Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 21 - 22 / 22.05.2006
Tom Rolff

Wege für Hilfszahlungen gesucht

Palästinenserpräsident Abbas spricht vor EU-Parlament in Straßburg

Mit demonstrativem Applaus wurde Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am 17. Mai in Straßburg im Europaparlament begrüßt. Als die Energie der Abgeordneten zu erlahmen drohte, klatschte Parlamentspräsident Josep Borell ostentativ weiter ins Mikrophon, um den Saal anzuspornen. Die Botschaft sollte lauten: Wir begrüßen einen Freund. "Seit den 70er-Jahren haben Sie den Weg der Verhandlungen vorgewiesen, das hat niemand hier vergessen", lobte Borrell. "Niemand hier zweifelt, dass Sie sich dem Frieden verpflichtet haben."

Abbas bedankte sich mit dem Kompliment, die Europäische Union sei eine "einmalige Erfolgsgeschichte, aus der wir viele Lehren ziehen können." Sein Land befinde sich in einer schwierigen Phase, die viele Ge-fahren berge. "Deshalb ist es normal, dass wir eine führende Rolle Europas anstreben und erwarten. Sie haben uns immer geholfen, die Besatzung zu bekämpfen." Nur 22 Prozent des historischen Palästina bleibe seinem Land, um einen Staat zu gründen. Der Mauerbau, die aggressive Siedlungspolitik Israels habe den Friedensprozess torpediert. "Trotz dieser fürchterlichen Frustrationen und Leiden gab es nach der Wahl eine reibungslose Machtübergabe. Ich habe die neue Regierung aufgefordert, ihr Programm so zu gestalten, dass es rechtsstaatlich ist. Diesen Politikern muss aber auch Zeit gegeben werden, sich den Grundanforderungen der Völker anzupassen."

Vor der Presse warnte Abbas, das palästinensische Volk werde mit einer sicheren Katastrophe konfrontiert, wenn die einstige finanzielle Unterstützung der EU weiter ausbleibe. Die EU und die USA hatten die Zahlungen an die Palästinenserverwaltung nach dem Sieg der Hamas eingestellt. Das so genannte Nahost-Quartett hat inzwischen eine erneute Zusage für Hilfszahlungen gemacht. Fraglich ist jedoch, wie diese erfolgen sollen. Über welche Kanäle die Hilfe nach seiner Vorstellung fließen solle, sagte Abbas: "Wir warten auf konkrete Vorschläge der EU. Ich hätte die demokratisch gewählte Regierung vorgeschlagen, ganz sicher aber nicht mein eigenes Büro. Vielleicht könnte die Weltbank einspringen." Eine Lösung müsse schnell gefunden werden. Rund eine Million Menschen sei von dem Zahlungsstopp betroffen. Dadurch entstehe sozialer Sprengstoff in seinem Land. Die EU-Kommission wurde vom Quartett aus den USA, der EU, Russland und den Vereinten Nationen beauftragt, sich einen Mechanismus für die Zahlungen auszudenken - zunächst für eine Übergangszeit von drei Monaten. Die Standardformel der Kommission zur Lösung der Finanzkrise lautet, man wolle das palästinensische Volk unterstützen, ohne mit der neuen palästinensischen Regierung zusammenzuarbeiten.

Die EU ist in der Region als Vermittler unersetzlich, da sie sowohl von Israel als auch von Palästina als neutral angesehen wird. Für eine so komplexe Aufgabe wie den Aufbau eines unabhängig vom Staat funktionierenden Finanzapparates ist sie aber denkbar schlecht ausgerüstet. Sie verfügt nur über einen kleinen Beamtenapparat, der völlig getrennt vom Stab des Ratsvertreters Javier Solana agiert. Zwar sind die Mitgliedstaaten mit eigenen Botschaften in der Region vertreten, doch das führt doch eher zu Reibungsverlusten. Palästinenserpräsident Abbas setzt dennoch seine ganze Hoffnung auf den Ideenreichtum der Brüseler Beamten. Etwas anderes bleibt ihm derzeit auch gar nicht übrig.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.