Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 04 / 23.01.2006
Karl-Otto Sattler

Muslim-Test im Gegenwind

Baden-Württemberg: Deutsche Staatsangehörigkeit gibt es nur noch gegen "richtige" Antworten
Die Zahlen sind spürbar gesunken: Erhielten 2001 in Baden-Württemberg noch 28.000 Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit, so waren es 2004 nur noch 16.000 - ein Rückgang von mehr als 40 Prozent. Vielleicht werden künftig noch weniger deutsche Pässe ausgegeben: Dann nämlich, wenn muslimische Einbürgerungswillige durch die neue "Gewissensprüfung" (CDU-Innenminister Heribert Rech) fallen oder sich angesichts der "Gesinnungsschnüffelei" und "Stigmatisierung" (FDP-Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger) gar nicht erst um die Staatsbürgerschaft bewerben.

Überwiegend Moslems, die wie alle Aspiranten ohnehin vom Verfassungsschutz einem keineswegs unumstrittenen Check unterzogen werden, müssen über ein schriftliches Bekenntnis zum Grundgesetz hinaus nun in schwäbischen und badischen Behörden einen Katalog mit 30 Fragen zu politischen Haltungen und persönlichen Einstellungen beantworten. Der Innenminister von Baden-Württemberg, Heribert Rech (CDU): "Wir prüfen jetzt die Verfassungstreue der Bewerber." Zum Test gehören intellektuell ambitionierte Erörterungen des Demokratiebegriffs, Fragen nach der Religionsfreiheit, der Verletzung religiöser Gefühle, dem Judentum, dem Terrorismus, der Stellung der Frau in der Gesellschaft wie auch die Erforschung der Haltung zur Homosexualität, zur Kleidung oder zur Teilnahme von Mädchen am Schwimmunterricht.

Vor den Wahlen am 26. März avancierte die Gesinnungserkundung im Südwesten zum Top-Streitthema. Moslem-Verbände laufen Sturm gegen den Fragebogen, die Opposition von SPD und Grünen verlangt dessen Rücknahme, die mitregierende FDP im Land geht vorsichtig und die Bundes-FDP deutlich auf Distanz. Die Justizexpertin der Partei, Leutheusser-Schnarrenberger: "Es wird sehr in die Intimsphäre hineingeforscht." Nicht wenige Politiker und Juristen halten den Loyalitätstest für verfassungsrechtlich problematisch. Rech kann sich auf Ministerpräsident Günther Oettinger und seine Partei stützen. Doch jenseits der Grenzen sind die Sympathisanten rar gesät: Außer Hessen, wo CDU-Innenminister Volker Bouffier Ähnliches vorhat, lehnen alle anderen Länder ein solches Vorgehen ab. Von der Bundes-CDU kommt ebenfalls kein Rückenwind.

Rechs Fragen haben es in sich. So sollen Einbürgerungswillige Stellung nehmen zu einer kniffligen Theorie: "Demokratie ist die schlechteste Regierungsform, die wir haben, aber die beste, die es gibt" - da dürften selbst manche Gymnasiasten beim Abitur ins Schwitzen kommen. Mit welchen Mitteln man sich gegen die Verletzung religiöser Gefühle in Filmen und Theaterstücken wehren dürfe: Mit diesem Problem haben sich die meisten Deutschen vermutlich noch nie befasst. Ob man Schwierigkeiten habe, bei bestimmten Berufen eine Frau als Autoritätsperson anzuerkennen? Möglicherweise hätten es auch manche Katholiken und CDU-Mitglieder nicht leicht mit einer Antwort, und liberal gesinnte Geister neigen ohnehin dazu, Autoritäten abzulehnen.

Noch andere Fragen könnten Bauchgrimmen bereiten: Was man über die Ausübung öffentlicher Ämter durch Homosexuelle denke oder wie man reagiere, wenn der volljährige Sohn sich als homosexuell oute und mit einen Mann zusammenleben möchte? Die volljährige Tochter will sich kleiden wie andere deutsche Mädchen: "Würden Sie versuchen, das zu verhindern?" Im Fall von knappen Miniröcken, sexy Schminke, Tattoos und Piercing dürften auch viele hiesige Eltern ihren Nachwuchs schon gehörig unter Druck gesetzt haben. Zur Prüfung zählt unter anderem ein Kommentar zur Theorie von der jüdischen Weltverschwörung. Oder die Frage, wie man sich verhalte, falls terroristische Planungen im Bekanntenkreis bekannt würden.

Gesamteindruck ist maßgebend

Oettinger aber unterstützt Rech "in vollem Umfang". Der Minister will denn auch trotz aller Widerstände an der "Gewissensprüfung" festhalten. Solche Einbürgerungsgespräche werden geführt mit Bewerbern aus 57 Staaten, die der Islamischen Konferenz angehören. Nach Kritik von FDP-Justizminister Ulrich Goll, der den Gleichheitsgrundsatz missachtet sieht, präzisierte der CDU-Politiker, bei Zweifeln an der Verfassungstreue würden auch andere Antragsteller dem Test unterzogen. Der Fragenkatalog, so Rech, sei ein "Leitfaden", den die Beamten vor Ort eigenverantwortlich handhabten: Letztlich komme es auf den "Gesamteindruck" an. Bei Personen aus islamischen Staaten könne man nun mal nicht generell davon ausgehen, dass ihr Bekenntnis zum Grundgesetz "auch ihrer tatsächlichen inneren Einstellung" entspreche. Bei Moslems sei "die Gefahr eines Konflikts mit unserer Werteordnung größer".

Schützenhilfe leistet der baden-württembergische Städtetag: Bei Einbürgerungswilligen dürften "keine Rechtszweifel an der Verfassungstreue" bestehen bleiben. Allerdings habe man Zweifel, ob alle Fragen "der Weisheit letzter Schluss" seien. Justizminister Goll ist skeptisch, ob die Thematisierung der Homosexualität sinnvoll ist.

In erster Linie aber hagelt es Kritik. In Stuttgart gründeten türkische Vereine eine Bürgerinitiative, um gegen den "Fragebogen aus Absurdistan" (die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün) zu protestieren. Für Kenan Kolat, den Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, ist Rechs Test "voll von Vorurteilen". Der Verdacht, alle Moslems seien "potenzielle Terroristen und Verfassungsfeinde", werde institutionalisiert, klagt Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Moslems. Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden, kritisiert einen "unbedachten Schnellschuss" und hält den Prüfkatalog für "kontraproduktiv".

Für die südwestdeutsche SPD-Vorsitzende Ute Vogt ist der Test "voll von billigen Klischees". Integrationsbemühungen würden zunichte gemacht, wenn man den Moslems "mit einem solchen Misstrauen begegnet". Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), bezeichnet Rechs Katalog als "nicht zielführend". Wolfgang Bosbach, Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, zweifelt, ob die Frage nach der Teilnahme von Mädchen am Schwimmunterricht etwas über die Grundgesetztreue aussagen könne.

Spannend dürfte es werden, wenn die von Nadeem Elyas angekündigte Beschwerde gegen die neue Einbürgerungspraxis vorm Bundesverfassungsgericht eingeht. Ernst Gottfried Mahrenholz, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, gibt einer solchen Klage gute Chancen. Vielleicht spielt dann auch ein von der FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beleuchteter Aspekt eine Rolle: Künftig würden Gesinnungen "lange Zeit in Dateien festgehalten und womöglich noch für andere Entscheidungen verwendet".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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