Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 52-53 / 20.12.2004
K. Rüdiger Durth

Merkel: "Wir brauchen einander"

18. Parteitag der CDU Deutschlands vom 6. bis 7. Dezember
"Es geht darum, die richtigen Rahmenbedingungen für mehr Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand für alle zu schaffen. Es geht darum, Perspektiven aufzuzeigen, Chancen zu nutzen und die Kraft freizusetzen, die in unserem Land und in seinen Menschen steckt", schrieb die Vorsitzende Angela Merkel in ihrer Einladung zum 18. Parteitag der CDU Deutschlands vom 6. bis 7. Dezember in Düsseldorf und fügte an: "Ich freue mich darauf, diese Aufgabe mit Ihnen gemeinsam anzupacken."

Doch wie das so ist in der Politik. Manchmal kommt es anders als man es geplant hat. Vor dem Parteitag lag die mühsame Einigung mit der CSU über die geplante Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung. Horst Seehofer kündigte daraufhin Angela Merkel in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Gefolgschaft auf. Viele CDU-Abgeordnete machten intern keinen Hehl daraus, dass sie von dem Kompromiss nichts halten und sich damit trösten, dass er ohnehin nicht im Gesetzblatt stehen wird. Dank FDP, wie der ebenfalls zurückgetretene stellvertretende Fraktionsvize Friedrich Merz anmerkte - und was die Jungliberalen den rund 1.000 Delegierten des 18. Parteitages dann freudestrahlend in Form einer Postkarte in die Hand drückten. Merz übrigens erhielt langanhaltenden Beifall der Delegierten, obwohl er für das Präsidium nicht mehr kandidierte. Schwer lag den Christdemokraten ferner die sinkende Zustimmung der Wähler im Magen, die die Demoskopen ermittelt hatten.

Viele Delegierte ahnten, dass die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen in der ersten Jahreshälfte 2005 keineswegs schon gewonnen sind. Gleiches gilt für die Bundestagswahl 2006. Lag es am programmatischen Streit zwischen CDU und CSU, an der ungeklärten Frage der künftigen Kanzlerkandidatur oder am Zweifel, ob Angela Merkel die CDU noch geschlossen hinter sich hat? Denn nicht wenige Delegierte kamen mit dem Verdacht nach Düsseldorf, dass die Vorsitzende eine andere Christlich Demokratische Union will. "Was unterscheidet Frau Merkel noch von der FDP?" fragt sich ein Delegierter, der selbstverständlich seinen Namen nicht genannt wissen wollte.

Doch dann drängte sich plötzlich ein Problem in den Vordergrund, mit dem niemand gerechnet hatte: Präsidiumsmitglied Hermann-Josef Arentz, Vorsitzender der Sozialausschüsse der Partei (CDA), hat seit Mitte der 90er-Jahre vom RWE-Konzern nicht nur 60.000 Euro Jahresgehalt für Nichtstun erhalten, sondern auch noch seinen Strom kostenlos bezogen. "Ich habe einen Fehler gemacht", bekannte er vor dem Parteitag, den er dennoch um seine Wiederwahl ins Präsidium bat. Doch dies wurde ihm versagt und als bekannt wurde, dass er auf der Landesliste für die NRW-Landtagswahl im kommenden Mai auf einen aussichtslosen Platz geschoben werden sollte, hatte der Sozialpolitiker begriffen. Nach dem Parteitag legte er CDA-Vorsitz und Landtagsmandat nieder.

Insgeheim hatten viele gehofft, auf diesem 18. Parteitag bereits eine Vorentscheidung für die Kanzlerkandidatur 2006 zu treffen. Zugunsten von Angela Merkel. Zwei Stunden mühte sich die von einer schweren Erkältung gezeichnete Vorsitzende ab, den Parteitag auf ihr Reformprogramm einzuschwören. Zugleich betont sie die gemeinsame Grundlage: "Politik ohne Gottvertrauen ist nicht möglich. Das ist es, was für mich aus dem christlichen Verständnis vom Menschen folgt... Wenn wir diese Orientierung preisgäben, wären wir nicht mehr dieselbe Partei. Das C in unserem Namen ist unser Schatz."

Acht Minuten Beifall. Soviel hat die CDU-Chefin noch nie für eine Parteitagsrede erhalten. Doch die Enttäuschung folgte auf dem Fuß: Lediglich 88,41 Prozent Ja-Stimmen für ihre Wiederwahl zur Parteivorsitzenden, fünf Prozentpunkte weniger als bei der letzten Wahl. Die Enttäuschung war ihr förmlich anzumerken, als sie die Wahl annahm. Später sprach sie von einem "ehrlichen Ergebnis". Die meisten Delegierten waren sich anschließend einig, dass damit die Festlegung auf die Kanzlerkandidatur vertagt war - obwohl niemand in Düsseldorf daran zweifelte, dass die CDU den nächsten Kanzlerkandidaten stellen und Angela Merkel heißen wird.

