Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 52-53 / 20.12.2004
Michael Marek

Neues vom afrikanischen Kontinent in deutscher Sprache

Die "Allgemeine Zeitung" erscheint seit 88 Jahren in Namibia

Seit 1916 erscheint die AZ. Aus dem einstigen revanchistischen Blatt der Kolonialzeit ist eine Tageszeitung geworden, deren Redaktion sich um ein ausgewogenes, liberales Meinungsbild bemüht.

"Viele bezeichnen uns immer als deutsche Zeitung in Namibia. Aber es gibt einen kleinen Unterschied: Wir sind eine namibische Zeitung in deutscher Sprache!" Stefan Fischer ist Chefredakteur bei der "Allge-meinen Zeitung" (AZ) in Namibia, der einzigen Tagesblatt Afrikas in deutscher Sprache. Seit 1916 erscheint das älteste Presseorgan Namibias. Mittlerweile täglich, außer samstags und sonntags. Das zwölfköpfige Redaktionsteam sitzt am Rande der Hauptstadt Windhoek. In einem modernen Bürohaus mit angeschlossener Druckerei werden täglich zwölf Seiten Nachrichten produziert: über den Besuch von Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul anlässlich der Gedenkfeiern zum Herero-Krieg wird berichtet, über Korruption und Vetternwirtschaft in der Regierung, die finanziellen Machenschaften der deutschen Busch-Schule in Namibia, die Verwahrlosung touristischer Einrichtungen, AIDS in Afrika, BSE-Krise in Europa oder ob die Enteignung weißer Farmen wie in Simbabwe drohe. Ein ungewöhnlicher Themenmix, aber für viele deutschsprachige Namibier gehört die AZ zur wichtigsten Informationsquelle. "Was die Leute hier bewegt", sagt der Chef vom Dienst und langjährige Chefredakteur Eberhard Hofmann, "ist die Landreform, die Auseinandersetzung um den Herero-Krieg von 1904: War es ein Genozid oder ein gewöhnlicher Krieg? Wichtig sind Themen, die sich mit der nationalen Aussöhnung beschäftigen."

Zwischen 5.300 und 6.500 Exemplare werden täglich von der "Allgemeinen Zeitung" gedruckt. Nicht viel für ein Land, das zweieinhalb Mal so groß wie die Bundesrepublik ist, aber in dem nur 1,7 Millionen Menschen leben. Auch deshalb ließe sich keine größere Auflage verkaufen, betont der 1944 im sächsischen Freiberg geborene Journalist, denn nur rund 25.000 deutschstämmige Namibier leben im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika. Praktisch jeder deutschsprachige Haushalt zwischen Tsumeb und Lüderitzbucht, Windhoek und Swakopmund lese die AZ. Einige 100 Zeitungen gehen nach Südafrika und - vor allem die größere Freitagsausgabe mit der Tourismusbeilage an Ex-Namibier und Freunde in Deutschland. Die Nachfahren deutscher Kolonialisten stellten zwar eine Minderheit dar, aber dafür würden sie über gesellschaftlichen Einfluss verfügen, so Hofmann. Derzeit gehöre Namibia weltweit zu den Ländern mit den größten Unterschieden zwischen Arm und Reich. Innerhalb der schwarzen Bevölkerung beträgt die Arbeitslosigkeit 40 Prozent. Viele Kinder haben ihre Eltern durch AIDS verloren. Allein 20 Prozent der namibischen Bevölkerung sind HIV-infiziert.

Noch immer leben viele schwarze Namibier in den Townships von Swakopmund und Windhoek. Die Hütten sind klein, vielleicht zwölf Quadratmeter, zusammengezimmert aus einzelnen Blech-, Holz- und Pappteilen. Doch es gibt Wasser und Elektrizität und es ist sauber im Unterschied zu anderen schwarzafrikanischen Slums. Die Toiletten haben die Bewohner draußen in einem Extraverschlag unterbringen müssen. Während der Apartheid durften die Toiletten we-gen des Ausgehverbotes ab 20 Uhr nicht mehr benutzt werde. Demütigung und Machtwahn einer vergange-nen Epoche. Katutura nennen die Bewohner selbstbewusst ihren Wohnort, was wörtlich übersetzt heißen soll: "Wo wir nicht leben wollen!"

