Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 08 - 09 / 20.02.2006
Ulrike Baureithel

Am Ende muss das Parlament entscheiden

Es gibt Streit um den Monopolanspruch des Ethikrates
Ein Honorarstreit zwischen Chirurgen und der Deutschen Stiftung Organtransplantation führte kürzlich dazu, dass eine eigentlich als Spende vorgesehene Lunge nicht verpflanzt werden konnte. Seither erregen sich die Medien über die "Verschwendung" eines wertvollen Organs, und die Staatsanwaltschaft prüft, ob ein Straftatbestand vorliegt. Einmal davon abgesehen, dass in der Diskussion alle medizinischen und ethischen Probleme des Transplantationsalltags unterbelichtet bleiben, wirft der Fall doch auch interessante Aspekte auf.

Darf eine ärztliche Leistung an einer Leiche - also einem hirntoten Patienten - geringer vergütet werden als an einem Patienten? Bricht Vertragsrecht den ärztlichen Handlungsauftrag? Liegt eine Körperverletzung vor, obwohl das Organ von einem Toten stammt? Oder wurde die Empfängerin geschädigt, weil ihr das Organ nicht eingepflanzt werden konnte? Hat sie überhaupt Anspruch auf ein Organ? Und - allgemeiner - wird künftig jeder und jede das medizinisch Mögliche auch beanspruchen können? Ist es überhaupt gerecht, die Solidargemeinschaft für sehr teure Operationen bezahlen zu lassen, während auf der anderen Seite allerorten Leistungen eingeschränkt werden? Und wer soll darüber entscheiden, wem was zusteht?

Um Leben und Tod geht es im politischen Alltagsgeschäft, das Abgeordneten Entscheidungen abverlangt, normalerweise nicht. Doch die moderne Medizin hat hier einiges durcheinandergewirbelt. Wann das Leben beginnt, ist ebenso zur Verhandlungssache geworden wie die Entscheidung darüber, wann und wie es enden soll, ob man darüber verfügen darf und wen man dabei zum Komplizen macht. Es gibt einen Markt, auf dem Körperrohstoffe patentiert, verteilt oder gehandelt werden und es existieren diagnostische Verfahren, die zum Nutzen oder Nachteil des Einzelnen eingesetzt werden können. Darüber muss gesellschaftlich diskutiert werden, und weil dies nicht einfach ist, holt sich die Politik den Rat von Sachverständigen ein.

Wenig Interesse an Enquete

Dem Bundestag stand in den vergangenen beiden Legislaturperioden, unter der rot-grünen Bundesregierung, eine Enquete-Kommission zum Thema "Recht und Ethik der modernen Medizin" zur Seite, jeweils von 13 Mitgliedern der Fraktionen und 13 von ihnen benannten Experten und Expertinnen besetzt. Noch vor ihrer Einsetzung im April 2000 gab es politischen Krach, weil die eher forschungsliberalen Geister um den Kanzler - und in der dem ethischem Rat ohnehin abgeneigten FDP - fürchteten, sich damit einen "Bremsklotz" ans Bein zu binden. Weil Kanzler Schröder seine Gentechnikpolitik unbehindert von Einmischern durchwinken wollte, berief er - im Alleingang und heftig kritisiert - einen "Nationalen Ethikrat" als bioethischen Türöffner. Seither herrscht zwischen den beiden Einrichtungen eine klammheimliche Konkurrenz um das Beratungsmonopol, das vor allem dann in Frage steht, wenn die beiden Gremien zu bestimmten Fragen - genannt seien hier nur die divergierenden Stellungnahmen zum Import von Stammzellen - unterschiedlich votieren. Wem soll die Ethik also dienen: der jeweiligen Regierung oder dem Parlament?

