Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 05-06 / 31.01.2005
Eckhard Stengel

SPD und CDU haben Koalitionskrise schnell gemeistert

Bremen: Misstrauensantrag wegen Brechmitteleinsatz gescheitert

Das war Mord, Herr Röwekamp!" Wer am 26. Januar die Bremische Bürgerschaft betreten wollte, musste an etwa 150 Demonstranten vorbei, die mit markig formulierten Plakaten den tödlichen Brechmitteleinsatz der Polizei gegen einen mutmaßlichen Kokainhändler anprangerten. Drinnen debattierte das Landesparlament über einen Misstrauensantrag der Grünen gegen Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) wegen der Brechmittelaffäre. Erwartungsgemäß stimmte die große Koalition weitgehend geschlossen gegen den Abwahlantrag. Wenige Tage zuvor hätte noch niemand auf dieses Ergebnis wetten mögen, denn da hatte sich das Bündnis gerade in eine Krise hineinmanövriert.

Mehrere Streitpunkte waren zusammengekommen und hatten die Koalitionslust der SPD deutlich gedämpft:

- Bau- und Umweltsenator Jens Eckhoff (CDU) hatte in der Lokalpresse SPD-Senatskollegen kritisiert und für künftige Wahlperioden auch ein Bündnis mit den Grünen für denkbar erklärt. CDU-Landesparteichef Bernd Neumann (MdB) rügte zwar sofort das "Schwadronieren" seines politischen Ziehsohnes, aber die Sozialdemokraten waren dennoch verschnupft über Eckhoffs "Absetzbewegung".

- Dann veröffentlichte die "tageszeitung" (taz) das Protokoll einer CDU-Landesvorstandssitzung, aus dem hervorging, wie die Partei mit dem drohenden Scheitern von Verhandlungen zwischen Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und dem Bundeskanzler um weitere Finanzhilfen umgehen wollte: "Bernd Neumann erklärt dazu, dass die CDU keinesfalls Überbringer dieser Botschaft sein dürfe, sondern Scherf gezwungen werden müsse, mit dieser Nachricht vor die Öffentlichkeit zu treten und damit den Offenbarungseid zu leisten." Die SPD sah darin einen Versuch des Koalitionspartners, sich aus der gemeinsamen Verantwortung zu stehlen und "Schwarzer Peter" zu spielen.

- Und schließlich war da noch das Verhalten von Innensenator Röwekamp nach dem Brechmitteleinsatz: Er verließ sich unkritisch auf mangelhafte Polizeiinformationen, wonach der Dealer seinen Zusammenbruch selber verschuldet hatte. Außerdem erklärte der Senator den Brechzwang zunächst für weiterhin "unverzichtbar" und meinte, "Schwerstverbrecher" müssten nun mal mit "körperlichen Nachteilen" rechnen. Die SPD zweifelte deshalb an seiner rechtsstaatlichen Haltung und warf ihm vor, den Dealer-Tod wie einen Betriebsunfall zu bewerten. Die Genossen wollten das Gesundheitsrisiko dieser Prozedur nicht länger mittragen und machten ihre Ablehnung des Grünen-Misstrauensantrages davon abhängig, dass auch die CDU auf das notfalls gewaltsame Einflößen des Brechsirups per Schlauch verzichtet.

Statt die Streitpunkte direkt mit der Union zu erörtern, wählten SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen und sein Landesvorsitzender Carsten Sieling einen ungewöhnlichen Weg: Sie luden zu einer Pressekonferenz, auf der sie eine wenig schmeichelhafte Bilanz der fast zehnjährigen Elefantenehe zogen. Sie sprachen von "Lähmung" und "Lethargie", erklärten die Haushaltssanierung für mehr oder weniger gescheitert, warfen Eckhoff wie Röwekamp "Illoyalitäten und Profilierungsgelüste" vor und stellten fest, in der gegenwärtigen Verfassung sei der Koalitionssenat "nicht in der Lage, die Herausforderungen zur Absicherung unseres Bundeslandes zu meistern." Das Bündnis verliere seine Grundlage, wenn die Union nicht zu einer "sachorientierten und gemeinsam verantworteten Politik" zurückkehre, mahnten die SPD-Oberen.

Aber auch mit ihrem Genossen Bürgermeister gingen sie ins Gericht. Scherf müsse "endlich Klarheit" schaffen, was aus den Verhandlungen um die weiteren Bundesbeihilfen werden solle. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte im Juli 2000 den rot-schwarzen Bremern einen Ausgleich für etwaige Nachteile aus der rot-grünen Steuerreform in Aussicht gestellt - als Belohnung für Bremens Zustimmung zur Reform im Bundesrat. Die Hansestadt beziffert den nötigen Ausgleich auf mehr als 500 Millionen Euro, aber der Bund denkt bisher nicht daran, solche Summen locker zu machen.

Scherf reagierte pikiert auf den Vorstoß der beiden Spitzengenossen und nahm sich die beiden zur Brust. Drei Tage später traf sich das Schlichtungsgremium des Bündnisses, der Koalitionsausschuss, zu einer Krisensitzung. Nach drei Stunden dann Entwarnung: SPD und CDU vertrugen sich wieder. "Wir haben uns vorgenommen, den Umgang miteinander zu verbessern", sagte CDU-Chef Neumann. Seine Partei kam dem Bündnispartner entgegen, indem sie dem geforderten Ende des Brechzwangs zustimmte. Künftig sollen Tatverdächtige, die nicht freiwillig Brechsirup trinken, inhaftiert werden, bis etwaige verschluckte Drogenkapseln per Stuhlgang ausgeschieden werden und sich so als Beweismittel sicherstellen lassen.

Damit war für die SPD der Weg frei, sich bei der Misstrauensabstimmung auf Röwekamps Seite zu stellen. Vorsichtshalber drohte Scherf auch noch mit Rücktritt: "Bei Thomas Röwekamp wird auch über mich entschieden." Am Ende nutzten sieben Koalitionsabweichler die geheime Abstimmung, um doch für die Abwahl zu votieren; ein weiterer enthielt sich. Das lag aber noch im Rahmen des Koalitionsüblichen, so dass SPD und CDU die erste Bewährungsprobe nach ihrer Krise für bestanden erklärten. Die Grünen dagegen fordern jetzt Neuwahlen: Rot-Schwarz sei mit seiner Sanierungspolitik gescheitert und habe nicht die Kraft für einen Neuanfang.

In der Debatte ums Misstrauensvotum erinnerte die Oppositionsfraktion daran, dass der Todesfall hätte vermieden werden können, wenn die Bürgerschaft bereits 2001 einen Grünen-Antrag zum Brechmittel-Stopp gebilligt hätte. Die CDU konterte mit dem Hinweis, die Prozedur sei schon 1992 von der rot-gelb-grünen Ampelkoalition eingeführt worden.

Einig waren sich alle demokratischen Parteien darin, dass sie den Tod des mutmaßlichen Dealers bedauerten. Nur der DVU-Einzelabgeordnete Siegfried Tittmann meinte: "Wer sich in Gefahr begibt, der kommt darin um." Dieses "schwerkriminelle Gesindel" habe "keine Würde" und verdiene "absolut kein Mitleid". Ein Grüner warf ihm daraufhin vor, sich außerhalb des Grundgesetzes zu stellen ("Die Würde des Menschen ist unantastbar"). Er fügte hinzu: "Ich weise das hoffentlich im Namen aller Kollegen entschieden zurück." Dafür bekam er fraktionsübergreifenden Beifall.


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