Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 05-06 / 31.01.2005
Volker Koop

Einseitiger Blick auf die Rendite?

"Unternehmenskultur muss auf Investitionen setzen"
Nachrichten aus deutschen Unternehmen waren im vergangenen Jahr häufig widersprüchlich. Auf der einen Seite war oft die Rede von geradezu explodierenden Gewinnen - insbesondere bei Kapitalgesellschaften. Andererseits verging kaum ein Monat, in dem nicht irgendein Unternehmen ankündigte, in den nächsten Jahren die Kosten drastisch reduzieren zu müssen, nicht zuletzt und vor allem die Personalkosten. Karstadt, Opel, VW sind nur einige Namen, die hierfür stehen. Nicht selten verbunden mit diesen Ankündigungen war der Hinweis, notfalls Beschäftigte entlassen, Betriebsstätten schließen oder von Deutschland ins Ausland verlegen zu müssen. Der Verdacht machte sich breit, dass einige Unternehmensführungen die wirtschaftliche Situation im Lande und die Sorge um den Arbeitsplatz nutzten - man mag auch sagen: missbrauchten -, um die Interessen der Anteilseigner vor die der Arbeitnehmer zu stellen. Die Rede war von einem Wandel der Unternehmenskultur, von einem Paradigmenwechsel.

Mit Kritik an der Wirtschaft hält Werner Schulz nicht zurück. Der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen verweist auf Umfragen, nach denen die Deutschen nur noch wenig Vertrauen in Politik und Wirtschaft haben. In keinem Land der Welt habe die Wirtschaft ein so schlechtes Image wie in Deutschland, was "angesichts der Einfallslosigkeit vieler Wirtschaftsfunktionäre" durchaus nachvollziehbar sei. Es kämen immer die gleichen Vorschläge: "Gürtel enger schnallen, Feiertage abschaffen, Samstag arbeiten, die 40-Stunden-Woche einführen, Löhne kürzen, Weihnachtsgeld streichen und ähnliches." So aber komme die stagnierende Binnennachfrage nicht in Bewegung, was aber vielen (Dax-)Unternehmen offensichtlich mehr oder weniger egal sei. Ihre Gewinne erzielten sie im Ausland, beim Export, und dort werde auch investiert. Schulz: "Hierzulande dagegen wird an allen Ecken und Enden rationalisiert und gespart. Und Subventionen einkassiert. Etwa durch BMW in Leipzig, während das Unternehmen floriert und beste Quartalsergebnisse bekannt gibt. Das sollte sich ändern." Der ost- und wirtschaftspolitische Sprecher seiner Fraktion plädiert deshalb für eine Unternehmenskultur, die auf Innovation im eigenen Land setzt, auf den Mut, neue Wege zu gehen. Deutschland habe immer relativ hohe Löhne gehabt, sei aber trotzdem international konkurrenzfähig - wegen seiner Produktivität, der Leistungsbereitschaft, der guten Qualifikation seiner Beschäftigten und auch wegen des Ideenreichtums seiner Unternehmer. "Wie wäre es also", fragt der Abgeordnete, "mit weniger Lohndumping und mehr Kostensenkung bei Material- und Energiedurchsatz? Wie wäre es, wenn Deutschland sich an die Spitze der ?Weg-vom-Öl-Strategie' der Industriestaaten setzt?"

Dass sich Deutschland in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit mit dem höchsten Stand der Arbeitslosigkeit seit Gründung der Bundesrepublik befindet und gleichzeitig die Unternehmensgewinne zugenommen haben, sieht der Unions-Abgeordnete Ronald Pofalla nur einen scheinbaren Widerspruch. Die schwarzen Zahlen in den Betriebsbüchern speisten sich nur zu einem kleinen Teil aus dem erfolgreichen Absatz am deutschen Markt. Hauptursache seien vor allem der Export und die Einbeziehung kostengünstiger Vorprodukte aus dem Ausland. Ein Beispiel: Würde der VW-Golf vollständig in Deutschland hergestellt, würde er rund 32.000 Euro kosten - ein Preis, der jeden Erfolg am Markt unmöglich machte. Nur durch Vorprodukte aus billigeren Standorten sei es möglich, das Auto für 17.000 Euro zu verkaufen und damit Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Die Konsequenz: "Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, bleibt also gar nichts anderes übrig, als die Produktionskosten zu drücken, um den Bestand der Unternehmen zu sichern." Pofalla, der als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für die Bereiche Arbeit und Wirtschaft zuständig ist, verkennt aber nicht: "Richtig ist allerdings auch, dass in einigen Bereichen der Blick auf die kurzfristige Renditeentwicklung zugenommen hat. Ich halte das für bedenklich. Denn wir brauchen einen gesunden Mix aus kurz-, mittel- und langfristigen Unternehmenszielen, der sowohl die Interessen der Aktionäre als auch die der Beschäftigten miteinander verbindet. Neid- und Missgunstdebatten helfen dabei nicht weiter." Lösungsansätze sieht er in wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die mehr Produktion in Deutschland lukrativ machen. Würden die Voraussetzungen für Unternehmensgewinne verbessert, würde sich auch die Debatte um Firmenverlagerungen erübrigen.