1990 ist Nambia unabhängig geworden, doch das Land leide noch immer an einer Gesellschaft, durch die einer tiefer Riss gehe, analysiert Hofmann. Der Staatspräsident, die Regierung, die politischen Ent-scheidungsträger seien alles Schwarze, die Masse der Bevölkerung lebe aber weiterhin in den ehemaligen Apartheidsghettos an den Stadträndern. Dagegen verfüge die Minderheit der Weißen über die Macht des Geldes. Doch vor allem die älteren unter ihnen würden sich gesellschaftlich isolieren und sich nur wenig am öffentlichen Leben beteiligen. Demgegenüber verstehen sich gerade deren Kinder selbstbewusst als Namibier.

Staatliche Eingriffe in die Arbeit der Redaktion oder gar eine Zensur gäbe es nicht, stellt Hofmann klar, "aber der Staat hat der englischsprachigen Tageszeitung, die dem Staat zu kritisch gegenübersteht, Anzeigen entzogen. Die AZ hat nie viele Anzeigen von Staatsorganen erhalten, insofern sind wir davon unberührt geblieben. Ansonsten genießen wir mehr Narrenfreiheit als die englisch- oder afrikaanssprachigen Zeitungen, weil Deutsch eine Minderheitensprache und nicht die Amtssprache ist."

Viele der rund 25.000 Südwester, wie sich manche Nachfahren der deutschen Siedler und Schutztruppen beschönigend nennen, leben vom Tourismus und haben ihre Farmen in luxuriöse Lodges umgebaut - ein lukratives Geschäft angesichts zahlungskräftiger Gäste aus Südafrika, England und vor allem der Bundesrepublik. Von einer spezifisch deutschen oder "weißen" Sichtweise in der Berichterstattung der "Allgemeinen Zeitung" könne aber keine Rede sein, betont Hofmann: "Wir vertreten Interessen der Stabilität, wirtschaftlichen Fortschritt, sozialen Wohlstand. Wir treten nicht nur für eine Gruppe oder einen Sprachkreis ein, schließlich kann man die Gesellschaft nicht wie in der Apartheidszeit unterteilen."

In ihrer 88-jährigen Geschichte hatte sich die "Allgemeine" zunächst als stramm deutsch-nationales Blatt einen Namen gemacht. Während der Kaiserzeit bezeichnenderweise unter dem Titel "Der Kriegsbote". Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges tauften die Blattmacher die Zeitung kurzzeitig in "Deutscher Beobachter" um. Die Parallele zum antisemitischen, völkischen Vorbild war gewollt. Bis in die 70er-Jahre, so Hofmann, habe die AZ auf Seiten der südafrikani-schen Besatzer gestanden. Da wurden schon einmal Geburtstagsgrüße an Rudolf Heß abgedruckt. Das habe sich aber vor der namibischen Unabhängigkeit allmählich verändert, ergänzt Hofmann.

Wer nach ihnen sucht, der findet die Ewiggestrigen aber noch immer, zum Beispiel in Swakopmund. In Peter's Antiques gibt es Militaria aller Art, Hitlers "Mein Kampf" und antisemitische Standardwerke. Na-türlich rein antiquarisch, versichert der freundliche alte Herr in seinem Laden. Schwarze haben hier keinen Eintritt, verrät das Schild oberhalb der Eingangstür. Im Hintergrund spielt der Deutsche Hörfunk Marschmusik. Es werde so viel geklaut, sagt der Mann und beginnt zu schimpfen.

