Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 08 - 09 / 20.02.2006

Im Teufelskreis der Gewalt

Interview mit Kurt Bangert, Kindersoldaten-Experte von World Visions
In Norduganda wütet seit fast zwei Jahrzehnten ein brutaler Bürgerkrieg, bei dem laut UNICEF bisher rund 25.000 Kinder von der "Widerstandsarmee des Herrn" (LRA) entführt, zu Soldaten ausgebildet und zum Töten gezwungen worden sind. Bislang hat die Weltöffentlichkeit an diesem Krieg kaum Interesse gezeigt. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die am 23. Februar stattfinden, werden das Land für kurze Zeit wieder in den Fokus des Interesses rücken. Wird das den missbrauchten Kindern helfen? Über die politische Situation in Uganda, das Versagen der Weltgemeinschaft und Möglichkeiten, den Kindersoldaten zu helfen, sprach Sönke Giard-Weiss mit dem World Visions Kindersoldaten-Experten Kurt Bangert.

Das Parlament: Zehntausende entführte Kinder, die zu Soldaten gemacht wurden, 1,8 Millionen Binnenflüchtlinge, das sind 90 Prozent der Bevölkerung Nordugandas, dazu Hunger, Verelendung, absoluter Bildungsnotstand. Nach fast 20 Jahren Bürgerkrieg ist das die traurige Situation im Norden Ugandas. Hat die Internationale Gemeinschaft hier kläglich versagt?

Kurt Bangert: Der Konflikt in Norduganda hat nie wirklich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit erreicht, obwohl hier die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen vorkommen, die man sich vorstellen oder vielmehr kaum vorstellen kann. Hier werden Männer, Frauen, Alte und Kinder von der so genannten "Widerstandsarmee des Herrn" überfallen, beraubt, verstümmelt und abgeschlachtet. Kinder ab sieben und acht Jahren werden entführt, zu Soldaten ausgebildet und zum Töten gezwungen, sind dann gleichzeitig Opfer und Täter. Die Berichte, die uns aus Norduganda erreichen, sind von unbeschreiblicher Grausamkeit. Engagierte Nichtregierungsorganisationen und auch Politiker haben sich für eine Lösung eingesetzt. Leider vergeblich. Überdies hat sich die Weltgemeinschaft bisher vermutlich zu sehr darauf verlassen, dass es der ugandischen Regierung irgendwann gelingen könnte, eine Lösung auf dem Verhandlungsweg zu erreichen. Doch alle friedlichen Bemühungen sind gescheitert. Mit Joseph Kony, dem Anführer der LRA lässt sich offensichtlich nicht verhandeln. Uganda hat Konys Soldaten sogar eine Amnestie angeboten, die einige in Anspruch genommen haben, die Anführer jedoch nicht.

Das Parlament: Die Kriege in Bosnien und Kosovo wurden beendet, weil der Druck der Öffentlichkeit größer und größer wurde. Scheuen sich die Nichtregierungsorganisationen, Forderungen vorzubringen, Herrschern gegenüber unbequem aufzutreten, auch den Politikern im eigenen Land?

Kurt Bangert: Der Konflikt in Uganda ist weit weg, beeinflusst wenig die Weltpolitik und wird größtenteils ignoriert. Ich kann nicht behaupten, die Nichtregierungsorganisationen hätten bereits genug getan, um die internationale Politik wachzurütteln, obwohl wir, dazu zähle ich mich auch persönlich, darüber mit Vertretern der UN, der EU und der Bundesregierung gesprochen haben. Leider werden viele Lippenbekenntnisse abgegeben, aber die Bereitschaft, sich über eine zurückhaltende Diplomatie hinaus noch stärker zu engagieren, ist doch sehr gering. Der Terrorismus wird meist nur dort bekämpft, wo für den Westen auch sicherheitspolitische oder wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen. Menschenrechtsverletzungen allein scheinen da nicht auszureichen.

Das Parlament: Warum üben die Vereinten Nationen nicht mehr Druck auf Präsident Museveni und sein Kabinett aus, damit der Konflikt endlich beendet wird?

Kurt Bangert: Die Vereinten Nationen wollen Museveni offenbar nicht unter Druck setzen, weil Uganda nach wie vor ein Vorzeigeland in Afrika ist, was Entschuldungskriterien und HIV/Aids-Bekämpfung betrifft. Aber die Tatsache, dass hier eine große Region wirtschaftlich völlig am Boden liegt und Millionen Menschen sich nicht trauen, ihre Felder zu bestellen, schreit geradezu zum Himmel und sollte von den Politikern hierzulande wie auch bei den Vereinten Nationen nicht länger überhört werden.

Das Parlament: Ist Ugandas Regierung in Kampala vielleicht gar nicht an einem Frieden im Norden des Landes interessiert?

Kurt Bangert: Der Verdacht liegt nahe. Es dürfte der ugandischen Regierung sehr gelegen kommen, einen Konflikt am Kochen zu halten, der es rechtfertigt, hohe Militärausgaben zu budgetieren, ohne darüber Auskunft erteilen zu müssen. Zudem gehört der Norden Ugandas einer anderen ethnischen Gruppierung an als Museveni und die meisten anderen Regierungsmitglieder. Das spielt eine große Rolle. Insofern hält sich der Wille der ugandischen Regierung, diesen Konflikt wirklich zu lösen, in Grenzen.

Das Parlament: Bereits voriges Jahr hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehle gegen Joseph Kony und die LRA-Spitze erlassen. Festgenommen worden sind die Männer allerdings nicht. Statt dessen mehren sich Überfälle und tödliche Anschläge auf Ausländer. Ist das die neue Taktik der LRA?

