weg gebracht worden, weil lange Zeit unklar war, ob zum 1. Juli 2006 eine Kürzung der Renten gemäß der geltenden gesetzlichen Regelung erforderlich werden würde. Mit dieser Initiative haben wir klargestellt: Die große Koalition will, dass die Renten nicht gekürzt werden - nicht in diesem Jahr und auch in den kommenden Jahren nicht. Es war aber lange Zeit nicht ganz klar, wie die Grundvoraussetzungen für die Entscheidung sein würden.

   Ihnen ist bekannt, dass sich die Erhöhung der Renten nach der Entwicklung der Einkommen der aktiv Beschäftigten richtet. Das Ergebnis ist nun, dass wir inzwischen wissen, dass die Zunahme der anpassungslelevanten Einkommen der aktiv Beschäftigten im Westen 0,2 Prozent beträgt, während es im Osten minus 0,4 Prozent sind. Wir wissen auch, dass die Renten nicht ganz so stark erhöht werden, wie die Einkommen steigen, sondern dass sich die Erhöhung um die Riester-Treppe und um den Nachhaltigkeitsfaktor reduziert. Das sind etwa 1,1 Prozent. Wenn man dies abgezogen hätte, dann hätte es auf beiden Seiten eine Kürzung gegeben.

Aber es gibt drei Schutzklauseln: Die Rente darf wegen der Riester-Treppe nicht sinken; die Rente darf wegen des Nachhaltigkeitsfaktors nicht geringer werden; die Rente darf sich in den neuen Bundesländern nicht schlechter als in den alten Bundesländern entwickeln. Das heißt unter dem Strich: Es bleibt bei null.

   Die Tatsache, dass wir dies mit einem Gesetz regeln und dafür keine Verordnung erlassen - das wäre sonst der Fall gewesen -, hat auch den positiven Nebeneffekt, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund nicht 20 Millionen Bescheide an die Rentnerinnen und Rentner verschicken muss, sondern dass mit dem vorliegenden Gesetz die Situation geregelt wird und damit Rechtsverbindlichkeit eintritt.

   Aus den Erkenntnissen der letzten Wochen ziehen wir folgende Konsequenz: Wir werden dafür sorgen - die nötigen Vorbereitungen dazu laufen -, dass die 1-Euro-Jobs in Zukunft nicht mehr in die Lohnentwicklung eingerechnet werden.

(Beifall bei der SPD)

Diese haben die Berechnungsgrundlage in erheblichem Maße verzerrt. Wir möchten, dass die 1-Euro-Jobs in Zukunft nicht mehr in den Schnitt der Lohnentwicklung einbezogen werden.

   Bei dem Rentenversicherungsbericht und dem Alterssicherungsbericht hat es Vorlauf gegeben. Der Alterssicherungsbericht - ihn gibt es in jeder Legislaturperiode nur einmal - macht deutlich: Angesichts der demografischen Entwicklung in unserem Land besteht Handlungsbedarf. Dazu gehört ganz entscheidend, dafür zu sorgen, dass die älter werdende Generation nicht so früh aus dem Erwerbsleben gedrängt wird oder dass sie in den Fällen, in denen sie ausgeschieden ist, wieder in das Erwerbsleben einsteigen kann.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Auf dem letzten Treffen des EU-Ministerrats ist unter Hinweis auf die Lissabonstrategie vereinbart worden, zu erreichen, dass bis zum Jahre 2010 50 Prozent der 55-Jährigen und Älteren in Europa in Beschäftigung sind. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. 42 Prozent der 55-Jährigen und Älteren sind berufstätig, 58 Prozent nicht. Das hängt damit zusammen, dass 50 Prozent der Unternehmen in Deutschland niemanden beschäftigen, der älter als 50 Jahre ist. Diese Tendenz ist schlecht. Diese Mentalität hat dazu geführt, dass in Deutschland - nicht in allen Unternehmen, aber in vielen; manche sind auch vorbildlich - 55-Jährige und Ältere als nicht mehr zu gebrauchen angesehen werden. Das ist falsch. Diese Generation kann noch etwas und sie wird auch gebraucht. Wir in dieser Koalition wollen dafür sorgen, dass sich diese Erkenntnis durchsetzt und dass die Chancen dieser Generation auf dem Arbeitsmarkt besser werden. Deshalb haben wir die Initiative 50 plus gestartet.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das geht nicht schnell und einfach. Aber diese Schritte wollen wir gehen.

   Damit verbunden wird das faktische Anheben des Renteneintrittsalters. Es liegt heute im Schnitt, wenn man die Erwerbsminderungsrente hinzunimmt, bei 60 Jahren und mehr, das heißt bei 39 Lebensarbeitsjahren. Mit 21 Jahren steigt man in den Beruf ein und mit 60 Jahren und einem bisschen scheidet man aus. Da wir länger leben - das ist gut; wir hoffen, Sie alle sind bei guter Gesundheit mit dabei; das ist das Schöne an der demografischen Entwicklung -, bedeutet das aber auch, dass wir deutlich länger Rente zahlen müssen als noch vor Jahrzehnten. Daraus wiederum resultiert angesichts der aktuellen Bevölkerungsstruktur, dass sich die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bezogen auf die Rentnerinnen und Rentner, immer weiter verschiebt.

   Das Verhältnis betrug einmal 8 : 1; in den 50er-Jahren kamen auf einen Rentner acht Beschäftigte. Heute beträgt das Verhältnis etwa 1 : 3,2 bis 3,5; also 3,5 Beschäftigte auf eine Rentnerin oder einen Rentner. Im Jahre 2030/40 wird das Verhältnis bei etwa 2 : 1 liegen. Zwei Arbeitnehmer müssen also Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge zahlen, um einen Rentner zu finanzieren. Das zeigt die Notwendigkeit, diese Gesellschaft darüber zu informieren. Wir müssen klar machen, dass wir hier etwas tun müssen. Das Erste, das getan werden muss, ist, mit der Initiative 50 plus dafür zu sorgen, dass die Menschen mit 50 Jahren und mehr nicht aus dem Job gedrängt werden, sondern dass sie länger arbeiten können und sie dann, wenn sie keinen Job mehr haben, wieder eine altersgerechte Arbeit aufnehmen können. Das wollen wir erreichen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Wir werden die hier vorbildlichen Betriebe auszeichnen. Immer mehr haben längst begriffen, dass ein vernünftiger Altersmix im Betrieb wichtig ist. Die Alten laufen nicht mehr so schnell wie die Jungen; aber ihr Erfahrungswissen ist ein hohes Gut.

   Damit verbunden wird die Entscheidung - in diesem Herbst wird das gesetzlich fixiert -, dass das Renteneintrittsalter von 65 Jahren auf 67 Jahre steigt.

Damit ist das Alter gemeint, von dem an die Rente ohne Abschläge bezogen wird. Es gibt kein festes Renteneintrittsalter und damit keine Fixierung auf einen bestimmten Tag, an dem jemand aus seinem Job ausscheiden muss; das kann er früher oder später tun. Dies ist bereits heute so geregelt. Es gibt einen Korridor zwischen 60 und 65, in dem jemand aus dem Erwerbsleben ausscheiden kann. Wenn er dies mit 60 mit einem Abschlag in Höhe von 0,3 Prozent im Monat tut, entspricht das 18 Prozent bezogen auf die fünf Jahre bis 65.

   Der Korridor von 60 bis 65 wird sich bis zum Jahr 2029 auf 63 bis 67 verschieben. Dabei werden diejenigen, die auf 45 Rentenversicherungsjahre kommen, ihre Rente unverändert mit 65 ohne Abschlag bekommen. Die anderen werden bis zum Alter von 67 Jahren zu arbeiten haben oder vorher mit einem Abschlag in Rente gehen können, wie es auch heute üblich ist.

   Es ist keine leichte Entscheidung; aber wir sind der Meinung, dass dies rechtzeitig deutlich gemacht werden muss, damit sich die Menschen in ihrer persönlichen Biografie - und übrigens auch die Tarifparteien - rechtzeitig darauf einstellen und entsprechende Entscheidungen treffen können.

   Eines ist sicher: Die gesetzliche Rentenversicherung bleibt das Kernstück der Alterssicherung in diesem Land. Bei allen Einsparungen macht sie auch weiterhin einen beträchtlichen Anteil der Alterssicherung aus. Aber sie muss um zusätzliche private Vorsorge ergänzt werden. Diese besteht insbesondere aus den beiden Säulen betriebliche Altersvorsorge und Riesterrente. In beiden Bereichen ist ein starker Zuwachs zu verzeichnen. Inzwischen sind mit steigender Tendenz insgesamt 15,7 Millionen Menschen - einschließlich der Beschäftigten im öffentlichen Dienst - an einer Form der betrieblichen Altersvorsorge beteiligt.

   Ich begrüße sehr, dass die Tarifparteien sehr darauf bedacht sind; denn wir haben in diesem Bereich eine Chance, etwas zu erreichen, was auf anderem Wege nicht so einfach ist: nämlich dass auch diejenigen mit niedrigem Einkommen in die betriebliche Vorsorge mit einbezogen werden. Denn bei der Riesterrente, von der inzwischen schon 5,6 Millionen Menschen Gebrauch machen, gibt es das Problem, dass sich diejenigen aus unteren Einkommensgruppen zu stark zurückhalten. Wir müssen ihnen Hilfe geben und dafür werben. Es muss in Deutschland selbstverständlich sein - sowohl innerhalb der Familien als auch in der Gesellschaft insgesamt -, in jungen Jahren, also frühzeitig, damit zu beginnen, sich über die gesetzliche Rentenversicherung hinaus über zusätzliche private Vorsorgeinstrumente zu versichern. Das ist auch möglich. Wir werden dafür sorgen, dass der Insolvenzschutz für Betriebsrenten noch verbessert wird. Dies wird zusätzliche Sicherheit schaffen.

   Ich möchte mich abschließend auf eine Kabinettsentscheidung beziehen, die wir gestern getroffen haben, auch wenn sie nicht unmittelbar mit dem Thema zu tun hat. Seitens der Bundesregierung wurde ein 6-Milliarden-Euro-Programm für Forschung, Entwicklung und Innovation beschlossen, die in den nächsten Jahren sehr gezielt gefördert werden sollen. Dabei soll versucht werden, die Wirtschaft mit einzubeziehen und deutlich zu machen, dass wir diesen Weg einschlagen müssen, um ein Wohlstandsland zu bleiben.

   Wer eine dauerhafte Alterssicherung will, muss ein Interesse daran haben, dass der Wohlstand in Deutschland mindestens auf dem derzeitigen Niveau erhalten bleibt. Wenn er im Jahr 2030 dem heutigen Stand entspricht, dann werden die Alten und die Jungen in Wohlstand leben können. Dann muss man allenfalls über ein paar Prozentpunkte streiten.

   Wenn der Wohlstand zurückgeht, dann wird es - was auch immer wir gegenwärtig in die Gesetze aufnehmen - weniger zu verteilen geben. Wenn man aber Wohlstand will, dann muss man berücksichtigen, dass wir heute einen gehörigen Teil der Investitionen in die Wirtschaft, in die Herzen und Köpfe der jungen Menschen investieren müssen. Was wir in Vorschule, Schule, Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung investieren, bildet die entscheidende Grundlage für eine vernünftige Alterssicherung auch in der Zukunft. Das ist das Wichtigste, was es in diesem Land zu tun gibt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Es ist nicht immer leicht, entsprechend zu argumentieren, weil man im Grunde denen, die heute auf Leistungen hoffen, die sie auch verdient haben und die wir ihnen geben möchten, sagen muss, dass ein gehöriger Teil dessen für andere Zwecke genutzt werden muss, um dafür zu sorgen, dass die Rente auch für die kommenden Generationen noch sicher ist.

   Der Rentenniveausatz sagt wenig aus, wenn man nicht sicher ist, dass der gleiche Wohlstand, den wir heute haben, auch in die Zukunft transportiert wird. Deshalb verbindet sich an dieser Stelle das Thema „Rente und Zukunft der Alterssicherung“ in der eben geschilderten Weise mit dem Thema „Bildung, Ausbildung und Qualifizierung“.

   Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Altersvorsorge ist ein ebenso wichtiges wie sensibles politisches Feld. Die Menschen in unserem Land erwarten zu Recht - und sie vertrauen darauf -, dass sie nach einem langen Arbeitsleben eine ausreichende Versorgung im Alter aus den drei Säulen gesetzliche Rentenversicherung sowie private und betriebliche Vorsorge haben. Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause einig, dass die gesetzliche Rentenversicherung weiterhin den Kern der Altersvorsorge bilden wird.

   Wichtig ist dabei Verlässlichkeit. Deswegen möchte ich Ihnen, Herr Minister Müntefering, für Ihre Ankündigung danken, der Forderung im FDP-Antrag auf Bundestagsdrucksache 16/966 zu folgen und Geschäftsführer einer GmbH, die zugleich Gesellschafter sind, von der Rentenversicherungspflicht freizustellen. Damit bewegen Sie sich nach einigem Zögern nun doch bei einem Problem, das für zahlreiche mittelständische Unternehmer zu einem K.-o.-Kriterium hätte werden können. Sie sind an dieser Stelle nicht der Versuchung erlegen - das ist zu begrüßen -, Kasse zu machen, und das wohl auch deswegen nicht, weil ganz offensichtlich die zu erwartenden Mehreinnahmen in einem krassen Missverhältnis zu dem erwartenden volkswirtschaftlichen Schaden gestanden hätten. Vielen Dank dafür.

(Beifall bei der FDP)

   Die heutige umfassende Diskussion über die Rente sollte man mit einer nüchternen Bestandsaufnahme beginnen. Die Lage der Rentenkasse ist kritisch. Das ist, Herr Minister, kein Schlechtreden, sondern es ist ein notwendiger realistischer Blick auf die Verhältnisse. Wir haben seit Jahren aufgrund einer schleppenden konjunkturellen Entwicklung und eines schon dramatisch zu nennenden Verlustes an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ein jährliches Defizit der gesetzlichen Rentenversicherung in einer Größenordnung von 4 Milliarden bis 5 Milliarden Euro. Das hat im Ergebnis dazu geführt, dass trotz des Zuschusses aus den Einnahmen der Ökosteuer an die Rentenversicherung, der Anhebung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung auf 19,5 Prozent, der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, bislang zwei Nullrunden für die Rentner - so wie es aussieht, kommt noch eine dritte hinzu -, des Verkaufs der Gagfah, also des Immobilienvermögens der Rentenversicherung, sowie der Verbeitragung der Direktversicherung und der Zusatzversorgung - was die Betroffenen 2 Milliarden Euro jährlich kostet - am Ende des letzten Jahres die Nachhaltigkeitsrücklage - früher nannte man sie Schwankungsreserve; seitdem sie nachhaltig sein soll, ist sie beileibe nicht mehr so tragfähig wie vorher - mit gerade einmal 1,8 Milliarden Euro den unteren Sollwert von 3 Milliarden Euro nicht erreicht hat. Nur durch Inanspruchnahme der Bundesgarantie konnte unterjährig die Auszahlung der Renten gesichert werden. Ein ebenso einmaliger wie bemerkenswerter Vorgang!

   Angesichts dessen muss man eines festhalten, Herr Müntefering: Ohne eine Wende am Arbeitsmarkt, ohne den Aufbau neuer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse und ohne eine Zunahme der Zahl der Beitragszahler wird die Zukunft der Rente unsicher bleiben und werden Spielräume für nennenswerte positive Rentenanpassungen nicht entstehen.

(Beifall bei der FDP)

   Aufgabe und Leitlinie der Politik muss es daher sein, alles zu tun, was eine Wende zum Besseren begünstigt, und alles zu unterlassen, was eine positive Entwicklung gefährdet. Deswegen ist es fatal, wenn Sie, wie geplant, am 1. Januar des kommenden Jahres die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte anheben; denn das wird eine deutliche Dämpfung der konjunkturellen Entwicklung zur Folge haben.

(Beifall bei der FDP)

   Statt mit entschiedenen Reformen die Voraussetzungen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen, kurieren Sie an den Symptomen. Eine - allerdings sehr begrenzte - Entlastung erfährt die Rentenkasse in diesem Jahr durch das Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge. Faktisch 13 Monatsbeiträge werden im laufenden Jahr 9,6 Milliarden Euro mehr an Liquidität in die Rentenkasse spülen. Aber um welchen Preis, Herr Minister! Der Wirtschaft und vor allem den mittelständischen Betrieben werden in der Summe 20 Milliarden Euro Liquidität entzogen. Das ist ein gigantisches Konjunkturdämpfungsprogramm, das das zarte Pflänzchen Aufschwung massiv bedroht. Hinzu kommen ein erheblicher Umstellungsaufwand sowie ein ebenfalls erheblicher laufender Aufwand für die monatlichen Vorabschätzungen der Beitragsschuld, der die Unternehmen selbst dann noch drücken wird, wenn der Entlastungseffekt dieser Maßnahme längst nicht mehr besteht.

   Ich sage Ihnen voraus: Die Koalition schießt sich an dieser Stelle in das eigene Bein. Genauso wenig wie die Rechnung der Vorgängerregierung bei der Tabaksteuer wird diese Kalkulation aufgehen. Das Vorziehen der Fälligkeit kostet Arbeitsplätze und wird die Probleme der Rentenversicherung verschärfen. Sie handeln so kurzsichtig wie ein Bauer, der in einer Hungersnot das Saatgut zum Brotbacken verwendet. Eine nachhaltige Politik ist das jedenfalls nicht.

(Beifall bei der FDP)

   Ohnehin haben Sie die nächste Anhebung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung auf 19,9 Prozent am 1. Januar 2007 beschlossen. Das soll 4 Milliarden Euro zusätzlich bringen. Aber selbst dann muss - im Bundeshaushalt 2008 - mit 600 Millionen Euro ausgeholfen werden, um erkennbare Löcher in der Rentenversicherung zu schließen.

Eine geordnete Rentenpolitik sieht anders aus.

   Nun versuchen Sie, Herr Müntefering, den aus der beschriebenen Entwicklung entstandenen Vertrauensschaden zu begrenzen, indem Sie vollmundig ankündigen, es werde wenigstens in dieser Legislaturperiode keine Rentenkürzungen geben.

(Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU: Das ist doch gut!)

Das mag gut gemeint sein; aber es ist sachlich falsch. Was glauben Sie denn, wie die Rentner in diesem Lande es empfinden müssen, wenn die Rente nicht erhöht wird, sie aber ab dem 1. Januar 2007 eine um 3 Prozent höhere Mehrwertsteuer zahlen müssen? Von der in Aussicht gestellten Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge profitieren diese Menschen ja überhaupt nicht mehr. Ich kann Ihnen sehr deutlich sagen: Diese Menschen empfinden das als eine Dreistigkeit; sie empfinden es als eine weitere deutliche Kürzung ihrer verfügbaren Renten. Es ist unehrlich, zu behaupten, es gebe keine Rentenkürzung, wenn man sie in Wahrheit doch längst in Koalitionsrunden beschlossen hat.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Es ist auch nicht das erste Mal, dass dies geschieht. Schon zweimal haben die Rentner Nullrunden hinnehmen müssen und wurden gleichzeitig zusätzlich belastet: mit dem vollen Pflegeversicherungsbeitrag, mit dem Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung und mit der Verbeitragung der Zusatzversorgung/Direktversicherung. Herr Müntefering, es kann vor diesem Hintergrund nicht wirklich verwundern, dass das Vertrauen der Rentner in Ihre Politik nachhaltig gestört ist.

   Weil das so ist, macht es keinen Sinn, sozusagen zur Bestärkung einer behaupteten Nichtkürzungsabsicht das heute hier vorliegende Gesetz über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte zu beschließen. Hier soll den Rentnern ein X für ein U vorgemacht werden. Die schmerzliche dritte Nullrunde in Folge soll den Betroffenen jetzt sogar noch als Erfolg und als Wohltat verkauft werden. Ich sage sehr deutlich: Eine Absenkung der Renten nach der Rentenformel ist 2006 auch ohne dieses Gesetz nicht zu befürchten. Auch die Regierung selber ging nie von einer negativen Lohnentwicklung aus, wie sich im Rentenversicherungsbericht zeigt. Die nun vorliegenden offiziellen Zahlen bestätigen das.

   Es ist daher heute das erste Mal, seit ich diesem Hohen Haus angehöre - das sind jetzt immerhin schon 15 Jahre -, dass der Bundestag ein Gesetz beschließen soll, dessen Regelungsgegenstand zum Zeitpunkt der zweiten und dritten Lesung weggefallen ist. Ich finde das - ich sage es deutlich, Herr Müntefering - unzumutbar. Hier soll Regierungshandeln vorgetäuscht werden, wo Regierungsversagen festzustellen ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wie auch der Sozialbeirat fordere ich Sie auf, dieses Gesetz zurückzuziehen, weil es inhaltsleer ist. Es ist ein Nullum. Das „Handelsblatt“ hat vollkommen zutreffend geschrieben: „Koalition führt Rentner hinters Licht.“ Die Regierung verhindert öffentlichkeitswirksam eine Rentenkürzung, die ohnehin nicht gekommen wäre. - Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Nach alledem kann das Vorgehen der Bundesregierung bei der Aufstellung des Rentenversicherungsberichtes nicht mehr wirklich überraschen. Ich will hier gar nicht mehr auf die zeitlichen Aspekte eingehen, sondern mich ganz auf den Inhalt konzentrieren. Dessen Bewertung lautet: Um den Korridor des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes mit seinen Niveau- und Beitragszielen einhalten zu können, wird die Entwicklung der Jahre bis 2019 - also der mittelfristige Bereich - systematisch überschätzt. Der Sozialbeirat hat hier von sehr ambitionierten Annahmen gesprochen.

   Herr Müntefering - er hört jetzt nicht zu; aber er wird es hoffentlich nachlesen -, ich finde es in der Tat sehr mutig, wenn im Durchschnitt dieses Zeitraums 2007 bis 2019 ein Lohnwachstum von 2,5 Prozent angenommen wird, wo wir doch im Schnitt der letzten zehn Jahre gerade einmal 1 Prozent Wachstum der Löhne und Gehälter hatten, wenn im Durchschnitt dieses Zeitraums 2007 bis 2019 eine Beschäftigungszunahme von jährlich 0,6 Prozent unterstellt wird, wo wir im Schnitt der letzten fünf Jahre einen Rückgang um durchschnittlich 1,6 Prozent per annum hatten, und wenn im Durchschnitt dieses Zeitraums ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes angenommen wird, wo wir im Durchschnitt der letzten fünf Jahre nur 0,8 Prozent, im Durchschnitt der letzten zehn Jahre gerade einmal 1,4 Prozent hatten. Mit konkreter Politik unterlegt wurden diese sehr positiven Annahmen über die Wirtschaftsentwicklung bisher nicht. Es regiert allein das Prinzip Hoffnung. Es ist mehr als fraglich, ob alles das Realität werden kann, was Sie hier niedergeschrieben haben. Aber Papier ist bekanntermaßen geduldig.

   Doch nur mit diesen „mutigen“ Annahmen, der angekündigten Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und dem angekündigten Nachholfaktor - ob das alles so kommt, wird man sehen müssen - wird es überhaupt möglich sein, im Korridor des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes zu bleiben. Das zeigt: Auch mittelfristig ist die gesetzliche Rentenversicherung auf Kante genäht. Es muss schon einiges richtig gut laufen, damit die Naht hält.

Gerade weil das so ist, dürfen die betriebliche und die private Vorsorge nicht vernachlässigt werden, sondern müssen weiter ausgebaut werden. Der Sozialbeirat hat in seinem Gutachten daher zu Recht gefordert, dass die abgabenfreie Entgeltumwandlung nicht 2008 ausläuft. Die Regierung plant aber genau dies. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, fordern die Verlängerung der sozialabgabenfreien Entgeltumwandlung über das Jahr 2008 hinaus, weil sie sich bewährt hat.

(Beifall bei der FDP)

   Die Rente wird in diesem Haus sicher auch in Zukunft ein wichtiges Thema sein. Entscheidend ist, dass man mit einer nüchternen Bestandsaufnahme der Verhältnisse beginnt. Die Regierung hat bisher versagt, weil sie am Arbeitsmarkt keine Weichenstellung zugunsten von mehr Beschäftigung und mehr Beitragszahlern vorgenommen hat.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend über den Entwurf eines Gesetzes über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006. Die Bundesregierung hat diesen Entwurf vor zwei Monaten auf den Weg gebracht, um frühzeitig klarzustellen: Es wird für die Rentner in diesem Jahr keine Rentenkürzung geben, so wie wir es im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Die große Koalition hält, was sie verspricht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Wir haben dieses Gesetz vorsichtshalber in der Tat frühzeitig eingebracht. Wir stehen für Vertrauen und für Verlässlichkeit. Wir werden die beitragsfinanzierte gesetzliche Rentenversicherung als wichtigste Säule der Alterssicherung in Deutschland erhalten. Die Rentner können sich darauf verlassen, dass sie ihre Altersbezüge weiter erhalten.

   Das bedeutet nicht - das wissen auch alle hier im Hause -, dass wir etwa die gesetzliche Rentenversicherung unter Naturschutz stellen wollen. Es gehört zur Wahrheit, festzustellen, dass die heute Jungen den Lebensstandard durch die gesetzliche Rente allein im Alter nicht sichern können. Für sie ist eine kapitalgedeckte Ergänzung der gesetzlichen Rente durch betriebliche und private Altersvorsorge unerlässlich.

   Umgekehrt gilt aber auch, dass sich die heutigen Rentenbezieher trotz langjähriger Beitragszahlung nicht nur mit Rentenansprüchen in Höhe des Sozialhilfeniveaus begnügen müssen. Die finanziellen Lasten der Alterung müssen zwischen den Generationen fair und gerecht verteilt werden. Genau das ist die Maxime, die Richtschnur aller Entscheidungen der großen Koalition in der Rentenpolitik. Diese Entscheidung ist richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir haben dies mit einem rentenpolitischen Maßnahmenpaket verbunden. Vor vier Wochen haben wir dieses Paket mit der Vorlage des Rentenversicherungsberichts 2005 mit Zahlen untermauert. Wir beschreiten mit diesem Zahlenwerk den Weg in die Realität. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel deutlich machen: Im letzten Rentenversicherungsbericht der rot-grünen Bundesregierung ging man noch davon aus, dass die Renten bis zum Jahr 2018 um gut 30 Prozent steigen. Schön wärs gewesen. Nach unserem Bericht liegt der vergleichbare Wert bei 17 Prozent. Das ist zwar weniger, aber es ist ein realistischer Wert. Die Zeit der Schönfärberei ist vorbei. Die große Koalition geht mit realistischen Zahlen an die Lösung dieser Probleme heran.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Zuhören, Genossen! Damit seid Ihr gemeint!)

   Wahr ist natürlich auch: Wir werden den Rentenversicherungsbeitrag im nächsten Jahr von heute 19,5 Prozent auf 19,9 Prozent anheben. Ich habe noch keinen seriösen Vorschlag gehört, wie wir darauf verzichten können. Ich will daran erinnern: Wir werden gleichzeitig den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozentpunkte senken. Das bedeutet: Unter dem Strich werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei den Sozialabgaben entlastet. Im nächsten Jahr sinkt der Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf unter 40 Prozent. Das ist das erste Mal seit dem Jahr 1995. Das ist ein beachtlicher Erfolg der Konsolidierungspolitik dieser großen Koalition.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Gleichzeitig werden wir - auch das geht aus den Berichten hervor und ist politisch klar geäußert worden - die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre beschließen. Auch dazu gibt es, wie wir wissen, keine seriöse Alternative. Klar ist auch: Das muss mit besonderen Anstrengungen für die Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer einhergehen. Diesen Weg werden wir beschreiten. Wir legen hier ein Gesamtkonzept vor.

   Es hätte die Möglichkeit bestanden, dass auch die Opposition hier einmal ihr Konzept darlegt.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir müssen so viel kritisieren an Ihrer Politik und wir haben so wenig Redezeit!)

Stattdessen betreiben die Oppositionsfraktionen nichts als Rosinenpickerei. Es ist klar: Die Linken stellen den Antrag, die 1-Euro-Jobs bei der Rentenberechnung nicht zu berücksichtigen. Dieser Antrag ist völlig überflüssig, weil die 1-Euro-Jobs in die Rentenberechnung bisher gar nicht einfließen.

(Klaus Ernst (DIE LINKE): Der Mann hat keine Ahnung!)

Wir werden sie auch in Zukunft nicht einbeziehen. Das ist politisch klar.

   Nun wundert es mich nicht, wenn ein solcher Antrag von den Linken kommt, aber ich muss schon sagen, Herr Kollege Kolb: Ich mache mir Sorgen um die FDP und um die Seriosität Ihrer Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Butter bei die Fische!)

Sie beantragen hier allen Ernstes, wir sollten unseren Gesetzentwurf über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte zurückziehen. Was ich hier in Händen halte, Herr Kollege Kolb, ist die erste von 17 Seiten der Verordnung der vorigen Bundesregierung aus dem letzten Jahr, in der festgelegt wurde, dass es im Jahr 2005 keine Rentenerhöhung gibt. Dies wollen Sie durch dieses Papier hier ersetzen und das soll dann, wie der Minister schon gesagt hat, 20 Millionen Mal verschickt werden, um das den Leuten mitzuteilen. Das ist Ihr Beitrag zum Bürokratieabbau. Es kann doch wohl wirklich nicht Ihr Ernst sein, Herr Kollege Kolb, dass Sie uns das hier auch noch als seriöse Alternative verkaufen wollen. Ich verstehe es wirklich nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Herr Kollege Kolb, wir haben vor zwei Tagen Professor Ruland verabschiedet. Ich habe bei der Gelegenheit einmal mit Norbert Blüm gesprochen und ihn gefragt: Wie war das denn eigentlich mit dem Herrn Kolb, der ja einmal Staatssekretär war? Ich habe gedacht, er würde mir sagen: Der war immer gegen CDA-Politik, ein ganz schwieriger Fall. - Das hat Norbert Blüm aber gar nicht zum Ausdruck gebracht, sondern er hat gesagt: Mit dem Herrn Kolb konnte man sehr gut zusammen regieren. Das war ein sehr guter Mann.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr gut! - Zurufe von der FDP)

   Herr Kolb, Sie können es doch eigentlich. Von daher bitte ich Sie wirklich: Gehen Sie von diesem unseriösen Kurs ab! Wir brauchen in diesem Land eine seriöse liberale Opposition, die seriöse Anträge stellt und nicht solche, die Sie, meine Damen und Herren, nur stellen können, weil Sie wissen, dass Ablehnung gesichert ist. Gehen Sie von diesem Weg ab, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wir halten fest: Blüm lobt Kolb!)

   Ähnliches gilt für Ihren Antrag zur Rentenversicherungspflicht für geschäftsführende Alleingesellschafter. Den haben Sie nicht eingebracht, weil Ablehnung gesichert war. Den haben Sie am 15. März vorgelegt, als Erfüllung schon gesichert war, lieber Herr Kolb.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wie wir es machen, ist es verkehrt!)

Hierbei geht es in der Tat um ein ernstes Problem. Ich bin dem Kollegen Max Straubinger aus unserer Fraktion dankbar. In den regelmäßigen Gesprächen, die wir in der Koalition haben, hat er als Erster dieses Thema angesprochen und darauf gedrungen, dafür eine Lösung zu finden.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Guter Mann!)

Ich kann erfreut feststellen: Unsere sozialdemokratischen Partner

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Freunde! Die sozialdemokratischen Freunde!)

sind für unsere guten Argumente meistens offen, so auch in diesem Fall. Deshalb sind sie unseren Argumenten gefolgt. Wir haben uns vor Wochen auf diese Regelung verständigt. Nachdem das politisch klar war, haben Sie diesen Antrag gestellt in dem Wissen, dass das sowieso passiert. Das ist keine seriöse Oppositionspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Weil ich gerade dabei war, wollte ich eigentlich auch noch etwas Unfreundliches zu den Grünen sagen,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Gib uns noch mehr!)

musste aber feststellen: Wir beraten die Tagesordnungspunkte 3 a bis h, aber Sie von den Grünen haben leider überhaupt nichts vorgelegt. Es liegt kein Gesetzentwurf, kein Antrag, nicht einmal ein Entschließungsantrag von Ihrer Fraktion vor.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Rente interessiert die nicht!)

Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass es von Ihnen keinen Beitrag zu dieser Debatte gibt. Deswegen muss ich Sie heute leider aussparen. Vielleicht kommt von Ihnen in der Zukunft wieder etwas, wenn Sie mit Ihren internen Problemen fertig sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich komme zu dem Konzept der Rentenpolitik der großen Koalition zurück.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Zu den Freunden in der großen Koalition!)

Wir werden die Maßnahmen sinnvoll aufeinander aufgebaut fortführen. Im nächsten Jahr wird es eine moderate Erhöhung des Rentenbeitragssatzes geben. Wir werden die in diesen Jahren nicht durchgeführten Rentenkürzungen durch den Einbau eines Nachholfaktors in der Rentenanpassungsformel nachholen, weil die Jungen auf Dauer nicht allein die Lasten tragen können.

(Beifall der Abg. Julia Klöckner (CDU/CSU))

Vielmehr muss jede Generation ihren Beitrag leisten. Darum werden wir das so machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Alle diese Maßnahmen gehen mit einem moderat steigenden Bundeszuschuss an die Rentenkasse einher. Wenn man sich die Mühe macht, die Zahlen aus dem Bundeshaushaltsplanentwurf 2006 mit denen der letzten Jahre zu vergleichen, wird man feststellen: Der Anstieg des Bundeszuschusses ist heute deutlich geringer als in der Vergangenheit. Zur Ehrlichkeit gehört dazu, auch zu sagen: Ohne eine solche moderate Steigerung geht es nicht. Neben den Beitragszahlern und den Rentnern muss auch der Steuerzahler seinen Beitrag zum Erhalt des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung leisten.

   Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass uns das Thema Rente in der gesamten Wahlperiode begleiten wird. Das gilt für die gesetzliche Rente genauso wie für die kapitalgedeckte Altersvorsorge.

   Lassen Sie mich, weil das angesprochen worden ist, noch ein Wort zur sozialabgabenfreien Entgeltumwandlung bei der betrieblichen Altersvorsorge sagen. Es ist doch völlig klar, dass man es, wenn man in Zeiten von 5 Millionen Arbeitslosen, leeren Rentenkassen und einer geringen Quote von Menschen - etwa jeder siebte bis achte -, die die Riester-Förderung in Anspruch nehmen, die Regierungsgeschäfte übernimmt, mit Zielkonflikten zu tun hat. Aber ich finde, es ist selbstverständlich, dass man bei den Dispositionen, die man trifft, von der geltenden Rechtslage ausgeht. Die Rechtslage ist ganz klar die, dass diese sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung, die die Sozialkassen an anderer Stelle eine Menge Geld kostet, im Jahr 2008 ausläuft. Jeder, der seine Dispositionen verantwortlich trifft, wird erst einmal von dieser bestehenden Rechtslage ausgehen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Werden Sie das ändern?)

   Wir haben uns gleichwohl vorgenommen, vor dem Hintergrund der positiven Entwicklung seit dem In-Kraft-Treten des Alterseinkünftegesetzes im vergangenen Jahr bis zum nächsten Jahr zu prüfen, wie die Entwicklung weiter verläuft. Im Jahr 2007 werden wir dann entscheiden, welche Maßnahmen wir zur weiteren Förderung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge ergreifen. Damit ist im Jahr 2006 das zu diesem Thema gesagt, was dazu zu sagen ist.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Schieben, schieben, schieben! Alles Wiedervorlage!)

Wir werden die Entscheidungen vor dem Hintergrund der Erkenntnisse, die wir bis zum nächsten Jahr gewonnen haben, verantwortlich treffen.