Für Reinhard Loske, als grüner Abgeordneter mittlerweile in der Opposition, ist das keine Frage. Deshalb nahm er den Skandal um den koreanischen Klon-Fälscher Hwang zum Anlass, eine neue Enquete zu fordern, um, wie er im Gespräch sagt, "sicherzustellen, dass die bioethische Debatte im Parlament bleibt" und nicht hinter dem Rücken der Abgeordneten auf das "Akzeptanzbeschaffungsgremium" Ethikrat übergeht.

Damit sei Loske, wie selbst ehemalige Mitglieder der Enquete-Kommission monieren, "vorgeprescht". Ihre Kritik entzündet sich nicht am Inhalt von Loskes Idee, sondern weil die in beiden Regierungsparteien derzeit auf wenig Gegenliebe stößt. Der Unions-Fraktionsvorsitzende Kauder bügelte das Projekt Enquete gleich Anfang Januar mit einem schlichten "wenig sinnvoll" ab; wobei Hubert Hüppe, für die Union bislang stellvertretender Enquete-Vorsitzender, versicherte, dass dies nur die Meinung Kauders und kein Beschluss der Fraktion sei. Vorsichtig geworden, hatte René Röspel, seinerseits Vorsitzender der letzten Enquete, den Vorschlag erst gar nicht in seine SPD-Fraktion eingebracht, um, wie er sagt, "kein frühzeitiges Nein" zu riskieren. Überraschend ist diese Zurückhaltung des Bioethik-Beauftragten schon deshalb, weil sein Gremium noch im Sommer 2005, als es dem damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse seinen Zwischenstandsbericht übergab, von allen Seiten überschwänglich gelobt und auf Weiterführung seiner Arbeit gedrungen worden war. Will man mit der Einrichtung einer dritten Enquete nur einen parlamentarischen Präzedenzfall vermeiden, weil ein Ad-hoc-Gremium damit auf Dauer eingerichtet würde?

Das hält Reinhard Loske für ein "vorgeschobenes Argument", einen Vorwand, um die Bredouille zu kaschieren, in die sich die Union mit dem Ethikrat gebracht hat. Denn die einst als "Kanzlerberatungsverein" und "Konsensmaschine" gescholtene Einrichtung wurde - zum Missfallen der Union - erst im vergangenen Juni wieder bestätigt. Das oppositionelle Dauerlamento fällt den Politikern der CDU/CSU nun auf die Füße: Den Rat einfach aufzulösen, verbieten die politische Redlichkeit und Pragmatik. Andererseits scheint er in Zeiten der forschungspolitischen "Standortsicherung" manchem möglicherweise nützlicher als die nur dem Parlament verpflichtete Enquete mit ihren unbequemen Stellungnahmen - auch wenn Röspel und Hüppe dies nachdrücklich bestreiten.

Das mit seiner Einrichtung verbundene Legitimationsproblem allerdings hängt bis heute über den Räten: Zuerst hatte Kanzler Schröder überhaupt Probleme, seine Runde prominent zu füllen und kassierte herbe Absagen; seither gilt die Mehrheit der Mitglieder, die in einem undurchsichtigen Kooptionsverfahren ernannt wurden, als forschungsgläubige Sprecher.

Der Rat ist mittlerweile zum Expertengremium mutiert. Vergrätzt sind viele Bundestags-Abgeordnete auch, weil der "Nationale Ethikrat" schon qua Titel einen Monopolanspruch erhebt: "Es gibt überhaupt keine nationale Ethik", erregt sich Unions-Mann Hüppe. Auch Loske lehnt ein "Universalethikgremium" ab. Wenn überhaupt ein Ethikrat, dann einer des Bundestags. Und Röspel sekundiert: Ohne ein zweites Gremium sei "die Verlockung des bioethischen Alleinvertretungsanspruches zu groß".

