Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 08 - 09 / 20.02.2006
Lutz Mäurer

Hass und Gewalt können auch Demokratien erfassen

Ein Schwarzbuch der Verbrechen westlicher Staaten

Amerikanische Militärpolizisten foltern irakische Häftlinge; der Geheimdienst CIA entführt Verdächtige und verhört sie in geheimen Gefängnissen; die US-Armee setzt beim Kampf gegen Aufständische in irakischen Wohnbezirken Brandbomben ein. Im globalen Kampf gegen den Terror werden Verstöße gegen internationale Rechtsnormen in Kauf genommen. Ist dieses Phänomen neu? Keineswegs, meint Herausgeber Adam Jones. Für ihn gibt es auch in der Außenpolitik westlicher Demokratien eine Tradition von Gewalt und Beteiligung an Kriegsverbrechen.

Jones will mit seinem Buch wach rütteln: "Der leiseste Hinweis darauf, dass sie (die demokratischen Staaten) regelmäßig Abscheuliches getan haben und immer noch tun, wird bestenfalls als Maßlosigkeit oder Undankbarkeit, schlimmstenfalls als gefährlich und extremistisch betrachtet. Das Ergebnis dieser Einstellung ist eine Kultur der Straflosigkeit, in der die von westlichen Staaten und ihren Verbündeten begangenen Gräueltaten systematisch ignoriert, wegerklärt, als nicht existent definiert werden."

Gegen diese Kultur der Straflosigkeit führt Jones 22 Wissenschaftler, Publizisten und Journalisten ins Feld, die die Schattenseiten der Außenpolitik von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und vor allem der Vereinigten Staaten zeigen. Die Bandbreite der Themen reicht von der blutigen Unterdrückung der Herero im einstigen Deutsch-Südwest-Afrika über die alliierte Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, US-Kriegsverbrechen in Vietnam und französische im Algerien-Krieg bis zur amerikanischen Intervention in Chile, die Nato-Angriffe auf zivile Ziele im Kosovo-Krieg und vieles mehr. Jones' Buch ist eine Art "Schwarzbuch der Verbrechen des Westens".

Allerdings ist das Buch nicht streng systematisch aufgebaut; die Essays sind längst nicht alle wissenschaftlich basiert, sondern zum Teil eher journalistischer Natur. Im Mittelpunkt stehen die USA als führende westliche Macht und Hegemon der internationalen Politik. Der amerikanische Publizist und Vietnam-Veteran S. Brian Willson resümiert: "Eine ehrliche Betrachtung der Geschichte der Vereinigten Staaten zeigt leider, dass gewaltsame Interventionen wie die in Vietnam keine Ausrutscher sind." Die USA hätten über 400 Mal bei über 100 Nationen militärisch interveniert, "um unsere Kontrolle über Rohstoffvorkommen und Märkte weltweit auszubauen".

Mit dieser "Politik der vorgehaltenen Pistole" seien regelmäßig Gräueltaten und Kriegsverbrechen einhergegangen. Während die US-Medien ausführlich über die Gräuel von Gegnern berichteten, würden die eigenen Verbrechen weitgehend ausgeblendet, schreibt Peter Dale Scott. Er diagnostiziert eine "offizielle Schizophrenie hinsichtlich staatlich unterstützter Gewalt" in den USA: "Auf der einen Seite steht die humanitäre Tradition. Auf der anderen Seite steht die Tradition einer ausdrücklichen Rechtfertigung von Gräueltaten." US-Streitkräfte oder Geheimdienste hätten beim Kampf gegen Terroristen oder kommunistische Aufständische regelmäßig Grausamkeiten auch an Zivilisten verübt oder Verbündete in der "Taktik der Aufstandsbekämpfung" geschult. Beispiele gäbe es genug: Massaker in Vietnam, auf den Philippinen, in Mittelamerika und Indonesien.

Am Ende stellt Jones den amerikanischen Kampf gegen den Terror als Scheinheiligkeit dar. Er prangert den Afghanistan-Feldzug an, beschreibt maßlose Bombardements von Wohngebieten, getötete Zivilisten, Zerstörung ziviler Infrastruktur und daraus resultierender Hungersnöte sowie Misshandlung und Ermordung von gefangenen Taliban. Für Jones sind die weitgehend unkritischen US-Medien Helfer der Bush-Administration. Dazu ein Autor der "New York Post": "Was die Städte oder Länder angeht, die diese Würmer (Terroristen) beherbergen, bombardiert sie, bis sie so flach sind wie Basketballfelder."

Sicher, in manchen Essays werden alte antiamerikanische Ressentiments gepflegt und das ehrliche westliche Bemühen um Frieden und Demokratie oft ausgeblendet. In der Politikwissenschaft gilt es als erwiesen, dass Demokratien eher zu Gewaltlosigkeit neigen als Diktaturen. Auf der anderen Seite sind die historischen Tatsachen nicht von der Hand zu weisen: Auch die Geschichte vieler westlicher Gesellschaften hat ihre Schattenseiten. Der amerikanische Feldzug gegen den Terror hat sich scheinbar verselbstständigt und nimmt mitunter beängstigende Formen an.

Gegen eine "Pax Americana" wird sich weiterhin Widerstand regen. Die technisch-militärisch Unterlegenen werden in ihrem Hass auch künftig zum Mittel des Terrors greifen, was wiederum Gewalt von amerikanischer Seite nach sich ziehen wird. Angesichts dieser wenig friedlichen Aussichten hat Adam Jones Respekt verdient, denn er führt mit seinem Buch vor Augen, wie sich die Fehler der Vergangenheit mitunter wiederholen können.


Adam Jones (Hrsg.)

Völkermord, Kriegsverbrechen und der Westen.

Parthas Verlag, Berlin 2005; 534 S., 38,- Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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