   Damit wird insgesamt deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: CDU/CSU und SPD stellen sich den Problemen in der Rentenversicherung. Wir haben beim Thema Rente wichtige Entscheidungen getroffen. Wir betreiben keine Rosinenpickerei wie die Opposition, sondern wir haben ein in sich geschlossenes, wenn auch nicht populäres Konzept, das es nunmehr in Gesetzesform zu gießen gilt. Das haben wir uns für die Zukunft vorgenommen. Jeder ist herzlich eingeladen, dabei konstruktiv mitzuwirken.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Aber keiner muss! Man muss nicht jeden Quatsch mitmachen!)

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Der Oberpopulist!)

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man soll ja positiv denken. Ich möchte das heute einmal versuchen, auch wenn es mir angesichts des Rentenberichts der Bundesregierung äußerst schwer fällt. Aber das Positive zuerst: Man nimmt richtigerweise künftig die 1-Euro-Jobs aus der Berechnung des Rentenwertes heraus.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist wichtig und gut. Es freut mich, dass Sie unsere Anregung aufgenommen haben.

(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)

   Zum Zweiten. Es geht um ein Gesetz über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte, das die Bundesregierung eingebracht hat. Jetzt hören wir, dass dieses Gesetz eigentlich überhaupt nicht notwendig sei,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): So ist es!)

weil die Renten gar nicht sinken würden, da nämlich die Lohnerhöhung offensichtlich doch noch so hoch sei, dass es für eine Nullrunde reiche und keine Rentensenkung vorgenommen werde. Jetzt frage ich mich natürlich: Warum macht die Bundesregierung ein Gesetz, das eigentlich überflüssig ist?

(Beifall bei der LINKEN)

   Wenn man sich diesem Gedanken nähern will, dann ist es hilfreich, ab und zu im „Handelsblatt“ zu blättern. Dort heißt es:

Da liegt nicht nur der Verdacht nahe, dass sich die Politik mit einer Shownummer brüsten will. Ganz nebenbei spart sie sich per Gesetz auch die Information der Ruheständler über die Entwicklung ihrer Bezüge, auf die diese eigentlich ein Anrecht haben.

   Meine Damen und Herren, ich glaube, es geht sogar noch um ein bisschen mehr. Jeder weiß, dass diese Bundesregierung den Rentnern in unerträglicher Weise an die Wäsche geht.

(Beifall bei der LINKEN)

Jeder weiß, dass die gesetzlichen Maßnahmen, die geplant sind, zu massiven Einschnitten bei den Rentnern führen würden. Wenn man jetzt ein Gesetz veröffentlicht, über das die Presse schreiben kann, dass die Bundesregierung diejenige ist, die die Rente eigentlich sichert, dann deutet das darauf hin, dass sich die Bundesregierung damit möglicherweise einen Imagevorteil verschaffen will. Das ist ein Etikettenschwindel genau wie vor der Bundestagswahl, Herr Müntefering. So betreiben Sie hier in diesem Hause Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun kommen wir zum eigentlichen Punkt, nämlich zum Rentenversicherungsbericht. Alte und neue Bundesregierung haben seit Jahren ihre Finger in den Geldbörsen der Rentner. Da wird das Sicherungsniveau auf 46,3 Prozent reduziert. Es gibt von 2005 bis 2009 faktisch Nullrunden. Herr Müntefering, eigentlich sind es keine Nullrunden. Denn Sie wissen ganz genau, dass wir gleichzeitig Inflation und dass wir gleichzeitig eine Mehrwertsteuererhöhung haben. Wenn man dies über vier Jahre summiert, dann ergibt sich in den nächsten vier Jahren real eine Rentenkürzung von mindestens 8 Prozent.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie glauben, dass das sozialdemokratische Politik ist, dann glauben Sie auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten, Herr Müntefering.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

   Wenn Sie gleichzeitig auch noch den Bundeszuschuss senken, wenn Sie gleichzeitig die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre einführen wollen, dann kann ich nur sagen, dass das mit einer vernünftigen Sozialpolitik überhaupt nichts mehr zu tun hat. Die Schwankungsreserve ist inzwischen aufgebraucht; sie ist eigentlich gleich null. Reden Sie also nicht mehr von Schwankungsreserve! Was nicht mehr vorhanden ist, kann doch auch nicht mehr schwanken. Das ist doch weg, meine Herren und Damen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch dieser Etikettenschwindel wird von der Bundesregierung betrieben.

   Sie denken darüber nach, wie Sie in dem Ausmaß, in dem die Renten in diesem Lande aufgrund Ihrer Berechnungsmethoden sinken, die Diäten für die Abgeordneten nach einer anderen Berechnungsmethode erhöhen könnten.

(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE))

Das würde dazu führen, dass ein Abgeordneter 1,3 Prozent mehr Diäten bekommen soll. Das kann zwar uns als Abgeordnete freuen. Aber draußen versteht das kein Mensch mehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier wird eine Politik betrieben, die immer andere betrifft, aber die eigenen Taschen füllt. Das ist verwerflich und nicht zu akzeptieren, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Herr Müntefering, bei Ihren Berechnungen bauen Sie auf Sand. Die Zahl der Arbeitslosen, so lese ich in Ihrem Bericht, soll von 2005 bis 2009 um 650 000 sinken. Wie wollen Sie dies, bitte schön, erreichen? Die Vorschläge, wie Sie die Arbeitslosigkeit reduzieren wollen, bleiben Sie schuldig. Jeder weiß, dass Ihre Politik eher dazu führen wird, dass die Arbeitslosigkeit weiter zunimmt. Diese Milchmädchenrechnung, die Sie hier aufmachen, glaubt Ihnen doch keiner mehr. Woher nehmen Sie beispielsweise Ihre Annahme, dass die Entgelte ab 2010 statt um 3 Prozent immer noch um 2,5 Prozent steigen sollen? Ich habe den Eindruck, Sie haben sich zum Kaffeesatzlesen getroffen und dann Ihren Bericht veröffentlicht.

   Mit Ihrer Politik zerstören Sie die Grundlagen dieses Sozialstaats. Sozialstaat ist nämlich nicht nur Armenküche, Sozialstaat ist nicht nur die Verteilung von Suppen an Bedürftige. Sozialstaat hat auch etwas mit Organisation zu tun. Wenn man eine Versicherung hat, dann entsteht ein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung dadurch, indem man einzahlt. Sie haben aber letztendlich vor, dieses Niveau so weit nach unten zu drücken, dass jeder, der irgendwann in seinem Leben ein Hartz-IV-Empfänger wurde und nicht privat vorsorgen konnte, an die Armutsgrenze gedrückt wird. Das ist keine Sozialpolitik, sondern eine gezielte Verarmung künftiger Generationen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Um es noch einmal deutlich zu machen, will ich jemanden zitieren, der zumindest in der CDU noch bekannt sein müsste, auch wenn es einigen von Ihnen schwer fällt, sich an ihn zu erinnern. Er hat nämlich gesagt:

Wenn Armutsvermeidung zur Hauptaufgabe des Sozialstaates wird, verwandelt sich dieser in eine Bedürfnisprüfungsanstalt, weil er - bevor er Hilfe leistet - ständig fragen muss: „Bist du reich, bist du arm?“

Das war Ihr Herr Blüm, der das gesagt hat.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aha!)

Wo er Recht hat, hat er Recht, auch wenn Sie ihn heute, wie Herrn Kirchhof, am liebsten wegsperren würden. So ist doch die Realität.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Rente hat schon jetzt ein Niveau erreicht, von dem viele nicht mehr vernünftig leben können. Sie machen Politik nicht für die Menschen, sondern offensichtlich für Zahlen. Ihr oberstes Ziel ist die Beitragssatzstabilität. Aber Sie vergessen dabei, wie es den Leuten geht, die von ihrer Rente letztendlich leben müssen.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Von den Arbeitnehmern reden Sie nicht!)

   Ihr Ziel ist übrigens - das ist der nächste Etikettenschwindel - nicht Beitragssatzstabilität. Sie können es noch so oft behaupten: Das glaubt Ihnen kein Mensch mehr. Denn die einzige Gruppe, für die der Beitragssatz tatsächlich stabil bleibt, sind die Unternehmen. Aber für die Arbeitnehmer bleibt der Beitragssatz nicht stabil, wenn sie privat vorsorgen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Private Vorsorge bedeutet, dass zwar die Arbeitgeberbeiträge auf unterem Niveau eingefroren werden, dass aber gleichzeitig die Arbeitnehmer durch ihre private Zusatzversicherung, die sie abschließen müssen, weniger in der Tasche haben als vorher. Beitragssatzstabilität findet nur für die Arbeitgeber statt, aber nicht für die Bevölkerung und nicht für die Versicherten. Deshalb sage ich: Wenn Sie das so machen, ist das, was Sie der Bevölkerung suggerieren, Etikettenschwindel. Sie entlasten die Arbeitgeber, ohne dass es einen Effekt hat.

   Ich sage Ihnen: Die eigentliche Ursache für die Probleme in der Rentenversicherung liegt darin, dass die Löhne in diesem Lande nicht mehr steigen. Sie steigen unter anderem deshalb nicht, weil Sie durch Ihre Politik dazu beigetragen haben, dass die Gewerkschaften in einer Art und Weise geschwächt werden, dass Lohnerhöhungen kaum noch durchsetzbar sind. Ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger weiß, was er bekommt. Diejenigen, die noch keine Arbeitslosengeld-II-Empfänger sind, die noch in Arbeit sind, wissen, was ihnen blühen würde, wenn sie Arbeitslosengeld II bekommen würden. Deshalb ist es natürlich so, dass die Widerstandskraft in den Betrieben bzw. bei den Beschäftigten gesunken ist. Deshalb haben wir Nullrunden und letztendlich auch ein Problem in der Rentenversicherung. Weil es inzwischen 6 Millionen Menschen gibt, die mit prekären Arbeitsverhältnissen, mit Billigjobs abgespeist werden, wird unzureichend in die Sozialkassen eingezahlt. Wenn Sie das ändern, würden Sie das Übel tatsächlich an der Wurzel packen und nicht permanent die kleinen Leute schröpfen, Herr Müntefering.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich komme damit zum Schluss. Sie haben gesagt: Die Menschen sollen Vertrauen haben. Herr Müntefering, worin denn? Ihrer Politik zu vertrauen, ist so, als würde man den Würger von Boston um eine Halsmassage bitten. Das wäre genau dasselbe.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Veronika Bellmann (CDU/CSU): So ein Schwachsinn!)

Wer Ihnen traut, hat künftig dafür zu sorgen, dass er irgendwie über die Runden kommt. Mit der Rente wird es jedenfalls bei dieser Politik der Bundesregierung nicht mehr klappen. Die Rente wird von dieser Regierung kaputtgemacht.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ernst, ich beneide Sie: Es ist schön, wenn man ein so einfaches Weltbild hat, wie Sie es haben. Da kann man sich zufrieden zurücklehnen.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Wir diskutieren heute über eine Reihe rentenpolitischer Vorhaben. Ich beginne mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte. Ziel dieses Gesetzentwurfes war es, mögliche Rentenkürzungen aufgrund niedriger Lohnsteigerungen zu vermeiden. Dieses Ziel hat meine Fraktion voll und ganz unterstützt. Da das Ministerium selbst jetzt aber bestätigt, dass es aufgrund der Lohnentwicklung nicht zu einer Rentenkürzung kommen wird, ist dieser Gesetzentwurf absolut überflüssig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man kann es auch anders ausdrücken: Stell dir vor, die Regierung macht ein Gesetz und keiner braucht es.

   Herr Minister Müntefering, man sollte die Sauerländer nicht unterschätzen: Sie sind ein Fuchs. Sie haben vor den Landtagswahlen den Robin Hood der Rentner und Rentnerinnen gespielt und ihnen gesagt, dass Sie Rentenkürzungen per Gesetz ausschließen. Die Menschen sind froh und akzeptieren scheinbar dankbar eine neue Nullrunde. Doch nun, da Sie wissen, dass die Renten nicht gekürzt werden müssen, fordere ich Sie auf: Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück!

(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP))

Machen Sie keine Symbolpolitik mit einem Gesetz, das niemals zur Anwendung kommen wird!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

   Ich komme zum nächsten Punkt, zu den Rentenversicherungsberichten 2004 und 2005. Was die Menschen bei der sozialen Sicherung und gerade bei der Rente dringend brauchen, sind Vertrauen und Verlässlichkeit. Ich glaube, dass Ihre Annahmen bezüglich der Lohnentwicklung und des Wirtschaftswachstums viel zu optimistisch sind. Ich erinnere an die Fehlprognosen von 1995. - Herr Kollege Brauksiepe, 1995 gab es leider noch keine rot-grüne Bundesregierung.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Da waren die Zahlen auch noch gut!)

   Natürlich wünsche auch ich mir, dass die Gewerkschaften endlich wieder bessere Tarifabschlüsse durchsetzen können; denn das ist gut für die Beschäftigten, die Binnennachfrage und letztendlich auch für die Renten. Aber ein Rentenversicherungsbericht ist nun einmal kein Wunschkatalog. Wir brauchen eine realistische Vorschau auf die nächsten 15 Jahre.

   Die gesetzliche Rente hat in den letzten Jahren durchaus schmerzhafte Reformen durchlebt. Niveausenkungen und der Nachhaltigkeitsfaktor sind in diesem Zusammenhang nur zwei Stichworte. Aber dadurch ist sie zukunftsfähig geworden. Durch sie werden die meisten Menschen vor Armut geschützt. Sie wird aber nicht ausreichen, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Private und betriebliche Vorsorge tut zusätzlich Not.

   Der ehemalige Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Franz Ruland, der „Rentenpapst“, hat am 3. April dieses Jahres in einem Interview mit der „FAZ“ die Einschätzung vertreten:

Was im Rentensystem kürzbar war, ist gekürzt worden.

Ich schließe mich dieser Einschätzung explizit an und erweitere sie um die Bemerkung: Innerhalb des bisherigen Umlagesystems der gesetzlichen Rentenversicherung sind alle Reformen durchgeführt worden, die vertretbar sind. Die schrittweise Heraufsetzung des Renteneintrittsalters, die noch zu verabschieden ist, schließe ich in diese Bemerkung ausdrücklich ein. Herr Minister, wir unterstützen Sie bei der Heraufsetzung des Renteneintrittsalters; denn das ist eine logische Konsequenz des längeren Lebens. Heute beziehen die Menschen 17 Jahre lang Rente, 1960 waren es zehn Jahre weniger. Ich fordere Sie aber auf, bei der Umsetzung nicht zu stümpern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Erhöhung des Renteneintrittsalters und die Beschäftigung Älterer in den Unternehmen sind wie ein Gespann. Beides muss parallel und im gleichen Tempo laufen; ansonsten geht es schief. Hier ist die Wirtschaft in der Verantwortung. Ohne Arbeitsplätze für Ältere ist die Rente mit 67 eine Rentenkürzung und das lehnen wir ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es wird gern verschwiegen, aber wir haben ein strukturelles Problem bei den Einnahmen der Rentenversicherung. Diese Schwierigkeit ist nicht kurzfristiger Natur. Sie wird in den nächsten Jahren andauern, wenn wir nicht an den Ursachen ansetzen. An dieser Stelle ist die große Koalition blind; denn sie ignoriert die Analyse namhafter Experten. Bereits im Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2004 hat der Sozialbeirat auf die Probleme bei der Entwicklung der Beitragseinnahmen aufmerksam gemacht. Er hat die Diskrepanz zwischen dem gestiegenen Bruttoinlandsprodukt und sinkenden Einnahmen der Rentenversicherung benannt. Die Ursachen liegen auf der Hand: gedämpfte Lohnentwicklung, weniger sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige, weniger Pflichtversicherte, mehr Selbstständige, mehr geringfügig Beschäftigte und mehr Arbeitslose mit einem niedrigeren Beitrag. Doch obwohl CDU/CSU und SPD das Gutachten bekannt war, haben sie keine adäquaten Konsequenzen daraus gezogen, sondern die Schlussfolgerung im Koalitionsvertrag ins Gegenteil verkehrt. Im Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2005 bewertet der Sozialbeirat die Annahmen zur kurz- und mittelfristigen Beschäftigungs- und Entgeltentwicklung an mehreren Stellen als ambitioniert. Offensichtlich wollte sich der Sozialbeirat diplomatisch ausdrücken und die positiven Konjunkturerwartungen nicht dämpfen.

   Schauen Sie aber in die neueste Studie „Prognos Deutschland Report 2030“. Darin steht, dass in den nächsten 25 Jahren mit einem massiven Rückgang von Arbeitsplätzen im traditionellen Industriebereich zu rechnen ist. Daneben wird von einer starken Zunahme der Zahl der Selbstständigen gerechnet. Aufgrund der letzten Jahre wissen wir, dass Selbstständigkeit in vielen Fällen eine selbst gewählte Notlösung ist, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Sorge bereiten uns vor allem jene Selbstständige, die nicht in der Lage sind, sich ausreichend sozial abzusichern.

   Herr Minister Müntefering, in der Haushaltsdebatte der letzten Woche haben wir Ihnen vorgeworfen, dass Sie den Bundeshaushalt zulasten der Versicherten sanieren, zum Beispiel durch die Erhöhung der Sozialabgaben für Minijobs. Ihr Sozialbeirat wird da sehr viel deutlicher - ich zitiere -: „Die Erhöhung von Sozialbeiträgen mit dem ausdrücklichen Ziel, den Bundeshaushalt zu entlasten, ist verfassungsrechtlich problematisch.“

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Beispiel für diesen verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriff in die Finanzierungsgrundlagen der Rentenversicherung wird im Gutachten die Halbierung des Mindestbeitrags von 78 auf 40 Euro für Langzeitarbeitslose kritisiert. Während jede Existenzgründerin und jeder freiwillig Versicherte den Mindestbeitrag von 78 Euro entrichten muss, macht der Bund in seinem eigenen Gestaltungsbereich selbstherrlich Ausnahmen. Ich empfinde das als Politik nach Gutsherrenart.

   Ich komme zu den Betriebsrenten. Wer ein Gesamtrentenniveau erreichen will, das den Lebensstandard sichert, muss rechtzeitig auch privat und betrieblich vorsorgen. Gerade durch die Entgeltumwandlung hat sich die Betriebsrente enorm etabliert. Wir begrüßen daher den Entwurf der europäischen Richtlinie zur Portabilität von Zusatzrentenansprüchen.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Das hat aber mit Entgeltumwandlung nichts zu tun!)

- Ich komme gleich darauf, Herr Kollege. - Moderne Arbeitsmärkte fordern auch mobile Beschäftigte. Deshalb muss die betriebliche Altersvorsorge flexibler werden. Sie darf nicht als Finanzierungsmasse der Arbeitgeber verwendet werden und muss stärker vor Insolvenz geschützt werden.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Weiß, es ist mir eine Freude.

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, es ist mir eine Freude, dass ich Ihnen heute Morgen eine Freude machen kann.

(Heiterkeit)

Sie haben soeben ausgeführt, dass die Grünen die Betriebsrenten in Deutschland stärken und weiter ausbauen wollen - was, wie ich glaube, die Zustimmung des ganzen Hauses findet - und dass die Entgeltumwandlung eine sehr gute Grundlage bildet. Das ist vollkommen richtig. Dann haben Sie aber einen Schlenker zu der europäischen Richtlinie zur Portabilität von Zusatzrentenansprüchen gemacht. Ich weiß nicht, wie das zusammenpassen soll, Frau Kollegin Schewe-Gerigk. Alle Experten des Betriebsrentensystems in Deutschland sagen uns: Wenn wir diese EU-Richtlinie, so wie sie ist, akzeptieren würden, würde dadurch das System der Betriebsrenten in Deutschland keinen Aufschwung erleben, sondern zusammenbrechen. Viele Betriebe würden sich aus dem Betriebsrentensystem verabschieden. Die Zusatzversorgung für Angehörige des öffentlichen Dienstes wäre am Ende. Deswegen kann ich nicht verstehen, wie das zusammenpassen soll. Erklären Sie uns einmal, wie diese EU-Richtlinie mit ihren negativen Auswirkungen für das Betriebsrentensystem zu Ihrer Aussage passen soll, dass Sie die Betriebsrenten fördern wollen!

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir haben gesagt, dass wir die Entgeltumwandlung nicht weiter sozialversicherungsmäßig und steuerlich fördern wollen. Denn in dem betreffenden Gesetz wurde eine Laufzeit bis 2008 beschlossen. Dazu kommt, dass diese Maßnahme die Sozialkassen ziemlich plündert. Sie war als Anschubfinanzierung vorgesehen und dieses Ziel hat sie erreicht.

   Bei der EU-Richtlinie handelt es sich doch ganz eindeutig darum, dass diejenigen, die mobil sind, junge Menschen, nicht erst ab einem Alter von 30 Jahren, sondern bereits ab 21 Jahren geschützt werden sollen. Es gibt junge Leute, die ins Ausland gehen und ihre Rentenansprüche mitnehmen wollen. Sie möchten ferner, dass das nicht erst nach einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren möglich sein soll, sondern bereits nach zwei Jahren. Das ist doch eine wichtige Sache. Ich finde, eine Maßnahme, die steuerlich begünstigt ist und von der die Arbeitnehmer auch etwas haben, gehört in das Eigentum der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn solche Zusagen vorliegen. Es ist absolut richtig, dass diese Ansprüche mitgenommen werden können und sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch zustehen. Aber ich werde darauf gleich in meiner Rede noch intensiver eingehen, Herr Kollege.

   Ich habe dank Ihrer Zwischenfrage meine Redezeit noch etwas verlängern können.

   Wir wollen aber auch, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen die betriebliche Altersvorsorge bei einem Wechsel des Arbeitgebers generell und uneingeschränkt weiterführen können. Bereits bestehende Ansprüche für ausscheidende Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen müssen dynamisiert werden, damit sie sich nicht mit der Zeit entwerten.

   Was tut die Regierung? Jetzt komme ich auf die Stellungnahme der Bundesregierung zu dieser EU-Richtlinie zurück; wir haben es gestern im Ausschuss diskutiert. Da sagt die große Koalition: Eigentlich wollen wir uns von der EU gar nichts sagen lassen.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Richtig!)

Ich dachte immer, wir seien ein Mitgliedsland der Europäischen Union. Aber Sie meinen: Eigentlich hat die EU in diesen Dingen nichts zu sagen. Die Stellungnahme der Bundesregierung ist sehr einseitig an den Interessen der Arbeitgeber ausgerichtet. Auch wir wollen, dass die betriebliche Altersvorsorge für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber interessant bleibt. Aber aus lauter Arbeitgeberfreundlichkeit die Flexibilisierung der betrieblichen Altersvorsorge gleich ganz abzulehnen, das wäre unseres Erachtens ein kapitaler Fehler. Damit schaden Sie der betrieblichen Altersvorsorge.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Es ist gerade umgekehrt!)

   Ich komme zum Schluss. Betrachte ich die Rentenpolitik der großen Koalition - wir haben darüber ja in den letzten Wochen und Monaten viel gehört und hier diskutiert -, dann kann ich nur sagen: Der Zickzackkurs geht weiter. Sie machen jeden Tag neue Vorschläge, die Sie dann wieder zurücknehmen; ich nenne nur: die Erhöhung des Bundeszuschusses im nächsten Jahr mit 600 Millionen Euro, die Reduzierung der Rentenbeiträge ab dem Jahre 2014 - wo Sie genau wissen, dass da gerade die Babyboomer in Rente gehen - und viele andere Dinge, etwa die Ausnahmeregelung bei der abschlagfreien Rente, bei der Sie sagen: Die Dachdecker müssen eigentlich schon früher in Rente. Im Rentenversicherungsbericht findet man davon überhaupt nichts wieder. Dann wenden Sie sich den Betriebsrenten zu und sagen: Hier wollen wir Einschnitte vornehmen. - Am nächsten Tag ist das alles wieder nicht richtig. Es ist ein Hin und Her und da fällt auf: Von der Kanzlerin ist in diesem Zusammenhang überhaupt nichts zu hören. Haben Sie von der Kanzlerin mal etwas zur Rentenpolitik gehört, zu dem wichtigsten Thema, das wir derzeit diskutieren?

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Nein! - Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Jede Menge!)

   Herr Müntefering, manchmal tun Sie mir ja auch etwas Leid; denn Ihre Fraktion hat sich in dieser Frage vollkommen weggeduckt. Ich finde, das ist keine verantwortliche Politik. Hier müssen Sie endlich den Menschen verlässliche Konzepte vorlegen, damit sie sich darauf einstellen können. Denn gerade diejenigen, die kurz vor der Rente stehen oder die schon im Rentenbezug sind, können doch in ihrem Leben nichts mehr verändern; sie sind auf Verlässlichkeit angewiesen. Sie wollen im Alter eine auskömmliche Rente und ein Leben in Würde haben.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Jetzt hat das Wort der Kollege Peter Friedrich für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Peter Friedrich (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte und den Rentenversicherungsbericht 2005. In der Debatte wurde die Generationengerechtigkeit mehrfach angesprochen. Ich bin dankbar, dass ich als jüngerer Abgeordneter die Möglichkeit habe, für meine Fraktion ein paar Anmerkungen dazu zu machen.

   Erste Anmerkung. Es ist das Verdienst und die Verantwortung einer realistischen Reformpolitik, dass die Bewältigung der demografischen Entwicklung nicht im Konflikt zwischen den Generationen stattfindet. Ein Krieg der Generationen findet in Deutschland nicht statt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Die Bürgerinnen und Bürger aller Generationen sind zu einem solidarischen Beitrag bereit.

(Vorsitz: Vizepräsident Wolfgang Thierse)

   Wir haben Korrekturmechanismen in das System eingebaut, die der veränderten Altersstruktur der Bevölkerung Rechnung tragen. Diese würden kurzfristig zu Rentensenkungen führen. Malen Sie sich einmal aus, was das für die Menschen bedeuten würde: Das hätte einen gravierenden Vertrauensverlust in die gesetzliche Rente zur Folge, den kein Mensch ernsthaft wollen kann; es sei denn - das ist der einzige Grund, diesen Vertrauensverlust in Kauf zu nehmen -, er hofft darauf, dass Alterssicherung ein rein privates, persönliches Risiko wird.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das will niemand!)

Wer aber glaubt, Generationengerechtigkeit durch weniger Solidarität zu erreichen, der irrt, Herr Kolb.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Deshalb ist der Entwurf eines Gesetzes über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte richtig.

   Die Anstrengungen, die wir jetzt im Bereich Rente unternehmen, müssen von Reformen der anderen großen solidarischen Sicherungssysteme flankiert werden. Wir stehen gegenüber den Menschen in der Verantwortung, ihnen eine längere reale Lebensarbeitszeit zu ermöglichen. Das gilt - das wurde schon angesprochen - für das Ende des Erwerbslebens, das heißt, dass die Menschen das Renteneintrittsalter tatsächlich im Erwerb stehend erleben müssen. Das gilt aber auch für den Anfang des Erwerbslebens. Die Gesamtarbeitszeit der Menschen muss zunehmen.

   Wir müssen auch die Auswirkungen der Demografie auf die anderen Sicherungssysteme berücksichtigen. Deshalb diskutieren wir momentan über die Frage, wie die Gesundheitsreform weitergehen kann. Wer glaubt - wie das mehrfach in die Diskussion geworfen wurde -, man könne eine Reform auf höhere Zu- und Aufzahlungen gründen, der irrt. Das hieße nämlich nichts anderes, als dass wir von den Rentnerinnen und Rentnern an der Apotheke das zurückfordern, was wir ihnen vorher gegeben haben. Das hieße, die Kranken müssten mit den Gesunden solidarisch sein. Auch das können wir nicht wollen.

   Zweite Anmerkung. Bei der Rentenfrage muss man nicht über zwei, sondern über drei betroffene Generationen sprechen. Wir diskutieren viel und emsig über die Beitragszahler und die Leistungsempfänger. Generationengerechtigkeit ist aber mehr als eine reine Zahlungsbilanz. Es geht auch um die Frage, in welchem Zustand sich die Solidargemeinschaft befindet, in die zukünftige Beitragszahler hineingeboren werden, in der sie aufwachsen. Daher sind für die zukünftige Struktur der Rente folgende Fragen von Bedeutung: Wie schaffen wir nachhaltiges Wachstum? Wie schaffen wir eine dauerhafte Steigerung der Qualität unseres Bildungssystems? Wie schaffen wir die Integration zugewanderter Bürgerinnen und Bürger? Wie ist der Wohlstand zwischen den Generationen und innerhalb einer Generation verteilt?

(Beifall bei der SPD)

   Herr Ernst, in Ihrer Rede spielten all diese Themen keine Rolle. Deshalb möchte ich mir einen Hinweis nicht verkneifen: Wer in der Debatte immer wieder betont, man müsse den Wohlhabenden endlich einmal an den Kragen, um das finanzieren zu können - in dieser Verbalität tragen Sie das vor -, und gleichzeitig Vorschläge zur Vermögensteuer auf den Tisch legt, die eine Besteuerung ab 300 000 Euro vorsehen, der sollte einer Eisenbahnerwitwe, die sich zum Beispiel in Radolfzell am Bodensee - mein Wahlkreis - zusammen mit ihrem Mann in Eigenarbeit ein Häuschen gebaut hat, erklären, was das für sie bedeuten würde. Die Häuser haben einen Wert, der weit über diesen Beträgen liegt. Wollen Sie tatsächlich über die Vermögensteuer von dieser Frau Solidarbeiträge einfordern?

(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)

Das steht tatsächlich in Ihrem Konzept. Sie sollten einmal schauen, wen Sie damit eigentlich treffen und welche Leute Sie für die Wohlhabenden dieses Landes halten.

(Beifall der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Peter Friedrich (SPD):

Ja.

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Herr Friedrich, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass bei unseren Vorschlägen zur Vermögensteuer ein Häuschen im Wert von 300 000 Euro unter den Freibetrag fallen würde?

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Was ist denn so ein Häuschen in Stuttgart wert?)

Peter Friedrich (SPD):

Herr Ernst, ich nehme das zur Kenntnis. Allerdings stelle ich Ihnen anheim, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie in meinem Wahlkreis für 300 000 Euro wahrscheinlich kein Häuschen finden werden.

Das ist das Problem. Die Leute sehen ihr Eigenheim als Altersvorsorge an. Es ist für sie mehr als nur in Haus. Trotzdem wollen Sie - so steht es in Ihrem Konzept - da heran.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Meine dritte Anmerkung: Der wichtigste Beitrag zu einer erfolgreichen Rentenpolitik in Zukunft ist eine erfolgreiche Familienpolitik. Natürlich können wir nicht binnen weniger Jahre die Ergebnisse einer seit Jahrzehnten laufenden gesellschaftlichen Entwicklung korrigieren. Aber so zu tun, als sei Demografie gottgegeben und ein Naturgesetz, bedeutet, sich vor der politischen Aufgabe zu drücken. Deutschland braucht mehr Kinder. Es kommt häufig der Einwand, diese Kinder müssten dann ja auch Arbeit haben und Beiträge zahlen, um der Rente überhaupt zu nutzen. Der Einwand ist natürlich richtig. Aber es heißt, den ersten Schritt vor dem zweiten zu tun. Kinder sind mehr als nur persönliches Glück. Sie sind auch ein Wachstumsimpuls für die Gesellschaft und für die Wirtschaft eines Landes. Damit wir mehr Kinder bekommen, brauchen wir in Zukunft für die Menschen die Verlässlichkeit, dass die Betreuung der Kinder gewährleistet ist und dass Beruf und Familie dauerhaft miteinander vereinbar sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Vierte Anmerkung: Ebenso wie Geld eine zentrale Ressource für die Rente ist, ist Vertrauen eine zentrale Ressource für die Rente. Deswegen ist meine Bitte an alle hier im Haus, insbesondere an die, die an den Rändern sitzen: Hören Sie auf, bei den Menschen bezüglich der Rente Ängste zu schüren. Hören Sie damit auf! Hören Sie auf der einen Seite damit auf, den Beitragszahlern Angst zu machen, sie würden überfordert, und hören Sie auf der anderen Seite auf, ihnen Altersarmut einzureden und den Systemkollaps zu propagieren.

(Zuruf von der LINKEN)

Dies beschreibt nicht die Realität der Rente in Deutschland. Sie wissen ganz genau, dass wir bei der Altersarmut so gut dastehen wie noch nie zuvor.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wenn Sie dies nicht berücksichtigen, machen Sie den Menschen Angst. Sie treiben sie aus einem solidarischen Sicherungssystem. Mit dieser Propaganda verringern Sie die Solidarität in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Deswegen ist es gut, dass die große Koalition für die, die darauf angewiesen sind, dass ein solidarisches Sicherungssystem existiert und für sie da ist, wenn sie es brauchen, eine verlässliche Grundlage schafft und sich nicht aus populistischen Gründen vor der Verantwortung drückt.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Friedrich, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten Wünsche für Ihre weitere Arbeit!

(Beifall)

   Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir führen ja manchmal eine eher kurzatmige Rentendebatte über viele Einzelfragen. Die Oppositionsredner verstehen es meisterhaft - zumindest versuchen sie es -, noch ein paar zusätzliche Kampfschauplätze aufzumachen

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Danke! Danke!)

und sich an Einzelpunkten festzuklammern. Man fragt sich: Was soll das Ganze, was Sie hier vorführen, eigentlich? „Bild“ und „Super Illu“ machen das auch. Sie sprechen von einer Schrumpfrente und machen den Leuten schlichtweg Angst, was ihre Sicherheit im Alter betrifft.

   Ich finde, dass solche Debattenbeiträge, die den eigentlichen Kern des Themas vermeiden, nur dafür sorgen, dass Rentnerinnen und Rentner wie auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzlich verunsichert werden. Aber die Menschen in unserem Land wollen keine hysterischen Schlagzeilen, sondern sie wollen wissen, wie es um ihre Altersversorgung wirklich bestellt ist. Das wird im Rentenversicherungsbericht und im Alterssicherungsbericht der Bundesregierung in aller Klarheit dargelegt. Darüber sollten wir miteinander reden.

   Deswegen steht im Koalitionsvertrag: Mit der großen Koalition wird es selbst dann, wenn sich die Löhne schlecht entwickeln, keine Rentenkürzung geben. Übrigens wird es, Herr Kolb, auch keine Rentenkürzung durch die Hintertür geben. Sie haben ja nicht über diese Legislaturperiode gesprochen, sondern über die vergangene Regierung; Ihre Rede war sehr rückwärtsgewandt.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Damals war der Minister Fraktionsvorsitzender!)

Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land können sich darauf verlassen, dass wir dieses Versprechen einlösen. Ein Gesetz, wie wir es heute beschließen, ist die stärkste Form der Einlösung unseres Versprechens. Es gibt mit Schwarz-Rot keine Rentenkürzung. Das ist Fakt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Bei all diesem Gerede, das nichts anderes als Verunsicherung schafft, muss man einfach noch einmal klar und deutlich sagen: Grundsätzlich gilt für die Rente zuallererst die Mathematik. Wer Adam Riese außer Kraft setzen will, wird bei der Rente eine Bauchlandung erleben.

   Die Veränderungen im Altersaufbau unserer Gesellschaft, die Zunahme der Zahl älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger und die steigende Lebenserwartung, zwingen uns dazu, mit unserer umlagefinanzierten Rentenversicherung auf diese Herausforderung zu antworten, allerdings nicht mit Wehgeschrei, sondern mit einem Ausgleichsmechanismus, der für eine solidarische Generationengerechtigkeit sorgt. Darum geht es bei der gesetzlichen Rentenversicherung.

   Das war auch schon das Kennzeichen aller bisherigen Rentenreformen, angefangen von Norbert Blüm im Jahr 1992. Wären diese Reformen nicht durchgeführt worden, würde der Beitragssatz zur Rentenversicherung, den die jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land im Jahr 2030 voraussichtlich zahlen müssten, zwischen 36 und 41 Prozent liegen. Das würde für die jungen Leute das endgültige Aus der Solidarität bedeuten. Genau das wollen die Linken:

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Ui! Ui!)

den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland noch mehr Geld von ihrem sauer verdienten Lohn wegnehmen.