Öfter nannte Angela Merkel in ihrer Rede einen Mann, der auch diesmal nicht zum Parteitag gekommen ist: Helmut Kohl. Und sie beschwor die Partei: "Wir brauchen einander": "Ich brauche die Hilfe der ganzen Partei. Ich brauche die Anregungen, die Ideen und die Kritik jedes Einzelnen..." Doch als Norbert Blüm, der noch vor wenigen Jahren mit seinen "Herz-Jesu-Marxismus"-Reden einen ganzen Parteitag zu Ovationen hingerissen hat, das Rednerpult betrat, musste er gegen einen Zeitung lesenden oder sich von Tisch zu Tisch unterhaltenden Parteitag anreden. Kaum Beifall. Sein Nein zu Hartz IV und zum Gesundheitskompromiss interessierte niemand mehr. Als er an das Ende der Redezeit erinnert wird, blitzt etwas vom alten Norbert Blüm auf: "Ich bin noch lange nicht am Ende." Das Rednerpult räumte er dennoch. Es hörte ja auch kaum jemand zu.

"Deutschlands Chancen nutzen", lautete das Motto dieses 18. Parteitages. Was bislang an politischer Rhetorik, ja Polemik gefehlt hatte, lieferte der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber. Im Gegensatz zum Leipziger Parteitag der CDU wurde er in Düsseldorf herzlich empfangen und auch der Beifall ließ nichts zu wünschen übrig. Sein Kompliment: "Die CDU geht nach diesem Parteitag programmatisch und personell gut aufgestellt in die politischen Auseinandersetzungen mit Rot-Grün." Klärungsprozesse zwischen den beiden Schwesterparteien müssten künftig "besser organisiert" werden, meinte Stoiber.

Dann ging er in seinem fast einstündigen "Grußwort" zum Angriff auf die Bundesregierung über: "Die Bilanz nach sechs Jahren Rot-Grün in Deutschland ist verheerend..., Rot-Grün macht die Menschen in Deutschland ärmer..., Rot-Grün treibt immer mehr Menschen in die Verschuldung..., Rot-Grün macht die Menschen arbeitslos..., damit Deutschland wieder Chancen hat, muss diese Regierung weg."

Angela Merkel war selbstverständlich gleicher Meinung. Sie hatte es in ihrer Rede nur etwas vornehmer ausgedrückt, indem sie an Schröders Satz aus dem Jahr 1998 erinnerte, nach dem die SPD nicht alles anders, aber vieles besser machen wolle als die CDU vor ihr. Doch für die CDU-Vorsitzende steht fest, dass sie alles anders machen will. Nur so sei Deutschland von Grund auf zu reformieren.

Deutsche und Ausländer

Die Frage des Patriotismus spielte auf diesem Parteitag doch nicht die zentrale Rolle wie zuvor angekündigt. Allerdings zog er sich wie ein roter Faden durch viele Debatten. Zustimmung fand in diesem Zusammenhang auch der ausführliche Antrag des Bundesvorstandes "Im deutschen Interesse: Integration fördern und fordern, Islamismus bekämpfen". Im Grunde genommen stellt er eine ausführliche Zusammenfassung der bisherigen Forderungen der Union zu diesem Thema dar. Festgehalten wird in dem Sieben-Punkte-Programm, dass Deutschland auch in Zukunft ein weltoffenes Land ist, in dem Deutsche und Ausländer friedlich zusammen leben und arbeiten. Neben humanitärer Zuwanderung sei aber keine unbegrenzte weitere Zuwanderung zu verkraften. Es liege im nationalen Interesse, die Zuwanderung qualitativ und quantitativ zu steuern. Die CDU: "Wir fordern alle muslimischen Organisationen zu einer klaren und unzweideutigen Absage an jede Form des islamistischen Fundamentalismus auf. Die Chancen für eine dauerhafte und nachhaltige Integration stehen gut. Wir müssen sie gemeinsam nutzen."

Im Blick auf die Türkei bekräftigte der Parteitag die Haltung der Parteiführung: Keine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union, wohl aber eine priviligierte Partnerschaft. CSU-Chef Stoiber auf dem CDU-Parteitag: "Europa ist unsere Zukunft, Deutschland ist unser Vaterland. In dieses Europa fügt sich ein außereuropäisches Land wie die Türkei mit einer anderen geschichtlichen und kulturellen Tradition nicht ein."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.