Journalisten vom "Stern" hätten ihn gerade als Altnazi präsentiert. Die seien doch nur zu ihm gekommen, um ihre eigenen Vorurteile bestätigt zu sehen. Kaiserbilder hängen an der Wand, die Vergangenheit will nicht enden, hier in der Moltkestraße, rund 100 Jahre nach der blutigen Niederschlagung des Herero-Aufstandes am 11. August 1904. 50.000 Tote - ein Genozid an Männern, Frauen und Kindern, Kriegern und Nicht-Kriegern. Nicht anders als "mit krassem Terrorismus und mit Grausamkeit" sei den Aufständischen beizukommen, befand der damalige Oberfehlshaber der deutschen Truppen. 200 Meter weiter im Café Anton gibt es Schwarzwälderkirschtorte mit Sahne.

Heute ist die AZ politisch unabhängig. Man müsse die konservativen Stammleser beachten und wolle sich gleichzeitig als liberale, weltoffene Zeitung profilieren, ergänzt Stefan Fischer und weist auf die heutigen Probleme innerhalb der Redaktion hin: "In Namibia ist es schwieriger zu recherchieren oder an Informationen heranzukommen, weil das Selbstverständ- nis, der Umgang mit den Medien noch nicht so ausgeprägt sind, wie beispielsweise in Deutschland. Es gibt noch nicht so viele Pressesprecher, wo man kurzfristig an Informationen herankommt. Und wenn es die gibt, dann haben die auch nicht diese Erfahrung. Die wissen nicht: Was darf ich rausgeben, was nicht. Die wissen nicht, dass man Pressemitteilungen möglichst schnell herausgeben sollte, dass Journalisten auf eine schnelle Antwort warten. Hier gibt es das Prinzip: Lieber gar nichts sagen als was falsches."

1999 wurde der erste schwarze Redakteur eingestellt. Andreas Shiyoo war eines von mehreren hundert Kindern, deren Eltern der SWAPO angehörten und die während des Krieges mit Südafrika von der damaligen DDR aufgenommen wurden. Dort wuchsen sie in Heimen auf und besuchten deutsche Schulen. Nach dem Ende der DDR wurden sie 1990 nach Namibia zurückgeschickt. "Das war für viele ein Kulturschock", erinnert sich Fischer. Doch verantwortlich dafür, dass es heute unter den Blattmachern nur einen schwarzen Redakteur gibt, wäre nicht die ethnische Zugehörigkeit, sondern "die Sprachbarriere. Sogar Namibier mit deutschen Vorfahren würden diese Hürde nicht nehmen. Ihr Deutsch ist nicht gut genug, um publizistisch zu arbeiten. Wenn wir Stellen ausschreiben, müssen wir lange und intensiv suchen, um neues Personal zu bekommen. Eine journalistische Ausbildung gibt es nur in Südafrika. Die meisten von den Bewerbern sind Quereinsteiger, da müssen wir bei Null anfangen." Das gilt zum Teil für Fischer selbst. Der Fotograf kam 1991 mit dem Fall der Berliner Mauer nach Namibia. Zuerst als Tourist, dann als schreibender Journalist.

Finanziert wird die "Allgemeine Zeitung" hauptsächlich über das Anzeigengeschäft, gleichwohl muss der Vertrieb subventioniert werden. Im südafrikanischen Kapstadt sitzt ein Korrespondent. Wenn es um deutsche Themen geht, übernimmt die "Allgemeine Zeitung" vorwiegend Agentur-Meldungen, zum Beispiel von dpa.

Leserbriefe und Anzeigen erscheinen mitunter auch auf Englisch oder Afrikaans. Zumal Deutsch nur eine von sechs an den Schulen gelehrten Landessprachen ist. Von großer Bedeutung ist die Familienrubrik im Annoncenteil - ein Nebeneinander von Geburts-, Heirats- und Todesmeldungen.

Mit großem Stolz verweist Stefan Fischer auch auf die eigene Internet-Homepage (www.az.com.na), die die Redaktion seit Juni 2000 betreibt: "Wir tun das nicht für unseren kleinen Leserkreis, sondern für Menschen in aller Welt. Wir haben zwischen 1.000 und 1.500 Zugriffe pro Tag, davon kommen 70 Prozent aus Deutschland. Das sind Namibier, die in Deutschland sind, oder aber Touristen, die schon hier waren oder hierher in unser schönes Land kommen wollen."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.