(Lachen bei der LINKEN)

Das, was die Linken wollen, bedeutet unter dem Strich: Alle werden gleich arm gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): So ein Blödsinn!)

   Um eine solidarische Generationengerechtigkeit herzustellen, müssen wir konsequenterweise auch die Regelaltersgrenze schrittweise auf 67 Jahre erhöhen. Im Rentenversicherungsbericht wird deutlich, dass es gelingen kann - das ist unser Wille -, den Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung bis zum Jahr 2030 unter 22 Prozent zu halten. Ein Beitragssatz von 22 Prozent ist wesentlich geringer als ein Beitragssatz von 36 bis 41 Prozent. Das könnte die junge Generation noch tragen.

   Am Dienstag dieser Woche ist der „Papst“ der deutschen Rentenversicherung, Professor Ruland, offiziell in den Ruhestand verabschiedet worden. In einem Interview mit der „FAZ“ vom 3. April dieses Jahres hat er noch einmal trotz des bestehenden Reformbedarfs die große Anpassungsfähigkeit und die Krisenfestigkeit des Umlagesystems hervorgehoben.

   Man kann, so glaube ich, heute in der Tat feststellen: Die gesetzliche Rentenversicherung bleibt auch in Zukunft das wesentliche und prägende Element der Altersvorsorge in Deutschland. Aber die Botschaft an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allem an die junge Generation muss lauten: Die gesetzliche Rentenversicherung allein reicht zur Sicherung des Lebensstandards im Alter nicht mehr aus. Sie muss zwingend um die betriebliche und die private, kapitalgedeckte Altersvorsorge ergänzt werden, wenn man nicht in Altersarmut geraten will.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist die politisch spannende und zentrale Aufgabe, die vor uns liegt, eigentlich nicht so sehr die Frage, wie es mit der gesetzlichen Rente aussieht, sondern: Schaffen wir es, dafür zu sorgen, dass möglichst jeder Arbeitnehmer eine betriebliche und eine private Altersvorsorge aufbaut?

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das muss man sich aber auch leisten können, Herr Weiß! - Zuruf von der LINKEN: Und was ist mit den Hartz-IV-Beziehern? Wie soll das denn gehen?)

   Die Finanzwirtschaft vermeldet, dass mittlerweile 5,6 Millionen Riesterverträge abgeschlossen wurden. Das ist schön. Aber das sind noch immer viel zu wenige. Deswegen müssen wir uns bemühen, die Attraktivität der privaten Altersvorsorge zu steigern. Wir tun das, indem wir noch in diesem Jahr ein Gesetz beschließen werden, durch das selbst genutztes Wohneigentum in die Förderung der Riesterrente aufgenommen wird. Darüber hinaus werden wir den Betrag, mit dem der Staat Familien mit Kindern fördert, deutlich erhöhen.

An dieser Stelle will ich noch Folgendes erwähnen: Es ist bereits heute möglich, dass eine Familie mit zwei Kindern, die einen jährlichen Eigenbetrag von 64 Euro in eine Riesterrente einzahlt, zusätzlich 336 Euro vom Staat geschenkt bekommt. Ich finde, das ist ein großzügiges Angebot des Staates, um die Menschen zur privaten Altersvorsorge zu motivieren. Das wollen wir als große Koalition sogar noch verbessern. Deswegen bin ich überzeugt: Wenn wir nicht schlecht über das Thema Altersvorsorge reden, sondern den Leuten erklären, was in diesem Land möglich ist, dann werden wir es schaffen, dass in ausreichendem Maße private und betriebliche Altersvorsorge betrieben werden, sodass das Gesamtversorgungsniveau der Menschen im Alter nicht sinkt, sondern zumindest so hoch bleibt, wie es gegenwärtig ist. Der Alterssicherungsbericht der Bundesregierung zeigt: Wenn es uns gelingt, die Kombination aus gesetzlicher Rente, betrieblicher Altersvorsorge und Riesterrente für alle so attraktiv zu machen, dass sie sie nutzen, steigt das Alterseinkommen in Zukunft sogar. Deswegen sage ich: Wir brauchen kein Untergangsgeschrei, wie es hier zum Teil aufgeführt wird, sondern Planbarkeit und Verlässlichkeit - dann bleibt Altersarmut in Deutschland auch in Zukunft ein Fremdwort.

   Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Anton Schaaf, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Anton Schaaf (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe schon bei der letzten rentenpolitischen Debatte in diesem Hause gesagt: Wir haben es mit einer Gemengelage zu tun: zwischen gnadenlosem Populismus auf der einen Seite

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Na, na, na!)

und gnadenloser Klientelpolitik auf der anderen Seite.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Realismus, Herr Schaaf!)

Auf der linken Seite dieses Hauses hat sich nicht viel geändert, auf der rechten Seite ist allerdings gnadenloser Populismus hinzugekommen; das muss man in aller Deutlichkeit feststellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP))

- Herr Kolb, ich bin gerne bereit, den Nachweis anzutreten. Sie haben gerade gesagt, wir würden den Rentnerinnen und Rentnern mit verschiedensten Instrumenten massiv in die Tasche greifen,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ja, sicher!)

also real Rentenkürzungen vornehmen. Ich gebe unumwunden zu, dass es in den letzten Jahren zusätzliche Belastungen für die Rentnerinnen und Rentner gegeben hat - als ihr Solidarbeitrag zum Erhalt der sozialen Sicherungssysteme,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Na also!)

insbesondere bei der Gesundheitsvorsorge - und dass die Mehrwertsteuererhöhung nicht kompensiert werden kann.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Na also!)

Das gestehe ich Ihnen zu.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Aber jetzt will ich den Menschen draußen im Lande mal sagen, was Sie vorschlagen: Die FDP schlägt vor, den Rentenversicherungsbeitrag nicht von 19,5 Prozent auf 19,9 Prozent zu erhöhen, sondern ihn sogar abzusenken: auf 19 Prozent.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Im Klartext geht es um 5 bzw. 9 Milliarden Euro. Sie sagen aber nicht, wer das finanzieren soll. Das heißt, es geht um Kürzungen bei den Rentnerinnen und Rentnern. So steht es in Ihrem Konzept: reale Kürzungen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Unser Konzept sieht anders aus! Was Sie da in der Hand halten, ist eine Fälschung!)

Das wollen wir den Menschen nicht zumuten. Und Sie werfen uns vor, dass wir den Rentnerinnen und Rentnern in die Tasche greifen! Das ist unlauter, um das ganz deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Herr Kolb, in all Ihren Papieren betonen Sie, dass die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft die zentrale Säule der Altersversorgung sein wird. Dieser Überzeugung bin auch ich, und wir müssen alles dafür tun, damit das auch in Zukunft so bleibt. Aber dann liest man in einem mir vorliegenden Papier der Jungen Liberalen - die hoffentlich nie in die Verantwortung kommen -, dass die Julis die umlagefinanzierte Versicherung abschaffen wollen. Das ist die Realität in der FDP. Und Sie stellen sich hier hin und klagen laut über das, was die Vorgängerregierung getan hat und die große Koalition tut, um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen!

(Beifall bei der SPD)

Das ist die Gemengelage.

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Anton Schaaf (SPD):

Aber selbstverständlich.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Kollege Schaaf, würden Sie mir zustimmen, dass Sie jetzt demselben Denkfehler unterliegen wie in der letzten Legislaturperiode bei der Tabaksteuererhöhung, als Sie die Steuersätze erhöht haben und dann erleben mussten, dass unter dem Strich sogar geringere Einnahmen erzielt werden? Können Sie sich vorstellen, dass niedrigere Rentenbeiträge zu mehr sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und damit zu mehr Beitragszahlern führen können und dass das am Ende der wirksamere Weg ist, um die Rentenkasse und die Rentenzahlungen zu stabilisieren?

   Mit Ihrer Politik der permanenten Mehrbelastung der Menschen durch permanente Beitragserhöhungen beschreiten Sie den falschen Weg: Sie haben mit Ihrer Politik den massiven Verlust von anderthalb Millionen Arbeitsplätzen in fünf Jahren zu verantworten; das sage ich besonders an Sie als SPD-Kollegen gerichtet. Höhere Beiträge sind der falsche Weg. Beitragssenkungen und der Aufbau von Beschäftigung, das ist die Lösung des Problems. Da sollten Sie mir doch eigentlich zustimmen, oder?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Anton Schaaf (SPD):

Herr Kolb, wir haben diese Diskussion an anderer Stelle schon geführt. Ich sage Ihnen noch einmal: Der Widerspruch liegt bei Ihnen. Auch ich war der Meinung, dass man die Mehrwertsteuer nicht erhöhen sollte.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aha!)

Aber man kann das tun, wenn damit die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Genau da widersprechen Sie sich doch, wenn Sie jetzt fordern, dass die Mehrwertsteuer nicht erhöht wird.

Also, wir haben uns auf den Weg gemacht und einen schwierigen Kompromiss gefunden: um die Lohnnebenkosten abzusenken, um die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu entlasten und übrigens auch - das sage ich an die FDP gerichtet -, damit private Vorsorge überhaupt möglich wird. Was private Vorsorge angeht, argumentieren Sie ja gerne, die Arbeitslosengeld-II-Empfänger hätten bei der Riesterrente ja gar keine Chance und deswegen drohe Altersarmut. Da liegen Sie aber falsch. Die drohende Altersarmut resultiert daraus, dass die Menschen keine Arbeit haben, und nicht daraus, dass sie nicht privat vorsorgen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Unser Interesse muss also zunächst einmal darin liegen, dass die Menschen in Brot und Arbeit kommen. Das ist doch die entscheidende Frage. Die Argumentation auf Ihrer Seite würde ich also noch einmal sehr deutlich überprüfen.

   Herr Kolb, lassen Sie mich noch etwas zur Sozialabgabenfreiheit bei der Entgeltumwandlung sagen. Auch das ist natürlich ein Punkt, über den man diskutieren kann. Ich weise nur darauf hin: Wenn uns die Einnahmen aus diesem Bereich in der gesetzlichen Rentenversicherung fehlen, dann trifft das im Nachgang im Wesentlichen die, die nicht privat vorsorgen konnten. Das ist eine ganz einfache Geschichte. Diese Einnahmen werden im sozialen Sicherungssystem, in der Rentenversicherung, fehlen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Bei den Interessen der Hartz-IV-Empfänger seid ihr nicht so zimperlich!)

Von daher muss man sehr genau hinschauen, was man an der Stelle tun will.

   Noch einmal an die linke Seite des Hauses gerichtet: Ich halte es für eine Verkürzung der Diskussion, wenn man sagt, die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bedeute eine massive Rentenkürzung. Wenn man sich die Historie der gesetzlichen Rentenversicherung anschaut, dann erkennt man, dass es eine gigantische Steigerung bei der Rente gab. Als wir die gesetzliche Rentenversicherung eingeführt haben, betrug die durchschnittliche Bezugsdauer der Rente acht Jahre; mittlerweile sind wir bei 18 Jahren. Wenn man das eine so nicht fassen möchte, dann kann man es aus meiner Sicht andersherum auch nicht fassen. Wir reden hier aus meiner Sicht nicht über eine Rentenkürzung, sondern darüber, dass die Lebensarbeitszeit länger sein muss als bisher, damit die sozialen Sicherungssysteme auf Dauer erhalten werden können.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Anton Schaaf (SPD):

Nein, danke.

   Lassen Sie mich noch drei inhaltliche Punkte sagen.

   Erstens. Wir haben gesagt, dass mit der Gesetzesinitiative zur Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre ein Programm für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 50 Jahre einhergehen muss. Es kann nicht sein, dass viele Betriebe in unserem Lande ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor dem Hintergrund, dass sie relativ teuer und eventuell nicht mehr so leistungsfähig sind, entlassen und das Problem in die Verantwortung der Allgemeinheit stellen. Für die Beschäftigung der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen auch die Unternehmer in diesem Land ihre Verantwortung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es kann nicht sein, dass die Unternehmen im Lande nach Ingeneurinnen und Ingenieuren rufen, während gleichzeitig 20 000 Ingeneure arbeitslos sind. Die Verantwortung für Qualifizierung und Weiterbildung liegt hier bei den Unternehmen, nicht bei der Allgemeinheit. Diese Verantwortung muss man noch einmal in aller Deutlichkeit zuweisen.

(Beifall bei der SPD)

   Der zweite Punkt ist die Altersteilzeit. Wenn wir meinen, dass die Menschen später in Rente gehen sollen, dann sollten wir allerdings auch über flexible Modelle dafür miteinander diskutieren können. Wir wissen ja, dass die Förderung der Altersteilzeit 2009 ausläuft. Wir sollten uns noch einmal Gedanken darüber machen. Ich halte es eigentlich für unsinnig, dass es zwei große Brüche im Leben gibt, nämlich einmal den, wenn wir von der Schule in den Beruf gehen, und einmal den, wenn wir aus dem Beruf in die Rente gehen. Wir sollten diese Übergänge flexibler gestalten und Möglichkeiten dafür suchen, dass die Menschen flexibler mit diesen Übergängen umgehen können, damit es keine Brüche mehr sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aber nicht zulasten der Beitragszahler, Herr Schaaf!)

   Der dritte und letzte Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist die Frage der Erwerbsminderung. Wenn wir sagen, dass die Menschen länger arbeiten sollen, dann müssen wir sicherlich auch individualisierte Instrumente für diejenigen haben, die nicht mehr oder nicht so lange arbeiten können. Deswegen bitte ich, in den Debatten, die wir jetzt zu führen haben, insbesondere auch noch einmal die Frage der Erwerbsminderung auf die Agenda zu nehmen. Eine Überlegung wäre zum Beispiel, das Alter, ab dem die Möglichkeit eines abschlagsfreien Zugangs besteht, nicht gleichzeitig mit dem Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen, sondern es bei 63 Jahren zu belassen. Ich denke, das ist ein überlegenswerter Ansatz.

   Meine Damen und Herren, ich will mit einem Satz schließen, der da lautet: Auch in Zukunft ist die Rente sicher - sicher die zentrale Säule der Altersvorsorge. Wir Sozialdemokraten werden uns darum bemühen.

   Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Klaus Ernst.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Du lieber Gott! - Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Er kann es nicht lassen!)

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Herr Schaaf, ich möchte Ihnen nur zur Kenntnis geben - ich gehe davon aus, dass Sie das nicht wussten -, dass das Leben eines Gerüstbauers in der Bundesrepublik im Durchschnitt nach 64 Jahren endet. Wenn der Plan der Bundesregierung, ihn bis 67 Jahre arbeiten und erst dann in Rente gehen zu lassen, zur Umsetzung gelangt, wird er drei Jahre vor Rentenbezug ableben. - Das nur als Hinweis!

(Beifall bei der LINKEN - Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Sie kennen das System überhaupt nicht! Das war ein tolles Beispiel!)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Schaaf.

Anton Schaaf (SPD):

Das ist genau das, was ich mit „gnadenlosem Populismus“ meine. Man kann damit zwar auf die erste Seite der „Bild“-Zeitung kommen, aber mit Sicherheit keine seriöse Debatte führen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Jetzt kommt der Vorschlag zum Bürokratieabbau in der Sozialversicherung!)

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ernst, ich kann nur sagen: Man kann Sie nicht ernst nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ihrem Namen machen Sie überhaupt keine Ehre.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Dann wollen wir mal bei Ihnen gucken, Herr Fuchs!)

Ihre Rede hatte mit dem, was heute Thema ist, nichts zu tun.

   Gerade Ihrer Partei verdanken wir doch einen Großteil der Misere in unserem Land.

(Zurufe von der LINKEN: Oh! - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Na ja!)

Es ist die SED gewesen, die Vorgängerpartei der PDS, die im gesamten Osten, einem großen Teil unseres Landes, den Karren in den Dreck gefahren hat. Wir sind nunmehr bemüht, dies mit den Gesetzen, die wir machen, zu korrigieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist Ihnen Gott sei Dank nicht gelungen, in den alten Bundesländern Fuß zu fassen. Ihre Partei ist bei den letzten Landtagswahlen kläglich gescheitert. Das wird so weitergehen, weil man Sie weiterhin nicht ernst nehmen kann. Das, was Sie hier machen, ist Klamauk; nichts anderes.

   Lieber Herr Kollege Kolb, von Ihnen hätte ich allerdings etwas anderes erwartet.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Genau!)

Ich war von Ihrer Rede ziemlich entsetzt. Kennen Sie eigentlich das Märchen von dem berühmten Wettlauf zwischen Hase und Igel?

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das kenne ich!)

Mir kommt es langsam so vor, als sei die FDP der Hase, der erratisch über das politische Feld in Berlin rennt und nicht weiß, wohin. Dabei drückt er sich in die Furche und fällt in die Stacheln des Igels. Ich will Ihnen genau erklären, warum.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ich bin gespannt!)

Ich bin ein wenig enttäuscht darüber, dass Sie immer wieder Anträge stellen, die sich im Prinzip schon von selbst erledigt haben.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): So ist es! - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wo ist denn Ihr Gesetzentwurf? Stimmen Sie unserem Antrag zu?)

   Halten wir einmal Folgendes fest: Unser Bundesarbeitsminister hat hervorragende Arbeit geleistet. Wir haben ihn vor drei Wochen angeschrieben und ihn gebeten, klarzustellen, dass die Geschäftsführer einer „Regel-GmbH“ keine Scheinselbstständigen sind. Noch bevor Ihr Antrag vorlag, hatte er - das konnten Sie in der Zeitung nachlesen - reagiert. Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass diese Regierung schläft. Sie brauchen uns auch nicht zu helfen. Wir handeln schnell. Dafür bin ich dem Bundesarbeitsminister ausgesprochen dankbar.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Darauf freue ich mich.

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Bitte schön.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Heißt das, Herr Kollege Fuchs, dass Sie unserem Antrag heute zustimmen werden? Wenn Sie das nicht tun, frage ich Sie: Wo ist denn Ihr Antrag, mit dem das Problem, wonach GmbH-Gesellschafter durch Sozialversicherungsbeiträge in fünfstelliger Größenordnung bedrückt werden können, gelöst wird? Solange Sie nur davon reden, ist es notwendig und richtig, dass die FDP Sie mit konkreten Anträgen und auch Gesetzentwürfen treibt. Davon werden wir uns auch in Zukunft nicht abbringen lassen, Herr Fuchs.

(Beifall bei der FDP - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Das können Sie gar nicht!)

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Es ist Ihr gutes Recht, Herr Kollege Kolb, dass Sie versuchen, uns zu treiben. Aber gehen Sie bitte davon aus, dass wir das gar nicht nötig haben; denn wir reagieren schon vorher.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wo ist denn Ihr Antrag?)

Diese Treibjagd werden Sie genauso verlieren, wie Sie auch jetzt mit Ihrem populistischen Ansatz verlieren werden. Der Bundesarbeitsminister hat bereits klargestellt, dass eine solche Regelung - wie von Ihnen befürchtet - für die GmbH-Geschäftsführer nicht gelten wird.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wo ist denn die Umsetzung?)

- Erst einmal reicht eine solche Klarstellung. Anschließend werden wir im Sozialgesetzbuch - Herr Bundesarbeitsminister, ich denke, das sehe ich richtig - die entsprechenden Änderungen vornehmen. Dafür brauchen wir Ihre Hilfe nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ich sehe mich bestätigt!)

Wir halten es für dringend notwendig, dass die Selbstständigen geschützt werden und sie die Chance haben, eine private Altersvorsorge abzuschließen.

(Jörg van Essen (FDP): Ich bin entsetzt! Keine Umsetzung!)

Das ist für uns selbstverständlich. Das sieht die Regierung ganz genauso.

   Das Beispiel zeigt, dass die Regierung gerade die Aspekte der mittelständischen Unternehmen - im Wesentlichen betrifft es die Mittelständler - im Auge hat. Deren Probleme nehmen wir ernst und wir werden ihnen auf diese Art und Weise schnell und ordnungsgemäß helfen. Es ist nun einmal so: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Das Urteil des Bundessozialgerichts betrifft aber einen Einzelfall - auch von den Rentenversicherungsträgern wird das so gesehen - und wird nicht dazu führen, dass sofort etwas passieren muss.

   Aber jetzt zum eigentlichen Thema. Wir sind schon so weit, dass wir 32,5 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Soziales ausgeben.

   Die Sozialleistungsquote beträgt mittlerweile 32,5 Prozent und ist damit unglaublich hoch. Der Zuschuss zur Rentenversicherung aus dem Bundeshaushalt beträgt 77,4 Milliarden Euro. Das ist gut so. Wir müssen das Rentensystem auf diese Weise stabilisieren. Wir wissen aber auch, dass das hohe Belastungen für den Bund bedeutet. Deswegen ist es richtig, dass der Bundesarbeitsminister - auch hierfür möchte ich ihn loben - gesagt hat, wir steigen mit der Rente ab 67 in den Umbau der Rente ein. Das war notwendig. Wenn Sie meinen, Herr Ernst, hier mit Populismus, wie Sie ihn eben bewiesen haben, Klamauk treiben zu können, dann geht das an der ernsten Problematik dieses Themas völlig vorbei.

   Ich finde es traurig, dass es darüber keinen Konsens gibt. Wir können doch nicht so tun, als wäre die demographische Entwicklung an diesem Land komplett vorbeigegangen. Sie hat sich nun einmal so ergeben. Der Kollege Schaaf hat völlig Recht, dass früher bei Rentenbeginn die Lebenserwartung noch maximal acht Jahre betragen hat, während es heute durchschnittlich 18 Jahre sind. Dass das nicht auf die gleiche Weise finanziert werden kann, ist selbstverständlich. Es kommt heute vor, dass jemand mit 29 oder gar 30 Jahren nach dem Studium endlich ins Berufsleben einsteigt und mit 52 in Frührente geht. Da kann man ja kaum noch von verschiedenen Gruppen reden.

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege.

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Wie wollen wir die Rentenversicherung finanzieren, wenn sich die Lebensarbeitszeit so verkürzt hat? Das ist doch nur über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit möglich. Ich denke, es ist völlig richtig, dass wir an dieser Stelle angesetzt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von der Linksfraktion?

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Gerne.

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):

Lieber Herr Kollege, Sie sprechen - wie auch der Vorredner schon - zum wiederholten Mal davon, dass sich die Rentenbezugsdauer insgesamt erhöht hat. Ich gehe davon aus, dass Sie sich darüber genauso freuen wie ich und einige andere im Hause auch.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Ich hoffe, dass ich das selbst habe!)

   Aber warum reden Sie nie davon, dass sich in derselben Zeit die Produktivität in unserem Lande viel stärker erhöht hat als die Rentenbezugsdauer insgesamt und dass die Produktivität der entscheidende Faktor ist? Entscheidend ist doch nicht, wie viele Rentner zu finanzieren sind, sondern wie viel Produktivität in diesem Land besteht, um den Mehrwert zu erzeugen, damit wir auch den Rentnerinnen und Rentner angemessene Leistungen bieten können. Warum äußern Sie sich dazu gar nicht? Warum blenden Sie das völlig aus und bezeichnen uns als Populisten?

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Ohne diese Produktivität wären wir nicht in der Lage, die Renten zu finanzieren. Nur aus diesem Grund können wir sie noch finanzieren. Wir haben doch eben vom Bundesarbeitsminister gehört, welche Entwicklung sich ergeben hat, nämlich dass sich die Finanzierung der Rentner auf viel weniger Köpfe verteilt als früher. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Das spielt doch auch beim Produktivitätszuwachs eine Rolle.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Dennoch müssen wir bei den Lohnzusatzkosten vorankommen. Mittlerweile zahlen nur noch 26,2 Millionen Menschen in die Sozialversicherungssysteme ein, denen aber 72 Millionen Leistungsempfänger gegenüberstehen. Hierbei ist es die zentrale Aufgabe unserer Politik, dafür zu sorgen, dass es weniger Leistungsempfänger und mehr Einzahler in die Sozialversicherungssysteme gibt. Nur dann, wenn wir es hinbekommen, zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu schaffen, werden wir auch in der Zukunft in der Lage sein, die gesamten Systeme zu finanzieren. Deswegen muss sich unsere Politik daran orientieren.

   Ich erinnere in diesem Zusammenhang an unseren Koalitionsvertrag, in dem klar und deutlich steht:

Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist zentrale Verpflichtung unserer Regierungspolitik. Wir wollen mehr Menschen die Chance auf Arbeit geben.

Deswegen ist es auch richtig, dass wir nächstes Jahr gemeinsam erste Ansätze verfolgen, die Lohnzusatzkosten zu senken. Deswegen ist es richtig, im nächsten Jahr die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozentpunkte zu senken. Wir müssen auch alle anderen zusätzlichen Wege beschreiten, um dieses System zu verbessern. Dazu hätte ich gerne konkrete Vorschläge, aber sie dürfen nicht populistisch sein. Denn wir können uns weitere Kürzungen nicht leisten. Deswegen werden wir daran arbeiten und gemeinsame Vorschläge vorlegen.

Wir müssen auch über das Thema Altersarbeitszeit sprechen. Ich finde es völlig richtig, was der Minister eben gesagt hat, nämlich dass wir älteren Menschen Chancen bieten müssen, im Arbeitsleben zu bleiben oder wieder hineinzukommen. Dazu müssen sämtliche Regelungen - zum Vorruhestand etc. - auf den Prüfstand. Es ist auch eine Aufgabe der Tarifpolitik, dafür zu sorgen, dass Menschen nicht so schnell frühverrentet werden. Das darf nicht mehr möglich sein. Regelungen zur Frühverrentung wie die 58er-Regelung müssen schnell abgeschafft werden. Ansonsten werden wir unser gemeinsames Ziel nicht erreichen, das System zu erhalten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Bevor wir zur Abstimmung kommen, habe ich das Vergnügen, sehr angenehme Gäste zu begrüßen. Auf der Ehrentribüne haben soeben die Mitglieder des Präsidiums der Assemblée nationale Platz genommen. Herr Präsident Debré, ich begrüße Sie und Ihre Delegation sehr herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages.

(Beifall)

   Wir freuen uns sehr, dass Sie unserer Einladung zur diesjährigen gemeinsamen Präsidiumssitzung und zu der Verleihung des zweiten Deutsch-Französischen Parlamentspreises in Berlin gefolgt sind. Die beiden Präsidien haben soeben, einer bewährten Tradition folgend, in einer gemeinsamen Sitzung die hervorragenden bilateralen Kontakte unserer beiden Parlamente und die intensive Zusammenarbeit - auch bei europäischen Themen - erörtern und vertiefen können.

   Herr Präsident Debré, liebe Kolleginnen und Kollegen der Assemblée nationale, es freut uns, dass Sie trotz des dichten Programms heute Gelegenheit finden, unserer Debatte kurz beizuwohnen. Wie ich weiß, werden Sie und auch einige deutsche Kolleginnen und Kollegen gleich zur Verleihung des zweiten Deutsch-Französischen Parlamentspreises erwartet.

   Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt in Berlin. Herzlichen Dank für Ihr Kommen.

(Beifall)

   Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006. Das sind die Drucksachen 16/794 und 16/1004. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1078, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei anderen Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen worden.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 3 b. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1078 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 16/826 mit dem Titel „1-Euro-Jobs aus der Berechnungsgrundlage für die Rentenanpassung herausnehmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linkspartei und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

(Zuruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE))

   Tagesordnungspunkt 3 c. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen, Drucksache 16/1155. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, die Unterrichtung zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

   Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP, der Linken und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

   Tagesordnungspunkt 3 d bis h. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/966, 16/905, 16/906, 15/5571 und 15/4498 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 2 auf:

4. Beratung des Antrags der Fraktion der LINKEN

Für Selbstbestimmung und soziale Sicherheit - Strategie zur Überwindung von Hartz IV

- Drucksache 16/997 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Hartz IV weiterentwickeln - Existenzsichernd, individuell, passgenau

- Drucksache 16/1124 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 1 ? Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Katja Kipping, Fraktion Die Linke, das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Katja Kipping (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe hier eine kleine Broschüre, die den Titel „Hartz IV - Menschen in Arbeit bringen“ trägt. Im Dezember 2004 diente sie zur Information. Inzwischen taugt diese Broschüre nur noch für die Märchenstunde. Denn von „Menschen in Arbeit bringen“ kann leider nicht allzu viel die Rede sein. Man muss sich nur die aktuellen Verlautbarungen der Bundesagentur anhören, um deutlich mitzubekommen: Die Realität spricht eine andere Sprache.

(Beifall bei der LINKEN)

So war in den aktuellen Mitteilungen der Bundesagentur zu lesen, nach dem Saisonbereinigungsverfahren errechne sich für März eine Zunahme der Arbeitslosenzahl um 30 000.

   Erwerbslose erleben immer weniger wirkliche Hilfe bei der Suche nach einem Job, sondern leider zunehmend Demütigungen. In meinem Wahlkreis hat mich neulich ein über 50-jähriger Mann angesprochen, der sein Leben lang gewohnt war, von seiner Hände Arbeit zu leben, und zwar im Baubereich. Ihm hatte man nun einen 1-Euro-Job gegeben. Seine Tätigkeit bestand darin, Unkraut zu jäten, allerdings im Winter. Was haben die 1-Euro-Jobber gemacht? Sie haben - mir wurden diese Bilder gezeigt - erst den Schnee weggeschippt, um dann zu versuchen, in dem gefrorenen Boden Unkraut zu jäten.

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Oje!)

Meine Damen und Herren, noch vor einigen Jahren hätte man gedacht, das seien Geschichten aus Absurdistan, das seien Geschichten aus der Kategorie Schildbürgerstreiche. Aber nein, das ist leider die traurige Realität mit Hartz IV. Hier muss sich etwas ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

   Doch nicht nur die Erwerbslosen gehören zu den Verlierern von Hartz IV. Wohlfahrtsverbände haben errechnet, dass die Zahl der Kinder, die in Armut leben, mit Hartz IV um 500 000 zugenommen hat. Frauen erleben eine zivilisatorische Rückwärtsrolle. Neulich erst bei einer Montagsdemo in Weißenfels hat mich eine Frau angesprochen. Sie war es immer gewohnt, auf eigenen Beinen zu stehen. Nun ist sie arbeitslos und hat das Pech, dass ihr Mann nur wenige Euro über der Bemessungsgrenze verdient und sie keinerlei Anspruch auf eigene Leistungen hat. Sie muss nun zu ihrem Mann gehen und die Hand aufhalten.

(Rolf Stöckel (SPD): Das ist bedarfsorientierte Grundsicherung!)

Das ist für sie eine unzumutbare Demütigung.

(Beifall bei der LINKEN)

   Aber auch die Beschäftigten gehören zu den Verlierern von Hartz IV. Die Erpressbarkeit hat zugenommen.

(Paul Lehrieder (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Vielleicht ist auch Ihnen der Bericht einer Arbeitsgerichtsdirektorin zu Ohren gekommen, die beispielsweise von einem dreifachen Vater berichtet hat, der ohne Widerspruch von heute auf morgen eine Lohnreduzierung um 20 Prozent akzeptiert hat. Diese Arbeitsgerichtsdirektorin meinte, es sei die Existenzangst, die Leute dazu zwinge, auf ihre Rechte zu verzichten.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Liste der Verlierer geht weiter. Handwerk und Handel klagen über fehlende Binnenkaufkraft. In meinem Wahlkreis

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Sie haben gar keinen Wahlkreis!)

gibt es in einer früher florierenden Ladenstraße immer mehr leere Schaufenster, weil wieder einmal ein Frisör Pleite gemacht hat, weil die Leute sich die Produkte und Dienstleistungen nicht mehr leisten können.

   Das Fazit ist: Kinder, Frauen, Handwerker, Beschäftigte und Erwerbslose gehören zu den Verlierern von Hartz IV. Es ist höchste Zeit, dass sich hier etwas ändert.

(Beifall bei der LINKEN)

   Hartz IV folgt grundsätzlich der falschen Ideologie. Das können kosmetische Schönheitskorrekturen nicht ändern. Wir meinen also: Hartz IV muss grundsätzlich überwunden werden. Das Arbeitslosengeld II in seiner jetzigen Form muss dabei durch eine soziale Grundsicherung ersetzt werden, die repressionsfrei erfolgt, die diesen Namen verdient und die gesellschaftliche Teilhabe wirklich ermöglicht.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die 1-Euro-Jobs müssen durch sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse ersetzt werden. Das Motto könnte lauten: Ordentliche Schulsozialarbeiter statt viel zu kurze und schlecht bezahlte 1-Euro-Jobs.

(Beifall bei der LINKEN - Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Stellt doch euer Vermögen zur Verfügung!)

   Auch die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I muss länger werden. Wir schlagen hier vor: Für jedes Jahr Beitragszahlung hat man Anspruch auf einen Monat Arbeitslosengeld I. Natürlich gibt es da auch für uns eine Mindestfrist.

(Beifall bei der LINKEN)

   Das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft sollte im 21. Jahrhundert endlich überwunden werden. Die gegenseitige finanzielle Inhaftnahme innerhalb einer Familie erhöht nur die Anzahl der negativen Aspekte, nämlich ökonomische Abhängigkeit. Wir meinen, es ist Zeit, einen Individualanspruch einzuführen.

(Beifall bei der LINKEN - Paul Lehrieder (CDU/CSU): Solidarischer Zusammenhalt einer Familie, Frau Kipping! So etwas kennen Sie nicht!)

   Wir meinen auch: Schutz vor Wohnungslosigkeit muss gewährleistet werden. Uns allen wird immer schön warm ums Herz, wenn wir in der Weihnachtszeit Berichte im Fernsehen darüber sehen, wie Obdachlosen geholfen wird. Aber Wohnungslosigkeit, die sich durch Hartz IV wahrscheinlich verschärfen wird, ist eben nicht nur zu Weihnachten ein Problem, sondern das ganze Jahr über. Deswegen sagen wir: Das Menschenrecht auf Wohnen muss gewahrt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

   Um das zu finanzieren, ist natürlich eine Neuausrichtung in der Steuerpolitik notwendig. Die Großzügigkeit gegenüber Vermögenden und Unternehmen mit Gewinnen können wir uns tatsächlich nicht mehr leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer also Augen hat, um zu sehen, und Ohren, um zu hören, der kann feststellen: Hartz IV muss gekippt werden.

   Nun kann ich verstehen, dass es Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, schwer fällt; es ist immerhin einmal Ihr Referenzprojekt gewesen. Es gibt einige Probleme, vor denen auch Sie die Augen nicht verschließen können. Meine Damen und Herren von der SPD, es gibt einige Verbesserungen, die müssten Sie mit uns jetzt endlich gemeinsam in Angriff nehmen können. Ich empfehle Ihnen die aktuellen Untersuchungen der Caritas zur Lektüre. Diese Untersuchungen besagen: Der Krankenversicherungsschutz ist das Mindeste, was für jeden Erwerbslosen gewährleistet sein muss.

(Rolf Stöckel (SPD): Genau das haben wir eingeführt!)

    Die heutige Situation sieht so aus, dass Frauen, die in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben - das betrifft auch Männer; aber in den meisten Fällen sind doch eher die Frauen betroffen, weil die Männer mehr verdienen - und die das Pech haben, dass das Einkommen ihrer Partner nur wenige Euro über der Beitragsbemessungsgrenze liegt, keinerlei Anspruch auf eine gesetzliche Krankenversicherung haben. Versuchen Sie einmal als Frau über 50, sich bei einer privaten Krankenversicherung zu versichern! Dafür sind Beträge nötig, die ein Arbeitsloser nicht aufbringen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

   Auch Ihnen muss doch verständlich sein, dass es nicht angeht, dass das Pflegegeld und die EU-Renten für Behinderte bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II berücksichtigt werden.

(Rolf Stöckel (SPD): Das ist bei einer bedarfsorientierten Grundsicherung aber so!)

   Vor einer Sache kann man die Augen nicht verschließen: Widersprüche gegen belastende Bescheide müssen endlich eine aufschiebende Wirkung haben. Das ist zum einen ein Gebot des Rechtsstaates. Wir sehen doch, dass es bei der Bearbeitung der Widersprüche tatsächlich enorme Probleme gibt. Ich habe neulich in einer Runde von Erwerbslosen gesagt: Ja, ich weiß, auf die Bearbeitung mancher Widersprüche wartet man schon seit sechs Monaten. Da bin ich ausgelacht worden und die Leute haben gesagt: Wir warten leider schon seit einem Jahr darauf, dass unser Widerspruch bearbeitet wird.

