Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 23 - 24 / 06.06.2006
Jens Mattern

Benedetto hat den Ton getroffen

Papst in Polen - eine Pilgerreise mit politischen Akzenten
Die Begrüßung war warm-freundlich, der Abschied heiß-herzlich: Die Polen haben den "deutschen Papst" ins Herz geschlossen. Dabei war der Besuch in der Heimat seines Vorgängers Johannes Paul II. Ende Mai eine Gratwanderung: Zum einen musste Benedikt XVI. stets den Vergleich mit dem geliebten Übervater der Nation aushalten und trotzdem seine eigene Glaubensbotschaft als neues Oberhaupt der Kirche sichtbar und hörbar machen. Und er ist Deutscher, was - trotz der Beteuerungen, dass seine Herkunft keine Bedeutung habe - vor allem bei der älteren Generation eine wichtige Rolle spielt.

Wer in Polen während des Papstbesuchs mit deutschem Akzent Teilnehmer einer Freiluftmesse oder Passanten über den neuen Pontifex befragte, erntete vor der netten Antwort meist ein Lächeln. Schließlich haben die Deutschen jetzt auch "ihren" Papst, der als Vertrauter Johannes Pauls II. Polen als erstes Land besucht - und Gastfreundschaft wird östlich der Oder groß geschrieben.

Fest steht: Papst Benedikt XVI., der vier Tage lang auf den Spuren seines Vorgängers das tiefkatholische Land bereiste, ist dort gut angekommen. Als Oberhaupt der Kirche und als ein "Sohn des deutschen Volkes", wie der Papst bei der schwierigsten Station seiner Visite im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau sagte. Doch kann die erfolgreiche Pilgerreise des Papstes auch das momentan etwas strapazierte deutsch-polnische Verhältnis positiv beeinflussen?

Staatspräsident Lech Kaczynski ging gleich auf dem Flugplatz, auf dem die gesamte Regierungsriege versammelt war, auf das Thema der deutsch-polnischen Beziehungen ein und lobte Polen als pluralistisches und offenes Land. Ausführlich kam er auf den Papstbesuch in Auschwitz und die Bedeutung dieses Ortes zu sprechen - wohl nicht der richtige Einstand.

Benedikt XVI. trat bescheiden auf, mühte sich, die durch Umfragen ermittelten beiden größten Erwartungen zu erfüllen: soviel wie möglich auf Polnisch zu sagen und ständig seinen Vorgänger zu erwähnen. Im Verlauf der Reise erwärmte sich das Verhältnis zwischen dem deutschen Pontifex und den polnischen Gläubigen zusehends. Der Funke gegenseitiger Sympathie, ja Begeisterung, ist bei den Massenveranstaltungen übergesprungen. "Wir lieben Dich" skandierte die polnische Jugend, und die "Gazeta Wyborcza" titelte "Anders, aber geliebt". Vor allem, dass der Papst vom polnischen Glauben lernen wolle, wie er in seiner ers-ten Ansprache auf dem Flughafen sagte, erfuhr große Beachtung.

Den Frömmelsender "Radio Maryja", der eine Art Staatsfunk der rechten Regierungskoalition bildet, ein Sorgenfall der Kirche in Polen, ermahnte er - ein Priester solle ein Spezialist für Seelsorge und nicht für Politik sein. Ansonsten hielt sich der Papst zu politischen Themen zurück. Von großer Bedeutung ist es, dass auf einen polnischen Papst ein deutscher folgt - um der Versöhnung der beiden Länder willen. So denkt Stanislaw Kortik, ein älterer Ordner, der die Absperrung für den Papstbesuch im Präsidentenpalast überwachte. So ähnlich denkt auch das Gros der Polen: Laut Umfragen versprechen sich 67 Prozent von ihnen eine Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen.

Zofia Lys (78), Auschwitzhäftling von 1942 bis 1944, erwartete von der abschließenden Ansprache Benedikts XVI. in Birkenau eine klare Entschuldigung für die Verbrechen des Dritten Reiches. "Der Papst gehört zu dieser Generation, er war in der Hitlerjugend", erklärte sie. Ein Viertel der Polen dachte vor dem Besuch ähnlich. "Seine Präsenz ist eine Entschuldigung", meinte hingegen der New Yorker Rabbi und Philosophie-Professor Benjamin Blech.

Insgesamt wurde jedoch auch der Auschwitzbesuch in Polen positiv aufgenommen; der frühere Außenminister und ehemalige Auschwitzhäftling Wladyslaw Bartoszewski bescheinigte dem Papst Mut und moralisches Fingerspitzengefühl. Wichtig war den Polen auch die Anerkennung als Opfer der Verfolgung, die der Papst bekräftigte. Im Übrigen war dieser Teil der Reise, der vor allem in Deutschland mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wurde, für die Polen nicht der eigentliche Höhepunkt im Papstfieber dieser Tage. Für sie war es eher der Aufenthalt "Benedettos" im Geburtsort seines Vorgängers in Wadowice und in Krakau.

Mögliche Vorbehalte gegen Benedikt XVI. als Deutschen wollte Erzbischof Alfons Nossol aus Oppeln kurz vor dem Besuch ein wenig entschärfen: Der Papst sei eigentlich mehr Bayer als Deutscher. Bayern hat in Polen in jüngster Zeit einen besonderen Ruf. Die Dominanz der CSU im weitgehend katholischen Freistaat gilt der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) als Vorbild, obwohl deren Vertreter Deutschland skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Ihnen ist die "Papstnähe" bei einer fast homogen katholischen Wählerschaft auch ein wichtiges politisches Instrument.

Polnische Politiker waren während der Pilgerfahrt des Papstes ständig zugegen. Es hätten im Vorfeld des Pasptbesuches sogar Neuwahlen angesetzt werden sollen; die damals als Minderheit regierende PiS hatte sich aufgrund der katholisch-nationalen Vorfreude auf den Papstbesuch einen Stimmenzuwachs erhofft.

Beim Papst-Besuch in Bayern im September ist mit vielen polnischen Pilgern zu rechnen. Dort dürfen sie dann überprüfen, ob die Deutschen sich "gebessert" haben, wie der Nachrichtensender TVN 24 meinte, der eine "Wiedergeburt der Religion" im westlichen Nachbarland ausgemacht hat. Diese Kommentare verrieten eine polnische Sichtweise auf die Ergebnisse des Papstbesuches, urteilte Klaus Bachmann, Politologe am Willy-Brandt-Zentrum der Universität Breslau. Für die polnische Gesellschaft und die Medien war es ein Besuch des "deutschen Papstes". Er sei jedoch als Oberhaupt der katholischen Kirche nach Polen gekommen, der die gesamte Kirche, und nicht nur Deutschland oder deutsche Katholiken repräsentiert. Dass der Besuch Benedikts XVI. das bilaterale Verhälnis verbessern könnte, ist daher für Bachmann ein "deutsch-polnisches Missverständnis".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.