Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 52-53 / 20.12.2004
Ines Gollnick

Der Zuhörer: Swen Schulz

Parlamentarisches Profil

Fragen nach einer Selbsteinschätzung bergen für Interviewer so ihre Risiken. Der Sozialdemokrat Swen Schulz nennt als eine seiner Stärken: "Gesprächsfähigkeit, man muss mal auf Empfang stellen können, nicht nur auf Senden." Schulz hat nach mehr als zwei Jahren im Deutschen Bundestag auf jeden Fall eines für sich festgestellt: "Man kann nicht durch die Gegend rennen und sagen, ich bin der Abgeordnete und weiß eh alles besser und erkläre euch die Welt!" Er stellt seine Sinne beispielsweise auf Empfang, wenn er in seinem Berliner Wahlkreis Spandau/Charlottenburg-Nord Arbeitslose zum Kaffee einlädt, um zu erfahren, was den Leuten unter den Nägeln brennt, wenn er eine Präventionsmesse initiiert, um mit Rat suchenden und Experten wie Kinderärzten und helfenden Institutionen über Kindergesundheit zu diskutieren oder am "Girlsday" wie im Frühling 2004 mit sieben Mädchen aus seinem Wahlkreis ausführlich in einem Intensivprogramm über Berufsbilder in der Politik spricht.

Schulz ist einer der Jungen in der SPD, 34 Jahre alt, studierter Politologe, Abschlussnote sehr gut. Politik sei seine Leidenschaft, sagt er in sachlichem Ton im Gespräch mit "Das Parlament", doch seine Biografie belegt diese Vorliebe. Nach dem Studium war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Europaabgeordneten Dagmar Roth-Behrendt, anschließend vier Jahre Büroleiter beim Bundestagsabgeordneten Wolfgang Behrendt, bevor er beruflich der Politik den Rücken kehrte und bei einem Verlag seine Brötchen verdiente. Ehrenamtlich mischte er allerdings in der Spandauer SPD und als Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung Spandau weiter mit.

Wahnsinnig viel gelernt habe er in der Zeit als Mitarbeiter von Parlamentariern, vor allem selber eine Einstellung zu finden, zum Beispiel die: "Das kannst du eigentlich auch." Das klingt keineswegs überheblich, diese Position ist das Resultat reiflicher Überlegung. Blauäugig kam er also nicht ins Parlament, wo er im Petitionsausschuss und im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und als Stellvertreter im Sportausschuss arbeitet. Als Berichterstatter für Raumfahrtforschung der SPD ließ er sich auf ein Feld ein, mit dem er vorher nie zu tun hatte. "Ich bemühe mich jedoch, die breite Themenpalette Bildung und Forschung zu bearbeiten." Engagiert er sich nicht für die Förderung und Stärkung der nationalen Raumfahrtpolitik, geht es ihm um Themen wie das Ausbildungsplatzsicherungsgesetz oder das Gesundheitsmodernisierungsgesetz, wie Gesetzesvorhaben gelegentlich im Bürokratendeutsch heißen.

Swen Schulz übersetzt das erste so: "Da geht es darum, wie wir berufliche Bildung strukturieren, welche Rolle die betriebliche Ausbildung gegenüber dem schulischen Teil spielt. Das sind sehr wichtige Fragen, zu denen mich in meinem Wahlkreis Gewerkschaften, Berufsschulen und Unternehmen ansprechen." Der Petitionsausschuss ist oftmals Pflicht für Parlamentsneulinge, wo sie sich direkt mit Eingaben von Bürgern konfrontiert sehen. "Es ist sehr wichtig, dass sich der Bundestag direkt mit Anliegen der Bürger auseinandersetzt. Das ist der Realitätstest von Politik. Nicht wenige politische Korrekturen hatten ihren Ursprung in Petitionen." Der Youngster mit der dezenten Brille und der hörfunktauglichen Stimme wollte Politikberater werden, so ein "hochkarätiger Kanzlerberater, Strippenzieher im Hintergrund", schmunzelt er. Es kam anders. Jetzt entscheidet er mit. "Für mich vergleiche ich die Gelegenheit, MdB zu sein, mit der Situation des Profifußballers, der schon immer Spaß am Fußball hatte. Jetzt habe ich die sensationelle Gelegenheit, meine Lieblingsbeschäftigung den ganzen Tag auszuüben und damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen."

Er vermittelt glaubhaft den Eindruck, dass er seine Sache als Abgeordneter gut machen will. Er ist durchaus froh darüber, dass mittlerweile Botschaften, die weit in die Zukunft reichen, bei den Menschen wieder besser vermittelbar sind. Inzwischen sei auch bei den Medien ein Stück weit mehr Sachlichkeit eingetreten, so der Eindruck von Schulz. Zu seinem Politikverständnis gehört, Menschen und ihre Ängste und Gefühle Ernst zu nehmen. "Man muss in der Lage sein, eigene Positionen immer wieder zu hinterfragen. Wenn ich ein Gesetz beschließe, mache ich das nach bestem Wissen und Gewissen, aber es muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Man muss offen sein für Argumente, die zu Verbesserungen führen können."

Dass sich für ihn jetzt Politik manchmal ganz anders darstellt als im akademischen Elfenbeinturm, ist nicht weiter überraschend. Trotzdem stört es ihn, dass zumindest in seinem Hauptausschuss Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung nicht immer um die beste Lösung gerungen würde. Gerade wenn die Kameras ausgeschaltet und die Medienvertreter außen vor sind, sollte es vorkommen, dass ein Oppositionspolitiker die Bundesregierung lobe oder ein Regierungsabgeordneter die eigene Regierung kritisiere. Sein Eindruck ist dagegen, dass die Plenardebatten, die nach der Ausschusssitzung anstehen, "geprobt" würden. "Da wird relativ wenig sachlich dis-kutiert, es gibt rühmliche Ausnahmen."

Schulz versteht sein Mandat als große Verpflichtung. Das wird ihm vor allem auch dann bewusst, wenn er mit Bürgern und Bürgerinnen Führungen im Reichstagsgebäude macht, den Gästen die große Historie des Gebäudes vergegenwärtigt und von Politikern berichtet, die vor ihm für Freiheit und Demokratie gestritten und gelitten haben.

Gerade mal zehn Jahre ist es her, dass er selbst mit der praktischen Politik in Berührung kam. Jetzt hat er einen Lehrauftrag am Otto-Suhr-Institut übernommen, um Politikwissenschaftsstudenten bei der Berufsfeldspezialisierung zur Seite zu stehen. In seinem Seminar geht es um Politikberatung im Bereich der Bildungsfinanzierung. Bei aller Freude ganz oben im Politikbetrieb dabei zu sein. Ein Wermutstropfen bleibt: Wenig Zeit für die Familie, die in seinem Fall neudeutsch Patchworkfamilie heißt. Er und seine Lebensgefährtin haben die Verantwortung für drei Kinder, zwei brachte seine Freundin mit, eines haben sie gemeinsam. Und auch dort heißt es immer wieder auf Empfang stellen und gut zuhören können.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.