(Rolf Stöckel (SPD): Aber es bleibt keiner ohne Hilfe!)

- Das ist schöne Theorie, was Sie sagen. Die Praxis sieht leider anders aus.

   Wir haben uns in den einzelnen Kommunen umgehört. Fast überall ist bisher erst jeder zweite Widerspruch bearbeitet worden. Die Tatsache, dass von den bearbeiteten Widersprüchen mindestens jedem dritten Widerspruch stattgegeben worden ist, zeigt doch, dass es notwendig ist, dafür zu sorgen, dass Widersprüche eine aufschiebende Wirkung haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ansonsten werden Menschen Leistungen unrechtmäßig vorenthalten. Wir reden dabei nicht von Menschen, die ein Polster haben, sondern von Menschen, die ohnehin schon wenig haben.

   Die Probleme, die Menschen mit Hartz IV haben, sind so ernst, dass wir als Gesetzgeber reagieren müssen. Wir können es uns nicht mehr leisten, uns einfach mit Märchenstunden zu begnügen.

   Meine Damen und Herren, wenn Sie unserem Antrag aus Prinzipienreiterei nicht zustimmen wollen, so nehmen Sie unseren Antrag wenigstens zum Anlass, um über die dringend notwendigen Veränderungen bezüglich Hartz IV mit uns gemeinsam zu beraten.

   Besten Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Gerald Weiß, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man muss eigentlich nicht um Worte streiten, Frau Kipping, aber manchmal lohnt es sich schon, um Begriffe zu streiten. Wir reden hier nicht über Hartz IV - das ist Ihr Kampfbegriff -; wir reden über das Sozialgesetzbuch II und die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Das und nicht Hartz IV ist das Thema.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Katja Kipping (DIE LINKE): Das steht auf einem Buch der Bundesregierung!)

   Von Ihnen, Frau Kipping und Genossen, brauchen wir auch keine Belehrung des Inhalts, dass wir die Reform auf dem Sektor des Sozialgesetzbuches II fortsetzen müssen. Wir haben das mit einem ersten Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch II zur Beseitigung schwerer Fehlanreize in diesem Gesetz bereits begonnen. Das war die erste Reformstufe. Jetzt kommt die zweite Reformstufe - die Grundlagen dafür hat der Minister gestern im Ausschuss dargelegt -, ein Optimierungsgesetz für das Sozialgesetzbuch II, für die Grundsicherung, mit dem wesentliche weitere wichtige Reformschritte umgesetzt werden sollen. Wir brauchen weder Ihre Belehrungen noch Ihre Rezepte, Frau Kipping.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Natürlich wäre es das Beste, wir könnten das Arbeitslosengeld II abschaffen. Das würde nämlich bedeuten, dass es uns gelungen wäre, die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland zu überwinden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Rolf Stöckel (SPD))

Aber solange es nicht so ist, brauchen wir Hilfen für die betroffenen Langzeitarbeitslosen, für die betroffenen Menschen. Hilfe muss vor allem natürlich darin bestehen - das ist richtig -, Brücken zur Arbeit und zur wirtschaftlichen und sozialen Selbstständigkeit, zur Autonomie des Einzelnen zu bauen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter (SPD) und des Abg. Rolf Stöckel (SPD))

   Ihr Gesellschaftsbild, Ihr Weltbild ist ein völlig anderes. Sie wollen die Menschen in monetärer Abhängigkeit vom Staat, von der Gemeinschaft halten. Statt die Kräfte des Einzelnen und die Kräfte seiner Familie zu fördern,

(Katja Kipping (DIE LINKE): Eine Unterstellung!)

was Ihre Verantwortung ist, wollen Sie das Kollektiv heranziehen. Das ist eine ganz falsche Vorstellung; jedenfalls haben wir eine deutlich andere Vorstellung von der Subsidiarität unserer Staats- und Gesellschaftsordnung.

   Wie Sie sich von der Knappheit der Ressourcen lösen, wie Sie die Kanne der Großzügigkeit ausgießen und Wohltaten mit nicht vorhandenem Geld austeilen wollen, das nötigt schon Bewunderung ab. So kann man keine verantwortliche Politik machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Rolf Stöckel (SPD))

   Man muss die Begrenztheit der Ressourcen im Auge behalten und man muss die knappen Mittel zielgerichtet einsetzen. Minister Müntefering hat es gestern erläutert. Eine Politik, die die Grundsicherung effektiver und effizienter gestaltet, wird auch sinnvolle Einsparungen möglich machen. Die beiden Reformschritte der Koalition werden in diesem Jahr Ersparnisse in Höhe von 300 bis 400 Millionen Euro und im nächsten Jahr in Höhe von 1,2 Milliarden Euro ermöglichen. Das sind Gelder, die wir sinnvoller, an der richtigen Stelle, und effektiv einsetzen müssen. Wir müssen den Sozialstaat zielgerichteter ausgestalten. Das ist der Sinn der Reform, die wir uns vorgenommen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Mit dem SGB II ist Neuland betreten worden. Es ist eine große und auch komplizierte Reform. Hilfe aus einem Guss für alle Langzeitarbeitslosen, das ist ein richtiger Ansatz. Wenn man sich jetzt in der Praxis ansehen muss, dass es Fehlentwicklungen und Fehlanreize gibt, dann muss doch die Konsequenz sein: Das SGB II muss sozusagen ein lernendes System sein.

(Beifall des Abg. Paul Lehrieder (CDU/CSU) und des Abg. Rolf Stöckel (SPD))

Wenn es das nicht ist, muss es ein lernendes System werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Das heißt, es gilt, aus der Praxis zu lernen und Folgerungen aus den Fehlentwicklungen zu ziehen. Ich sagte schon: Den ersten Schritt haben wir mit dem SGB-II-Änderungsgesetz getan.

   Jetzt kommt die zweite Reformstufe. Da brauchen wir weder Peitschenknallen noch Stinkbomben von der Opposition. Wir werden auch diese zweite Reformstufe bis zum Sommer umsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   In der Erkenntnis, dass Reformbedarf besteht, gibt es Übereinstimmung. Das ist aber ein Minimalkonsens. Schon darüber, wie sich dieser Reformbedarf definiert, gibt es ganz erhebliche Divergenzen, Frau Kipping, zwischen Ihnen, aber auch den Grünen und uns. Die Linke will zum Beispiel die Sanktionen praktisch abschaffen, denen jemand unterworfen ist, der eine angebotene Arbeit nicht annimmt. Wenn Sie das machen, dann machen Sie ein ganz wichtiges Steuerungsmittel gegen ungerechtfertigte Inanspruchnahme des Sozialstaates kaputt. Wir brauchen dieses Steuerungsmittel. Wir müssen fördern und fordern. Das Fördern steht am Anfang.

(Zurufe von der LINKEN: Wo?)

Dieses Steuerungsmittel trifft die Minderheit der Ungerechten. Wer eine angebotene Beschäftigung ablehnt, der muss auch gerechten Sanktionen unterworfen sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Rolf Stöckel (SPD))

Wir können keine Ausbeutung zulassen, indem wir knappe Steuermittel, für die die Unternehmer, die Selbstständigen und die Arbeitnehmer arbeiten müssen und für die auch die kommenden Generationen über die Staatsverschuldung einstehen müssen, bedenkenlos ausschütten.

(Beifall des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) und des Abg. Rolf Stöckel (SPD) - Jörg van Essen (FDP): Völlig richtig!)

Da haben wir ein wesentlich anderes Menschen- und Gesellschaftsbild.

   Wir müssen in dem genannten Optimierungsgesetz im Grunde vier Ziele realisieren: erstens größere Zielgenauigkeit bei den Leistungen, zweitens notwendige Klarstellungen in der Verwaltungspraxis, wo es heute Rechtsunklarheiten gibt, drittens bessere Vorbeugung gegen den Leistungsmissbrauch und viertens Verwaltungsvereinfachung. Das sind die vier Kernziele, um die sich die Reformen, die wir uns vorgenommen haben, ranken müssen.

   Ich sehe nur zum Teil - ich habe heute meinen höflichen Tag - übereinstimmende Ansätze in den Anträgen der Linken und der Grünen und uns. Der Handlungsbedarf tritt deutlich zutage, zum Beispiel bei den eheähnlichen Gemeinschaften. Wir sind dafür, dass die Partner in einer solchen Verantwortungsgemeinschaft weiter füreinander einstehen. Aber wir wissen doch, welch ein Kontrollaufwand nötig ist und welche Probleme beispielsweise im Zusammenhang mit der Frage erwachsen, ob es sich tatsächlich um eine eheähnliche Gemeinschaft handelt oder nicht. Den Weg, das zu klären, müssen wir vereinfachen. Das wäre ein Aspekt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Ähnliches gilt für den Aspekt der Vermögensbeiträge. Die Koalition hat sich vorgenommen, die Schonbeträge für die Alterssicherung anzuheben. Selbst wenn wir im Gegenzug die Freibeträge für das übrige Vermögen senken müssten, wäre es ein sinnvoller Schritt, Altersvermögen in einem machbaren Rahmen als Schonvermögen freizustellen, wobei wir uns allerdings nicht so weit von den Finanzierungsgrundlagen emanzipieren können, wie es die Caritas vorschlägt. Sie fordert einen Betrag ein, den man nicht realisieren kann. Aber der Vorschlag geht in die richtige Richtung.

   Lassen Sie uns über diesen qualitativen Reformbedarf reden und entsprechend handeln. Dann werden wir unseren Dienst an den Menschen erfüllen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP - Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Hoffentlich wird es jetzt besser als eben!)

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zunächst einmal feststellen - ich befinde mich da sicher in Übereinstimmung mit dem Kollegen Brauksiepe -, dass die Idee von Fordern und Fördern, die hinter dem Sozialgesetzbuch II steht, ein absolut richtiger und notwendiger Ansatz ist.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Richtig!)

Aber das SGB II hat, wie wir heute feststellen müssen, noch zahlreiche Konstruktionsfehler. Es sollten ja eine schnellere Vermittlung in Beschäftigung, eine bessere Betreuung von Arbeitslosen und eine deutliche Kostensenkung erreicht werden. Aber keines dieser gesteckten Ziele konnte bisher realisiert werden.

(Jörg van Essen (FDP): Sehr richtig!)

Das lag nicht daran, dass wir etwa zu wenig Geld in die Hand genommen hätten. Denn im Haushaltsentwurf, über den zurzeit beraten wird, werden in diesem Jahr 30 Milliarden Euro - darunter fallen direkte Transfers, das Wohngeld, der Wohngeldzuschuss des Bundes und die Mittel für die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen - in Ansatz gebracht. Das zeigt, am Geld kann es sicherlich nicht liegen.

   Wir haben gestern gelesen und auch vom Minister im Ausschuss gehört, dass derzeit eine dramatische Entwicklung zu beobachten ist. Die Wohnungskosten für Empfänger von Arbeitslosengeld II liegen im ersten Quartal 2006 um 25 Prozent über den Kosten im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Die vorläufige Zahl der Bedarfsgemeinschaften, die ALG II beziehen, stieg im März auf 3,92 Millionen. Das sind 600 000 mehr als im Januar 2005. Wenn sich diese Entwicklung verfestigt, dann wird es erneut ein böses Erwachen mit Blick auf den Haushaltsvollzug geben.

   Es besteht kein Zweifel: Die handwerkliche Umsetzung von Hartz IV war mangelhaft. Es gab vielfältigen Wildwuchs und auch Mitnahmeeffekte. Ich nenne beispielsweise den rapiden Anstieg der Zahl der Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften. Auch der gleichzeitige deutliche Anstieg der Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen unter 25 Jahren seit Beginn des letzten Jahres ist weder Zufall noch gottgegeben, sondern er entstand aufgrund von Fehlanreizen. Hier hätte schnellstens gegengesteuert werden müssen. Sie sind unserem Vorschlag aber nicht gefolgt, auch jetzt noch im Rahmen der alle sechs Monate stattfindenden Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen, ob die Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften nach Möglichkeit wieder in die Familie eingegliedert werden können.

   Frau Kipping, Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass von Telefonbefragungen abzusehen sei. Ich will einmal festhalten, dass bei den zwischen Juli und September 2005 stattgefundenen Telefonbefragungen 45 Prozent der Arbeitslosengeld-II-Empfänger nicht erreicht werden konnten. Teilweise lag das an falschen Telefonnummern. Bei 10 bis 30 Prozent der erfolgreich durchgeführten Telefonate ergab sich ein weiterer Klärungsbedarf. Aber - jetzt kommt es - bei den seit Januar 2006 durchgeführten Telefonbefragungen hat sich bei 4,1 Prozent der Fälle eine Änderung beim Status der Arbeitslosigkeit ergeben, bei den unter 25-Jährigen sogar in 9,8 Prozent der Fälle. Frau Kipping, das zeigt doch, dass die von der FDP geforderte Meldepflicht keine Schikane, sondern ein Instrument gegen massiven Missbrauch ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Ich denke auch, Frau Kipping, das Prinzip des Forderns und Förderns wird von der breiten Mehrheit der Bevölkerung nicht infrage gestellt. Das Gleiche gilt auch für das Solidarprinzip. Wer die solidarische Hilfe der Gemeinschaft in Anspruch nehmen möchte, der muss auch bereit sein, zumutbare Arbeit und Qualifikationsangebote anzunehmen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rolf Stöckel (SPD) - Katja Kipping (DIE LINKE): Unkrautjäten im Winter!)

   Ich sage sehr deutlich: Der von Ihnen vorgelegte Antrag ist schädlich. Dadurch schaffen Sie keine zusätzlichen Arbeitsplätze, sondern gefährden vorhandene sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

(Jörg Rohde (FDP): Genau so ist es!)

Der Antrag geht von falschen Voraussetzungen aus. Arbeitsplätze werden nämlich von Unternehmen geschaffen und nicht aufgrund von Anträgen oder Beschlüssen des Deutschen Bundestages.

(Jörg van Essen (FDP): Altes sozialistisches Denken, das das Land in den Ruin geführt hat!)

Wenn man damit das Problem der Arbeitslosigkeit lösen könnte, hätte sich dafür sicher schon eine Mehrheit gefunden.

   Die Politik ist verantwortlich dafür, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Unternehmen ermöglichen, zu investieren und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu schaffen. Nur eine gut funktionierende Wirtschaft sorgt dafür, dass die sozialen Sicherungssysteme überhaupt unterhalten werden können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Das haben wir auch bei der Debatte über den vorangegangenen Tagesordnungspunkt sehr deutlich gesagt.

   Wir wollen - ich sage auch: wir müssen - die Menschen zurück in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bringen. Das ist das Ziel jeder Arbeits- und Sozialpolitik. Dazu braucht man eben auch einen funktionierenden Niedriglohnsektor, in dem die Anreize zur Aufnahme einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt gesetzt werden.

   Ihre Forderung, die Grundsicherung auf 420 Euro zu erhöhen, ist angesichts der Summen, die schon heute für das Arbeitslosengeld II aufgewendet werden, absurd. Ebenso fatal ist auch die Forderung nach Einführung eines Mindestlohns. Ich sage Ihnen noch einmal sehr deutlich: Gesetzliche Mindestlöhne führen zur Verdrängung von Arbeitsplätzen, insbesondere im Bereich der geringer Qualifizierten.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Man könnte noch viel zu diesem Antrag sagen, der ein ganzes Sammelsurium von Maßnahmen enthält. Schon der darin enthaltene Ansatz ist verkehrt. Dieser Antrag wird in den Beratungen wahrscheinlich nicht in eine vernünftige Form zu bringen sein. Wir werden gleichwohl im Ausschuss über ihn beraten. Aber man muss hier eine Ablehnung am Ende wohl schon in Aussicht stellen.

   Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres.

(Beifall bei der SPD)

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite,

(Klaus Brandner (SPD): Das ist die rote Karte!)

ich hätte es gut gefunden, wenn die Verfasser des vorliegenden Antrages die Broschüre „Hartz IV - Menschen in Arbeit bringen“ nicht nur erwähnt, sondern sie auch gelesen hätten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wer Ihren Antrag nämlich liest - ich habe ihn gelesen und ihn mit vielen Anmerkungen versehen; ich finde, man sollte ihn sich wirklich aufheben -, stellt fest, dass er an vielen Stellen fachlich falsch und schlecht ist.

(Zuruf von der LINKEN: Das ist eine Unterstellung!)

Er unterschlägt an einer ganzen Reihe von Stellen gesetzliche Regelungen. Er ist nach einem „Wünsch-dir-was-Populismus“ gestrickt. Wenn ich ihn aus finanzpolitischer Perspektive betrachte, komme ich zu dem Ergebnis: Er ist verheerend.

(Zuruf von der LINKEN: Das müssen Sie beweisen!)

- Ich kann Ihnen das gerne beweisen. Ich sage Ihnen: Wenn man die Leistungsverbesserungen, die Sie vorschlagen, also Verbesserungen beim Kindergeld und Ähnliches, zusammenzählt, kommt man überschlägig auf eine Summe von 35 Milliarden Euro. Wer sagt, das sei bei der gegenwärtigen Haushaltslage einigermaßen seriös - Sie haben gestern den Haushalt beraten -,

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Große Steuerreform! Ein Minus von 60 Milliarden Einnahmen!)

blendet die Leute. Sie können zwar ab und zu Ihren Weltökonomen Lafontaine von der Kette lassen; der erklärt dann, wie man das alles macht. Aber wie man Arbeit schafft - verehrte Frau Kipping, Sie haben ja gesagt, es werde keine Arbeit geschaffen -, steht nicht in Ihrem Antrag.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Erfahrung, die wir über viele Jahre gemacht haben, ist: Wir haben den Leuten zu viel Geld gezahlt und sie zu wenig gefordert. Die Erfahrung, die wir mit der Sozialhilfe gemacht haben, war: Wir haben den Leuten die Sozialhilfe gezahlt und sie aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt.

(Beifall bei der SPD)

In einem Konzept eines aktivierenden Sozialstaates muss man sich Gedanken darüber machen, wie die Balance von Transferleistungen, Arbeitsanreizen, Anstrengungen, Menschen in Arbeit zu bringen und sie bei der Arbeitssuche zu unterstützen, vernünftig geregelt werden kann.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Andres, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping?

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Gerne, Herr Präsident.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte, Frau Kipping.

Katja Kipping (DIE LINKE):

Herr Andres, da Sie so großen Wert auf das Prinzip des Förderns legen, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht zumindest einen Aspekt unseres Antrages bestätigen können. Es handelt sich um Folgendes: Das Problem ist, dass Personen, die erwerbslos werden, aber keinen Anspruch auf eine geldliche Leistung haben, weil ihr Partner zu viel Geld verdient, in der Praxis leider keinerlei Arbeitsförderung mehr nach SGB III erfahren. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Dienstaufsicht wahrzunehmen und dafür Sorge zu tragen, dass auch Personen, die erst einmal keine Kosten verursachen, in den Genuss von Arbeitsförderungsmaßnahmen kommen. Ist das nicht ein Punkt, zu dem Sie sagen müssten: „Ja, das hätten wir als Bundesregierung längst tun müssen. Danke, dass Sie uns darauf hingewiesen haben!“?

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Frau Kipping, darf ich Ihnen in aller Freundlichkeit etwas sagen? Sie werden es nicht glauben: Die Bundesregierung teilt Ihre Position und hat sie, lange bevor Sie sie formuliert haben, eingenommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Es geht im SGB II darum, festzustellen, ob jemand bedürftig ist. Es geht darum, ihn so schnell wie möglich aus dem Bedarf herauszubringen. In dem von Ihnen geschilderten Fall, wenn also jemand Arbeit hatte, dann arbeitslos wird und er aufgrund des Partnereinkommens oder deswegen, weil die Bedarfsgemeinschaft gut ausgestattet ist, keine Leistung bekommt, hat er dennoch ein Anrecht darauf, beraten zu werden, bei der Arbeitssuche unterstützt zu werden und bestimmte Maßnahmen durchzuführen. Das steht sogar im Gesetz, verehrte Frau Kipping. Wir brauchen nicht Sie dazu, um das festzustellen.

(Beifall bei der SPD - Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wird aber leider nicht umgesetzt! - Abg. Katja Kipping (DIE LINKE) meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

- Vielleicht könnten Sie sich ein bisschen später noch einmal melden. Ich gestehe Ihnen gerne eine oder fünf Zwischenfragen zu; denn es macht Spaß, sich auszutauschen und zu diskutieren.

   Um in meiner Rede fortzufahren: Ich möchte nicht missverstanden werden: Da, wo es um inhaltliche Kritik und um Verbesserungen geht, ist diese Kritik nicht nur berechtigt, sondern sogar erwünscht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dass wir Defizite bei der Umsetzung des Systems und dabei haben, Menschen in Arbeit zu bringen, muss uns keiner sagen. Da müssen wir viel besser werden; das ist eine völlig klare Sache.

Sie müssen mir aber einmal erklären, wie man, indem man überall die Leistungen verbessert, die Menschen unterstützen will, wieder erwerbstätig sein zu wollen.

   Wenn man sich Ihren Antrag ansieht, muss man Ihnen folgenden Vorwurf machen: Sie blenden völlig aus - das ist eine schiefe Darstellung, die Sie gerne gewählt haben -, dass die Transferleistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Jahr 2005 höher war, als sie es nach altem Recht gewesen wäre. Dieses Kunststück müssen Sie mir einmal erklären: Der Staat wendet sehr viel mehr Mittel auf und Sie sagen, alles sei viel schlechter geworden. Wenn das frühere Hilfesystem fortgeführt worden wäre, würde es heute vielen Menschen schlechter gehen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Zu Ihrem konkreten Beispiel bezogen auf die Krankenversicherung: Die Menschen, die nach altem Recht im Sozialhilfesystem waren, waren nicht in die Rentenversicherung einbezogen. Manche waren nur über die Familienversicherung mit krankenversichert oder über die Krankenhilfe nach dem SGB. Was haben wir gemacht? Mit dem neuen System haben wir die betroffenen Menschen in die sozialen Sicherungssysteme einbezogen.

   Sie gehen übrigens auch darüber hinweg, dass wir Anfang dieses Jahres die Regelleistung für Arbeitslose im Osten auf 345 Euro angehoben haben. Das interessiert Sie anscheinend nicht mehr. Sie ignorieren auch, dass wir die Freibeträge für Erwerbseinkommen erst vor einem guten halben Jahr erhöht haben. Sie schieben völlig beiseite, dass es großzügige Freibetragsregelungen gibt - ich könnte Ihnen das alles vorrechnen -, einschließlich Hauseigentum, Wohneigentum und einem Pkw für jeden Betroffenen. Es gibt viele Modellfälle; Sie können sie gerne nachrechnen.

   Ich habe ein weiteres Problem, Frau Kipping. Es ist richtig, zu sagen: Wir wollen die Menschen fördern, aber wir müssen sie auch fordern. - Es führt überhaupt kein Weg daran vorbei, die Menschen auch zu fordern. Bei der Zahlung von Transferleistungen gibt es aber immer ein Problem. Dies wird deutlich, wenn man denjenigen, der sich im Transferleistungssystem befindet, mit dem vergleicht, der arbeiten geht. Es geht um das Lohnabstandsgebot. Wir haben zum 1. Oktober des vergangenen Jahres die Zuverdienstmöglichkeiten bei Minijobs verbessert. Wer also einen Minijob hat, darf höhere Beträge behalten. Das hat gemäß unserem System die verrückte Folge, dass in Deutschland angeblich die Armut steigt. Ich kann Ihnen das erklären: Wenn Sie die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern, weiten Sie gleichzeitig den Kreis der Personen aus, die in das Leistungssystem fallen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen: Ein verheirateter Arbeitslosengeld-II-Bezieher mit zwei Kindern im Alter von acht und zwölf Jahren bekommt für die monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung zusätzlich 542 Euro. Nebenbei hat er einen Minijob für 400 Euro; davon darf er - das habe ich vorhin erläutert - 160 Euro anrechnungsfrei behalten. Diese Familie kommt auf ein durchschnittliches Einkommen von 1 737 Euro. Wenn er einen Midijob hätte, also zwischen 400 und 800 Euro hinzuverdienen würde, betrüge das Familieneinkommen sogar 1 817 Euro.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Netto!)

- Netto. - Im Vergleich dazu erhält ein gering qualifizierter verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern im Alter von acht und zwölf Jahren, der als Hilfsarbeiter im produzierenden Gewerbe arbeitet, einschließlich Kindergeld und Wohngeld durchschnittlich 2 108 Euro. Er hat damit durchschnittlich nur etwa 290 Euro mehr zur Verfügung als ein verheirateter Arbeitslosengeld-II-Bezieher mit Midijob.

   Bei einer Erhöhung der Regelleistung, wie von Ihnen vorgeschlagen, auf 420 Euro, würden uns die Wohlfahrtsverbände, die Sie eben benannt haben, schreiben, dass die Zahl der Bedürftigen und Armen noch weiter gestiegen ist. Ich weiß auch gar nicht, warum Sie sich da zurückhalten. Warum fordern Sie nicht gleich 450 oder 500 Euro? Ihr ganzer Antrag verfolgt diese Philosophie. Das Spannende daran ist, dass, wenn man dies umsetzen würde, die Zahl der Bedürftigen und Armen in unserem Land immer weiter steigt. Sie müssen also umgekehrt erklären, warum der Arbeitnehmer für rund 200 Euro mehr noch arbeiten gehen soll.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

   Es gibt doch praktische Beispiele dafür. Die Menschen, die diese Leistungen mit ihren Steuern finanzieren, stellen doch die Frage, warum sie eigentlich arbeiten gehen, wenn jemand auf dem Flur gegenüber ALG II bekommt und durch die Familienförderung faktisch das Gleiche herausbekommt. Das müssen Sie diesen Menschen einmal erklären.

   Wenn Sie das machen, haben Sie das zusätzliche Problem, ein Problem, mit dem wir uns gerade herumschlagen: Je höher die Leistungen sind, die Sie gewähren, umso mehr Menschen haben Anspruch auf diese Leistungen. Das heißt, der Hilfsarbeiter, den ich gerade genannt habe, erhält dann auch noch ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Denn wenn das unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um eine Bedarfsgemeinschaft handelt, berechnet wird, kann sich möglicherweise ein Anspruch auf ergänzende Leistungen ergeben.

   Ich komme jetzt zu einer weiteren Position, Frau Kipping. Ich sage ganz offen: Darüber werden wir uns streiten; Sie werden auch keine Chance haben, das hier mehrheitlich durchzusetzen. Das ist das Beruhigende dabei. Sie sagen, man müsse das alles jetzt repressionsfrei ausgestalten.

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Solidarität bei den Linken!)

Ja, mein Gott! Sie wollen ferner die Bedarfsgemeinschaften auflösen und es soll einen individuellen Anspruch geben. Das ist ja ganz wunderbar, wenn man sich das anschaut. Ich halte das alles für Ammenmärchen. Es ist gnadenloser Populismus, den Sie hier abziehen. Das Gleiche gilt für die praktischen Beispiele, die Sie bringen. Auch das ist gnadenloser Populismus.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Dass es Unsinn ist, jemanden bei gefrorenem Boden Unkraut jäten zu lassen, müssen Sie im Bundestag nicht erzählen.

(Zuruf der Abg. Katja Kipping (DIE LINKE))

Wenn Sie mir diesen Fall geben, dann wird das ganz schnell - ruck, zuck! - abgestellt. Das sage ich Ihnen.

(Zurufe von der LINKEN)

Dass Sie aber solche Einzelfälle anführen, um den Unsinn zu begründen, den Sie in Ihrem Antrag zusammengeschrieben haben, das müssen Sie uns, glaube ich, nicht antun.

   Ich bitte um Entschuldigung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich habe nur noch ganz wenig Redezeit und bin bis jetzt nicht dazu gekommen, mich mit dem Antrag der Grünen näher auseinander zu setzen. Es gibt ja auch Menschen, mit denen wir über viele Jahre zusammengearbeitet haben. Dieser Antrag hebt sich in seiner Qualität wohltuend von dem Antrag der Linken ab.

(Lachen des Abg. Paul Lehrieder (CDU/CSU) - Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Er ist aber nicht gut genug!)

Darin sind eine Reihe von Vorschlägen enthalten, die ich sehr spannend finde, insbesondere wenn es um die Betreuung geht. Es gibt aber auch Positionen, zu denen die Bundesregierung sagt: Da werden wir Ihnen nicht folgen. - Das wundert niemanden. Wir sind gegenwärtig in einem Prozess, das SGB II weiter zu optimieren. Das werden wir in den nächsten Wochen tun. Bei einer solch großen Reform ist es unvermeidlich, dass man nachsteuert. Ich sage noch einmal ganz in Ruhe und voller Stolz - das sage ich; ich war daran nämlich beteiligt -: Die steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe und die steuerfinanzierte Sozialhilfe zu einem neuen System zusammenzufassen, dem die Vorstellung des aktivierenden Sozialstaats zugrunde liegt, ist des Schweißes aller Edlen wert gewesen. Es ist ein großes Verdienst, dass wir das, mit Ausnahme der FDP und des ganz linken Flügels, durchsetzen konnten, hier und im Bundesrat.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir hatten noch bessere Vorschläge! Dann wäre nicht so viel Missbrauch gewesen!)

Dass die Liberalen und die Vertreter des ganz linken Flügels hier gefehlt haben, macht mich nicht traurig. Denn es gibt eine breite Mehrheit hier im Parlament, die eine solche Entwicklung für richtig und notwendig hält. Wir machen bei diesem Prozess weiter. Wir werden einzelne Punkte optimieren und es weiter vorantreiben. Ich glaube, dass wir, auch im europäischen Vergleich, den richtigen Weg eingeschlagen haben.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Katja Kipping das Wort.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die hat doch vorhin gerade geredet!)

Katja Kipping (DIE LINKE):

Herr Andres, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie noch einmal auf das Problem der Working Poor, also der Menschen, die wirklich von früh bis spät arbeiten und trotzdem in Armut leben, hingewiesen haben. Für mich ist das allerdings kein Argument dafür, die Sozialleistungen zu kürzen; vielmehr ist es eher ein Argument, das uns in unserer Absicht bekräftigen sollte, endlich einen gesetzlich garantierten Mindestlohn einzuführen.

(Beifall bei der LINKEN - Paul Lehrieder (CDU/CSU): Dann würden Sie noch mehr Arbeitslosigkeit kriegen!)

   In einem Punkt gebe ich Ihnen Recht: Die Berechnung der Armut, wenn sie allein prozentual und relativ erfolgt, kann zu gewissen statistischen Effekten führen, die nicht unproblematisch sind. Nun ist aber die Art und Weise, wie Armut berechnet wird, nicht von der Linkspartei erfunden worden; vielmehr ist sie von der Wissenschaft, von der EU-Kommission und auch von der OECD so festgelegt worden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde, wir sollten die Probleme, die Sie zu Recht genannt haben, zum Anlass nehmen, uns darüber zu verständigen, inwieweit man sich bei der Berechnung des Regelsatzes allein auf die relativen, prozentualen Zahlen stützen sollte oder ob man nicht lieber einen Warenkorb, in dem das Mindeste von dem enthalten sein müsste, was Menschen brauchen, damit sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, als Grundlage der Berechnung nimmt.

(Beifall bei der LINKEN - Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Ja, wollt ihr einen Rückschritt im Sozialhilferecht? Wir waren doch froh, dass der Warenkorb wegkam! - Rolf Stöckel (SPD): Das ist Paternalismus!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Andres, zur Erwiderung.

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Frau Kipping, herzlichen Dank. - Ich will Ihnen nur sagen: Über Armut reden wir im Rahmen einer anderen Debatte. Ich glaube nämlich, dass wir das System, wie wir es im SGB II vorgesehen haben, vorzeigen können. Dieses System ist bedarfsgerecht; es unterstellt, dass Bedürftigkeit vorliegt und dass es ein solidarisches Einstehen füreinander in der Bedarfsgemeinschaft gibt. All das sind Prinzipien - Sie beschreiben sie in Ihrem Antrag -, an denen wir festhalten.

   Der gesetzliche Mindestlohn ist ein anderes Problem. Spannend sind nicht die Fragen ob oder ob nicht und wie man das konstruiert; spannend ist doch die Frage der Höhe. Die Umsetzung Ihres wunderbaren Vorschlags von der Pfändungsfreigrenze würde bedeuten, dass ich den ganzen Leistungsapparat des SGB II auf diese Höhe schrauben müsste. Ob die Pfändungsfreigrenze vernünftig ist, lasse ich völlig außen vor.

   Sie merken, ich habe sehr viel Spaß an einer fachlichen, sachlichen und vernünftigen Debatte. Das ist überhaupt kein Problem; die können wir gerne führen. Sie muss aber fachlich und sachlich fundiert sein. - Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Man kann nicht einfach Äpfel mit Birnen vergleichen. Beim gesetzlichen Mindestlohn und der Leistungshöhe nach dem SGB II muss ich immer beachten, dass es einen Anreiz geben muss, aus dem System heraus in Arbeit zu gehen. In diesem Land haben wir unglaublich viel Arbeit, die gegenwärtig nicht gemacht wird. Eine Aufgabe dieses Hauses, des Gesetzgebers, ist es, dafür zu sorgen, dass die in Deutschland vorhandene Arbeit, die zurzeit nicht von legal in Deutschland lebenden Menschen gemacht wird, in Zukunft von diesen erledigt wird. Auch das ist ein Problem, dem wir uns stellen müssen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht hilft es der Debatte, wenn wir uns in Erinnerung rufen, was das eigentliche Ziel der Arbeitsmarktreform in der letzten Legislaturperiode war - Herr Andres hat das zum Teil angerissen -: Ziel war es, ein Transfersystem, das die Lebensstandardsicherung in den Mittelpunkt stellt, abzuschaffen, weil es diesen Anspruch bei wachsender Massenarbeitslosigkeit nicht mehr erfüllen konnte, die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt aber trotzdem nur am Rande als Aufgabe begriff. Dieses Transfersystem sollte abgeschafft werden, weil es die Langzeitarbeitslosigkeit zementiert hat. Es ging darum, die Chancen von Langzeitarbeitslosen, Zugang in den ersten Arbeitsmarkt durch umfangreiche Betreuung, passgenaue Hilfsangebote und eine effektive Vermittlung zu finden, zu verbessern.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): So ist es!)

Das war und ist ein richtiges Ziel, das auch in dieser Legislaturperiode verfolgt werden sollte.

   Die Umsetzung ist in vielerlei Hinsicht mangelhaft. Das will ich gar nicht bestreiten.

(Beifall des Abg. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE))

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit dem Ziel der Schaffung einer Grundsicherung war aber ein erster, richtiger Schritt. Wir haben die entmündigende Sozialhilfe abgeschafft und den entwürdigenden Verschiebebahnhof zwischen Sozial- und Arbeitslosenhilfe abgeschafft.

   Frau Kipping, es muss noch einmal in Erinnerung gerufen werden, dass die Sozialhilfeträger in der Vergangenheit Langzeitarbeitslose in großem Umfang in irgendwelche Maßnahmen geschleust haben, um sie bei der Bundesanstalt für Arbeit abzugeben. Das war teuer und für die Betroffenen verdammt schlecht und entwürdigend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sozialhilfeempfänger haben jetzt erstmals einen Zugang zu den Instrumenten der Bundesanstalt für Arbeit und damit einen Zugang zur Vermittlung in Arbeit und Ausbildung.

(Zuruf von der LINKEN: Das hatten sie auch vorher!)