Kurt Bangert: Es ist grundsätzlich ein gutes Zeichen, wenn der internationale Strafgerichtshof Menschenrechtsverletzungen ahndet. Aber dieser Haftbefehl kam in diesem Fall zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, als man nämlich glaubte, über das ugandische Amnestie-Gesetz eine Lösung zu finden. Der Haftbefehl könnte diese Aussichten zunichte gemacht haben. Und natürlich nützt ein Haftbefehl überhaupt nichts, wenn man keine Chance hat, die Angeklagten festzunehmen. Joseph Kony muss man erst einmal fassen. Ihm gelingt es seit fast 20 Jahren, sich dem Zugriff der ugandischen Armee und Justiz zu entziehen. Dennoch müssen die Haftbefehle umgesetzt werden. Die Anschläge auf Ausländer sorgen für internationale Aufmerksamkeit, die Kony vielleicht sogar sucht.

Das Parlament: Wer ist dieser Kony?

Kurt Bangert: Er ist ein Mann, der meint, der auserwählte Prophet Gottes zu sein, ähnlich wie es Mose war. Kony ist der festen Überzeugung, dass Gott ihm einen Auftrag erteilt hat, nämlich Uganda nach den Zehn Geboten der Bibel zu führen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist Kony jedes Mittel recht. Politische Forderungen sind ihm gleichgültig, und da das Land nicht demokratisch gefestigt ist, insbesondere der Norden, hat er bislang ein leichtes Spiel gehabt. Die Menschen sind nichts anderes gewohnt als Krieg und Terror. Uganda, einst eine britische Kolonie, wurde am 9. Oktober 1962 unabhängig. Die darauffolgenden Diktatoren Idi Amin und Milton Obote missbrauchten die junge Freiheit des Landes, stürzten es in Bürgerkriege, die bis zum Militärputsch und zum Sieg Musevenis Mitte der 80er-Jahre Hunderttausende das Leben kosteten. Das prägt auch Kony, auf seine ganz unnachahmliche Weise. Er ist zu jeder Barbarei fähig. Wir wissen, dass er eigenhändig Kinder erschießt.

Das Parlament: Die LRA zieht sich immer wieder über die Grenze in den Sudan zurück und ist schon deshalb schwer zu bekämpfen. Kinderarmeen ziehen von Land zu Land. Man hört, Kony sei jetzt im Kongo, wo sich auch ugandische Truppen aufhalten. In einem UN-Bericht werden der ugandischen Armee Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. In Norduganda gibt es danach pro Woche 1.000 Tote. Was geht im Herzen Afrikas vor sich und warum soll dies für uns von Bedeutung sein?

Kurt Bangert: Nicht nur die Menschen leiden unter einer erdrückenden Armut, sondern auch viele Regierungen haben wenig Geld, um überall in ihren eigenen Ländern für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Da tummeln sich Verbrecher, Verrückte, Warlords und Rebellenführer, die ihren Machteinfluss auf Kosten der Bevölkerung abstecken und sich Bodenschätze sichern. Sie gehen dabei buchstäblich über Leichen. Mir scheint ein Marshall-Plan für Afrika notwendig zu sein, der aber auch verantwortungsbewusste, afrikanischen Regierungen voraussetzt.

Das Parlament: Was sollte die Internationale Gemeinschaft leisten, um den Kindern Ugandas zu helfen?

Kurt Bangert: Die Vereinten Nationen haben schon einiges getan. Sie haben ein Abkommen über das Verbot des Einsatzes von Kindern als Soldaten verabschiedet, wonach Kinder unter 18 Jahren nicht im Krieg eingesetzt werden oder zum Töten gezwungen werden dürfen. Die Vereinten Nationen haben angefangen, Staaten zu benennen, in denen Kinder als Soldaten eingesetzt werden. Das sind Fortschritte, die wir seit Jahren angemahnt hatten. Aber im Fall Uganda bedarf es eines konzertierten gemeinsamen Vorgehens von westlichen und afrikanischen Staaten, um die LRA zur Aufgabe zu bewegen und Joseph Kony dingfest zu machen. Friedliche Lösungen sind dabei den militärischen vorzuziehen. Menschenrechtsverletzungen müssen geahndet und die Menschen, insbesondere Binnenflüchtlinge, vor Gewalt und Menschenrechtsverletzungen besser geschützt werden.

Das Parlament: World Vision unterhält in Gulu ein Zentrum für ehemalige Kindersoldaten. Vielfach werden Kinder jedoch nicht wieder in ihre Dorfgemeinschaften integriert. Sie gelten als Täter, nicht als Opfer. Besonders junge Frauen haben es schwer. Oftmals kehren sie mit unehelichen Kindern aus der Gefangenschaft zurück. Zu Hause werden sie aber auch nicht mehr akzeptiert. Was tut World Vision, damit diese Jungen und Mädchen eine neue Chance erhalten?

Kurt Bangert: Wir helfen den Kindern medizinisch, psychologisch, seelisch und durch die Reintegration in ihre früheren Familien. Aber wir sind teilweise machtlos, was die politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Probleme betrifft. Wir scheitern zuweilen auch mit Familienzusammenführungen, weil Familien zerstört oder nicht auffindbar sind oder weil sie ihre früheren Kinder, die als Rebellensoldaten inzwischen viel Leid verursacht haben, nicht wieder zurücknehmen wollen. Und wir können auch nicht alle körperlichen und seelischen Wunden und Verletzungen heilen. Wir setzen uns jedoch sehr dafür ein, dass Menschen lernen, ihre Konflikte friedlich zu lösen und einander auch zu verzeihen. Denn ohne dieses Verzeihen werden die Teufelskreise der Gewalt aufrecht erhalten bleiben, und es wird keinen Frieden geben.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.