Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 52-53 / 20.12.2004
Jutta Witte

An der Uni Münster werden Islam-Lehrer ausgebildet

Nordrhein-Westfalen übernimmt Vorreiterrolle
Im Vorlesungsverzeichnis der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster finden Studenten Lehrangebote wie "Einführung in die islamische Theologie" und "Die Hauptgebiete der islamischen Theologie", aber auch "Koranexegese". Dozent ist Professor Dr. Muhammad Sven Kalisch, der vom nordhrein-westfälischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung auf den bundesweit ersten "Lehrstuhl für Religion des Islam" berufen wurde. Der neue Lehrstuhl ist eingebettet in das "Centrum für Religiöse Studien (CRS), das die interreligiöse Forschung im Bereich des Islams, der Orthodoxie und des Judentums vertiefen soll. Der 38-Jährige kommt aus Hamburg und gilt als "herausragender Islamwissenschaftler". Vornehmliche Aufgabe von Professor Kalisch soll es sein, Lehramtswärter für den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ausbilden. Damit bietet Münster bundesweit als erste deutsche Hochschule ein wissenschaftliches Hochschulstudium im Bereich Lehrerausbildung Islamunterricht.

Der 1966 in Hamburg geborene Wissenschaftler, der bereits mit 15 Jahren vom Protestantismus zum Islam wechselte, ist nach Auffassung von NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft nicht zuletzt auf Grund seiner Promotion an der TH Darmstadt und seiner Habilitation im Fach Islamwissenschaft an der Universität Hamburg besonders für die neue Aufgabe geeignet. Vor seinem Wechsel an die Universität Münster war Kalisch als Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg am Fachbereich Orientalistik tätig.

NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft verspricht sich von dem neuen Lehrstuhl neben der bundesweiten Ausstrahlung auch erhebliche Wirkung auf das Studienangebot des Landes NRW insgesamt und die Profilbildung der Universität Münster im Besonderen. Ihre Kollegin im Schulministerium Ute Schäfer weist darauf hin, dass der neue Lehrstuhl "ein wichtiger Schritt ist, hin zur Integration und Gleichberechtigung der Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens. "Islamunterricht unter staatlicher Aufsicht bietet die Gewähr dafür, dass jungen Menschen keine Inhalte vermittelt werden, die nicht mit der Werteordnung des Grundgesetzes vereinbar sind."

"Das Interesse der Studenten ist groß", stellt Professor Kalisch in einer ersten vorsichtigen Bilanz fest. Vor allem bekommt er viele Nachfragen von in Deutschland lebenden türkischen Studenten und aus der Türkei direkt. Obwohl der Ergänzungsstudiengang für Islamunterricht erst mit dem Sommersemester 2005 offiziell aufgenommen wird, hat Professor Kalisch schon jetzt mit Vorlesungen und Seminaren begonnen. Nach seinen Schätzungen sind es knapp 30 Studenten, die das Zusatzstudium machen wollen. Exakte Daten gibt es nicht. "Bestimmt sind unter meinen jetzigen, ersten Hörern auch einige, die ernsthaft den Ausbildungsgang absolvieren wollen", ist sich der Islamexperte sicher. Allerdings fehlt den meisten Anwärtern noch die Voraussetzung für das Ergänzungsstudium. Erst, wenn zum Sommersemester 2005 die Studienordnung fertig gestellt ist, wird man exakte Aussagen machen können. "Derzeit wird die Studienordnung zwischen Schulministerium, einem eigens gegründeten Beirat, in dem Vertreter der verschiedenen muslimischen Verbände vertreten sind, und der Hochschule abgestimmt. Sobald diese Abstimmung fertig ist, wird sie uns vorgelegt und verabschiedet", erklärt ein Sprecher des Wissenschaftsministeriums. Ausdrücklich wird im Vorlesungsverzeichnis für das laufende Wintersemester 2004/05 darauf hingewiesen, dass für augenblicklich besuchte Veranstaltungen erst im kommenden Semester die Scheine nachgeliefert werden können.