Wenn man Sie so hört, vor allem, wenn man Ihren Antrag liest, könnte man den Eindruck gewinnen, das alles sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ihr Fraktionsvorsitzender Oskar Lafontaine hat im Wahlkampf sogar von „Schandgesetzen“ geredet. Ich finde das in jeder Hinsicht instinktlos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

   Sie rufen „Hartz IV muss weg! Hartz IV muss überwunden werden!“. Die Frage ist, was dabei herauskommen soll. Wohin wollen Sie eigentlich? Vorwärts in die Vergangenheit? Den Eindruck habe ich, wenn ich Ihren Antrag lese. Sie versprechen den Menschen eine Erhöhung der Transferleistungen in einer Größenordnung - das entspricht auch unseren Berechnungen - von ungefähr 35 Milliarden Euro.

Sie machen falsche Versprechungen und versuchen damit, ihnen den Verzicht auf einen Arbeitsplatz schmackhaft zu machen. Das ist die falsche Politik.

   Sie haben im Wahlkampf Plakate geklebt, auf denen stand: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ - Frau Kipping, ich sage Ihnen mit Blick auf die Forderungen, die Sie hier heute erheben: Nichts ist hilfloser als eine Idee, die nicht mehr in die Zeit passt, weil sie keiner bezahlen kann, aber vor allen Dingen auch, weil sie an den Problemen vorbeigeht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP - Zuruf von der LINKEN: Das passt in die Zeit!)

   Sie spielen, wie ich finde, immer gern ein bisschen Klassenkampf. Offen gestanden: Es ist höchste Zeit, dass Sie Ihre politischen Ideale einmal mit den gesellschaftlichen Realitäten im Jahr 2006 abgleichen. Die Gesellschaft ist heute ein bisschen komplexer, als Karl Marx sie noch beschrieben hat. Die „taz“ hat das im letzten Jahr sehr anschaulich dargestellt. Die Frage war nämlich: Wer ist denn heute das Kapital? Dies wurde am Beispiel Daimler-Chrysler verdeutlicht: 6,9 Prozent gehören der Deutschen Bank, 7,2 Prozent dem Emirat Kuwait und der Rest ist Streubesitz. 25 Prozent davon werden von Privatinvestoren gehalten und 60,9 Prozent von institutionellen Investoren. Frau Kipping, wer ist da jetzt der Boss? Dann noch einmal von der anderen Seite gefragt: Was bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger? Die Bürger in einem entwickelten Kapitalismus befinden sich in einem vielfältigen Rollenkonflikt. Als Kunden profitieren sie von dem gnadenlosen Wettbewerb. Als Anleger freuen sie sich über Kurssprünge und hohe Dividenden. Doch als Angestellte sind sie Opfer dieser Verhaltensmuster, denen sie selbst unterliegen. Das bedeutet stagnierende Löhne und kann auch bedeuten, dass ihre Jobs bedroht sind.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Pothmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön.

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Schon die SPD-Kollegen haben von mir, als ich noch in dem Verein war, folgende Frage gehört. Auch Ihnen stelle ich jetzt diese Frage, weil Sie die Deutsche Bank als an Daimler-Chrysler Beteiligte erwähnt und gesagt haben, dass unsere Politik nicht mehr in die Zeit passt, da sie nicht finanzierbar sei: Wie erklären Sie dann, dass - auch unter der Ägide von Rot-Grün - die Deutsche Bank 16 Jahre lang keine Großbetriebsprüfung hatte und keinen Cent Körperschaftsteuer gezahlt hat? Wären diese beiden Instrumente nicht eine Möglichkeit - übrigens auch mit einem ähnlichen Ergebnis für Daimler-Chrysler -, um sehr viel für die Finanzierung unseres Sozialstaates zu tun?

(Beifall bei der LINKEN - Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mindestgewinnbesteuerung! Das haben wir gemacht!)

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die Steuerpolitik unter Rot-Grün habe ich nicht in jedem Punkt für richtig gehalten. Das haben wir im Übrigen immer sehr deutlich formuliert. Aber Ihre einfachen Muster, die sich in Ihren Anträgen widerspiegeln, werden der gesellschaftlichen Realität nicht gerecht. Das sind ranzige Weisheiten, mit denen Sie hier immer wieder auftauchen. Sie machen es sich verdammt noch mal zu einfach!

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Hendricks?

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU), zu der Abg. Dr. Barbara Hendricks (SPD) gewandt: Waren Sie für die rot-grüne Steuerpolitik?)

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte.

Dr. Barbara Hendricks (SPD):

Frau Kollegin, sind Sie bereit, den Herrn Kollegen Dehm darauf hinzuweisen, dass nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Bedingungen Konzerne nahtlos im Anschluss, also etwa alle vier Jahre, für die vergangenen vier Jahre geprüft werden und dass dazu selbstverständlich auch ein Bankkonzern gehört?

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich glaube, das hat der Kollege Dehm jetzt gehört, als Sie es uns allen hier noch einmal deutlich dargestellt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wissen Sie, was ich für das eigentliche Problem halte? Das eigentliche Problem ist, finde ich, dass Sie es mit Ihrer Politik dieser Regierung so einfach machen, weil Sie Ihre Forderungen nicht belegen, weil sie nicht finanzierbar sind und weil sie deswegen so einfach vom Tisch zu wischen sind. Dabei braucht diese große Koalition eine Opposition, die ihr Feuer unter dem Hintern macht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Denn diese Koalition ist dabei, auf ihre ganz eigene Art Hartz IV zu überwinden. Meine Damen und Herren von Union und SPD, ich darf Ihnen vielleicht noch einmal in Erinnerung rufen: Das Motto von Hartz IV war „Fordern und Fördern“.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Richtig!)

Es scheint aber so, dass Sie das Prinzip des Förderns nicht mehr so richtig in Erinnerung haben.

(Rolf Stöckel (SPD): Das ist eine Frage der Umsetzung vor Ort!)

Seit Ihrem Amtsantritt wollen die Zumutungen, mit denen Sie die Hartz-IV-Empfänger überziehen, kein Ende nehmen. Mir scheint, Sie folgen nach einer Druckkesseltheorie der Vorstellung: Je mehr Forderungen an die Arbeitslosen gestellt werden und je höher der Leidensdruck ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen in Arbeit kommen. Ich sage Ihnen: Das trägt nicht gerade zur Motivation bei, einen Arbeitsplatz anzunehmen. Das provoziert vielmehr die Abkehr der Betroffenen von der Gesellschaft.

   Mit Ihren elendigen und durch keine Zahlen belegten Missbrauchsdebatten schüren Sie, wie ich finde, zunehmend ein Klima des Misstrauens und der Stigmatisierung. Dies tun Sie nur, um Rückenwind für die Durchführung von Leistungskürzungen, die Sie schon angedeutet haben, zu bekommen. Das ist wirklich ein schäbiges Vorgehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, einen eigenen Antrag zur Weiterentwicklung von Hartz IV einzubringen. Aus unserer Sicht enthielt der Hartz-IV-Kompromiss, der ja im Wesentlichen ein großkoalitionärer war, von Anfang an erhebliche Zumutungen. Aber ich sage deutlich: Wir haben diese Zumutungen mitgetragen, weil wir der Auffassung waren und im Übrigen nach wie vor sind, dass Leistungszahlungen mit dem Ziel der Integration in den ersten Arbeitsmarkt verbunden sein müssen. Allerdings sind wir auch der Meinung, dass sowohl bei den Regelungen zu unterschiedlichen Personengruppen als auch auf einzelnen Feldern der Arbeitsmarktpolitik nachjustiert werden muss.

   Ich will nur einige Punkte unseres Antrags nennen: Es geht auch uns um eine Entkopplung des Hilfebezugs vom Partnereinkommen; hier muss im Interesse der Frauen eine bessere Regelung gefunden werden. Wir halten es vor dem Hintergrund der Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung für dringend notwendig, das Altersvorsorgevermögen besser zu schützen. Wir wollen vor allen Dingen die Integration in den ersten Arbeitsmarkt verbessern, indem wir Langzeitarbeitslosen ermöglichen, ihre gesamten Transferleistungen in ein Beschäftigungsverhältnis einzubringen. Wir wollen also Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Und wir wollen, dass mindestens geduldeten Ausländerinnen und Ausländern endlich Zugang zu Eingliederungsleistungen eingeräumt wird.

   Meine Damen und Herren, Hartz IV schafft keine Arbeitsplätze. Das haben zumindest wir Grüne auch nie behauptet. Hartz IV konzentriert sich auf die bessere Vermittlung und Integration von Arbeitslosen. Dass dies in einer Situation, in der es massenhaft an Arbeitsplätzen fehlt, nur begrenzt eine Hilfe ist, gebe ich gerne zu. Aber es wird nicht leichter, wenn Sie zu alten Konzepten zurückkehren, die sich bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit seit Jahrzehnten als untauglich erwiesen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Lenin soll ja immer als erste und entscheidende Frage formuliert haben: „Wem nützt das?“ Ich sage Ihnen: Ihr Antrag nützt weder den Arbeitslosen noch der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Schiewerling von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Brandner (SPD))

Karl Richard Schiewerling (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der Linken ist im Wesentlichen nichts anderes als eine Zusammenstellung von Positionen, die im Parlament auch in der Vergangenheit keine Mehrheit gefunden haben - und das aus gutem Grund. Sie wollen das Arbeitslosengeld II und viele andere Leistungen, zum Beispiel das Sozialgeld, anheben. Doch dazu, wie Sie das finanzieren wollen, äußern Sie sich in Ihrem Antrag mit keinem Wort; die Größenordnung, um die es dabei geht, hat Herr Andres vorhin erwähnt. Geld auszugeben, ist einfach. Es zu erwirtschaften und es dann gerecht zu verteilen, ist allerdings schwer. Ich sage Ihnen: Ihre Position ist populistisch und unredlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Der Druck auf dem Arbeitsmarkt, den Sie gleich zu Beginn in Ihrem Antrag beschreiben, ist keine Folge der Einführung der Grundsicherung, sondern unter anderem eine Konsequenz der gesamtkonjunkturellen Entwicklung. Wir wären international nicht so wettbewerbsfähig, wie wir es sind, hätten wir nicht hoch qualifizierte Ingenieure, Meister und Facharbeiter. Allerdings - das ist richtig -: Menschen ohne berufliche Qualifikation haben es schwer. Einen Qualifikationsdruck nach unten, wie Sie ihn beschreiben, kann ich nicht erkennen.

   In Ihrem neun Seiten umfassenden Antrag gehen Sie mit keinem einzigen Wort auf das Fordern und Fördern der Menschen ein. Sie zeigen auch keinen Weg auf, wie Sie Bezieher von Leistungen nach dem SGB II in Beschäftigung bringen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist aber der Kern des SGB II.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie behaupten in der Präambel Ihres Antrags, dass das Arbeitslosengeld II keine soziale Grundsicherung sei. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch: Das Arbeitslosengeld II ist eine soziale Grundsicherung, allerdings ist es keine Hängematte, sondern ein gespanntes Netz. Mit dem Optimierungsgesetz wollen wir dieses Netz überprüfen und weiter straffen, damit es seinen Zweck als Grundsicherung erfüllen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Mit dem Prinzip des Forderns und Förderns sind wir auf dem richtigen Weg. Dieses Grundprinzip des SGB II trägt dazu bei, dass Menschen ohne Arbeit gefordert werden, ihren Lebensunterhalt möglichst rasch wieder aus eigener Kraft zu bestreiten. Schließlich wollen wir Menschen in Arbeit bringen und sie somit aus dem Bezug staatlicher Leistungen herausholen. Von diesem Ziel steht nichts in Ihrem Antrag; Sie machen dazu keinen einzigen Vorschlag. Sie wollen die Menschen im Bezug von Transferleistungen nach dem SGB II belassen, ja Sie bestärken sie noch, indem Sie noch mehr Geld draufpacken wollen. Das entspricht übrigens Ihrem Staatsverständnis, demzufolge der Staat für alles und jedermann verantwortlich ist. Das aber führt zu Abhängigkeit und Unfreiheit und letztendlich dahin, dass der Staat finanziell an seine Grenzen stößt - was wir überdeutlich erleben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Abg. Katja Kipping (DIE LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Wohlgemerkt - damit ich nicht missverstanden werde -: Wir brauchen einen starken Staat, der die Schwachen schützt. Aber wir brauchen keinen Staat, der die Menschen entmündigt. Zur Freiheit gehört natürlich der Schutz, aber auch die Verantwortung eines jeden Einzelnen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping?

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Die ist ja unersättlich heute!)

Karl Richard Schiewerling (CDU/CSU):

Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Frau Kipping.

Katja Kipping (DIE LINKE):

Da hier wiederholt behauptet wird, wir würden uns in unserem Antrag überhaupt nicht mit dem Bereich Arbeitsmarktpolitik auseinander setzen, möchte ich Sie einfach fragen, ob Sie unseren Antrag überhaupt bis zur Seite 5 gelesen haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegensatz zu euch lesen wir was!)

Dann müsste Ihnen aufgefallen sein, dass wir einen Punkt 5 in unserem Antrag haben, der da heißt:

Die Arbeitsförderung ist durch zukunftsweisende Lösungen zu verändern.

Dazu fordern wir die Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors und wir machen ganz konkrete Vorschläge, wie man 1-Euro-Jobs in reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umwandeln kann, und wir schlagen weitere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vor.

(Beifall bei der LINKEN)

Karl Richard Schiewerling (CDU/CSU):

Frau Kollegin, ich habe nicht nur Ihre ersten fünf Seiten gelesen, sondern alle neun. Ähnliche Allgemeinplätze, wie Sie sie eben benannt haben, durchziehen den gesamten Antrag.

(Katja Kipping (DIE LINKE): Das ist ein Konzept!)

- Wollen Sie zuhören? - Sie wissen ganz genau, dass zusätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor und die Umwandlung von 1-Euro-Jobs - auch dies sind Jobs, die im öffentlichen Sektor angesiedelt sind - angesichts der Gesamtsituation, in der wir uns befinden, keine Lösung unserer Arbeitsplatzprobleme sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn jemand eine vom steuerzahlenden Bürger - ich halte das für einen wichtigen Punkt - finanzierte Grundsicherung erhält, dann kann man von ihm verlangen, dass er eine Gegenleistung erbringt und sich anstrengt; das hat etwas mit Freiheit und Würde zu tun. Das steht im Unterschied zu Ihrem Verständnis: Sie lehnen diese Anforderungen an die Hilfebedürftigen ab. Sie schreiben:

Niemand soll zur Ausübung einer Beschäftigung gezwungen werden, die für ihn kein existenzsicherndes Einkommen schafft …

Diese Position halte ich rundweg für unsozial: Denn Sie missachten die Krankenschwester, den Polizisten, die Friseuse, den Landwirt, alle, die einer Erwerbsarbeit nachgehen und Steuern aufbringen, um nach Ihrer Definition dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger die Freiheit zu geben, darüber zu entscheiden, ob er arbeiten will oder nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP - Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuerlich!)

Mit Ihrem Staatsverständnis dienen Sie nicht dem Menschen. „Sozial“ kann nicht daran gemessen werden, wie hoch die Transferleistungen sind.

(Beifall des Abg. Rolf Stöckel (SPD))

Für uns ist sozial - das sage ich sehr deutlich -, wenn der Einzelne mit all seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten mit seiner eigenen Hände und seines eigenen Kopfes Arbeit den Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdienen kann. Wenn das nicht ausreicht, dann hat er ein Anrecht auf Unterstützung. Ich sage das so deutlich: Personalität, Subsidiarität und Solidarität sind aus unserer Sicht die entscheidenden Grundlagen unserer Verfassung: Jeder leistet seinen Teil. Sie sagen, dass niemand einen 1-Euro-Job - sie sind übrigens durchaus begehrt -, der bis zu 160 Euro im Monat zusätzlich bringt, annehmen müsse. Dies entspricht nicht der notwendigen Mitwirkung und auch nicht der Stärkung der Eigeninitiative und der Selbstverantwortung.

   Nichtsdestotrotz habe ich in dem Antrag der Linken auch etwas Sinnvolles entdeckt.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Oh!)

- Ja. - So heißt es in Ihrem Text: „Die Freibeträge für Altersvorsorge sind ... anzuheben“. - Das ist eine prima Idee. Das haben wir auch schon im Koalitionsvertrag so festgehalten und das werden wir auch umsetzen. Sie können sich dem dann ja anschließen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Meine Damen und Herren, wir wollen das SGB II optimieren, das heißt: weniger Verwaltung, gezielter Einsatz der Mittel und eine Verbesserung der Eingliederung. Ich gestehe zu: Hier kann noch mehr geschehen. Davon steht in Ihrem Papier aber noch nichts.

   Ich glaube übrigens auch, dass wir darüber reden müssen, wie wir präventiv gerade auch den Jugendlichen in Bedarfsgemeinschaften, die einer Familie angehören, die sich in der dritten Generation im Sozialhilfebezug befindet, helfen können, aus dieser Situation auszubrechen und neue Wege zu finden. Ich halte das für eine wichtige neue Herausforderung, vor der wir stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Dafür müssen im SGB II aber die notwendigen Anreize für Arbeitslose geschaffen werden, eine reguläre Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt anzustreben. Arbeit muss sich lohnen. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat festgestellt:

Kritische Lohnabstände, die eine Vollzeitbeschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt unattraktiv erscheinen lassen, bestehen insbesondere bei ALG-II-Beziehern, die eine geringe Qualifikation aufweisen, Kinder haben und deren Partner nicht erwerbstätig sind. Verstärkt werden diese Anreizprobleme, wenn ein potenzieller Arbeitsplatz im Dienstleistungssektor ... liegt.

   Momentan erzielen 34 Prozent der Erwerbstätigen in den neuen Bundesländern einen monatlichen Bruttolohn von unter 1 600 Euro. Sie zahlen Steuern und finanzieren so einen Mehrpersonenhaushalt, der sich im Leistungsbezug des SGB II befindet und gegebenenfalls Anspruch auf passive Leistungen in Höhe von 1 600 Euro bis 2 000 Euro hat. Dass hier ein eigener Anreiz zum Arbeiten fehlt, ist wohl klar. Ich verkenne allerdings auch nicht, dass es Regionen in Deutschland gibt, in denen die wirtschaftliche Situation insgesamt durchaus problematisch ist und wo sich dies auch auf die Arbeitsplätze auswirkt.

   Wir müssen auch der Frage nachgehen - das ist ein wichtiges Anliegen -, was wir mit den Menschen tun, die aufgrund ihrer persönlichen Voraussetzungen nicht weiter qualifizierbar sind. Auch sie sollen ihren Beitrag leisten können. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass auch die Menschen, die nicht mehr weiter qualifizierbar sind oder leichte Behinderungen haben, für sich selbst sorgen können. Das ist nicht nur eine staatliche Aufgabe, hier sind auch die Wirtschaft und die Tarifpartner gefordert. Genau an dieser Stelle wird die Diskussion um den wie auch immer zu gestaltenden Kombilohn einsetzen.

   Meine Damen und Herren, mit dem Antrag der Linken, der nun vor uns liegt, wollen sich die Linken mal wieder als Schutzpatrone der ALG-II-Empfänger präsentieren und sie streuen den Menschen doch nichts anderes als Sand in die Augen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Karl Richard Schiewerling (CDU/CSU):

Nein, ich bin jetzt gleich fertig.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Keine Zwischenfrage.

Karl Richard Schiewerling (CDU/CSU):

Nicht die Grundsicherung macht arm, sondern die Arbeitslosigkeit. Wer die Menschen in ihrer Situation belässt und sie nicht fordert, der entmutigt sie. Wir brauchen aber Mut und keinen Sozialneid.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich erteile jetzt dem Kollegen Jörg Rohde von der FDP-Fraktion das Wort und nutze die Gelegenheit, Ihnen, Herr Rohde, im Namen des Hauses zu Ihrem heutigen 40. Geburtstag zu gratulieren.

(Beifall)

Jörg Rohde (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 15 Monate nach In-Kraft-Treten von Hartz IV stehen wir heute in diesem Hause vor dem Scherbenhaufen rot-grüner Arbeitsmarktpolitik. Die Hartz-Gesetze, die vor einigen Jahren wortreich als moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ins Rennen geschickt wurden, haben sich als Totalausfall erwiesen: Sie haben keine Arbeitsplätze geschaffen, die Arbeitslosigkeit nicht gesenkt und bis heute auch nicht zu einer besseren Qualifizierung Arbeitsuchender geführt. 5 Millionen Arbeitslose warten nicht auf Hartz-Reformen, sondern auf Arbeitsplätze und den Wirtschaftsaufschwung - bisher leider vergeblich.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Nach wie vor bestehen doppelte Strukturen für die Verwaltung von Arbeitslosen. Das daraus folgende Kompetenzwirrwarr, die Zeitverzögerung durch nicht abgestimmte Software und die mangelnde Transparenz beim Datenaustausch haben die Situation der Arbeitslosen keinesfalls verbessert. Zusätzlich prallen hier zwei völlig unterschiedliche Verwaltungskulturen aufeinander. Anstatt aber deshalb heute Vorschläge vorzulegen, wie die Konstruktionsfehler der Hartz-Gesetze zu korrigieren sind, richtet sich die Linke in der Arbeitslosigkeit ein und will aus Hartz IV eine soziale Vollversorgung machen. Höhere Leistungen, keine Missbrauchskontrollen und keine Anreize zur Arbeitsaufnahme - dafür ist das Arbeitslosengeld II nicht gedacht.

   Primäres Ziel von Hartz IV ist die individuelle Überwindung des Bezuges von ALG II durch den einzelnen Arbeitssuchenden hin zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Insoweit ist die Überschrift des Antrags der Linken „Strategie zur Überwindung von Hartz IV“ durchaus berechtigt. Eine Überwindung von Hartz IV in eine dauerhafte soziale Absicherung ohne das vorrangige Ziel der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt wäre aber völlig kontraproduktiv.

(Beifall bei der FDP)

   Der Grundsatz von Fordern und Fördern ist richtig. Aber in beiden Punkten ist die alte rot-grüne Bundesregierung auf halbem Wege stehen geblieben. Die Kontrolle des Leistungsmissbrauchs lässt zu wünschen übrig. Mein Kollege Heinrich Kolb hat bereits auf die erschreckenden Ergebnisse der Telefonumfrage hingewiesen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Oh ja!)

Auch der automatisierte Datenabgleich ist mit Hartz IV für die Stellen vor Ort nicht einfacher, sondern aufwendiger geworden und Missbrauch damit leichter. Ohne Fordern ist Hartz IV kein Anreiz zur Arbeitsaufnahme.

   Beim Fördern sieht es nicht besser aus. Am besten funktioniert dieses Instrument bei der Ausnahme, nämlich bei den Optionskommunen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): So ist es!)

Herr Staatssekretär Andres, die FDP hat damals nicht zugestimmt, weil es bei der Umsetzung bessere Alternativen gibt.

(Beifall bei der FDP - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir hätten das mit den Kommunen flächendeckend gemacht!)

   Die Stadt Erlangen in meinem Wahlkreis macht es vor. Hier werden bereits über 50-Jährige, welche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als kaum vermittelbar gebrandmarkt sind, erfolgreich in Arbeit vermittelt. Das erfahrene und motivierte Team vor Ort in Erlangen hat zum Beispiel mit dem lokalen Projekt „Fifty up“ zusätzliche Fördermittel aus dem Hause von Herrn Müntefering erhalten und an einem bundesweiten Wettbewerb erfolgreich teilgenommen.

   Aber auch aus den 68 anderen Optionskommunen ist viel Positives zu vernehmen. Das zeigt, dass besonders die Kommunen in der Lage sind, der Situation der Langzeitarbeitslosen gerecht zu werden. Sie haben bewiesen, dass sie bei der Arbeitsvermittlung flexible Wege gehen können. Die Kommunen sind näher an den Problemen der Betroffenen und können eher passgenaue und flexible Wege für eine Integration in den Arbeitsmarkt entwickeln als die zentralistisch organisierte Bundesagentur für Arbeit. Die FDP-Fraktion fordert daher weiterhin, dass die Verantwortung für die Vermittlung und Integration von Arbeitslosen allein den Kommunen übertragen wird.

(Beifall bei der FDP)

   Dies erfordert jedoch eine Grundgesetzänderung zur finanziellen Absicherung der Kommunen bei Übernahme der Betreuung der Langzeitarbeitslosen. Hierzu war Rot-Grün nicht bereit. Auch bei Schwarz-Rot sind hierfür keinerlei Anzeichen zu erkennen. Vor ziemlich genau zwei Jahren haben FDP und CDU/CSU in einem gemeinsamen Bundestagsantrag gefordert,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das waren noch Zeiten!)

das kommunale Optionsgesetz so umzugestalten, dass auch die optierenden Kreise und kreisfreien Städte tatsächlich Träger der Arbeitsvermittlung sind und die Aufgaben nach dem SGB II in Eigenverantwortung erfüllen können.

(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP))

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Rohde, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?

Jörg Rohde (FDP):

Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Kurth.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Erst einmal gratulieren, Herr Kurth!)

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Den Hinweis, dass ich Herrn Rohde gratulieren soll, hätte ich nicht gebraucht. Natürlich gratuliere ich Herrn Rohde.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Jörg Rohde (FDP):

Danke schön.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Kollege Rohde, Sie fordern, dass den Kommunen die Durchführung der Leistungen aus dem SGB II, vulgo Hartz IV, und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt vollständig übertragen werden. In diesem Zusammenhang haben Sie auch die Optionskommunen genannt.

   Nun sind Sie auch behindertenpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion. Ist Ihnen bekannt, dass die optierenden Kommunen in geradezu sträflicher Weise in den ersten sechs Monaten des Jahres 2005 die Integration von Menschen mit Behinderungen verweigert haben, obwohl sie dazu eindeutig einen rechtlichen Auftrag hatten? Ist Ihnen bekannt, dass die damalige rot-grüne Bundesregierung vor den Fakten kapitulieren und diese Aufgabe an die Bundesagentur für Arbeit zurückgeben musste - diese macht sie auch nicht so gut, wie sie sie machen sollte -, weil sich die Kommunen einfach geweigert haben, für Menschen mit Behinderung Angebote bereitzustellen? Wie kann man vor diesem Hintergrund behaupten, dass die Kommunen besser befähigt wären, diese Leistungen alleine durchzuführen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Jörg Rohde (FDP):

Herr Kollege Kurth, uns allen ist bekannt, dass es damals große Probleme bei der Einführung von Hartz IV gegeben hat. Das bezieht sich auf alle Bereiche, nicht nur speziell auf den Bereich der Menschen mit Behinderungen.

(Klaus Brandner (SPD): Wir reden von jetzt!)

Ich kann eben nur aus meiner Optionskommune in Erlangen berichten, dass dort sehr wohl Maßnahmen getroffen worden sind, um die Integration von Behinderten in den Arbeitsmarkt zu fördern. Ich habe mich dort persönlich vergewissert. Vielleicht kann das nicht auf alle 68 Optionskommunen ausgedehnt werden - an dieser Stelle können wir gerne noch nacharbeiten -, aber grundsätzlich halte ich es für besser, vor Ort anzusetzen, weil dort auch die Behinderten bekannter sind als bei einer zentralen Bundesagentur, die von außen eingreifen möchte. Ich komme später noch einmal auf diesen Punkt zurück.

   Ich appelliere an die Union, sich an die damals vorgelegten Anträge zu erinnern. Ich denke, wir werden beim Leistungssystem noch stärker auf die Grundsätze der Sozialhilfe zurückkommen müssen. Fehlsteuerungen müssen beseitigt und die Leistungen auf die wirklich Bedürftigen konzentriert werden.

(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP))

Vor allem jugendliche Arbeitslose haben das Gesetz ausgenutzt und sind auf Kosten der Allgemeinheit bei ihren Eltern ausgezogen. Für die Zukunft wurde diesem Missbrauch nun ein Riegel vorgeschoben. Von einer Haushaltssanierung auf Kosten arbeitsloser Jugendlicher, wie es die Grünen nennen, kann aber nicht die Rede sein.

   Als behindertenpolitischer Sprecher der FDP möchte ich ausdrücklich auf einen Punkt des Antrags der Grünen eingehen. In Punkt 9 Ihres Antrages fordern Sie eine bessere Verzahnung von SGB II und SGB IX, um die Vermittlung von arbeitslosen Menschen mit Behinderungen in Arbeit zu optimieren. In diesem Punkt stimme ich Ihnen ausdrücklich zu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In Mittelfranken - aber nicht nur dort - ist infolge einer Änderung des SGB IX die bis dahin ausgesprochene erfolgreiche Vermittlung von Schwerbehinderten ins Stocken geraten.

(Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also doch!)

Insbesondere vor dem Hintergrund einer überproportional steigenden Arbeitslosigkeit unter Schwerbehinderten muss hier schnell gehandelt werden.

   Zu Ihrem Zwischenruf: In Mittelfranken gibt es eine Optionskommune neben vielen anderen; es geht vor allem um die Argen. Das ganze Problem ergibt sich aus dem SGB IX; es liegt nicht an den Personen, die es vor Ort ausführen müssen. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch mein Kollege Hubert Hüppe von der CDU, der bereits im Mai letzten Jahres in einer Kleinen Anfrage auf Probleme bei der Vermittlung behinderter Arbeitsloser hingewiesen hat, nun als Mitglied der Regierungskoalition schnell Korrekturen einfordern wird.

   Ich fasse zusammen: Wenn die Gesetze Hartz I bis IV so umgesetzt worden wären, wie ursprünglich einmal von Peter Hartz geplant, dann wären wir den Zielen einer arbeitsmarktpolitischen Reform sicherlich näher gekommen. Es gibt großen Reformbedarf bei der Arbeitsmarktpolitik. Aber die beiden Anträge der Fraktionen der Linken und der Grünen gehen größtenteils in die falsche Richtung.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt nur bei einem!)

Deswegen muss man beide Anträge ablehnen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Angelika Krüger-Leißner (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit gut einem Jahr ist die Arbeitsmarktreform zum SGB II in Kraft. Ganz folgerichtig haben wir es mit Schwierigkeiten sowohl in der Akzeptanz und der Umsetzung als auch hinsichtlich der spürbaren Wirksamkeit zu tun. Darum ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass es weitere Vorschläge neben denen der Regierungskoalition gibt, den Prozess der Umsetzung des SGB II zu optimieren.

   Dass der Schritt der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur neuen Grundsicherung richtig war, bestreitet heute kaum noch jemand. Unsere Zielsetzung orientierte sich an den Bedürfnissen von erwerbsfähigen arbeitslosen Menschen. Es ist für mich nach wie vor richtig, daran festzuhalten, die Zugangschancen von Langzeitarbeitslosen in Beschäftigung durch passgenaue individuelle Vermittlung und Angebote zu verstärken, ihren Verbleib in Arbeitslosigkeit zu verringern und ihnen eine die Existenz sichernde Grundsicherung zu bieten. An dieser Zielsetzung müssen wir jeden Vorschlag messen, der vorgelegt wird.

   Wenn wir als richtig erkannt haben, dass wir gleiche Chancen für alle Arbeitslosen und eine schnelle und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erreichen wollen und dass wir Menschen von Betroffenen zu Beteiligten an einem System machen, sie also aktivieren und ihre Eigenverantwortung stärken wollen, dann können wir nur den bereits eingeschlagenen Kurs weiterverfolgen, einschließlich aller notwendigen Weiterentwicklungen, die wir aber entschlossen angehen müssen. In dieser Phase befinden wir uns gerade.

   Heute liegen zwei Anträge vor, die wir meines Erachtens unterschiedlich gewichten müssen. Der Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sollte uns auch weiterhin beschäftigen. Ich finde, dass er wichtige und richtige Ansätze enthält. Das Streiten um gute Lösungen in den nächsten Wochen wird sich, glaube ich, lohnen.

Lassen Sie mich aber einige Ausführungen zu dem Antrag der Fraktion Die Linke machen. Ich glaube, dieser Antrag bringt uns mit seinen Vorschlägen in keiner Weise voran. Vielmehr soll mit ihm der eingeleitete Prozess zurückgedreht werden. Ich habe große Zweifel, ob die Antragsteller die Dimension der vor uns liegenden Probleme in ihrer Gesamtheit überhaupt erfasst haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Er liest sich wie ein Wunschzettel, fernab jeder Realität in unserem Land, kurzum: eine soziale Utopie. Dabei gebe ich zu, dass sich seit einem Jahr für viele Menschen Gravierendes verändert hat. Manche Einschnitte sind schwer zu verkraften. Auf die neue Situation musste sich jeder erst einstellen.

   Ich hätte mir gewünscht, dass wir - genauso wie andere Länder - rechtzeitig auf die veränderte Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage reagiert hätten. Dann wäre vieles leichter geworden. Aber wir haben geschlafen oder wir hatten nicht den Mut dazu. Letztendlich tragen wir alle die Verantwortung dafür. Andere Länder haben in den 90er-Jahren - ähnlich wie wir - Reformen auf den Weg gebracht. Ich erinnere nur an Dänemark. 1993 hat die sozial-liberale Regierung Reformen durchgeführt, die sie allerdings mehrmals nachbessern musste. Auch diese Regierung stand unter sehr hohem Druck. Ich erinnere nur daran, dass sie 2001 abgewählt wurde. Das kann passieren. Wenn wir uns aber heute die Erfolge des Förderns und Forderns vor Augen führen, können wir eines erkennen: Die Arbeitslosigkeit in Dänemark ist von 11 auf 5 Prozent gesunken. Die Dänen sind ganz besonders erfolgreich bei der Integration gering qualifizierter Menschen auf dem Arbeitsmarkt und beim Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Genau das muss auch unser Ziel sein.

   Wir müssen uns mit der Umsetzung der Hartz-Gesetze beschäftigen, sie analysieren und, wo nötig, ändern. Aber Sie werden mir, glaube ich, zustimmen, dass der uns vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke nicht geeignet ist, Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, Ihre Strategie zur Überwindung von Hartz IV besteht darin, die Menschen zu verunsichern, wieder einmal Schwarzmalerei zu betreiben und irreale Hoffnungen zu wecken. Sie beginnen schon mit einer falschen Behauptung, wenn Sie sagen, Hartz IV sei Armut per Gesetz. Ich erinnere an die Worte von Staatssekretär Andres. Er hat sehr genau ausgeführt, dass es vielen in dem neuen System gar nicht schlechter geht. Natürlich hat derjenige Einschnitte hinzunehmen, der vorher eine hohe Arbeitslosenhilfe bekommen hat. Wir haben das nie bezweifelt und offen ausgesprochen. Aber für die Vielzahl der ehemaligen Sozialhilfeempfänger, die in den letzten Jahren gar keine Chance auf Arbeitsvermittlung bekommen haben, hat sich die Situation verbessert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Nach der neuen Grundsicherung kommt eine Familie mit zwei Kindern auf einen Grundsicherungsbetrag einschließlich Wohnungskosten in Höhe von 1 759 Euro netto im Monat. Das ist sicherlich nicht viel Geld. Aber das ist weiß Gott nicht Armut per Gesetz. Viele Menschen in unserem Land arbeiten für viel weniger. Wenn ich mir Ihre Vorschläge genauer anschauen, dann stelle ich fest, dass Sie eigentlich gar keine Überwindung von Hartz IV wollen. Sie wollen vielmehr eine unendliche Aufstockung bei Hartz IV. Das mag zunächst einmal wünschenswert erscheinen. Aber wer die Rechnung bezahlen soll, die hier aufgemacht wird, bleibt offen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Wenn man sich nur drei Ihrer Vorschläge genauer anschaut - die Erhöhung der Regelleistung auf 420 Euro, die Erhöhung der Freibeträge für Vermögen und die Erhöhung des Kindergeldes, den dicksten Brocken in Ihrem Antrag -, dann stellt man fest, dass die Mehrkosten unter dem Strich 26 Milliarden Euro betragen. Das wird einfach so dahin geworfen, ohne zu überprüfen, ob das überhaupt umsetzbar ist. Das spielt bei Ihnen ohnehin keine Rolle. Diese Kosten müssten andere in diesem Land mit ihrem Arbeitseinkommen bezahlen. Das sind Kosten einer sozialen Utopie, die gar nicht mehr aktivieren will. Genau dieser Punkt in Ihrem Antrag macht mich richtig wütend. Arbeit kommt in Ihren Vorschlägen kaum noch vor. Ihre vorgebliche Strategie handelt vom Weg zu einer Vollkaskogesellschaft. Beschäftigung ist zweitrangig. Das ist der Geist Ihres Antrages.

