Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 05-06 / 31.01.2005
Astrid Pawassar

Zusammenrücken gegen Neonazis

Sachsens Landtag will keine Bühne für NS-Propaganda sein
Der Schock sitzt tief über den Eklat, den die NPD vor gut einer Woche im Sächsischen Landtag produzierte. Doch inzwischen haben sich die Gemüter etwas beruhigt und es breitet sich Zuversicht aus, von Mal zu Mal mit den Provokationen der Rechtsextremen besser fertig zu werden. "Was wir hier machen, ist learning by doing", beschreibt SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss den Umstand, dass es dem Sächsischen Landtag an Erfahrung mit aggressiv nationalistisch auftretenden Rednern mangelt.

Das Landtagspräsidium war gleich nach der Sitzung zusammengetreten, um über eine Reaktion auf die provozierenden Äußerungen zu beraten. Die Reden der NPD-Abgeordneten werden vom juristischen Dienst geprüft und gegebenenfalls noch im Nachhinein vom Landtagspräsidenten mit Ordnungsrufen belegt. Dies ist der noch vorherrschenden Unsicherheit des Präsidiums bei der Anwendung von Ordnungsmaßnahmen gegen die NPD geschuldet. "Die haben doch einen Freibrief", meint Fritz Hähle, der langjährige Vorsitzende der CDU-Fraktion und spielt damit auf den Schutz der freien Meinungsäußerung von Abgeordneten (Indemnität) an.

Tatsächlich hatte sich Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) schwer getan, dem schreienden Stakkato der NPD-Redner, das zuweilen von erregten Zwischenrufen übertönt wurde, Einhalt zu gebieten. Nicht provozieren lassen, keine Fehler machen, die von der NPD propagandistisch ausgeschlachtet werden können, das ist die Maxime, nach der das Landtagspräsidium verfährt. Niemand hatte erwartet, dass die NPD sich so offen in die Karten blicken lassen würde.

Die Weigerung der politischen Rechtsaußen, an einer Schweigeminute für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft teilzunehmen, war einkalkuliert. Das Landtagspräsidium und die anderen fünf Fraktionen wollten sich nicht von der NPD vorführen lassen. Sie kamen deren Antrag zuvor. Doch dass die NPD die Erinnerung an die Bombenangriffe auf Dresden so unverhohlen zur Geschichtsumdeutung im nationalsozialistischen Stil nutzen würde, hatte niemand vorausgeahnt.

Seit Jahren hatte zwar der sächsische Verfassungsschutz darauf hingewiesen, dass die NPD ihre Kräfte im Freistaat bündelt und mit ideologisch und taktisch geschultem Personal aus dem Westen der Republik verstärkt. Auch dass der Landtag als Bühne für öffentliche Auftritte der NPD zur Vorbereitung ihres Bundestagswahlkampfes dienen soll, war einigen Parlamentariern bereits klar geworden. Aber noch war man hauptsächlich damit beschäftigt, die Finessen auszuloten, mit denen die zwölf rechtsextremen Abgeordneten die Geschäftsordnung des Landtages für ihre Zwecke nutzen wollen. "Wir haben ja aus DDR-Zeiten keine Erfahrung mit Nazi-Propaganda", sucht Landtagsvizepräsident Gunther Hatzsch (SPD) nach Erklärungen für das lähmende Entsetzen im Landtag, "diese Worte mussten wir erst mal verdauen." Als "Bombenholocaust" hatte der aus Westdeutschland nach Sachsen importierte Jürgen Gansel die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 bezeichnet. Sein Fraktionskollege Holger Apfel, ebenfalls ein Westimport, sprach von viel zu niedrig angesetzten "Propagandazahlen" über die Dresdener Opfer eines "kaltblütigen Massenmordes" der alliierten Truppen.

Um die erwarteten Provokationen der NPD nicht durch eine umfangreiche Debatte aufzuwerten, hatten sich CDU, SPD, FDP, Grüne und PDS darauf verständigt, nur einen Redner für die Aktuelle Stunde zu benennen.

Alterspräsident Cornelius Weiss (SPD) rügte die "in Goebbelscher Manier mit Schaum vor dem Mund vorgetragenen Hasstiraden". Er rückte die historische Reihenfolge der Ereignisse wieder zurecht, die zum Zweiten Weltkrieg führten: "Zuerst brannten Bücher... nach den Büchern brannte Guernica... die Synagogen... Die englische Stadt Coventry... In den Krematorien der Vernichtungslager des NS-Regimes verbrannten Millionen Juden, Sinti und Roma... Dann kehrte das Feuer zurück." Weiss forderte, mit Entschiedenheit jenen in den Arm zu fallen, "die schon wieder nach der Brandfackel greifen".

"Wir müssen begreifen: Die NPD ist nicht unser Gegner, sondern unser Feind. Wenn wir diese Leute nach fünf Jahren wieder im Landtag haben, dann haben wir versagt", beschreibt Cornelius Weiss heute die Konsequenz aus der tumultartigen Landtagssitzung. Mehr Ordnungsrufe, auch die Möglichkeit, Provokateure von den Landtagssitzungen auszuschließen, müssten in Zukunft zum Einsatz kommen, "und wir haben noch weitere wundervolle Möglichkeiten im Köcher".

Auch CDU-Fraktionschef Hähle erwartet ein stärkeres Zusammenrücken der anderen Fraktionen im Landtag: "Es ist richtig, wenn wir so wenig wie möglich über NPD-Anträge in Streit geraten." Unterstützung statt Schuldzuweisungen wünscht sich Hähle von der bundespolitischen Ebene ebenso wie von den Medien. Ein wenig mehr Verständnis auch für die Zwickmühle, in der sich nach dem Scheitern des NPD-Verbotsantrages vor dem Bundesverfassungsgericht nun der Sächsische Landtag befinde. Für ein neues Verbotsverfahren plädiert in Sachsen nur die PDS, alle anderen Parteien halten eine politische Auseinandersetzung mit der NPD für aussichtsreicher. Und Cornelius Weiss hat schon ganz zur sprichwörtlichen sächsischen Gelassenheit zurückgefunden und will sich von den Provokationen der NPD nicht beeindrucken lassen. "Meine Prognose ist, dass die sich selbst überleben, weil sie lästig werden. Die Bevölkerung wird eines Tages fragen: Haben die denn nichts anderes zu tun?"


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.