Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 21 - 22 / 22.05.2006
Bernadette Schweda

Deutschlands kleinste Volkspartei

Die FDP sucht neue Themen, neue Wählerschichten, neue Koalitionen

Als die SPD den Termin für die Wahl ihres neues-ten Vorsitzenden bekannt gab, waren die Liberalen "not amused", denn er fiel auf das seit Monaten feststehende Datum des FDP-Parteitages in Rostock. Die Parteien mögen keine Konkurrenzveranstaltungen für ihre Konvente - das bedeutet geteilte mediale Aufmerksamkeit. Andererseits ließ sich der Anlass gut für neue Signale nutzen, von Parteitag zu Parteitag sozusagen: Guido Westerwelle gratulierte also Kurt Beck zur Wahl und versäumte es nicht, die "über lange Jahre sehr erfolgreiche" rot-gelbe Koalition in Rheinland-Pfalz zu loben. Die FDP freue sich auf eine konstruktive wie kritische Zusammenarbeit, schrieb der Chef-Liberale, der in seiner Parteitagsrede zuvor Koalitionsaussagen vermieden und auf beide Teile der Großen Koalition als "Umfaller an der Regierung" eingedroschen hatte. Weiter wagte sich in Gedankenspielen zu möglichen Koalitionen der Parteivize Rainer Brüderle in seinem Schlusswort auf dem Parteitag. Er hoffe, dass die SPD mit Beck als Vorsitzendem die Kraft entwickle, zu "neuen Ufern" zu kommen.

Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten hatten die Liberalen am vorvergangenen Wochenende keine Personalfragen zu entscheiden und genossen nach den Querelen der vergangenen Jahre die "wohltuende Langeweile". Eines wurde in Rostock deutlich: Im Jahre acht nach dem Machtverlust sind die Liberalen nun in der Opposition angekommen. Der Parteitag sollte die 662 Delegierten für die möglicherweise längere Durststrecke in der Opposition programmatisch rüsten und tat es.

Noch 2002, in Zeiten des Spaßwahlkampfes, schien eine erneute Regierungsbeteiligung in greifbarer Nähe; 2005 hatten die Liberalen schon "Blut geleckt", aber das Schwächeln der Union brachte sie um die Macht. Nun beklagen sie die Machtfülle der Großen Koalition und beanpruchen zumindest die Führerschaft in der Opposition. Und sie wollen auch für neue Wählerschichten (und Koalitionen) attraktiver werden. Der Rostocker Programmparteitag mit 70 inhaltlichen Anträgen und den Schwerpunkten Umweltschutz-, Energie- und Innovationspolitik war der erste Schritt in diese Richtung.

Auch Guido Westerwelle ist endlich dort angekommen, wo er seit langem hin wollte: im politischen Olymp als Partei- und seit Anfang Mai auch als Fraktionsführer. Der Parteitag in Rostock bot dem neuen Alleinherrscher der deutschen Liberalen die erste große Bühne für das Schaulaufen in dieser Doppelfunktion. Die Chance hat er genutzt. Und die Partei feierte den Chef mit minutenlangen Ovationen, versäumte aber auch nicht, Wolfgang Gerhardt ähnlich lange zu applaudieren, nachdem Westerwelle in seiner Rede dem Vorgänger für seine Arbeit an der Fraktionsspitze gedankt hatte. Ein Fingerzeig der Basis, der die Art der "Machtübernahme" an der Fraktionsspitze nicht behagt hatte.