   Wir können gut erkennen, dass die Linke zurück zu dem Verschiebebahnhof will, den wir früher in der Sozialhilfe hatten,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

nun aber für alle Arbeitslosen, damit wir uns in Zukunft bloß nicht weiter mit ihren Problemen beschäftigen müssen.

   Es gibt einen Punkt, bei dem wir übereinstimmen: Bei der Umsetzung des SGB II gibt es viel zu verbessern.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit!

Angelika Krüger-Leißner (SPD):

Danke, Frau Präsidentin. - Vor allen Dingen müssen wir Verbesserungen für die Menschen erreichen, die Arbeit als Teil ihrer gesellschaftlichen Partizipation sehen. Für sie müssen wir mehr tun. Ihnen fühle ich mich verpflichtet. Lassen Sie uns das in den nächsten Monaten tun! Lassen wir uns nicht durch solche utopischen Anträge wie von der Fraktion Die Linke aufhalten!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Paul Lehrieder (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Hartz IV an den Start ging, waren große Erwartungen an ein derartig großes Reformvorhaben geknüpft.

(Zuruf von der LINKEN: Sie wurden enttäuscht!)

- Enttäuschung Ihrerseits ist nicht verwunderlich. Sie sind öfter enttäuscht und werden auch öfter enttäuscht werden. - Als es dann an Art und Umfang der Umsetzung ging, wurden, wie fast zwangsläufig bei derartigen Reformprojekten, viele enttäuscht - auch die Linken, zum Glück. Hartz IV ist heute unverdientermaßen zum Unwort geworden.

   Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen - genau darum ging es im Kern -, war unbedingt notwendig und seit langem eine zentrale Forderung der Union. Deshalb haben wir vor zwei Jahren dem Reformvorhaben der damaligen Bundesregierung in Bundestag und Bundesrat zugestimmt. Wie Herr Staatssekretär Andres ausgeführt hat, war es den Schweiß aller Edlen wert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich habe die Formulierung sehr schön gefunden, weil Sie auch uns als Edle bezeichnet haben.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aber schwitzen ist trotzdem eine unangenehme Sache!)

   Es war uns wichtig, den Schwerpunkt von der Zahlung des Lebensunterhalts auf die Wiedereingliederung der erwerbsfähigen Hilfebezieher in den Arbeitsmarkt zu verlagern. Oberstes Ziel musste sein, die Betroffenen wieder aus den Transfersystemen herauszuführen, sei es durch neue Hinzuverdienstmöglichkeiten, sei es durch eine passgenaue Förderung bei der Wiedereingliederung in Arbeit, sei es durch eine intensivere Betreuung durch einen persönlichen Ansprechpartner. Dazu gehören auch die unmissverständliche Androhung und die Durchsetzung von Sanktionen, wenn der Hilfebedürftige die notwendigen Eigenbemühungen nicht leistet. Nicht umsonst heißt es „fordern und fördern“.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Das Arbeitslosengeld II steht für uns im Einklang mit dem Auftrag, den das Grundgesetz dem Staat gegeben hat: diejenigen zu unterstützen, die sich ohne eigenes Verschulden nicht aus eigener Kraft helfen können. Das gibt aber keinem das Recht, auf Kosten der Gemeinschaft zu leben, wenn er eigentlich selbst arbeiten könnte. Es geht nicht darum, so viel Steuergeld wie möglich in die Transfersysteme zu pumpen, wie es die Linksfraktion, ihrem Antrag nach zu schließen, gerne hätte. Staatssekretär Andres hat eine erschreckende Zahl genannt: 35 Milliarden Euro würde die Durchführung Ihres Antrages kosten. Das sind traumtänzerische Zahlen ohne solide Gegenfinanzierung. Ich hätte von der Linkspartei zumindest eine unsolide Gegenfinanzierung erwartet.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Nicht einmal das!)

- Von einer soliden Gegenfinanzierung kann man bei ihr ohnehin nicht ausgehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir haben in der vergangenen Woche einen Haushalt mit einer dramatischen Neuverschuldung von 38 Milliarden Euro im laufenden Jahr beschlossen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?

Paul Lehrieder (CDU/CSU):

Ich würde liebend gern, aber die heutige Sitzung ist bereits jetzt bis 23.55 Uhr geplant. In Anbetracht der geringen Qualität der zu erwartenden Zwischenfrage verzichte ich darauf.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

   Frau Kipping, hier auf der Tribüne ist eine große Anzahl Jugendlicher. Wir zahlen bereits jetzt jeden Tag 100 Millionen Euro Zinsen. Ihr Weg wäre gewesen, die Verschuldung in dramatischer Weise weiter zu steigern. Die Generation, die uns von den Tribünen zuschaut, hätte keinerlei Bewegungsraum mehr, wenn wir Ihren Weg in die soziale Irre gingen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wer theatralisch den Sozialstaat untergehen sieht und Hartz IV am sozialen Kältepol verortet, sollte sich einmal den Einzelplan „Arbeit und Soziales“ des Bundeshaushaltes 2006 ansehen. Wir geben derzeit mehr als 51 Prozent der gesamten Haushaltsmittel für soziale Leistungen aus. Allein für das Arbeitslosengeld II sind im Haushalt 2006  24,4 Milliarden Euro angesetzt. Für Eingliederungshilfen sind 6,5 Milliarden Euro und für Verwaltungskosten 3,5 Milliarden Euro vorgesehen. Darüber hinaus werden 267 Millionen Euro für Beschäftigungspakte zugunsten älterer Menschen veranschlagt. 2006 beteiligt sich der Bund zudem mit 29,1 Prozent an den Unterkunftskosten. Die Kommunen werden so um 2,3 Milliarden Euro jährlich im Vergleich zu dem vor dem 1. Januar 2005 geltenden Recht entlastet. Dieses Geld kann in die Betreuung vor Ort investiert werden, zum Beispiel in Kinderkrippen. Sieht es so aus, wenn - so schreiben Sie es, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion - „Kosten auf die Kommunen abgewälzt werden“? Beileibe nicht!

   Apropos Kommunen: Frau Kipping, Sie haben den Prospekt „Hartz IV“ vorgezeigt und auf Ihren Wahlkreis verwiesen. Ich habe mich kundig gemacht: Das Bundestagshandbuch weist aus, dass Sie über die Landesliste Sachsen in dieses Hohe Haus gewählt worden sind. Ich gehe davon aus, dass Sie gleichwohl Verantwortung für die Menschen Ihrer Region tragen wollen.

   Ich will Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen. Mein Wahlkreis Würzburg hat sich 2004 für das so genannte Optionsmodell entschieden.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Sehr gut!)

Im Wahlkreis Erlangen des Kollegen Rohde war es ähnlich. Im Laufe des ersten Halbjahres 2005 wurden die Fälle der Agentur für Arbeit sukzessive übernommen. Das „Beratungs- und Eingliederungszentrum für Arbeitsuchende des Landkreises Würzburg“ vermerkt für das gesamte vergangene Jahr, dass trotz schwieriger Ausgangslage 511 Menschen in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden konnten, und das bei 1 300 Arbeitslosen bzw. 2 230 Bedarfsgemeinschaften. Das ist eine Quote, mit der wir uns nicht zu verstecken brauchen. Gegenüber den Jahren 2003 und 2004 mit jeweils etwa 200 Vermittelten ist das ein deutlicher Erfolg.

   Frau Kipping, legen Sie Ihren Laptop einmal zur Seite! Vielleicht können Sie mir einmal etwas lauschen.

(Zuruf der Abg. Katja Kipping (DIE LINKE))

- Das befürchte ich. Alles, was realitätsbezogen ist, ist für Sie uninteressant.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Besonders erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass 26,4 Prozent der im vergangenen Jahr vermittelten Arbeitnehmer unter 25 Jahre alt sind. Damit dürfte klar werden, dass die Reformen allmählich zu greifen beginnen.

   Bei alledem müssen wir in Rechnung stellen, dass es sich erst um einen Anfang der Reformen der Arbeitsmarkt- und Sozialgesetzgebung handelt. Viel muss noch justiert werden. Genau in dieser Phase befinden wir uns jetzt. Unter anderem mit der Angleichung der ALG-II-Regelsätze in Ost und West auf 345 Euro wollen wir für mehr Gerechtigkeit im Rahmen des Möglichen sorgen. Hier sehen wir auch die Grenzen, die uns gesetzt sind. Diese Angleichung wird bei Bund und Ländern mit Mehrkosten von 260 Millionen Euro zu Buche schlagen. Dadurch fehlt Geld an anderer Stelle. Da wir leider nicht unbegrenzt Geld drucken können und es uns nicht leisten können, über unsere Verhältnisse zu leben, müssen wir in Verantwortung vor dem Steuerzahler die knappen sozialstaatlichen Mittel zielgenau einsetzen.

   Ich erinnere an Folgendes: Beim ALG II handelt es sich grundsätzlich um eine bedürftigkeitsabhängige Leistung, die nur in der Höhe der tatsächlichen Hilfebedürftigkeit gewährt wird. Sie muss das so genannte soziokulturelle Existenzminimum sicherstellen. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe, die das uneffektiv gewordene soziale Netz in eine neue Balance bringen soll.

   Die überplanmäßigen Ausgaben von mehr als 11 Milliarden Euro, die uns einzelne Kostenblöcke des Hartz-IV-Gesetzes gebracht haben, können wir uns auf Dauer nicht leisten. Es geht um den effizienten Einsatz knapper Mittel. Es geht nicht darum, denen zu helfen, die das Geld nicht brauchen. Fehlanreize sind deshalb zu bekämpfen, und zwar im Interesse aller.

   Ein besonders prägnantes Beispiel der letzten Zeit ist der sprunghafte Anstieg der Zahl von Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften unter 25-Jähriger. Diesen Anstieg konnten wir vor einigen Wochen in diesem Hohen Haus mit großer Mehrheit - gegen die Linksfraktion - zum Glück unterbinden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Widerspruch bei der LINKEN)

   Mit dem SGB-II-Optimierungsgesetz wird die Koalition diese Linie fortführen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, neue Akzente bei der Ausgestaltung des Schonvermögens zugunsten der Altersvorsorge zu setzen und die Definition eheähnlicher Gemeinschaften zu überprüfen, die Zuständigkeiten der Arbeitsgemeinschaften und optierenden Kommunen gesetzlich klarzustellen und einiges mehr.

   Wir befinden uns mitten im Reformprozess. Unser Ziel ist es, Menschen in Arbeit zu bringen. Wir haben begrenzte Mittel und sind kein Selbstbedienungsladen. Leben wir über unsere Verhältnisse, leiden am Ende die ganze Gesellschaft und insbesondere unsere Jugend.

   Wer uns bei diesem schwierigen Vorhaben mit konstruktiven Vorschlägen unterstützen will, ist uns herzlich willkommen. Wer die Bürger mit pathetischem Tonfall, Bärbeißigkeit und ideologischer Verblendung gegen ihre eigenen Interessen mobilisieren und notwendige Maßnahmen im Keim ersticken will, ist allerdings fehl am Platz. Hier würde man den Bock zum Gärtner machen. Wir sind froh, dass eine große Mehrheit der Vernünftigen die Anträge der Linkspartei zurückweist.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Rolf Stöckel, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Rolf Stöckel (SPD):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch von mir herzliche Glückwünsche, Herr Rohde. Wir wissen jetzt, dass Sie 40 Jahre alt sind - das tut nicht weh; ich kann mich noch daran erinnern, wie das bei mir damals war -, aber wir wissen leider sehr wenig über die Optionskommunen,

(Jörg Rohde (FDP): Oh!)

über die Qualität der Eingliederungsvereinbarungen, der aktiven Arbeitsmarktangebote und der Qualifizierungsangebote in den Optionskommunen. Sie wissen das vielleicht in Bezug auf Erlangen. Wir wüssten gerne mehr. Ich kann Ihnen nur berichten, dass die Arge bei mir im Kreis Unna einen Spielraum hat, in dem sie auch eigenständig Entscheidungen treffen kann, und dass die Praxis dort auch nicht unbedingt schlechter ist als in Erlangen; das Beispiel kenne ich zufällig auch.

   Wir haben natürlich ein Interesse daran - das möchte ich prinzipiell einmal sagen; deswegen spreche ich das an -, dass die Verhältnisse, was die Qualität, die Sozialstandards, die Qualifizierung und die Vermittlung angeht, in der Bundesrepublik Deutschland nicht zersplittert werden, sondern dass es für eine eigenständige Praxis in den Arbeitsgemeinschaften vor Ort einen einheitlichen Rahmen gibt, sodass man die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse für die Betroffenen auch insofern sicherstellen kann. Das ist eine sozialdemokratische Position, die wir auch weiterhin vertreten werden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder (CDU/CSU) und des Abg. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU))

   „Hartz muss weg“ - so richtig ernst meint die PDS das auch nicht. Wenn alle Punkte ihres Antrages - es sind 40 Punkte, die ich hier nicht in sieben Minuten bewerten kann; ich biete an, das einmal zu tun, wenn Sie Interesse haben - erfüllt würden, hätte die PDS als Transferleistungsgewerkschaft gar keine Daseinsberechtigung mehr.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Eben!)

Das ist auch der Grund dafür, dass sie hier im Parlament sitzt.

   Ich sage zu den Kollegen in der Koalition einmal: Das gilt vielleicht auch für Herrn Rüttgers, der jetzt im Düsseldorfer Stadttor sitzt. Er konnte sich auch nicht klar entscheiden, ob er sich zu dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses bekennt oder ob er dagegen demonstriert. Da hat er so ähnliche Verhaltensweisen wie Herr Böhmer an den Tag gelegt. Aber darum geht es nicht.

   Wenn wir erreichen wollen, dass erwerbsfähige Menschen nicht mehr dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden - ohne Chancen auf persönliche Hilfen und Förderung, auf Qualifizierung und auf Kinderbetreuung -, dann darf Hartz IV nicht weg. Es kann erst dann weg, wenn die Langzeitarbeitslosigkeit - der Kollege Weiß hat das zu Recht gesagt - erfolgreich bekämpft ist. Ich gehörte aufgrund eigener Erfahrung - ich habe 15 Jahre in der Sozialverwaltung gearbeitet - keinesfalls zu denen, die glaubten, die sagenhafte deutsche Verwaltung brauchte nur einen Hebel umzulegen, dann würde schon alles klappen. Niemand kann ernsthaft behaupten - das ist auch schon von mehreren Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt worden -, dass die größte Sozialreform der Bundesrepublik nach einem guten Jahr Praxis bereits optimal läuft.

   Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, mit einigen Mythen aufzuräumen, die hier auch schon angesprochen worden sind. Eine Behauptung ist, dass die Leistungen, nämlich 345 Euro plus Übernahme der Miet- und Heizkosten, für Einzelpersonen nicht das menschenwürdige Existenzminimum absichern würden. Es gibt kein Land der Welt, in dem diese Leistungen höher sind und in dem die Arbeitslosigkeit erfolgreicher bekämpft worden wäre

(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt aber so auch nicht! Dänemark zum Beispiel!)

oder mehr Integration geleistet worden wäre dadurch, dass diese Leistungen höher sind. Die Regelsätze werden auf einer gesetzlichen Grundlage angepasst und nicht mehr nach einem paternalistischen Warenkorb, der auch schon bei der damaligen Sozialhilfe nicht dazu beigetragen hat, dass es objektiver oder für die Betroffenen besser gewesen wäre.

   Das ist übrigens nicht nur besser für die ehemaligen erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger oder für die ehemaligen Arbeitslosenhilfeempfänger, die ergänzende Sozialhilfe bekommen haben; es ist auch besser für die Kommunen, denen über viele Jahre die Massenarbeitslosigkeit mit allen Konsequenzen sozusagen in die Kasse geschoben worden ist. Sie sagen in Ihrem Antrag ja auch, dass Sie die Kommunen entlasten wollen. Als jemand, der aus dem Ruhrgebiet kommt, sage ich Ihnen: Bitte nicht nur die Kommunen in Ostdeutschland entlasten. Das muss insbesondere für unsere Kommunen im Ruhrgebiet auch gelten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ist es linke Politik - das habe ich mich gefragt, als ich den Antrag gelesen habe -, ist es menschenwürdig, wenn Menschen dauerhaft zur Passivität, zur Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt und zur Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen verdammt werden? Die klare Antwort von uns Sozialdemokraten ist: Nein. Ich frage Sie: Ist es linke Politik, wenn sich Großunternehmen auf Kosten der Solidargemeinschaft, nämlich mithilfe hoher und langer Arbeitslosenhilfezahlungen, massenhaft von ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch von ihrer sozialen Verantwortung verabschieden können, wie das jahrelang passiert ist? Die klare Antwort von uns lautet: Das ist keine linke Politik.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder (CDU/CSU))

   Es wird behauptet - das hat der Parlamentarische Staatssekretär Andres hier bereits aufgenommen -, dass  mit der zunehmenden Zahl der Bedarfsgemeinschaften und der Kinder in Bedarfsgemeinschaften die Armut steigt. Dieser Vorwurf, auch der Armutskonferenz in der letzten Woche, ist absurd. Wenn Leistungen verbessert werden - ich sage es hier noch einmal - und der Berechtigtenkreis ausgeweitet wird, dann ist das ein Beweis dafür, dass die Armutsbekämpfung im deutschen Sozialstaat weitgehend funktioniert.

   Ich nenne Ihnen eine Zahl aus dem Armuts- und Reichtumsbericht: Wenn es diese Leistungen nicht gäbe - sowohl die beitragsfinanzierten als auch die steuerfinanzierten Sozialleistungen einschließlich der Grundsicherung -, dann wären nicht 13,5 Prozent der Menschen vom Armutsrisiko bedroht - das sind vor allen Dingen Ausländer, Alleinerziehende und Familien mit mehr als zwei Kindern -, sondern 41 Prozent. Das heißt, der Sozialstaat funktioniert bei der Armutsbekämpfung. Er ist weiterzuentwickeln; denn er ist verbesserungswürdig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten verteidigen auch die Rechtsansprüche der Betroffenen an unseren Sozialstaat. Ein großer Teil der Kostensteigerungen ist nicht durch Missbrauch verursacht worden, sondern resultiert aus der legalen Inanspruchnahme von Rechten und gesetzlichen Regelungen. Wir Sozialdemokraten wollen keinen Almosenstaat; wir wollen keine Gesellschaft, in der letztendlich die Armenspeisungen im Vordergrund stehen. Ich glaube, dass wir insofern klar positioniert sind.

   Deshalb sage ich auch ganz klar: Ich halte es für linke Politik, wenn wir einen präventiven, aktivierenden Sozialstaat des Förderns und Forderns entwickeln. Nach Überzeugung der sozialen Wissenschaften und Praxis - seit über 25 Jahren vollziehe ich das nach - ist dieses Prinzip dem Prinzip des konservativen, nachsorgenden und vor allem Problemlagen konservierenden Wohlfahrtsstaates weitaus überlegen. Das zeigen alle internationalen Vergleiche.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Mir ist es völlig unverständlich, warum PDS und WASG, die sich Linke nennen, mit ihren Sozialstaatsvorstellungen so konservativ und weit entfernt von emanzipatorischen Ansätzen agitieren und so tun, als würden sie damit auch noch die Interessen der Betroffenen am besten vertreten.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die sind so reaktionär, reaktionärer geht es nicht!)

Das Gegenteil ist der Fall, meine Damen und Herren.

   Wem der Erhalt des Sozialstaats und nicht nur kurzsichtige populistische Parteitaktik am Herzen liegt, der muss mithelfen, diesen Sozialstaat umzubauen

(Zuruf von der LINKEN: Aber nicht abbauen!)

und zukunftsfest zu machen. Das ist allein deshalb unabdingbar, weil soziale Ängste weit verbreitet sind und weil es Vertrauensverluste gegenüber der Demokratie, der Marktwirtschaft und dem Rechtsstaat gibt. Sie beschreiben das ja in Ihrem Antrag. Ich befürchte nur, dass Sie die Lehren aus der Weimarer Republik, vor allen Dingen aus dem Ende der Weimarer Republik nicht richtig verstanden haben und das auch gar nicht wollen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Stöckel, Sie müssen zum Ende kommen.

Rolf Stöckel (SPD):

Eine moderne linke Sozialpolitik, die einen wirklich emanzipatorischen Anspruch hat, kann Sozialpolitik nicht ohne eine nachhaltige, die Demografie und Globalisierung einbeziehende Wirtschafts- und Zukunftspolitik denken. Wir haben mit der Agenda 2010 die ersten Weichenstellungen in die richtige Richtung vorgenommen und dafür viel Prügel eingesteckt. Ich versichere Ihnen: Wir werden diesen Weg mit der großen Koalition erfolgreich weitergehen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf dem Drucksachen 16/997 und 16/1124 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/997, Tagesordnungspunkt 4, soll zusätzlich an den Ausschuss für Kultur und Medien sowie an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 f sowie Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:

32. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Artikel-10-Gesetzes

- Drucksache 16/509 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz)

- Drucksache 16/1003 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Mai 2005 zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande und der Republik Österreich über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration

- Drucksache 16/1108 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Vertrags vom 27. Mai 2005 zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande und der Republik Österreich über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration

- Drucksache 16/1109 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes und des Rinderregistrierungsdurchführungsgesetzes

- Drucksache 16/1023 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)
Innenausschuss

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock, Winfried Hermann, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Notschleppkonzept an gestiegene Herausforderungen anpassen

- Drucksache 16/685 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Die Beziehungen zwischen EU und Lateinamerika solidarisch gestalten - Kein Freihandelsabkommen EU-Mercosur

- Drucksache 16/1126 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Otto Fricke, Ina Lenke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Zwangsheirat wirksam bekämpfen - Opfer stärken und schützen - Gleichstellung durch Integration und Bildung fördern

- Drucksache 16/1156 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkt 33 a bis 33 f sowie Zusatzpunkte 4 a bis 4 j auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 33 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes

- Drucksache 16/735 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

- Drucksache 16/1153 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dirk Manzewski
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Neškovic
Jerzy Montag

   Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1153, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mir ist das Abstimmungsverhalten der Fraktion der Linken nicht klar. - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Fraktion der Linken angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen.

   Tagesordnungspunkt 33 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2001 über die zivilrechtliche Haftung für Bunkerölverschmutzungsschäden

- Drucksache 16/736 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

- Drucksache 16/1154 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Neškovic
Jerzy Montag

   Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/1154, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Tagesordnungspunkt 33 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ölschadengesetzes und anderer schifffahrtsrechtlicher Vorschriften

- Drucksache 16/737 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

- Drucksache 16/1160 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Neškovic
Jerzy Montag

   Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1160, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Tagesordnungspunkt 33 d:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 8. Dezember 2004 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zu dem Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen

- Drucksache 16/914 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

- Drucksache 16/1143 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Kolbe

   Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/1143, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Tagesordnungspunkt 33 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. März 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Jemen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Luftfahrtunternehmen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen

- Drucksache 16/915 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

- Drucksache 16/1144 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Kolbe

   Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1144, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Tagesordnungspunkt 33 f:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Bereinigung des Lastenausgleichsrechts

- Drucksachen 16/916, 16/955 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

- Drucksache 16/1145 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Kolbe

   Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1145, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Zusatztagesordnungspunkt 4 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Luftaufsicht und die Luftfahrtdateien

- Drucksache 16/958 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss)

- Drucksache 16/1159 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Menzner

   Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1159, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen der Linken, der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen.

   Zusatztagesordnungspunkt 4 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

Übersicht 2

über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht

- Drucksache 16/1141 -

   Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

   Zusatztagesordnungspunkt 4 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 28 zu Petitionen

- Drucksache 16/1132 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 28 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Zusatztagesordnungspunkt 4 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 29 zu Petitionen

- Drucksache 16/1133 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 29 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Zusatztagesordnungspunkt 4 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 30 zu Petitionen

- Drucksache 16/1134 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 30 ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Grünen angenommen.

   Zusatztagesordnungspunkt 4 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 31 zu Petitionen

- Drucksache 16/1135 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 31 ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Zusatztagesordnungspunkt 4 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 32 zu Petitionen

- Drucksache 16/1136 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 32 ist damit mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken angenommen.

   Zusatztagesordnungspunkt 4 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 33 zu Petitionen

- Drucksache 16/1137 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 33 ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

   Zusatztagesordnungspunkt 4 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 34 zu Petitionen

- Drucksache 16/1138 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 34 ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und der Linken angenommen.

   Zusatztagesordnungspunkt 4 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 35 zu Petitionen

- Drucksache 16/1139 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 35 ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktionen der Linken, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP angenommen.

   Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde

Beitrag des Energiegipfels zur Energieversorgungssicherheit und zur Verringerung der Gefahren durch Atomkraft und Klimawandel

   Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat diese Aktuelle Stunde beantragt.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte der Koalition zu diesem Energiegipfel als prominentem Ereignis gerne Glückwunsch gezollt. Als ich ans Pult ging, hieß es: Jetzt bekommen wir bestimmt Lob. - Ich muss der Ehrlichkeit halber sagen: Lob bekommen Sie allenfalls für die mediale Inszenierung. Die Ergebnisse waren aber doch eher dünn, falls es neben der Gründung von Arbeitsgruppen überhaupt Ergebnisse gab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es war ein Gipfel der Aussparung, eine Art Spiegelbild des Minimalkonsenses innerhalb der Koalition. Man könnte auch sagen: Sie sind als Gipfelstürmer angetreten, aber irgendwo im märkischen Sand stecken geblieben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte auch sagen: Das war ganz im merkelschen Sinne.

   Der Gipfel hat eines gezeigt: viel Wind, aber wenig erneuerbare Energien. Die Gästeliste verwundert einen dann auch nicht. Vertreten waren die Besitzstandswahrer der Energiewirtschaft, die vier großen Monopolisten, aber wenige Verbraucher und überhaupt keine Umweltgruppen. So macht man keinen der Zukunft zugewandten Energiegipfel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE))

   Sie sind die energiewirtschaftlichen Fragen nicht angegangen. Dabei geht es um die Fragen: Wie kann unsere Energieversorgung langfristig sicher sein? Wie kann man sie langfristig wirtschaftlich gestalten und nicht nur am Tropf halten? Wie kann man sie nachhaltig gestalten? - Dazu ist gar nichts gesagt worden. Sie haben auch die Kernthemen des Energiebereichs vollkommen außen vor gelassen. Wie kann man eigentlich behaupten, einen Energiegipfel zu veranstalten, wenn man nicht über den Verkehr diskutiert?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt doch: Sie haben das halbe Problem schlicht und einfach ignoriert. Der Löwenanteil unserer Erdölimporte wird nämlich im wahrsten Sinne des Wortes verfahren. Wir machen hier vollkommen unsinnig Gebrauch von einer limitierten und teuren Ressource. In keinem anderen Bereich sind wir so abhängig vom Erdöl wie im Verkehr und Sie machen einen Energiegipfel, ohne über dieses Thema zu reden!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn sich an dieser Stelle nichts bewegt, bewegt sich demnächst auch im Verkehr nichts mehr. Stattdessen haben Sie auf diesem Gipfel ein gefährliches Spiel mit der Debatte über den Ausstieg aus der Atomenergie getrieben. Der Dissens, den Sie so munter zwischen den Koalitionsfraktionen pflegen, stellt mittlerweile eine Blockade für Innovationen und dringend nötige Investitionen in Deutschland, zum Beispiel im Mittelstand, dar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich frage mich auch: Was ist jetzt eigentlich mit dem Koalitionsvertrag? Gilt er nur ein bisschen oder nur bis zu einem bestimmten Punkt? Das riecht mir verdammt nach: Wir sind ein bisschen schwanger. - Genau so agieren Sie bei diesem Thema. Im Ergebnis tun Sie nichts für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für Innovationen in diesem Land. Mit Ihrem Gerede auf dem Gipfel haben Sie allenfalls den Kraftwerksbetreibern geholfen, große Profite zu machen. Sie haben aber mittelfristig nicht einmal einem Verbraucher in diesem Land geholfen und dazu beigetragen, dass er auf seiner nächsten Stromrechnung sieht, dass die Kosten sinken und nicht weiter steigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sie lassen sich durch vermeintliche Investitionszusagen zu Zugeständnissen bringen. Was wir in Wahrheit brauchen, ist eine Regierung, die sich nicht erpressen lässt, gerade beim anstehenden Thema „Emissionshandel und Zertifikate“. Was Ihnen da an Geldern angeboten wird, ist das statistische Mittelmaß dessen, was sie sowieso investieren müssen. Wir brauchen etwas anderes. Wir brauchen einen Anschub, der zu Überkapazität und neuen Akteuren auf dem Markt führt, damit Wettbewerb entsteht, zugunsten einer anderen Zukunft und zugunsten der Verbraucherhaushalte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Man muss jetzt umsteuern; man darf das nicht wieder vertagen. Man muss jetzt einsteigen beim Primat der Energiepolitik in eine Zukunft der Einsparungen. Wir wissen, dass die meisten Industriestaaten, wenn sie eine gute Strategie verfolgen, mit der besten verfügbaren Technologie problemlos 20 bis 30 Prozent des jetzigen Energieverbrauchs einsparen könnten.

Dann brauchen Sie aber ehrgeizige Anforderungen, in Bezug auf den Wärmeschutz bei Neubauten, Höchstverbrauchstandards für Klima- und Lüftungsanlagen, und Sie brauchen Verbote für Stand-by-Geräte in der Unterhaltungselektronik. Wir können bis 2020 unseren Verbrauch quasi halbieren.

   Der Energiegipfel hat uns eines gezeigt: Sie haben keine Ziele; Sie arbeiten weiter für die großen Anbieter. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden dem ein grünes weiterentwickeltes Energieszenario entgegensetzen.

(Martin Zeil (FDP): Bitte keine Drohung!)

Daran werden wir Sie messen. Wir werden Sie beim Emissionshandel -

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

- ich bin beim letzten Wort - fragen: Wie vergeben wir Zertifikate? Ich sage Ihnen eines: Die 10 Prozent müssen wirklich versteigert werden. Wir dürfen eines nicht tun: uns von den großen Wirtschaftsunternehmen -

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

- erpressen lassen.

   Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Beck, zur Geschäftsordnung, bitte.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Keiner der für dieses Thema, Energie, zuständigen Minister ist hier anwesend. Ich verstehe ja, dass man sich angesichts des Outputs dieses Energiegipfels hier im Parlament nicht stellen will. Ich habe Verständnis bei Herrn Glos: Er ist in den USA; wenn er kommen sollte, wäre das ein bisschen schwierig. Aber der Bundesumweltminister ist im Haushaltssausschuss.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Der Staatssekretär ist da!)

Ich meine, das geht nicht. Bei einem so wichtigen Thema muss die Bundesregierung auch durch Minister hier im Plenum vertreten sein.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Nein, muss sie nicht!)

Wenn sie so nicht vertreten ist, ist das eine Missachtung des Parlaments. Wir beantragen die Herbeizitierung des Bundesumweltministers.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Davon kann doch überhaupt nicht die Rede sein! Das ist völlig albern! Der Staatssekretär ist anwesend!)

- Es gehört sich, dass beim Thema Energiegipfel auch der zuständige Minister hier spricht oder dass er, wenn er nichts zu sagen hat, wenigstens hier anwesend ist und sich eine solche zentrale Debatte des Parlaments anhört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kumpf, bitte.

Ute Kumpf (SPD):

Herr Kollege Beck, ich glaube, Ihr Einwand und Ihr Antrag sind eine Farce. Es ist ein sehr bekannter, sehr ausgewiesener Experte auf der Regierungsbank anwesend, der dieses Thema exzellent für uns vertreten wird.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer denn? - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meinen Sie Herrn Neumann?)

- Ich rede von unserem Kollegen Michael Müller, der den Minister vertritt. Er ist ein ausgewiesener Fachmann

(Martin Zeil (FDP): Für was?)

in der Angelegenheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dass Minister Gabriel vor dem Haushaltsausschuss vorstellig werden muss, ist das höchste Recht und auch ein parlamentarisches Recht des Haushaltsausschusses. Das ist auch Ihnen sehr wohl bekannt. Ich denke, es ist genügend Kompetenz auf der Regierungsbank vertreten.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieso bezahlen wir überhaupt Minister, wenn wir sie nicht brauchen?)

Daher ist Ihr Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich lasse über den Geschäftsordnungsantrag des Kollegen Beck abstimmen. Wer für die Herbeizitierung des Ministers ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Letzteres war die Mehrheit. Deshalb, Herr Kollege Beck, ist Ihr Antrag abgelehnt.

   Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich dachte, Herr Müller spricht! - Gegenruf von der CDU/CSU: Zuhören!)

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin zweimal dankbar, einmal dafür, dass die Bundeskanzlerin diesen Energiegipfel organisiert und durchgeführt hat, und zum Zweiten dafür, dass die Grünen diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Denn so können wir hier erklären, worum es wirklich geht.

   Dieser Energiegipfel war absolut notwendig. Das haben alle Beteiligten auch so gesehen. Was die Beteiligten angeht, Frau Künast: Es waren natürlich Vertreter der Solarenergiewirtschaft, Klaus Töpfer und weitere Personen aus dem entsprechenden Bereich anwesend.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Klaus Töpfer ist ja keine deutsche NGO!)

Der Kreis war also intelligent und der Sache angemessen zusammengesetzt. Ein Energiegipfel ist auch kein Klein-Klein, kein Hin-und-Her und kein Springen von einem Thema zu anderen. Denn er sollte ein strategischer Neuanfang sein. Schließlich haben wir seit vielen Jahren nicht mehr über die Energiepolitik und die Lage der Energiewirtschaft in Deutschland geredet,

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jedenfalls Sie nicht!)

jedenfalls nicht umfassend und im Rahmen eines gesamtstrategischen Konzepts. Damit sollte auf diesem Energiegipfel begonnen werden. Das ist unter volkswirtschaftlichen, internationalen und technologischen Gesichtspunkten nötig. Das ist eine absolut runde Angelegenheit.

   Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten nichts zum Verkehr gesagt. Ich will nur ein Beispiel nennen: Die Brennstoffzelle ist eine ganz wichtige technologische Antwort auf die vor uns liegenden Herausforderungen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Sie während Ihrer Regierungszeit Entscheidendes für die Brennstoffzelle geleistet hätten.

(Ulrich Kelber (SPD): Natürlich! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das nennt man retrograde Amnesie! Quatsch! Da protestiert schon die SPD!)

Wir legen ein Forschungsprogramm mit einem Volumen von 155 Millionen Euro und einer Laufzeit von drei Jahren auf. Eine so massive Forschungsförderung hat es in diesem Bereich noch nicht gegeben. Wir begrüßen, dass wir das gemeinsam beschließen können. Frau Künast, unter Ihrer Regierungsverantwortung wurde ein solches Programm nicht aufgelegt.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieso fahren die Autos jetzt schon mit Biodiesel?)

   Eine Diskussion über die strategische Ausrichtung unserer Energiepolitik ist notwendig. Sie kann einen Beitrag zur Verbesserung der Energieversorgungssicherheit anstoßen. In diesem Zusammenhang sind Fragen der Wirtschaftlichkeit, der Umweltverträglichkeit, der internationalen Sicherheit und der Versorgungssicherheit zu berücksichtigen. Es lohnt, über grundsätzliche Fragen zu reden.

   Frau Künast, in der Energiepolitik brauchen wir vor allen Dingen Rationalität, ein Wissen über die Fakten und Zusammenhänge sowie möglichst wenig Ideologie. Von den ideologischen Ansätzen grüner Energiepolitik haben wir uns auf diesem Gipfel verabschiedet. Das wird Deutschland ausgesprochen gut tun.

(Beifall bei der CDU/CSU - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind doch der Oberideologe! Ohne Sie wären wir schon viel weiter!)

