Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 12 / 20.03.2006
Rolf Steininger

Erlebtes Atlantis hoch in den Alpen

Mit Oliver Rathkolb ins österreichische Labyrinth

Ist Österreich anders als andere Staaten, halt paradox? Im Lande selbst streiten sich seit langem die Gelehrten. Für den renommierten Zeithistoriker Oliver Rathkolb aus Wien ist alles klar: In zehn Kapiteln gibt er in seinem neuen Buch "Die paradoxe Republik" Antworten auf diese Frage, ganz nach dem Motto des Kabarettisten und Ur-Österreichers Helmut Qualtinger: "Österreich ist ein Labyrinth, in dem sich jeder auskennt."

Wien liegt halt auf dem Weg zum Balkan: Was ist paradox daran? Zum Beispiel die österreichische Wirtschaft: Sie profitiert am meisten von der Osterweiterung der Europäischen Union, von der zentralen Lage des Landes zwischen Ost und West.Gleichzeitig ist Österreich das Land mit der geringsten Zustimmung seiner Bevölkerung zur EU.

Oder die viel zitierte berühmte Neutralität, also der Sonderstatus für das Land, das für mehrere Jahrzehnte als Nahtstelle zwischen Ost und West im Kalten Krieg diente, gleichzeitig aber an der Bindung zum Westen festhielt, um dann am Ende des Kalten Krieges - mit eisern durchgehaltenen "Neutralitäts-Restbeständen" schließlich doch Mitglied der EU zu werden. Aber, so schreibt Rathkolb messerscharf: "Österreich, das sich als Nation viel zu lange als Insel gefühlt hat, ist schon lange keine Insel mehr, eher in manchen Bereichen ein Atlantis."

Wunderbar ist das vierte Kapitel, in dem der Autor die einzelnen Kanzler der Republik beschreibt. Eindeutiger Favorit: Bruno Kreisky, der "dialektische Kanzler"; Franz Vranitzky ist der "Krisenmanager", Viktor Klima "der Austro-Blair mit Ablaufdatum". Besonders lesenswert ist das neunte Kapitel "Gegenwärtige Vergangenheiten": Alles, was wir schon kannten, wird hier noch einmal auf den Prüfstand gelegt: Opferdoktrin, Tätermythos, Waldheim-Debatte. Wir lernen, wie schwer sich das Land tat, von der schönen Rolle des Opferlamms Abschied zu nehmen.

Rathkolb klärt uns auf über die österreichische Wirtschaftspolitik, die Medienlandschaft sowie die Kunst- und Kulturpolitik der Zweiten Republik - und was daran wohl paradox ist. Das Buch ist längst auf der Bestsellerliste in Österreich. Wer mehr über Österreich und seine Befindlichkeit erfahren möchte, sollte es lesen.

 

Oliver Rathkolb

Die paradoxe Republik.

Österreich 1945 bis 2005.

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2005; 461 S. ,24,90 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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