In seiner mit rhetorischen Bonbons gespickten Grundsatzrede präsentierte der 44-jährige Westerwelle seine Partei als die "einzige verbliebene freiheitliche Kraft im Bundestag", die wie "David gegen Goliath" allein auf der politischen Flur gegen die Übermacht der Großen Koalition kämpft. Überhaupt, diese Große Koalition habe sich an die Macht herangemogelt und ihre Wahlversprechen gebrochen. Aufs Korn nahm Westerwelle vor allem die Steuerpolitik. Genüsslich zitierte er aus der "Eselei unseres Steuersystems", das für Maulesel den ermäßigten Steuersatz vorsieht, für einfache Esel aber den vollen Satz von künftig 19 Prozent. Auch wenn Westerwelle beide Großkoalitionäre heftig kritisierte, vermied er persönliche Kritik an seiner Duzfreundin, Angela Merkel, die er für ihre außenpoltischen Auftritte sogar lobte. Eine Stichelei gegen den "Schwermatrosen" Stoiber gönnte sich der FDP-Chef hingegen und machte den Bayern für die Wahlschlappe der Union verantwortlich. Eine kleine Rache für den "Leichtmatrosen"-Vorwurf Stoibers. Den enttäuschten Unions- und SPD-Wählern bot Westerwelle eine neue politische Heimat an: "Die FDP ist eine Partei für das ganze Volk", so Westerwelle. "Jeder ist willkommen, der freiheitlich denkt."

In der programmatischen Verbreitung der liberalen Bemessungsgrundlage spielte die Umweltpolitik die Hauptrolle in Rostock: Die FDP knüpft damit an ihre vergessenen grünen Wurzeln an ("Die Umweltpolitik ist von Genscher erfunden worden", so Westerwelle in Anspielung auf den ersten Umweltbericht, den Genscher in seiner Amtszeit als Innenminister in den Jahren 1969 bis 1974 vorgelegt hatte), um sich als marktwirtschaftliche Umweltpartei zu profilieren. Damit will sich die größte Oppositionspartei von den Grünen abgrenzen und nebenbei den Versuch starten, in der grünen Wählerschaft zu wildern. In ihrem 22 Seiten starken und nach mehrstündiger Debatte mit großer Mehrheit angenommenen Leitantrag fordert die FDP die Entwicklung erneuerbarer Energien, allerdings ohne größere Subventionen für Windenergie. Die Kernenergie wird darin erstmals als eine "Übergangstechnologie" bezeichnet. Dem "staatlich verfügten Ausstieg" erteilen die Liberalen dennoch eine Absage: "Die bestehenden Kernkraftwerke sollten so lange betrieben werden dürfen, wie ihr Betrieb den Sicherheitsrisiken entspricht und genehmigungsfähig ist." Im Gegensatz zu den Grünen wolle die FDP Umweltschutz vor allem martkwirtschaftlich betreiben, sagte FDP-Fraktionsvize, Birgit Homburger. "Statt Emotionalisierung und Öko-Symbolik des vergangenen Jahrzehnts wollen wir eine rationale Umweltpolitik", heißt es im Antrag.

Die einzige wirklich hitzige Debatte mit 48 Wortmeldungen in der Generalaussprache lieferten sich die Liberalen in puncto Pflichtmitgliedschaft der Unternehmen in den Kammern von Industrie, Handel und Handwerk. Den alten Streit heizten vor allem die Jungen Liberalen an, die in einem Antrag die Abschaffung der Kammerpflicht forderten. Dieser Zwang sei "nicht sehr liberal", meinte ironisch der Bundesvorsitzende der FDP-Nachwuchsorganisation, Johannes Vogel. Die Partei müsse sich zwischen Freiheit und Zwang entscheiden. Die Mehrheit wollte dem Vorschlag nicht folgen, beschloss aber eine grundlegende Reform der Industrie- und Handelskammern.

Als Trost für das erfolglose Aufbäumen der Nachwuchsliberalen gab es Lob von ganz oben: Westerwelle gratulierte der Jugend zum politichen Stehvermögen und Parteivize Rainer Brüderle, der zuvor in einem leidenschaftlichen Redebeitrag gegen die Abschaffung der Kammerpflicht wetterte und ausgebuht wurde, bezeichnete die Jungen Liberalen als den "Turbo der liberalen Familie": "Macht weiter so!", rief er ihnen zum Schluss des Parteitages zu.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.