Mit dem Statusbericht, den Bundesminister Glos zusammen mit Bundesminister Gabriel vorgelegt hat, haben wir eine gute Grundlage für die Neuorientierung und die Versachlichung der Energiepolitik gelegt.

   Energiepolitische Entscheidungen müssen immer die drei energiepolitischen Ziele im Blick haben: Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit sowie Umweltverträglichkeit. Ich habe die Wirtschaftlichkeit bewusst an den Anfang gestellt. Gerade auf diesem Gebiet wurden in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Atomkraft!)

Der grüne Ansatz bei der Wirtschaftlichkeit, den die Bürger heute teuer bezahlen, war: Energie kann ruhig teuer sein; denn nur, wenn Energie teuer ist, gehen die Bürger sparsam damit um. Das war ein Kern Ihrer Energiepolitik, der natürlich enorme Auswirkungen auf die Entwicklung der Energiepreise in Deutschland hatte.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Während Atomkraft noch in hundert Jahren kostet!)

   Aufgrund der hohen Kosten für Energie in Deutschland haben wir erhebliche wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Probleme. Die Kosten für Energie in Deutschland wurden von Ihnen aus ideologischen, aus so genannten pädagogischen Gründen kraftvoll erhöht. Bei der Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit des Energiepreises - Sie haben den Energiepreis nicht mehr ernst genommen - haben wir eine erhebliche Korrektur vorgenommen. Ich hoffe, dass sie sich mittelfristig auf den Standort Deutschland im Wettbewerb der Nationen positiv auswirkt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen in aller Sachlichkeit immer wieder analysieren, ob die angestrebten Ziele auch tatsächlich erreicht werden. Auch das soll ein Ergebnis der verstärkten Diskussion über unsere energiepolitische Ausrichtung sein.

   Der Energiegipfel ist als Auftakt einer Debatte über die mittel- und langfristige Energiepolitik gedacht. Kein laufendes Projekt wird gestoppt. Es gibt keinen Stillstand. Insofern können wir uns die Zeit nehmen, gründlich darüber nachzudenken. Alle Projekte, die sich jetzt in der Pipeline befinden, werden weitergeführt. All das, was im Energiewirtschaftsgesetz festgelegt ist - die notwendigen Neujustierungen, die Aufstellung der Netzagentur -, läuft unbeeinflusst weiter. Die Ergebnisse des Energiegipfels zeigen langfristige Planungsansätze auf, sie zeigen, wie wir uns energiepolitisch in der Zukunft aufstellen sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir werden - das haben Sie den Medien entnommen - drei Arbeitskreise einrichten. Einer beschäftigt sich mit den internationalen Aspekten, einer mit den nationalen Aspekten und einer mit Forschung und Energieeffizienz. Diese drei Arbeitskreise sollen Vorlagen erarbeiten. Dann soll ein weiteres Spitzentreffen stattfinden. Ziel dieses Prozesses ist die Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes, das die Bundesregierung in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 vorlegen will. Diese Zeit nehmen wir uns. In der Zwischenzeit wird das getan, was aktuell anliegt. Es herrscht also kein Stillstand. Wir arbeiten konkret in den aktuellen Bezugsfeldern und erstellen gleichzeitig eine mittel- und langfristige Strategie.

   Die praktische Energiepolitik geht weiter und die Ergebnisse und Erkenntnisse fließen in das Gesamtkonzept ein. Mit einfließen sollen auch die Ergebnisse der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der G-8-Präsidentschaft im Jahr 2007. Wir wollen das international aufstellen. Frau Merkel hat ja bekanntlich die Energiepolitik als einen der drei Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft genannt. Wir bereiten uns darauf vor und hoffen, daraus Erkenntnisse für die strategische Ausrichtung der deutschen Energiepolitik zu gewinnen.

   Wichtig ist natürlich der Energiemix, für den wir auch Erkenntnisse gewinnen wollen. Wie können wir ihn optimieren? Dabei fallen als erstes die Kohle und die fossilen Brennstoffe ins Auge. Wir wollen neue Ansätze in Technik und Forschung entwickeln bis hin zum CO2-freien Kraftwerk. Dafür nehmen wir richtig Geld in die Hand. Wir schließen nichts aus. Wir wollen möglichst breit auch unter dem Gesichtspunkt der Energiesicherheit aufgestellt sein.

   Wir begrüßen ausdrücklich die beim Energiegipfel gegebenen Zusagen der Energiewirtschaft zu umfangreichen Investitionen in Kraftwerke und Stromnetze.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU))

Frau Künast, das hat es in Ihrer Zeit auch schon einmal gegeben, aber sehr vage, unbestimmt und nicht belastbar. Man wollte 20 Milliarden Euro in ein Investitionsprogramm investieren. Dieser Gipfel hat dazu geführt, dass aus den 20 Milliarden Euro 30 Milliarden Euro geworden sind. Er hat eine neue Sicherheit in die Gespräche gebracht. Ich halte die Zusagen, die jetzt gemacht worden sind, für belastbarer als das, was vorher hin und wieder einmal erörtert worden ist. Wir sind also auch hier ein gutes Stück weitergekommen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das werden Sie alles noch merken!)

- Ja, das wird sich zeigen. Haben Sie ein bisschen Geduld! Das ist sicher eine Tugend, die Ihnen ziemlich abgeht. Üben Sie sie einmal ein bisschen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sonst wäre ich nicht hier!)

Bei uns geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Bei Ihnen war und ist das offensichtlich immer noch umgekehrt. Wir wählen den anderen, den seriöseren Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die erneuerbaren Energien sind wichtig. Das haben die Teilnehmer des Energiegipfels einhellig unterstrichen. Sie sind ein wichtiger und wachsender Teil des Energiemixes. Lassen Sie mich dazu zum Abschluss noch ein paar Zahlen vortragen, weil ich glaube, dass sie beeindruckend sind. So etwas hat es in der Energieforschungspolitik bisher nicht gegeben. Für rationelle Energieumwandlung haben wir im Jahr 2005 104 Millionen Euro ausgegeben; für das Jahr 2009 planen wir 203 Millionen Euro ein. Das ist fast eine Verdoppelung und das sind 36 Prozent der Finanzmittel, die wir für die Energieforschung und -optimierung ausgeben. Bei den erneuerbaren Energien gibt es ebenfalls eine Erhöhung von 135 Millionen Euro Ist in 2005 auf 154 Millionen Euro in 2009. Wir sind also in diesen Bereichen gut drauf. In keinem Bereich des Haushalts ist ein solcher Aufwuchs zu verzeichnen wie in diesem forschungs- und energierelevanten Bereich. Ich meine, wir sind intelligent aufgestellt. Der Energiegipfel war gut. Wir bedanken uns für die Gelegenheit, mit Ihnen hier im Plenum des Deutschen Bundestages eine Stunde darüber diskutieren zu können.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Gudrun Kopp (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! „Gut drauf“ ist die Bundesregierung - Herr Staatssekretär, das nehmen wir gern zur Kenntnis. Wahrscheinlich hat der Energiegipfel dazu beigetragen. In Wahrheit aber war er ein selbsttherapeutischer Gesprächskreis und ohnehin ein Milliardenpoker. Mehr hat er nicht gebracht. Substanz kann ich wirklich nicht erkennen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich muss Sie daran erinnern: Wir haben gestern im Wirtschaftsausschuss versucht, auszuloten, wie sich die 33 bis 40 Milliarden Euro, die Sie an Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien zugesagt haben, zusammensetzen und woher sie kommen, also wie belastbar diese Summe ist. Sie konnten uns nicht erläutern, wie sich diese Summe zusammensetzt. So klar scheint den Regierungsteilnehmern also nicht zu sein, was eigentlich passieren soll.

(Beifall bei der FDP)

   Die notwendigen Investitionen in Kraftwerke und Netze haben Sie angesprochen; sie sind in der Tat wichtig und richtig. Aber die Unternehmen investieren nur, wenn sie wissen, wie die Rahmenbedingungen aussehen. Auch hierzu haben Sie manche Fragen völlig offen gelassen: Welche Vorgaben machen Sie mit Blick auf den Nationalen Allokationsplan II? Was kommt hier auf uns alle, auf die Verbraucher wie auf die Unternehmen, zu? Diese Fragen haben Sie sträflich vernachlässigt.

   In Vorbereitung dieses fulminanten Gipfels habe ich Ihren Statusbericht gelesen. Darin stellen Sie die Frage: Wird es für die auslaufende Stromerzeugung aus Kernenergie qualitativ ausreichend und wirtschaftlich vertretbar Ersatz geben? Diese Frage haben Sie gestellt, ohne bemerkt zu haben, dass Sie in diesem Zweierkanon den dritten Aspekt, die Umweltverträglichkeit, völlig außer Acht gelassen haben. Sie haben sich nicht gefragt, ob das unter umweltpolitischen Gesichtspunkten passt. Ich finde, das ist entlarvend; denn daran wird deutlich, dass Sie nicht genau genug hinschauen.

   In Ihrem Statusbericht gehen Sie davon aus, dass - den Ausstieg aus der Kernenergie unterstellt - in circa zehn bis 13 Jahren der Fokus auf einer vermehrten Kohlenutzung, auf einer Verdopplung des Gasverbrauchs und auf einer Verdoppelung des Einsatzes erneuerbarer Energien liegen wird. Sie müssen natürlich auch die Frage beantworten, wie Sie das Thema Klimaschutz - ich habe es bereits angesprochen - in diesem Mix berücksichtigen wollen. Was die erneuerbaren Energien betrifft, ist das okay. Auch wir wünschen uns in diesem Bereich eine Förderung, und zwar nach einem differenzierten Mengenziel, das wir festzulegen haben. Sie lassen das aber offen.

   Es fehlt ein energiepolitisches Gesamtkonzept, für dessen Erarbeitung Sie sich jetzt noch fast zwei Jahre lang Zeit lassen wollen.

(Ernst Burgbacher (FDP): Sehr wahr! Leider!)

Ich finde, diese Zeit haben wir nicht mehr. Wir sind gebeutelt von Arbeitslosigkeit, von höchsten Energiekosten und von Rahmenbedingungen, die weit entfernt sind von dem, was wir uns unter Wettbewerb und Markt vorstellen. Daran hat natürlich auch die frühere rot-grüne Bundesregierung ihren Anteil. Die neue rot-schwarze Regierung setzt diese Politik im Augenblick schlicht fort. Ich kann in diesem Bereich keine neuen Entwicklungen feststellen.

(Beifall bei der FDP)

   Die Fragen, um die es geht, liegen auf dem Tisch und die Antworten sind nahe liegend. Aber Sie geben sie nicht. Sie streiten sich untereinander und schieben sich gegenseitig die Karten zu. Sie wollen nachdenken und strategische Überlegungen anstellen. Dabei müssten Sie dringend Antworten geben, und zwar solche, die Sie im Konsens gefunden haben.

   Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben in dieser Woche ein energiepolitisches Grundsatzpapier verabschiedet, das zukunftsweisend ist. Darin befassen wir uns mit der internationalen Energiepolitik, beleuchten den gesamten Energiemix ohne ideologische Vorgaben,

(Zuruf von der SPD: Mensch! Donnerwetter!)

und behandeln Umweltschutz, Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und die Minderung von Importabhängigkeiten als gleichrangige Ziele. Wir stellen also weder bestimmte Ziele in den Vordergrund noch rücken wir andere Ziele in den Hintergrund.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kopp, davon hätte ich gerne ein handsigniertes Exemplar!)

   Ich empfehle Ihnen dringend, sich ausgiebig mit unserem energiepolitischen Grundsatzpapier zu befassen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt)

Denn, Herr Staatssekretär Schauerte, wir haben nicht die Zeit, zwei weitere Jahre in Arbeitskreisen zu diskutieren. Sie wissen ja: Wenn man nicht mehr weiter weiß, dann gründet man einen Arbeitskreis. Sie gründen sogar drei Arbeitskreise. Handeln Sie! Treffen Sie Ihre Entscheidungen! Wir brauchen energiepolitische Leitlinien, in denen die Energiepolitik als das dargestellt wird, was sie ist: als Standortpolitik.

   Wirtschaftsminister Glos hat neulich gesagt,

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer? Glos? Wer ist das denn?)

die Energiepolitik sei nach seinem Verständnis die Hauptschlagader der gesamten Wirtschaftspolitik.

(Ernst Burgbacher (FDP): Ja! In der Tat! Da hat er Recht!)

Wenn das so ist - auch wir sind dieser Meinung -, dann handeln Sie bitte auch dementsprechend und verlieren Sie sich nicht in endlosen Diskussionszirkeln.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller.

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Energiepolitik ist ein Schlüsselthema dieses Jahrhunderts, dessen Bedeutung weit über ökonomische Fragen hinausreicht. Hierbei handelt es sich um den Schlüssel zur Sicherung des Friedens in der Welt und zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Weil das so ist, ist es bei diesem Thema unangebracht, parteipolitische Spielchen zu beginnen; dafür ist es viel zu ernst.

Ich halte nichts davon, aus umfangreichen Berichten einen einzigen Satz herauszugreifen und daran die Kritik festzumachen, Frau Kopp. Wenn Sie ehrlich gewesen wären, hätten Sie ansprechen müssen, dass der Statusbericht über lange Passagen den Klimaschutz zum Thema hatte. Wenn das nicht Umweltpolitik ist, dann weiß ich nicht, was Umweltpolitik ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Dieses Thema ist nicht dazu geeignet, die Schlachten von gestern zu schlagen. Es gibt eine Mahnung der beiden großen Aufklärer Theodor Adorno und Max Horkheimer, die immer wieder die Frage gestellt haben, ob die europäische Gesellschaft noch die Kraft in sich hat, Fortschritt und Entwicklung möglich zu machen. Aus meiner Sicht ist ihre Mahnung, dass in jeder modernen Gesellschaft immer auch der Keim des Rückschritts steckt, richtig.

   Es gibt kaum einen Bereich, in dem die Weichen so neu gestellt werden müssen wie in der Energiepolitik. Die Grundfrage in der Energiepolitik, die wir klären müssen, ist: Welches Verständnis von Zeit haben wir? Es gibt nämlich zwei völlig unterschiedliche politische Strategien, je nach dem Verständnis von Zeit: Wenn wir in der Energiepolitik zu dem Ergebnis kommen, dass wir uns den aktuellen Zwängen anpassen müssen, kommen wir zu anderen Schlussfolgerungen, als wenn wir vor allem von den großen Zukunftsherausforderungen ausgehen und versuchen, frühzeitig Antworten zu geben. Ich plädiere für das Zweite, weil ich glaube, dass die Veränderungen, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen, so gewaltig sind, dass kurzfristige Anpassungen wenig bringen werden. Wir müssen die Energiepolitik aus ökologischen, aus ökonomischen und aus friedenspolitischen Gründen neu ordnen, sonst wird sie immer mehr zur Achillesferse der modernen Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Lassen Sie mich das an drei Punkten deutlich machen: Erster Punkt. Im Augenblick nutzen 1,3 Milliarden Menschen ungefähr drei Viertel der kommerziellen Energie und Rohstoffe. Nehmen wir an, dass Länder wie China, Indien und Brasilien - die bevölkerungsreichsten Schwellenländer - in 35 Jahren das Wohlstandsniveau erreichen, das heute Ungarn hat, dann bedeutet das eine Verdreifachung des Weltsozialprodukts. Wenn man gleichzeitig andere Entwicklungen berücksichtigt - Wachstum der Industrieländer, der anderen Länder, Bevölkerungswachstum - ist es eine Verfünffachung. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass diese Herausforderung mit der heutigen Energieversorgung lösbar ist - es ist schlicht eine Illusion. Im Gegenteil: Die Länder, die auf diese Herausforderungen frühzeitig eine Antwort geben, werden in der Zukunft am besten dastehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die zweite große Herausforderung ist der Klimawandel. Wir wissen in der Zwischenzeit, dass die größten Veränderungen im Klimasystem nicht in den tropischen und subtropischen Breiten - obwohl es da schlimm genug ist -, sondern in den nordpolaren Regionen stattfinden; dort ist die Klimasensibilität am höchsten. Beispielsweise beträgt die Erwärmung im Weltdurchschnitt etwa 0,7 Grad, aber über Grönland erreicht sie schon fast 3 Grad. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Erwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts im Durchschnitt 2,5 Grad beträgt. Das bedeutet in der Konsequenz: Über Grönland wird eine Erwärmung von mehr als 12 Grad zu befürchten sein. Was das wegen der Veränderungen in den Meeressystemen bedeutet, kann man sich gar nicht ausmalen!

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube, wir brauchen doch den Gabriel!)

Die Konsequenz daraus kann nur ein Umbau des Energiesystems sein; darüber ist intensiv zu reden. Das wiederum ist eine Frage unseres zeitlichen Verständnisses.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Dritter Punkt: Die Zeit der billigen Energie ist vorbei. Es sind Leute wie James Schlesinger und Henry Kissinger, die uns vor drohenden Ressourcenkriegen warnen, wenn nicht vor allem die Industrieländer einen anderen Umgang mit Energie pflegen. Das sind doch die Herausforderungen der Zukunft, denen wir uns stellen müssen!

   Deshalb geht es um unser zeitliches Verständnis von Energiepolitik. Ein Teil dieses Hauses kennt nur die Anpassung an aktuelle Zwänge. Aber das kann nicht die Lösung sein. Energiepolitik muss heißen, die Infrastruktur der Zukunft möglichst früh zu entwickeln. Energie sparen: Effizienzsteigerung und erneuerbare Energien. Das sind die Antworten, die von der großen Koalition gemeinsam geben werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich will auf einen interessanten Punkt hinweisen: Es waren im Wesentlichen die Fraktionen von CDU/CSU und SPD, die 1990 das große Klimaschutzziel 25 Prozent weniger CO2-Ausstoß entwickelt haben.

   Ich sage: Ganz egal, wie man die Koalition einschätzt, sie ist verpflichtet, erfolgreich zu sein, weil das schon aufgrund der Konstellation notwendig ist.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, nein!)

- Ja, doch. Man sollte über den Tellerrand hinausschauen. Für die Demokratie ist es wichtig, dass diese Koalition erfolgreich ist. - Wenn wir es schaffen - gerade in der Energiepolitik -, ein Zeichen nach vorne zu setzen und eine Entwicklung einzuleiten, die überall in der Welt vorbildlich ist, dann hat sich diese Koalition gelohnt. Dafür setzen wir uns ein.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hätte die SPD ja schon vor Jahren merken können!)

- Liebe Renate Künast, dazu möchte ich einmal etwas Deutliches sagen: Es ist ja schön und gut, dass sich die Grünen immer um das Thema erneuerbare Energien gekümmert haben - übrigens nicht allein -,

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das meine ich doch gar nicht!)

aber es wäre sehr viel schöner gewesen, wenn sich die Grünen beispielsweise auch sehr viel mehr des Themas Effizienz angenommen hätten. Hier war nämlich die große Schwachstelle. Reden wir also darüber. Das wisst ihr doch auch ganz genau.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also bitte, was ist denn mit dem Emissionshandel?)

   - Auch beim Emissionshandel hätten wir manche Weichen anders stellen können.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Clement!)

   Auch das weiß Jürgen Trittin besser, als er es hier sagt.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit eurem Werner Müller?)

- Wenn ich darauf hinweisen darf: Er war in den letzten drei Jahren nicht in der Regierung. - Lasst uns bitte nicht die Schlachten von gestern schlagen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was tut die Regierung? - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was macht ihr denn jetzt?)

   Ich will, dass diese Zukunftsherausforderungen im Zentrum stehen. Die Reaktion der Grünen scheint mir eher die zu sein, dass sie Angst haben, ein Thema zu verlieren.

(Beifall der Abg. Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU))

Das scheint mir der Punkt zu sein. Das ist diesem Thema nicht angemessen. Lasst uns bitte gemeinsam in die Zukunft schauen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Ich glaube, dass es vor allem um vier zentrale Punkte geht:

   Erstens. Der Austausch von Energieträgern als Energiepolitik ist nicht ausreichend. Die entscheidende Frage ist, unter welchen Rahmenbedingungen wir so schnell wie möglich mehr einsparen sowie eine höhere Effizienz schaffen und schneller erneuerbare Energien entwickeln können.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagt doch mal was zum Emissionshandel und zum Verkauf der Zertifikate!)

Genau diese Fragen müssen ins Zentrum rücken und nicht der Austausch eines Energieträgers durch den anderen. Die Frage lautet: Wie können diese Ziele optimal erreicht werden? Das geschieht nicht durch immer mehr Energieeinsatz, sondern der intelligente Einsatz von Energie ist die entscheidende Herausforderung.

   Zweiter Punkt: unser Vorangehen beim Klimaschutz. Das ist die zentrale Zukunftsherausforderung. Die Welt schaut dabei auf Europa. Was in Europa geschieht, wird die Welt prägen.

   Dritter Punkt. Wir müssen die Energiepolitik immer mehr als Energieaußenpolitik begreifen. An der Frage des Energieeinsatzes wird sich die Sicherheit der Welt entscheiden. Auch hier ist entscheidend, was Europa tut. Der Gedanke, das technologisch starke Westeuropa mit dem Rohstoffriesen Russland im Sinne einer intelligenten Kooperation für die Welt zusammenzubringen, ist eine große Vision, die wir voranbringen sollten. Ich finde, auch hier war die Diskussion in den letzten Wochen im Verhältnis zur großen Bedeutung dieses Themas kleinkariert. Ich glaube nicht, dass uns das voranbringt.

(Beifall bei der SPD - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Größe von Michael Müller!)

   Lassen Sie mich noch den vierten Punkt nennen. Wir müssen auch den historischen Fehler überwinden, zu meinen, dass sich die Stärke eines Landes vor allen Dingen an der Arbeitsproduktivität orientiert. Energie- und Ressourcenproduktivität sind zentrale Wettbewerbsfaktoren in der Zukunft. Dadurch wird der Fehler überwunden, dass bei einem schwächer werdenden Wachstum immer mehr Menschen durch Technik ersetzt werden. Wir schaffen eine Produktivität, durch die auch mehr Arbeit möglich wird.

   Das sind vier Herausforderungen, die wir mit der Energiepolitik verbinden. Lasst uns deshalb nach vorne schauen. Wir führen nicht die Schlachten der Vergangenheit, sondern wir sehen vor allem die Herausforderungen der Zukunft und wir wollen Antworten geben, die umweltverträglich, wettbewerbsfähig und kostengünstig sind.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir wissen jetzt, was Regieren heißt! Wir dachten immer, Regieren heißt Antworten geben und nicht nur Fragen stellen! - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war eine Nullemission! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da muss man sich nur einmal die ganzen SPD-Bundesländer dazu ansehen!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Als Nächster hat der Kollege Hans-Kurt Hill von der Linken das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der hinter uns liegende Winter wird für uns alle teuer. Der Verbraucher zahlt bis zu 500 Euro mehr für das Heizen und den Strom. Das ist für viele Haushalte ein halbes Monatsgehalt. Und was tun die Energiekonzerne? Bei immer weniger Mitarbeitern verkünden sie für das letzte Jahr natürlich Rekordgewinne.

EnBW und RWE haben insgesamt 14 000 Mitarbeiter entlassen. Andere Konzerne veranstalten Übernahmen mit riesigen Summen: 29,1 Milliarden Euro will Eon für die spanische Endesa berappen. Bezahlt wird das Ganze aus den Taschen der Verbraucher.

(Ulrich Kelber (SPD): Und Verbraucherinnen!)

- Natürlich auch der Verbraucherinnen. - Weitere Beispiele: 6 Milliarden Euro pro Jahr steckt das Stromoligopol im Rahmen des Emissionshandels in die eigene Tasche. 18 Milliarden Euro zahlen die Kunden jedes Jahr allein für die Nutzung der Stromnetze; aber nur 2 Milliarden Euro fließen davon in die Netze zurück. Alles in allem kann man sagen: Die Energiekartelle ziehen den Bürgerinnen und Bürgern ungeniert das Geld aus der Tasche.

   Und was macht die Bundesregierung? Erstens. Sie erhöht die Mehrwertsteuer um noch einmal 3 Prozentpunkte. Zweitens. Sie lädt die Energiebosse zum Gipfel ein, auf dass alles besser werde. Ich bin der Meinung, das ist den Menschen im Land nicht mehr zu vermitteln.

(Beifall bei der LINKEN)

   Der Energiegipfel bei Bundeskanzlerin Merkel am Montag letzter Woche hat das Bild abgerundet. Man sitzt gemeinsam im sicheren Boot und lässt die Verbraucherinnen und Verbraucher schwimmen. Mein Respekt gilt an dieser Stelle Edda Müller vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Sie vertrat als Einzige die 39 Millionen privaten Haushalte mit Bravour.

(Beifall bei der LINKEN)

Machen wir uns nichts vor: Die Gästeliste spiegelt wider, wohin die Reise geht, nämlich zurück in die fossil-atomare Steinzeit. Wenn die Kanzlerin keine andere Energiepolitik will, dann sollte sie uns das sagen und nicht so einen Zirkus veranstalten.

   Die Investitionszusage der Konzernbosse ist unserer Meinung nach eine Mogelpackung. Die 30 Milliarden Euro waren schon lange vor dem Energiegipfel fest eingeplant, und zwar für die Ersetzung der maroden Kohleblöcke bzw. für die Neubauten, die von Umweltminister Gabriel über den Emissionshandel subventioniert werden.

   Hinzu kommt: Kein einziger Arbeitsplatz wird geschaffen. Die neuen Kraftwerke ersetzen zwar die alten Dreckschleudern, werden aber nur mit einem Viertel des Personals betrieben. Das bestätigen sogar die RWE-Betriebsräte. Dass die Großen der Branche die Investitionen nur in Aussicht stellen, darf sicherlich als Drohkulisse für die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken verstanden werden; denn da kann man richtig verdienen: 300 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen pro Jahr beschert die Verlängerung der Laufzeit eines einzigen Atomkraftwerkes.

   Die Branche der erneuerbaren Energien leistet als Einzige einen echten Beitrag für eine zukünftige Energieversorgung. Der Anteil von Energie aus Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Erdwärme soll in den nächsten 14 Jahren auf 20 Prozent steigen. Das bedeutet: Durch den steigenden Anteil dieser heimisch erzeugten Energie nimmt die Versorgungssicherheit zu. Mehr erneuerbare Energien entlasten die Geldbeutel der Verbraucher. Sie fangen die hoch drehende Preisspirale bei Öl und Gas auf. Die CO2-Einsparung wird jährlich 270 Millionen Tonnen betragen. Bis 2020 werden 330 000 neue Arbeitsplätze entstehen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Es ist aber zu fragen, ob sich die erneuerbaren Energien tatsächlich durchsetzen können. Zurzeit werden sie vom Energiekartell behindert, sei es beim Anschluss ans Netz, sei es durch unzureichenden Ausbau der Stromtrassen, um zum Beispiel Windstrom einzuspeisen. Die CDU/CSU stimmt in diesen Chor kräftig mit ein. Die erste Strophe des Liedes lautet, das EEG müsse abgeschafft werden. Die zweite Strophe - wen wundert’s - heißt, Atomkraftwerke müssten länger laufen. Eine derart ideologische Polemik hat nun wirklich nichts mit einer vernünftigen Energiepolitik zu tun.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Für eine bezahlbare, klimafreundliche und sichere Energieversorgung müssen Sie schon etwas mehr tun: erstens Energieeinsparung durch einen klaren ordnungsrechtlichen Rahmen, zweitens Umschalten auf erneuerbare Energien und drittens schnellstmöglicher Ausstieg aus der gefährlichen Atomwirtschaft.

   Unser Fazit: Die Energiewende fällt wegen Stillstand aus und die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger. Das ist der Gipfel!

   Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Kollege Franz Obermeier, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Franz Obermeier (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nahtlos an die Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs Müller anschließen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wird Herrn Müller besonders freuen! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da sind ja die Richtigen zusammen!)

Denn er hat den Kern der gesamten Problematik exakt getroffen, indem er die Analyse der globalen Herausforderung der vergangenen Jahre noch einmal erläutert und uns deutlich gemacht hat, was wir in Zukunft in Europa am globalen Energiemarkt zu erwarten haben.

   Im Kontrast dazu stand die Rede der Kollegin Künast, die den Blick wieder auf eine rein nationale Diskussion der Fragen verengt hat, die wir schon in den vergangenen Jahren mit fatalen Folgen für das Land aus einer nationalen Betrachtungsweise hin- und hergewendet haben. Sie haben von einer Blockade gesprochen, Frau Künast. Das stimmt, es gab eine Blockade Ihrerseits für Investitionen in die richtige Richtung. Es gab aber unsererseits keine Blockade bei den erneuerbaren Energien, speziell bei der Windkraft.

   Die Politik hinsichtlich der gesamten Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland ist durch die grüne Ideologie in eine völlig falsche Richtung gegangen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was? Sie führen unsere Politik doch weiter!)

Jetzt kommt es durch die Initiative der Bundeskanzlerin Gott sei Dank zu einer Diskussion, die in erster Linie von Ideologiefreiheit geprägt ist.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie brauchen doch Herrn Müller, damit er Ihnen erzählt, was draußen los ist!)

Diese ist auch dringend notwendig, um unsere Ziele zu erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Frau Künast, Sie haben die Verbraucher angesprochen. Was die Energiekosten für die Verbraucher angeht, waren es doch die Grünen, denen die beim Endverbraucher anfallenden Kosten nicht hoch genug sein konnten. Diese Linie haben Sie immer verfolgt. Jetzt aber präsentieren Sie sich als die großen Heilsbringer.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung, Frau Künast. Sie haben den mangelnden Wettbewerb in Deutschland angesprochen. Warum haben Sie in den vergangenen Jahren nichts unternommen, um nach 1998 den Wettbewerb im Stromsektor zu erhalten? Er ist nämlich deshalb nicht erhalten geblieben, weil Sie die Gesetzgebung nicht entsprechend nachjustiert haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war die SPD!)

   Noch ein Punkt, Frau Künast: In der Tat - darin stimmen wir zufällig überein - kann der Energieverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland halbiert werden. Darin gebe ich Ihnen Recht. Aber das geht mit einer Deindustrialisierung und dem Abbau von Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik Deutschland einher. Dann haben Sie Ihr Ziel erreicht. Ihre Politik scheint mir nämlich nach wie vor in eine Richtung zu führen, durch die Arbeitsplätze verloren gehen und noch mehr profitable Industrieunternehmen aus Deutschland vertrieben werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Was mit dem Energiegipfel eingeleitet wurde, deutet einwandfrei in die richtige Richtung. Es ist längst ein Generalkonzept für die Bundesrepublik Deutschland und Europa mit Blick auf die globale Entwicklung überfällig. Deswegen sollten wir der Bundesregierung danken, dass sie die Dinge jetzt in die Hand genommen hat.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die interessiert sich aber nicht dafür, was Sie hier erzählen! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Welche Bundesregierung? Gucken Sie mal zur Regierungsbank! Sie haben gar keine Bundesregierung!)

   Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt hinweisen. Bei allen Entwicklungen der vergangenen Jahre war nicht alles falsch. Aber der ökologische Aspekt wurde nicht im gleichen Maße wie der ökonomische und der soziale Aspekt berücksichtigt.

   Vor dem Hintergrund der globalen Herausforderung

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die gab es aber schon vor zehn Jahren!)

muss jetzt beispielsweise beim Zertifikatehandel zur CO2-Minderung ein globaler Ansatz verfolgt werden. Wir als CDU/CSU-Fraktion werden uns weiter für eine effiziente CO2-Minderung dergestalt einsetzen, dass wir unsere Mittel weltweit möglichst effizient zugunsten des bestmöglichen Abbaus von Emissionen verwenden.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann sollten Sie die Zertifikate versteigern, Herr Obermeier! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja! Weltweit Zertifikate versteigern!)

Die Blockade eines grünen Umweltministers, was JI und CDM im Allgemeinen betrifft, gehört Gott sei Dank der Vergangenheit an.

   Ich bedanke mich bei der Bundeskanzlerin dafür,

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die ist doch gar nicht da!)

dass sie die Initiative ergriffen hat. Sie wird mit Sicherheit Erfolg haben, wenn wir im Laufe dieses Jahres bzw. Anfang nächsten Jahres in die Diskussion eintreten werden.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Hans-Josef Fell.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Müller, Sie wollen die Herausforderungen Klimaschutz und Versorgungssicherheit in den Mittelpunkt stellen; das ist richtig. Aber bislang reden Sie nur davon. Haben Sie noch nicht gemerkt, dass Sie in der Regierung sind, dass Sie Antworten liefern müssen und nicht nur Fragen stellen können?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum haben Sie die zentralen Fragen, die Sie zu Recht gestellt haben, nicht in den Mittelpunkt des Energiegipfels gestellt? Das ist Ihr Versäumnis.

(Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte: Haben wir doch! Sie waren doch gar nicht dabei!)

   Wir müssen Antworten geben, und zwar andere als die auf dem Energiegipfel. Stattdessen schieben Sie uns, den Grünen, die wir in der letzten Wahlperiode eine erfolgreiche Energiepolitik gemacht haben, noch etwas in die Schuhe, was nichts anderes als eine falsche Behauptung ist. Sie sagen, wir hätten die Effizienz nicht gesteigert. Wer hat denn die von uns ständig gestellten Anträge auf Erhöhung der Mittel für das Altbausanierungsprogramm sowohl im Haushaltsausschuss als auch im Plenum des Bundestages abgelehnt? Sie von der SPD.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin gespannt, ob Sie in Zukunft den Anstieg der Gewinne der Energiekonzerne durch kostenlose Emissionszertifikate endlich stoppen werden und den Mut haben, in ein Versteigerungsverfahren einzusteigen, anstatt wie bisher die Zertifikate zu verschenken. Wir warten gespannt auf Ihre Antworten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der Energiegipfel ist ein Gipfel der verpassten Chancen. Statt Antworten zu geben, haben Sie von der SPD an der klimaschädlichen Kohle und Sie von der Union an der problematischen Kernenergie festgehalten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wo sind Ihre Antworten auf die gesellschaftlich relevanten Fragen, etwa wie man in Zukunft seine Wohnung bezahlbar beheizen kann - das ist für sozial Schwache inzwischen zu einem zentralen Problem geworden - oder wie man den vielen Menschen in den ländlichen Räumen helfen kann, die bald nicht mehr die Kosten für die Autofahrt zu ihrem Arbeitsplatz aufbringen können, weil die Rohölpreise ständig steigen? Wir haben keine Antworten gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben nur über Strom geredet, nicht aber über Heiz- oder Treibstoffe.

   Oder die steigenden Strompreise: Alle wissen - die Spatzen pfeifen es bereits von den Dächern -, dass der durch die Energiekonzerne verhinderte Wettbewerb die Strompreise ständig weiter nach oben treibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie sind auch hier Antworten schuldig geblieben und haben weiterhin Konzernpolitik gemacht.

   Oder wo geben Sie Antworten, wenn es um die steigenden Ausgaben und die fehlenden Einnahmen im Bundeshaushalt geht? Wir haben nichts von Ihnen dazu gehört, wie Sie die Kohlesubventionen reduzieren wollen, um den Haushalt zu sanieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben von Ihnen nicht gehört, dass Sie endlich ökologisch schädliche Subventionen abbauen wollen. Wo sind denn Ihre Antworten auf die Fragen nach einer Flugbenzinbesteuerung, einer Schiffdieselbesteuerung und einer Besteuerung der Rückstellungen für die Atomkraftwerke? Wenn Sie über fehlende Haushaltseinnahmen sprechen, dann schlagen Sie plötzlich eine Besteuerung der Biokraftstoffe vor. Dabei sind diese Kraftstoffe eine der großen Zukunftshoffnungen auf bezahlbare Energiepreise für die Bürger und Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch heimische Energieträger.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Mit der von Ihnen geplanten Mehrwertsteuererhöhung werden Sie stattdessen den Bürger mit etwa 120 Euro für Strom, Heizung und Treibstoffe pro Haushalt stärker belasten. Meine Damen und Herren von der großen Koalition, das sind keine Antworten auf die gestiegenen Energiepreise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Außerdem sind Sie eine Antwort auf den Atomstreit schuldig geblieben. Kanzlerin Merkel hat ihn einfach weitertreiben lassen, obwohl im Koalitionsvertrag alles klar festgelegt ist. Das ist ein großes Problem; denn diese Hängepartie beim Atomausstieg wird weitergehen. Sie wird ein Investitionshemmnis sein. Wir werden nach 2009 möglicherweise noch immer nicht wissen, wie es weitergeht, ob die Branche der erneuerbaren Energien ihr Versprechen halten kann, in den nächsten 15 Jahren 200 Milliarden Euro zu investieren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn wenn Sie an der Atomenergie festhalten und es zulassen, dass neue fossile Kraftwerke gebaut werden, dann wird das Volumen für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Nutzung von Effizienzmöglichkeiten verringert. Dann wird zu viel Strom auf dem Markt sein und Chancen für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für Investitionen werden nicht mehr gegeben sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Dagegen hängen Sie sich an die uralten Versprechungen der Stromwirtschaft, die da 20 Milliarden Euro in fossile Kraftwerke zu investieren verspricht. Das hatte sie schon lange versprochen. Auch die 10 Milliarden Euro für die Netze sind nichts Neues.

