Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 04 / 23.01.2006
Daniela Weingärtner

Störer müssen draußen bleiben

Europaparlament ändert seine Geschäftsordnung

Als im vergangenen Sommer ein italienischer Abgeordneter der Lega Nord bei einer Rede von Italiens Staatspräsident Ciampi so sehr störte, dass er an den Füßen aus dem Plenarsaal des Europaparlaments geschleift werden musste, war für viele Abgeordnete das Maß voll. Sie erarbeiteten eine Änderung der Geschäftsordnung, die am 19. Januar mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Demnach können künftig Störer bis zu zehn Tage aus dem Plenum und anderen Sitzungen verbannt werden. Bislang war das nur maximal fünf Tage möglich. Neu ist auch, dass für diese Zeit das Wahlrecht des Abgeordneten ausgesetzt werden kann und kein Tagegeld gezahlt wird.

In der Debatte vergangene Woche in Straßburg betonte der Verfasser des Berichts, der grüne Abgeordnete Gérard Onesta, es gehe nicht darum, die Meinungsfreiheit zu beschneiden oder dem Parlament seine Ausdrucksstärke und Lebendigkeit zu nehmen. Der neue Text verschärft zwar einige Regeln, lockert dafür aber andere. So sind Proteste mit rein optischen Mitteln künftig erlaubt, wenn sie nicht beleidigend sind. "Mit dem Umwelt-T-Shirt, das ich heute trage, müsste ich eigentlich des Saales verwiesen werden", erklärte Onesta in der Debatte zu seinem Bericht, die in der Nacht zum Donnerstag vor fast leerem Plenarsaal stattfand.

Parlamentspräsident Josep Borell hatte es sich aber nicht nehmen lassen, die Sitzungsleitung selbst zu übernehmen. "Da die neue Geschäftsordnung noch nicht in Kraft ist, muss ich Sie nun bitten, das T-Shirt zu bedecken", sagte er in seiner milde-väterlichen Art. Borells Rechte werden durch die neue Geschäftsordnung deutlich gestärkt. Er kann in extremen Fällen sofort Saalverweise aussprechen, ohne den Gemaßregelten zuvor zu verwarnen. Der kann aber innerhalb von zwei Wochen schriftlich Einspruch gegen die Disziplinierungsmaßnahme einlegen. Kann der Parlamentspräsident seine Maßnahme nicht begründen, muss er sie dann zurücknehmen.

Der sozialistische Abgeordnete Richard Corbett äußerte in der Debatte die Hoffnung, dass allein die Drohung genüge und die Sanktionen nie angewendet werden müssten. "Es ist aber wichtig, dass wir sie haben. Es handelt sich um ein maßvolles Instrumentarium. Der Vorsitzende hat weit weniger Rechte als der Chef des britischen Unterhauses." Sein konservativer Kollege Ingo Friedrich verwies darauf, dass nur der Präsident die Sanktionen verhängen könne.

Gerard Batten von der UKIP, der britischen Antieuropa-Partei, vermutete nicht ganz zu Unrecht, die Änderung der Geschäftsordnung sei vor allem eingeführt worden, um ihn und seine Fraktionskollegen zum Schweigen zu bringen. Tatsächlich legen es Batten und seine Mitstreiter seit Beginn der Legislaturperiode darauf an, die Parlamentsgeschäfte zu stören und das Parlament lächerlich zu machen. Meist hängen sie wie Halbstarke in ihren Stühlen in den hinteren Bänken, johlen provozierend oder versuchen die Sitzung durch Verfahrenstricks lahm zu legen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit erklären UKIP-Abgeordnete, sie sähen keinen Sinn darin, ein Parlament zu respektieren, dessen gesamte Existenz sie in Frage stellen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.