Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 08 - 09 / 20.02.2006

Ein schwieriger Spagat

Interview mit Helga Lukoschat
Helga Lukoschat ist Geschäftsführerin der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Berlin. Hier lernen Frauen, sich in Führungspositionen souverän zu bewegen. Sie sollen aber nicht wie Männer werden, sagt Lukoschat.

Das Parlament: In der Elefantenrunde am Wahlabend wirkte Angela Merkel recht verloren in einer Männergesellschaft, als Verliererin, obwohl sie objektiv gewonnnen hatte. Hätte sich ein Mann an ihrer Stelle anders verhalten?

Helga Lukoschat: Das ist schwer einzuschätzen. Es war eben diese überraschende Situation, doch nicht als strahlende Siegerin hervorgegangen zu sein wie erwartet. Und das Verhalten von Gerhard Schröder in der Runde hat alle konsterniert. Ich halte Angela Merkel für sehr durchsetzungsstark. Nur, sie hat dort ein für sie typisches Muster gezeigt, wenn sie in der Defensive ist: sich zunächst zurückzunehmen, ruhig zu werden, sich fast abzuschotten. Jetzt, als Kanzlerin, hat sie eine ganz andere Ausgangsposition und kann entsprechend agieren. Das tut sie nun ja auch.

Das Parlament: Frauen in politischen Spitzenämtern sind rar: Schaffen sie es dennoch, dann handelt es sich meist um als sehr kühle, als außerordentlich sachlich empfundene Persönlichkeiten. Gelingt Frauen der Aufstieg nur um den Preis der "Verleugnung" ihrer Weiblichkeit?

Helga Lukoschat: Verleugnung ist zu viel gesagt. Aber wir konnten in unseren Untersuchungen an der EAF feststellen, dass Frauen in der Politik sehr stark einem Spagat ausgesetzt sind: Sind sie zu weiblich, löst das möglicherweise Vorbehalte gegenüber ihrer Führungsfähigkeit aus. Sind sie aber zu männlich, gelten sie nicht mehr als weiblich genug. Männliche Politiker kennen das Problem nicht: Sie können sich unhinterfragt auf ihre Männlichkeit beziehen. Männer waren in unserer Demokratie eben schon immer an der Macht. Vor allem für die Frauen an der Spitze wird es jetzt darauf ankommen, die Spielräume und Handlungsmuster zu erweitern und damit dafür zu sorgen, dass Politikerinnen in ihrer jeweiligen Unterschiedlichkeit anerkannt werden und keinesfalls männliche Kopien sein müssen.

Das Parlament: Wie lässt sich dieser Spagat auflösen? Kann man das in Seminaren lernen?

Helga Lukoschat: Es geht hier vor allem um Selbstreflexion: Was mache ich als Frau, wenn ich in eine Führungsposition komme? Wie gestalte ich diese souverän? Für diese Auseinandersetzung, wo stehe ich als Frau in der Politik, was treibt mich persönlich an, wo sind meine Werte, wie gehe ich damit um, dass ich öffentliche Person werde - dafür bieten wir in der EAF den Raum. Dann gibt es natürlich auch Trainings zu Themen wie Selbst- und Zeitmanagement oder Umgang mit den Medien. Das ist dann vor allem Vermittlung von Handwerkszeug.

Das Parlament: Es gibt den Begriff der "gläsernen Decke", die den Aufstieg von Frauen behindert. Warum sollten Männer ein Interesse daran haben, diese Decke für Frauen durchlässiger zu machen?

Helga Lukoschat: Das Interesse in der Wirtschaft zum Beispiel wird sein, dass die Männer dort erkennen, dass ihnen Potenziale verloren gehen. Für die Politik wiederum ist es ein Ansporn, verschiedene Bevölkerungsgruppen besser anzusprechen. Wir können es uns zum Beispiel auf Dauer nicht leisten, nicht türkischstämmige, arabischstämmige Politiker und Politikerinnen im Bundestag zu haben.

Das Parlament: Der Regierungsstil von Angela Merkel wird als völlig konträr gegenüber dem Gerhard Schröders empfunden: die vermittelnde, sachliche Art gegen Dominanzgebaren. Stehen sich hier männlicher und weiblicher Führungsstil gegenüber?

Helga Lukoschat: Ich warne davor, so stark von männlichem oder weiblichem Führungsstil zu sprechen. Auch Angela Merkel wird in Situationen geraten, in denen sie "männliche" Durchsetzungskraft braucht. Wichtiger ist aus meiner Sicht, dass wir Männer und Frauen befähigen, einen Führungsstil zu entwickeln, der situationsangemessen ist. Man muss von einer vermittelnden Position auch, wenn es drauf ankommt, auf eine Position der Entschlossenheit springen können. Ich finde es schwierig, Frauen auf die Vermittlerrolle festzulegen. Auch Männer können eine solche Moderatorenrolle einnehmen. Langfristig wäre es wünschenswert, dass wir aus diesem Klischee herauskommen. Menschen in Spitzenpositionen brauchen ein komplexes Verhaltensrepertoire.

Das Parlament: Das Problem vieler Frauen, das sagten Sie auch an anderer Stelle, ist, dass sie keine oder zu wenige Vorbilder von Frauen in Führungspositionen haben. Kann Angela Merkel ein solches sein?

Helga Lukoschat: Ja, mit Sicherheit. Allein dass sie jetzt diese Position ausfüllt, hat einen Signalcharakter und wird sich auf das Selbstverständnis vieler Frauen auswirken. Sie hat sich nicht entmutigen lassen; sie hat auch in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf bewahrt. Sie bringt viele Dinge ein, die als positiv wahrgenommen werden, zum Beispiel den sachlichen Ton. Sie hat ihre neue Rolle souverän angenommen.


Das Interview führte Claudia Heine


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.