   Kommen wir zum Schluss noch zur Forschung. 2 Milliarden Euro mehr wollen Sie für die Energieforschung ausgeben. Ich bin gespannt, ob Sie dieses Versprechen zwischen der ersten Beratung des Bundeshaushaltes und der zweiten Beratung durch Änderungsanträge von Ihnen in den Ausschüssen und im Plenum einhalten. Wenn nicht, dann wäre das ein leeres Versprechen. Denn was jetzt im Haushalt steht, das wissen wir. Wenn die 2 Milliarden Euro neues Geld sein sollen, dann müssen sie auch auftauchen. Dabei müssen wir auch wissen, wofür das Geld ausgegeben wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Heute wird in der „FAZ“ Bundesministerin Schavan zitiert. Sie hat angekündigt, dass im Atombereich nicht nur für Sicherheits- und Endlagerforschung bezahlt werden soll, sondern auch für die Erforschung notwendiger Energiegewinnung aus Kernkraftwerken. Damit ist die Katze aus dem Sack: Sie wollen neue Atomkraftwerke in diesem Staat. Das werden wir zu verhindern wissen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter (SPD))

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Kollege Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Rolf Hempelmann (SPD):

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Fell, man muss irgendetwas haben, wogegen man kämpfen kann. Deswegen haben Sie jetzt die Mär von den neuen Atomkraftwerken erfunden. Aber wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Weder die CDU/CSU noch die SPD hat ein solches Ziel formuliert. Es steht auch nicht auf einer „hidden agenda“. Sie können sich gerne politische Gegner suchen. Aber jedenfalls an dieser Stelle ist das fehl am Platz.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, die Grünen haben diese Aktuelle Stunde zum Energiegipfel gefordert. Sie haben - das ist aus den Wortbeiträgen deutlich geworden - große Erwartungen an diesen Gipfel geknüpft, die jetzt offenbar enttäuscht worden sind. Wir dürfen diese großen Erwartungen als Kompliment empfinden. Wir selbst haben so große Erwartungen, dass nämlich sofort, auf einen Schlag und an einem Tag Lösungen präsentiert werden, nie gehabt.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich gestehe, wir haben uns getäuscht!)

Das war eine eher naive und insofern - ich unterstelle Ihnen ja nicht Naivität - vorgeschobene Erwartung.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihnen etwas zuzutrauen, ist in der Tat naiv!)

Es geht darum, einen Auftakt zu organisieren - das ist gelungen -, einen Prozess hin zu einem Energieprogramm. Man muss eingestehen: Das haben wir beide zusammen jedenfalls nicht zustande gebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieser Auftakt ist gelungen.

   Eben ist behauptet worden, es seien nur die Energieversorgungsunternehmen eingeladen worden. Das ist natürlich völliger Unsinn. Genauso sind auch die energieverbrauchende Seite, die Wissenschaft und eigentlich alle, die mit Energiewirtschaft oder -verbrauch oder überhaupt mit der breiten Verbraucherschaft zu tun haben, eingeladen worden. Ich glaube, das kann man durchaus an den Ergebnissen und an den Diskussionsthemen ablesen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist eben nicht nur über Versorgungssicherheit gesprochen worden. Es ist auch über Umweltverträglichkeit und über Preiswürdigkeit gesprochen worden - wie gesagt, nicht mit unmittelbaren Ergebnissen bei allen Themen.

   Unsere Fraktion begrüßt die Investitionsankündigungen sowohl für den konventionellen Kraftwerkspark als auch für die erneuerbaren Energien und für die Netze. Ich diffamiere das nicht, wie es einige Redner getan haben. Es ist auch Unsinn, wenn Sie, Herr Fell, behaupten, dass Investitionen in konventionelle Kraftwerke dazu führten, dass Investitionen in erneuerbare Energien unterblieben. Immerhin sind für beide Bereiche Ankündigungen auf dem Gipfel erfolgt. Sie werden nicht behaupten, dass die Ankündigungen der Unternehmen im Bereich erneuerbarer Energien unseriös gewesen seien.

(Beifall der Abg. Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU))

Diese Investitionsankündigungen sind schon deshalb zu begrüßen, weil sie die Knappheit im Energie- und gerade auch im Stromangebot verringern werden. In erster Linie Knappheit verursacht hohe Preise und nichts anderes.

   Jenseits dieser Investitionsankündigungen ist es notwendig, dass der Prozess hin zu einem Energieprogramm jetzt auch unter Beteiligung der Fraktionen organisiert wird.

Es wird Zeit, dass wir sozusagen mit an Bord kommen. Außerdem ist wichtig, dass die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen schafft, damit diese Investitionen keine Ankündigungen bleiben, sondern tatsächlich stattfinden.

   Wir brauchen sehr bald ein Planungsbeschleunigungsgesetz - es ist in Arbeit und wir werden es auch vorlegen -, das diesen Namen verdient.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wir brauchen zügig die Einigung zum NAP II - das ist auch ein Stück weit Appell an die beiden Ministerien -, damit wir als Parlament unseren Beitrag leisten können. Nach der Sommerpause brauchen wir natürlich auch die Verordnung zur Anreizregulierung; denn nur über mehr Wettbewerb - das ist das Ziel der Anreizregulierung - werden wir letztlich das Ziel erreichen, zu sinkenden Strom- und Energiepreisen zu kommen.

   Es ist wunderbar, ein Feindbild zu haben. Es ist wunderbar, immer auf den großen Unternehmen herumzuhacken. Zum Teil haben sich diese Unternehmen die Kritik ehrlich erarbeitet. Manchmal trifft man durchaus die richtigen dabei. Aber es ist eine grobe Vereinfachung, so zu tun, als wenn allein die Beschimpfung der Großen oder der eine oder der andere Nadelstich an der einen oder an der anderen Stelle die Realität hoher Energiepreise verändern würde. Wir werden sie nur durch mehr Wettbewerb verändern.

(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött (CDU/CSU))

Da sind insbesondere die von uns gegründete Bundesnetzagentur und natürlich auch die Politik in Form des Verordnungsgebers Bundesregierung - die Federführung liegt beim Wirtschaftsministerium - gefordert.

   Ich bin optimistisch, dass wir die notwendigen Schritte gehen. Ich verstehe die Ungeduld der Grünen, die daraus resultiert, dass sie schnelle Ergebnisse wünschen. Aber auch wir haben eine gewisse Zeit für das Energiewirtschaftsgesetz und für die Installation dieser Behörde gebraucht. Jetzt sollten wir in der Lage sein, so viele Monate zu warten, wie gebraucht werden, um Wettbewerb zur Realität zu machen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

   Als Nächstes spricht Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Energiegipfel hat die Bundesregierung den Startschuss zur Erarbeitung eines energiepolitischen Gesamtkonzepts gegeben. Das Ziel ist, eine bezahlbare, eine sichere, eine wettbewerbsfähige und eine umweltfreundliche Energieversorgung bis zum Jahr 2020 sicherzustellen.

(Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann ja dauern! Jetzt wird bald mit der Erarbeitung begonnen! Der Beginn der Erarbeitung steht kurz bevor!)

Die Betonung liegt auf „bis zum Jahr 2020“. Das heißt, wir planen weit über diese Legislaturperiode hinaus.

   In meinen Augen war der Energiegipfel ein Erfolg; denn es ist gelungen, in einen sachlichen Dialog über die Energiepolitik in unserem Land einzusteigen.

(Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Das tut uns gut!)

Herr Fell, das ist Gegenteil von dem, was zu Zeiten Ihrer Regierungsbeteiligung passiert ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Alte Grabenkämpfe, also das Ausspielen eines Energieträgers gegen den anderen, das Ausspielen von Umwelt gegen Wirtschaft, von Erzeuger gegen Verbraucher, haben bei diesem Gipfel Gott sei Dank keine Rolle gespielt. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen und es ist eine gute Grundlage für die weitere Arbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Investitionszusagen, die auf dem Energiegipfel gemacht wurden, finde ich sehr begrüßenswert. Wie wir wissen, reichen Zusagen allein nicht aus. Diese Zusagen implizieren natürlich auch die Pflicht, Investitionen folgen zu lassen. Wir haben einen Investitionsstau zu verzeichnen, sowohl im Kraftwerksbereich als auch bei den Netzen. Der Kraftwerkspark in Deutschland ist ein wenig in die Jahre gekommen. Er muss modernisiert werden. Wenn wir tatsächlich die effizientesten und modernsten Kraftwerke entwickeln wollen, dann ist der anstehende Erneuerungsbedarf nicht zu übersehen.

   Aber es geht nicht nur darum, alte Kraftwerke zu ersetzen, sondern auch darum, neue zu bauen. Wir brauchen zusätzliche Stromkapazitäten im Markt, damit die Preise bezahlbar bleiben und damit der dringend notwendige Wettbewerb gestärkt wird.

   Das Ganze ist aber keine Einbahnstraße. Wenn wir von der Wirtschaft erwarten, dass sie investiert, dann erwartet die Wirtschaft von uns zu Recht Verlässlichkeit, also eine Energiepolitik, die es ihr gestattet, wettbewerbsfähig zu bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich freue mich, dass auf dem Energiegipfel Investitionszusagen für die erneuerbaren Energien gemacht wurden. Das ist ein ganz wichtiges Signal dafür, dass sich die Förderung der erneuerbaren Energien für den Wirtschaftsstandort Deutschland auszahlt. Bei den erneuerbaren Energien liegt - das ist heute mehrfach betont worden - ein enormes Innovations-, Wachstums- und Beschäftigungspotenzial. Sie werden uns mit Sicherheit helfen, unsere Importabhängigkeit langfristig zu verringern.

Sie leisten einen positiven Beitrag zum Klimaschutz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Richtig ist aber auch, dass es noch weiterer Anstrengungen und technischer Fortschritte bedarf, weil die erneuerbaren Energien momentan noch nicht ohne Förderung am Markt bestehen können. Deshalb müssen wir in Forschung und Entwicklung mehr tun.

   Herr Kollege Fell, es ist eine bemerkenswerte Zusage der Bundesregierung, finde ich, in den Bereichen Forschung und Innovation sowie Energieforschung 30 Prozent mehr auszugeben.

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir wollen mal sehen, ob das realisiert wird! - Gegenruf von der SPD: Und für was!)

Wir reden hier immerhin von 2 Milliarden Euro bis 2009. Wenn das kein wichtiges und deutliches Signal ist, Herr Kollege Fell, dann weiß ich nicht. In Ihrer Regierungszeit zumindest haben wir auf solche Zusagen warten müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir müssen in der Sicherheitsforschung und bei der Energieeffizienz vorankommen. Wir müssen Ressourcen und Energie intelligenter nutzen.

   Herr Kollege Fell, ich möchte Sie noch ein weiteres Mal ansprechen. Sie haben gesagt: Angela Merkel hat den Streit über das Thema Kernkraft beiseite gelassen und hat dieses Thema nicht aufgenommen. - Das ist falsch. Sie hat sehr wohl darauf hingewiesen, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, gilt, nämlich dass es einen Dissens gibt.

   Erlauben Sie mir den folgenden Hinweis: Wenn der Kernenergieanteil an der Stromversorgung derzeit 30 Prozent beträgt, dann kann man schlechterdings nicht ausblenden, dass es so ist, wie es ist, weil wir - da wiederhole ich, was ich am Anfang meiner Rede schon gesagt habe - über die nächsten 25 Jahre reden müssen.

   Wenn man die Strategie, die die Bundesregierung verfolgt, auf wenige Worte zusammendampfen müsste, dann würde sie lauten: Es geht im Kern um fünf Dinge: um Energiemärkte und Wettbewerb, um Erneuerung bei den Kernkraftwerken, um Effizienzsteigerung, um Energieforschung und um erneuerbare Energien.

   Von Henry Ford soll der Ausspruch stammen: Zusammenkunft ist ein Anfang, Zusammenhalt ist ein Fortschritt und Zusammenarbeit ist der Erfolg. - Das möchte die Koalition. Das wird diese Bundesregierung unter Beweis stellen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Als Nächstes hat das Wort der Kollege Frank Schwabe, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marie-Luise Dött (CDU/CSU))

Frank Schwabe (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid ist im letzten Jahr in Deutschland leicht zurückgegangen. Das ist gut so. Weltweit befindet sich die CO2-Konzentration aber auf einem Rekordniveau. Nur 1987 und 1998 gab es einen höheren Anstieg der CO2-Emissionen.

   Das war vor dem Energiegipfel so. Das ist leider auch nach dem Energiegipfel so. Dass es aber nicht so bleibt, war eines der Ziele des Energiegipfels. Deswegen ist es gut, dass es den Energiegipfel gegeben hat.

(Beifall bei der SPD)

   Dass die Grünen natürlich relativ krabitzig Kritik üben, kann ich nachvollziehen; dass sie versuchen, immer wieder einen Keil zwischen die Regierungsfraktionen zu treiben, ist auch nachvollziehbar.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sitzen als Keil dazwischen! - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gut, dass Sie es noch mal ansprechen!)

Aber glauben Sie mir: Das werden wir mit einer gewissen Gelassenheit hinnehmen, weil wir wissen, für welche Energiepolitik wir eigentlich stehen. Wir werden auch dafür sorgen, dass ein großer Teil dieser Energiepolitik umgesetzt wird.

   Die Bundesregierung will bis Ende 2007 ein energiepolitisches Konzept für die Zeit bis 2020 vorlegen, das - das ist schon gesagt worden - Versorgungssicherheit, wettbewerbsfähige Energiepreise und wirksamen Klimaschutz miteinander verknüpft.

   Im internationalen Klimaschutz gilt für Deutschland - die Notwendigkeit hat der Herr Staatssekretär vorhin schon eindrucksvoll geschildert -, aber auch für die anderen großen Kiotoländer: Wenn wir wollen, dass die anderen folgen, müssen wir weiterhin mit gutem Beispiel vorangehen. Insbesondere für Deutschland gilt hierbei: Wenn wir unserer Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz gerecht werden wollen, dann müssen wir uns ehrgeizige Ziele setzen.

(Beifall bei der SPD)

   Deshalb haben sich CDU, CSU und SPD bereits im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, eine Reduktion der CO2-Emissionen um mehr als 30 Prozent bis 2020 anzustreben, wenn sich denn die EU insgesamt zu einer Reduzierung um 30 Prozent verpflichtet. Dabei sollte uns die von der Energie-Enquete-Kommission des Bundestages in der letzten Legislaturperiode geforderte Reduzierung um 40 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent bis 2050 als Wegmarke dienen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Auf dem Weg dahin brauchen wir einen Energiemix, der klimaschonend, sicher und eben auch bezahlbar ist. Dazu gehören erneuerbare Energien, eine höhere Energieeffizienz, eine stärkere Unabhängigkeit von Energieimporten, aber für eine bestimmte Zeit - Sie müssen sonst die Frage beantworten, wie das anders gehen soll - eben auch eine möglichst effiziente Nutzung der heimischen Stein- und Braunkohle.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Marie-Luise Dött (CDU/CSU))

Dabei ist die geplante Erneuerung des Kraftwerksparks sowohl wirtschaftlich als auch klimapolitisch sinnvoll.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Allerdings muss die Errichtung solcher neuen Kraftwerke zwingend im Rahmen einer allgemeinen Effizienz- und Einsparstrategie erfolgen.

   Es ist, wie es ist. Die Atomenergie ist aus unserer Sicht nicht notwendiger Teil eines modernen Energiemixes und sie wird auch nicht Teil des zukünftigen Energiemixes sein, solange Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Regierungsverantwortung tragen. Da kann ich die Grünen beruhigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Allein schon wegen der notwendigen Erneuerung des Kraftwerksparks macht der vereinbarte Ausstiegsfahrplan Sinn, weltweit gesehen erst recht. Ich finde es geradezu rührend, wie die Chefs der großen Energieversorger, vermeintlich aus Sorge um den Strompreis und den Klimaschutz, für eine Verlängerung der Nutzung der Atomenergie eintreten, wohl wissend, dass sie bei beiden Themen ganz andere Schlüssel in der Hand halten.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Angesichts des minimalen Anteils der Atomenergie am weltweiten Energieaufkommen wird klar, dass die Atomenergie jedenfalls die Klimaproblematik nicht einmal im Ansatz lösen wird.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Steinkohle aber erst recht nicht!)

   Apropos Strompreis - dazu ist gerade auch schon etwas gesagt worden -: In diesem Jahr wird uns der Emissionshandel in besonderer Weise beschäftigen. Er muss so effizient sein, dass wir das Kiotoziel der CO2-Senkung bis 2012 um 21 Prozent erreichen. Es bleibt im Rahmen des Emissionshandels ein dauerhaftes Ärgernis, dass der Emissionshandel dazu dient bzw. dazu genutzt wird, dass die großen Energieversorger sich zulasten von Bürgerinnen und Bürgern sowie der Industrie die Taschen füllen. Das marktwirtschaftliche Instrument des Emissionshandels muss im Bereich der Monopolstruktur der großen Energieversorger eigentlich zwangsläufig versagen. Es bleibt also unser Auftrag, den Emissionshandel mittelfristig so zu gestalten, dass er dem Klimaschutz dient und Mitnahmeeffekte der großen Energieversorger vermeidet.

(Beifall bei der SPD)

   Verehrte Damen und Herren, beim Energiegipfel ging es um den zukünftigen Energiemix. Dabei ist die Geschichte der erneuerbaren Energien eine besondere Erfolgsgeschichte. Das wird besonders deutlich, wenn man - ich habe gestern im Umweltausschuss die Gelegenheit genutzt - noch einmal in den Protokollen von vor 20 Jahren nachliest, was damals bezüglich der Entwicklung der erneuerbaren Energien prognostiziert wurde. Da haben nämlich viele gesagt, sie würden niemals Marktreife erlangen. Jetzt sind wir nicht weit davon entfernt.

   Dasselbe allerdings - da fand ich die Bemerkung in Richtung der Grünen richtig - muss uns auch bei der Energieeffizienz gelingen. Auch das muss eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland werden.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU) - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist nicht nur klimapolitisch, sondern in hohem Maße auch wettbewerbspolitisch geboten. Ein Mehr an Energieeffizienz macht uns günstiger, unabhängiger und innovativer. Gut, dass das jetzt eines der Schwerpunktthemen auf der Arbeitsebene ist.

   Zusammengefasst: Der Energiegipfel war besser, als manche erwartet haben, auch wenn sich einige ärgern. Nun kommt es auf eine intensive Arbeit in den kommenden Monaten an. Die Voraussetzungen dafür sind jetzt geschaffen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Philipp Mißfelder das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Philipp Mißfelder (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Energiegipfel ist in zweierlei Hinsicht ein großer Erfolg gewesen. Darauf möchte ich in meinen weiteren Ausführungen eingehen. Zunächst möchte ich allerdings den Grünen ganz herzlich danken, dass wir diese Erfolge am heutigen Tage hier deutlich machen können. Vielen Dank, dass Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rainer Tabillion (SPD))

und sie nutzen, damit Sie lernen, wie wir die Energiepolitik der Zukunft gestalten wollen.

   Der Energiegipfel ist nicht nur deshalb ein Erfolg, weil er, wie von meinen Vorrednern ausgeführt, tatsächliche Ergebnisse für die zukünftige Energiepolitik bringt, sondern auch, weil er sozusagen den Anfang vom Ende einer ideologiegeprägten Energiepolitik in unserem Land darstellt. Das war am Montag der Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU - Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer hier von Ideologie redet, hat keine Antwort auf Fragen!)

   Die Entscheidung, einen Energiegipfel an den Beginn der Legislaturperiode zu stellen, war richtig; denn es war überfällig, der Energiepolitik in Deutschland wieder eine verlässliche Basis zu geben und sich damit einer entideologisierten Diskussion zu stellen, die wirklich sinnvoll ist. Denn tatsächlich ist es das allgemeine Anliegen des Hauses, auch in Zukunft Energiesicherheit zu gewährleisten. Wir sind unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel dankbar, dass sie als eine ihrer ersten Maßnahmen diesen Energiegipfel einberufen hat. Mit dieser Initiative hat die Bundeskanzlerin bereits am Beginn ihrer Amtszeit klar gemacht, dass die Energiepolitik eines der Hauptthemen der großen Koalition ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das entspricht im Übrigen auch der Lebenswirklichkeit der Privathaushalte und der deutschen Wirtschaft. Deswegen war es so wichtig, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Mit dem Energiegipfel wurde der Grundstein für ein energiepolitisches Gesamtkonzept gelegt. Ein Ergebnis des Energiegipfels ist die Einrichtung von Arbeitsgruppen; der Herr Staatssekretär hat es vorhin ausgeführt.

   Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich in Deutschland die Stimmungslage der Bevölkerung verändert. Die Sensibilität für das Thema Energiepolitik wächst. Dies ist in erster Linie auf das Steigen der Energiepreise zurückzuführen und zeigt sich in den Diskussionen über dieses Thema innerhalb der Familien.

   Dass sich etwas an der Stimmungslage verändert hat, sieht man an den aktuellen Umfragen. Am Dienstag meldete dpa, dass die Mehrheit der Deutschen inzwischen eine Verlängerung der Laufzeiten für deutsche Kernkraftwerke befürwortet.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf des Abg. Jörg Tauss (SPD))

- Herr Tauss, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie dazwischenrufen; denn genau an dieser Stelle hatte ich Ihren Zwischenruf in meiner Rede eingeplant.

(Ulrich Kelber (SPD): Aber wer hat denn die Studie in Auftrag gegeben?)

- Der Fernsehsender N24 hat eine Emnid-Umfrage in Auftrag gegeben. Aber unabhängig von den politischen Konsequenzen, die man daraus ziehen kann, sieht man an diesen Umfragewerten eindeutig, dass sich im Bewusstsein der Bevölkerung etwas verändert hat. Deswegen muss die Politik Antworten auf diese wichtigen Fragen finden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Ursachen für die steigenden Energiepreise in Deutschland- darüber haben wir schon diskutiert- sind in erster Linie die schwindenden Reserven an herkömmlichen Energieträgern wie Öl, Kohle oder Gas.

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und Uran!)

Deswegen ist es richtig, dass wir versuchen, auf Dauer ausgerichtete Antworten auf die drängenden Fragen zu finden. Eine Frage ist, wie wir auf den Energiehunger der aufstrebenden Wirtschaftsmächte China, Indien und Brasilien in Zukunft reagieren wollen und wie wir Energiesicherheit für die nächsten Jahrzehnte gewährleisten können. Dabei können und wollen wir uns aber auf Dauer keinen deutschen Sonderweg leisten. Deswegen ist es richtig, dass der Energiegipfel Perspektiven bietet, wie in Zukunft die Energiepolitik aussehen soll.

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn er sie denn geboten hätte!)

   Am Ende jahrelanger ideologiebelasteter Diskussion um Energiepolitik- vor allen Dingen die Grünen haben sich auf diesem Feld betätigt- wird ein schlüssiges Konzept stehen, das dazu führen wird, dass auch die Industrie in unserem Land endlich verlässlichere Rahmenbedingungen vorfinden wird.

   Sie fragen in dem Titel der Aktuellen Stunde nach dem Beitrag des Gipfels zur Energieversorgungssicherheit. Diese Frage möchte ich Ihnen an dieser Stelle gerne beantworten. Die Bundesregierung wird als Ergebnis des Energiegipfels die Mittel für die Energieforschung deutlich aufstocken. So werden wir im Zeitraum von 2006 bis 2009 etwa 2 Milliarden Euro in neue Energietechnologien investieren.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Die erneuerbaren Energien auch in Zukunft wirtschaftlich sinnvoll zu stärken, ist einer der wichtigsten Punkte, die wir sehen.

(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött (CDU/CSU))

   Der Energiegipfel war ein großer Erfolg. Die Arbeitsgruppen werden jetzt ihre Arbeit aufnehmen. Wir sind mit dem Ergebnis vom Montag zufrieden und freuen uns, dass wir heute so ausführlich darüber sprechen konnten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Tabillion, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Rainer Tabillion (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist ein guter Auftakt für die Beschäftigung des Deutschen Bundestages mit energiepolitischen Themen im Vorfeld der Erstellung eines energiepolitischen Programms, das bis 2015 - oder besser noch: mindestens 20 Jahre - gelten soll.

   Das Parlament war in den Gipfel nicht eingebunden. Umso größer sollte unser Ehrgeiz sein, uns jetzt in die Diskussion der kommenden Wochen einzubringen. Jeder, der hier vorgetragen und seine Vorstellungen entwickelt hat, ist eingeladen, das auszugestalten, was auf dem Gipfeltreffen angekündigt worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, dass es in diesem Haus eine ausreichende Grundübereinstimmung bei den energiepolitischen Themen gibt, die in den nächsten vier Jahren im Zentrum der Beschäftigung des Deutschen Bundestages stehen werden. Das gilt insbesondere dafür, dass wir energiepolitische Rahmenbedingungen schaffen müssen, die weit über die Legislaturperiode und weit über das, was wir politisch mit der CDU/CSU vereinbart haben, hinausgehen. Das gilt insbesondere auch für die angekündigten Milliardeninvestitionen in die Kraftwerks- und die Netzinfrastruktur. Diese Investitionen, auf die wir alle schon lange warten, werden nur dann fließen, wenn es keine Hintertür für kurzfristige und ebenso kurzsichtige Profite ohne Investitionen gibt.

   In diesem Zusammenhang war es wichtig, dass Bundeskanzlerin Merkel auf dem Gipfel deutlich gemacht hat, dass sie zur Vereinbarung zum Ausstieg aus der Atomenergie steht.

(Beifall bei der SPD - Ulrich Kelber (SPD): Im Gegensatz zu Herrn Mißfelder!)

Ich möchte in Richtung der Grünen deutlich machen: Es gibt überhaupt keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die SPD nicht am Ausstieg aus der Atomenergie festhält. Sie sollten das Lager derjenigen, die die Atomenergie ablehnen, nicht durch derartige Reden, wie sie heute gehalten worden sind, versuchen zu spalten.

(Beifall bei der SPD)

   Lassen Sie mich einige Anmerkungen zu dem Prozess machen, der jetzt beginnt und bis ins nächste Jahr andauern wird. Ich glaube, dieses Projekt kann nur gelingen, wenn wir diejenigen, die mit uns gehen sollen, als Partner betrachten. Die großen Energieversorgungsunternehmen gehören ebenso dazu wie die Regionalversorger, die Stadtwerke und andere Akteure. Man kann sie nicht ausschließen. Sie sind wichtig, wenn wir uns energiepolitisch auf internationaler Ebene bewegen wollen und dafür sorgen wollen, dass energie- und unternehmenspolitische Entscheidungen noch in Deutschland fallen. Deshalb sollten wir sie nicht als Gegner sehen, sondern sie mit ins Boot nehmen. Wir sollten aber darauf achten und sie dazu zwingen, dass sie die Dinge, die sie tun, transparent machen und dass sie sich ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung klar werden.

(Beifall bei der SPD)

   Das Wichtigste ist Effizienz; das ist heute schon oft gesagt worden. Es ist falsch, den Leuten vorzumachen, die Preise für Energie könnten sinken. Das werden wir in den kommenden Jahren nicht erleben. Dazu sind die Rohstoffpreise zu hoch. Sie werden sich deutlich nach oben entwickeln. Es sind nicht nur die Wettbewerbsstrukturen hier im Land, die dazu beitragen, dass die Energie teurer wird. Insbesondere die Rohstoffpreise sind dafür verantwortlich. Deshalb werden wir die Entwicklung nicht stoppen können. Effizienz ist umso wichtiger, als wir über Effizienz dafür sorgen können, dass unsere Kosten, obwohl die Preise steigen, dadurch, dass wir aus den Energieträgern mehr herausholen und weniger in die Luft blasen, stabil bleiben oder sogar sinken.

(Beifall bei der SPD)

   Deutschland ist Vorreiter beim Klimaschutz und bei der Entwicklung und Vermarktung der Technologie der erneuerbaren Energien. Wir sind auch Vorbild beim Einsatz dieser Energiearten in unserem Land. Das wollen wir auch bleiben.

   Es ist in dem anstehenden Diskurs allerdings eine Herausforderung für uns, dafür zu sorgen, dass die volkswirtschaftlichen Kosten, die dabei entstehen, begrenzt werden. Wir müssen im Rahmen der jetzt zu führenden energiepolitischen Debatte die Instrumente hinterfragen, mit denen wir fördern, und die Technologien, die wir fördern. Das kann nicht ausbleiben; das muss man immer kritisch sehen, etwa die Frage, welche Lehren aus dem bisherigen Verlauf des Emissionshandels zu ziehen sind. Auch das muss man hinterfragen, wenn man eine neue Phase beginnt.

(Beifall bei der SPD)

   Eine realistische Beurteilung der Potenziale ist ebenso wichtig wie eine Risikostreuung im Energiemix. Wenn wir bis 2020 das ambitionierte Ziel, 25 Prozent des Strombedarfs regenerativ zu decken - und bis 2050 sogar 50 Prozent oder mehr -, erreichen wollen, dann können wir die konventionell bereitgestellten Energiearten nicht ausblenden. Denn dann müssen wir noch immer 50 Prozent der Energie konventionell erzeugen. Deshalb ist es völlig unrealistisch, gleichzeitig aus der Atomenergie und der Kohle auszusteigen.

(Beifall des Abg. Franz Obermeier (CDU/CSU))

Da ich aus einem Kohleland komme und mich intensiv und lange mit diesen Fragen befasst habe und weiß, dass keine andere Subvention für eine Energieart so sehr gekürzt worden ist wie die für die Kohle, muss ich Ihnen sagen, dass wir in Zukunft an dem Bodenschatz, den wir unter unseren Füßen haben und der nach meiner Einschätzung in den kommenden Jahrzehnten deutlich wertvoller werden wird, in einer bestimmten Größenordnung, die wir vereinbaren müssen, festhalten müssen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Dr. Rainer Tabillion (SPD):

Ich glaube, Energieerzeugung aus Kohle in Verbindung mit der Technik, die Kohle klimaunschädlich zu verarbeiten und umzuwandeln - sie ist inzwischen vorhanden -, ist verantwortbar.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege!

Dr. Rainer Tabillion (SPD):

Deshalb möchte ich darum bitten, dass wir die Kohle in Zukunft als Teil des Energiemixes betrachten, über dessen Definition wir uns jetzt unterhalten. Das wäre ein guter Einstieg dieses Hauses in die energiepolitische Diskussion. Wir sollten uns daran beteiligen -

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege, Ihr letzter Satz geht jetzt schon über fast zwei Minuten.

Dr. Rainer Tabillion (SPD):

- und unser Wissen und unser Engagement einbringen, damit es ein gutes Programm wird.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Kollege Christoph Pries, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Christoph Pries (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat diese Aktuelle Stunde beantragt. Als zuständiger Berichterstatter der SPD-Fraktion beschäftige ich mich mit Ihrer Frage nach dem Beitrag des Energiegipfels zur Verringerung der Gefahren durch Atomkraft.

   Die Atomenergie ist noch genauso gefährlich bzw. genauso sicher wie vor dem Gipfel. Die Positionen der Beteiligten zur Atomenergie haben sich nicht verändert. Die Vereinbarung zum Atomausstieg gilt weiterhin.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt könnte ich schon zum Schluss kommen. Aber da alle Kolleginnen und Kollegen der Koalition heute frohe Botschaften verkünden dürfen, möchte ich natürlich nicht zurückstehen.

(Heiterkeit bei der SPD)

   Zunächst hat die Koalition all diejenigen enttäuscht, die gehofft hatten, der Streit über die Atomenergie würde den Gipfel überschatten. Ganz im Gegenteil: Ein Gipfelteilnehmer kam sogar zu dem Schluss, SPD und CDU hätten beim Thema Atomenergie Einigkeit demonstriert. So weit würde ich vielleicht nicht gehen. Am Montag sind aber vor allem die Themen diskutiert worden, die aus unserer Sicht für die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland entscheidend sind. Für uns heißt das: Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Erneuerung der Kraftwerke und Emissionshandel.

   Es gibt aber noch eine weitere positive Botschaft. Auf ausdrückliche Nachfrage von Bundesumweltminister Gabriel haben die Energieversorgungsunternehmen ihre Vertragstreue im Bereich des Atomausstiegs unterstrichen. Sie werden auch dann mit der Bundesregierung zusammenarbeiten, wenn es beim Atomausstieg bleibt. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt diese Ankündigung ausdrücklich. Zukünftiges Handeln werden wir an dieser Zusage messen.

   Für die SPD-Bundestagsfraktion ist klar: Eine Übertragung von Reststrommengen von neuen Atomkraftwerken auf alte Atomkraftwerke lehnen wir ab.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Eine solche Übertragung widerspricht dem Geist des Atomkonsenses. Sie widerspricht auch dem Geist des Koalitionsvertrages, der dem sicheren Betrieb der Atomkraftwerke absolute Priorität einräumt.

   Worum geht es bei der Forderung nach Verlängerung der Restlaufzeiten? Ein Artikel in der „Financial Times Deutschland“ hat das am Montag ganz freimütig auf den Punkt gebracht:

Für die Antragsteller geht es um Milliarden. Die Meiler sind längst abgeschrieben, die Betriebskosten gering, und die Gewinnmargen wären sensationell, wenn die Reaktoren länger laufen dürften.

Das Ziel von Unternehmen ist es, Gewinne zu machen. Das ist legitim. Schön wäre es allerdings, wenn die Energieversorger es in diesem Fall auch offen zugeben würden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Diskussion über die Laufzeiten der Atomkraftwerke hat leider noch eine andere Folge. Sie vergiftet das Klima für dringend benötigte Zukunftsinvestitionen im Energiesektor.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer

- so hieß es gestern in der „Süddeutschen Zeitung -

wagt schon im großen Stil neue Kraftwerke, wenn er nicht weiß, wie viele der riesigen Reaktoren am Ende des Jahrzehnts noch billige Konkurrenz machen oder nicht?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es wäre geradezu ein Befreiungsschlag für die Energiepolitik in Deutschland, wenn die Betreiber unserer Atomkraftwerke endlich aufhörten, ständig auf die nächste Bundestagswahl zu starren. Erweisen Sie sich, erweisen Sie uns und erweisen Sie vor allem unserem Land einen Dienst. Begreifen Sie endlich - in parlamentarischen Demokratien verhält es sich wie im Fußball -: Egal, wie die Bundestagswahl 2009 ausgeht. Nach der Wahl ist vor der Wahl.

   Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Einsetzung eines Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung

- Drucksache 16/1131 -

b) Beratung der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung

Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung

(Berichtszeitraum: 11. März 2004 bis 29. Juni 2005)

- Drucksache 15/5942 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

   Zwischen den Fraktionen ist verabredet, hierfür eine Dreiviertelstunde Debatte vorzusehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat das Wort der Kollege Dr. Günter Krings, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall der Abg. Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU))
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 32. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 7. April 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16032
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