Unterstützung von Ministerin Schavan

Doch nun erhält der Nationale Ethikrat ganz unerwartet von Unionsseite Unterstützung: Forschungsministerin Annette Schavan hat Anfang Februar gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt, dass sie das Gremium auf "eine neue Legitimationsbasis stellen" und seine Existenzberechtigung "durch parlamentarischen Beschluss" bekräftigen wolle. Während Loske und Kollegen vergangene Woche noch das Terrain sondierten, um doch noch die notwendige Viertelmehrheit der Abgeordneten für eine Neuauflage der Enquete-Komission zu gewinnen, signalisierte Schavan, dass sie die unmittelbare Teilhabe von Abgeordneten im Ethikrat für nicht wünschenswert hält, im Gegenteil dadurch dessen Unabhängigkeit gefährdet sieht. "Jährliche Berichte" und regelmäßige "Kontakte" seien ausreichend, um Rat und Parlament zu binden.

Somit scheinen die Befürchtungen der ehemaligen Enquete-Streiter, der ungeliebte Ethikrat könnte am Ende doch siegreich aus der unterschwelligen Konkurrenzschlacht hervorgehen, nicht ganz aus der Luft gegriffen. Bei all dem geht es nämlich auch um Geld. Obwohl einst ein Lieblingskind Schröders, wurde der Rat seit Bestehen vom Forschungsministerium im Rahmen der bioethischen Begleitforschung finanziert. Immerhin 2,14 Millionen Euro verschlang seine Arbeit bislang jährlich. Von der Installierung einer weiteren Enquete scheuen die Fraktionschefs schon deshalb zurück, weil dadurch weitere Mittel gebunden würden.

Über den Vorstoß Schavans freut sich derzeit vor allem die seit vergangenem Juni amtierende Vorsitzende des Ethikrats, Kristiane Weber-Hassemer, die damit die Arbeit ihrer Räte doch noch gewürdigt sieht. Die Enquete-Befürworter könnten nun allerdings in die Defensive geraten, weil gerade sie es waren, die die bioethische Beratung auf Dauer stellen und parlamentarisch legitimiert sehen wollten. Durch den Schachzug der Ministerin könnten sie plötzlich "vor der Türe" sitzen, denn Schavan hat angedeutet, dass sie an Größe und Zusammensetzung des Rates wenig ändern will.

René Röspel begrüßt deshalb zwar "grundsätzlich", dass der Ethikrat reformiert werden soll, kritisiert jedoch, dass Schavan von vornherein ausschließt, dass die Abgeordneten mit von der Partie sind. Der Rat, so Röspel, dürfe "nicht nur umlackiert" werden. Loske, dem in der Opposition eine leichtere Rolle zufällt, hat den Vorschlag Schavans schlicht abgelehnt: Er fordert weiterhin einen Ethikrat des Parlaments. Unterstützung könnte er außerhalb des Parlaments finden. Kürzlich haben sich mehrere Initiativen und Organisationen im "Tübinger Aufruf" an die Abgeordneten mit der Anregung gewandt, eine ständige bioethische Kommission einzurichten, die das Parlament fortlaufend beraten soll.

Das Ansinnen, den Themenkreis auch auf andere ethische Probleme wie zum Beispiel Folter auszuweiten, erteilen die befragten Abgeordneten allerdings eine abschlägige Antwort. Themen wie Folter, so Röspel und Hüppe, seien im Menschenrechtsausschuss des Parlaments besser aufgehoben.

Eine andere, viel spannendere Frage ist, ob nicht jede Kommission, egal wer sie bestellt und wo sie angesiedelt ist, letztlich nur die Aufgabe hat auszuloten, was in einer Gesellschaft durchsetzbar ist und was nicht und den Diskurs darüber zu organisieren; wenn man so will, "Akzeptanzbeschaffung" zu betreiben. Oder, wie es Wolfgang van den Daele, Mitglied des Ethikrats, kürzlich formulierte: Es gehe in der bioethischen Beratung letztlich nur um die "Ausbalancierung der Argumente". Am Ende muss immer noch das Parlament entscheiden.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.