Überhaupt ist der tatsächliche "run" auf den neuen Studiengang geringer als erwartet. Das erklärt sich rasch aus den Bedingungen, die ein Student erfüllen muss, wenn er den Erweiterungsstudiengang absolvieren möchte. Voraussetzung ist nämlich ein abgeschlossenes Hochschulstudium als Lehrerin/Lehrer oder ein derzeitiges Lehramtsstudium mit zwei regulären Hauptfächern. Wesentliche Bedingung ist außerdem die muslimische Glaubenszugehörigkeit. "Da muss man also schon eine ganze Menge Idealismus aufbringen", bestätigt Professor Kalisch. Inhaltlich will der erste Professor für "Religion des Islam" die Lehrerausbildung so gestalten, dass der Islam in seiner gesamten historischen Breite vermittelt wird. Da die Mehrheit der muslimischen Schulkinder einen türkischen Hintergrund habe, "wird ein gewisser Schwerpunkt bei den herrschenden Richtungen aus der Türkei liegen", meint Kalisch.

Beitrag zur Integration

"Ich wünsche mir, dass die Studenten, die diesen Ergänzungsstudiengang zum islamischen Religionslehrer beendet haben, anschließend einen Überblick über die gesamte Vielfalt des Islam haben." In jedem Fall soll der Studiengang nicht abgeschottet von anderen Religionen und Fächern stattfinden. "Wir wollen den Studiengang auch eingebettet sehen in interreligiösen Dialog und die interdisziplinäre Forschung", betont der Professor. In jedem Fall hat sich Kalisch vorgenommen, mit der Ausbildung von Islamlehrern einen wichtigen Beitrag zur Integration seiner Glaubensgefährten zu leisten. Dabei ist er überzeugt, dass er den Rückhalt unter den Muslimen in Deutschland genieße: "Ich gelte in der islamischen Gemeinschaft als jemand, der frischen Wind bringt, aber anderen nicht seine Meinung aufdrängt."

Im NRW-Wissenschaftsministerium wird derzeit noch davon ausgegangen, dass das Studium in sechs Semestern zu bewältigen ist. Studenten vor Ort halten das für unmöglich. Allein das notwendige Arabisch lernen würde vier Semester in Anspruch nehmen, sind sie überzeugt. Damit werden frühestens 2008 die ersten Absolventen des Studiengangs die Universität verlassen. Ungeklärt ist bisher auch noch, wie der Unterricht an den Schulen organisiert wird. Ob die neuen Lehrer dann regulären Religionsunterricht oder lediglich einen "islamkundlichen Unterricht" erteilen werden, hängt davon ab, ob bis dahin in NRW Bekenntnis gebundener islamischer Unterricht als Schulfach eingeführt werden kann. Dazu müssen sich wiederum die verschiedenen islamischen Verbände in einem Dachverband zusammenschließen, mit dem das Land Nordrhein-Westfalen einen Vertrag schließen kann.

Wie wichtig die Ausbildung der islamischen Religionslehrer ist, macht Professor Kalisch allein schon an der Zahl der in Deutschland lebenden 3,2 Millionen Muslime deutlich. Man schätzt, dass etwa 800.000 muslimische Schüler derzeit auf deutsche Schulen gehen. Sie alle hätten nach der im Grundgesetz verankerten Religionsfreiheit einen Anspruch auf Religionsunterricht. Um für all diese Schüler ausreichendes Lehrpersonal zur Verfügung zu stellen, wird noch einige Zeit vergehen. Mit einem Lehrstuhl werde man da auf Dauer auch nicht hat auskommen, ist der Islamexperte überzeugt.

In Nordrhein-Westfalen wird seit den 80er-Jahren an den Schulen "Islamische Unterweisung" im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts in Türkisch, Arabisch und Bosnisch erteilt. In einem Modellprojekt wird seit 1999 Islamunterricht in deutscher Sprache als eigenständiges Unterrichtsfach an rund 110 Schulen aller Schulformen angeboten, an dem sich rund 6.000 Kinder von insgesamt 282.000 in NRW beteiligen. Mit dem neuen Ergänzungsstudium an der Uni Münster für Islamunterricht bietet sich eine neue bessere Chance für islamische Schüler. Nach Auffassung von Professor Kalisch könnte die flächendeckende Einführung des Bekenntnis gebundenen islamischen Religionsunterrichtes auch möglichen Extremisten in Deutschland den Boden entziehen. Kalisch: "Ich denke, dass Extremisten es schwerer haben werden, wenn die Schüler ein differenziertes Bild vom Islam erhalten. Der Religionsunterricht kann dazu beitragen, dass die Anfälligkeit für Extremismus nachlässt."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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