Für eine Unternehmenskultur, die stets - und gerade im stärker werdenden globalen Wettbewerb - für einen Interessenausgleich zwischen Investoren und Beschäftigten sorgt, plädiert Rainer Brüderle, stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender. Möglichst hohe Löhne für möglichst viele Beschäftigte dürften wohl das Ziel aller sein, doch dafür brauche es wettbewerbsfähige Unternehmen. Diese seien aber nicht nur auf gute Mitarbeiter angewiesen. Sie brauchten auch risikobereite Investoren, um die technische Ausrüstung der Arbeitsplätze zu finanzieren. Diese Investoren erwarteten ebenfalls einen Lohn, nämlich eine gewisse und möglichst hohe Verzinsung, also Gewinne. Investor sei jeder Einzelne, der spare, sei es mit dem Sparbuch, einer Lebensversicherung oder einer Riester-Rente. Klar müsse aber sein: "Der Lohn muss sich an der Arbeitsproduktivität orientieren. Es ist nur der Arbeitsplatz dauerhaft sicher, der nicht mehr kostet, als er dem Unternehmen einbringt. Keine Firma überlebt, wenn sie Löhne systematisch zu Lasten der Gewinne erhöht, da sich dann die Kapitalgeber abwenden." Andererseits gelte aber auch, dass es in flexiblen Märkten dauerhaft nicht möglich sei, Gewinne zu Lasten der Löhne zu erhöhen. Brüderle: "Unternehmen müssen entsprechend der Arbeitsproduktivität bezahlen. Sonst verlieren sie ihre Mitarbeiter an Firmen, die höher, nämlich produktivitätsorientiert und damit immer noch rentierlich entlohnen. Aber solchen Marktmechanismen zu vertrauen, ist nicht die Sache der Gewerkschaften. Ihre beschäftigungsfeindliche Tarifpolitik hat viele Arbeitsplätze unrentierlich gemacht." In diesen Fällen hätten die Firmen dann häufig lieber in Maschinen investiert, als Löhne zu erhöhen.

"Unternehmensgewinne müssen zu Investitionen führen", hebt der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion Klaus Brandner hervor. Deutsche Unternehmen verdienten wieder mehr, und 2004 seien die Gewinne aus Unternehmertätigkeit und aus Vermögen um 10,7 Prozent gestiegen. Diese Entwicklung zeige doch, dass man in Deutschland durchaus Geld verdienen könne. "Die ständig Jammernden über Standortnachteile und über mangelnde Wettbewerbsfähigkeit sollten sich diese positiven Zahlen einmal verinnerlichen", regt er an. Insbesondere die internationale Presse und internationale Manager lobten die weitgehenden Reformen in Deutschland. Mit der Agenda 2010 habe man einen Aufbruch geschafft, der in eine längere Phase nachhaltigen Wachstums führe. Der Anstieg der Erwerbstätigenzahl 2004 um 128.000 gebe die Richtung vor. Voraussetzung für eine weitere erfolgreiche Entwicklung sei aber: "Unternehmensgewinne dürfen auch in Zeiten der shareholder-values nicht nur für die Finanzmärkte erwirtschaftet werden. Wenn schon Arbeitnehmer und Gewerkschaften ein sehr hohes Maß an Flexibilität beweisen, wenn schon die Bundesregierung mit ihren Strukturreformen vielen vieles abverlangt, dann muss man erwarten können, dass die Unternehmen die erzielten Gewinne in Investitionen umsetzen." Der Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen um 1,2 Prozent im vergangenen Jahr ist für ihn ein ermutigendes Zeichen, dem jedoch weitere folgen müssen: "Unternehmensgewinne sind kein Selbstzweck. Sie müssen sich auch immer an gesellschaftlichen Zielen messen lassen. Nur so ist das Ziel zu erreichen, Wohlstand für alle zu mehren und soziale Gerechtigkeit in Deutschland dauerhaft zu ermöglichen."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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