Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 23 - 24 / 06.06.2006
Peter Pragal

Ein Appell an die Zivilcourage

Widerstand in der SED-Diktatur

Gegen das SED-Regime in der Sowjetzone und der DDR hat es von Beginn bis zum Ende der kommunistischen Herrschaft politischen Wi-derstand gegeben. Die Geschichte dieser Opposition ist in einer Fülle von Veröffentlichungen dokumentiert und beschrieben worden. Neuerscheinungen zu diesem Thema müssen deshalb schon etwas Besonderes bieten, um über den Kreis von Insidern hinaus Resonanz zu finden.

Mit der Publikation "Für ein freies Land mit freien Menschen," herausgegeben von der Robert-Havemann-Gesellschaft, ist dies gelungen. Der rund 400 Seiten umfassende Band, eine Mischung aus biografischer Dokumentation und historischem Sachbuch, schildert die verschiedenen Etappen der Widerstandsgeschichte. Angefangen vom Kampf unerschrockener Sozialdemokraten gegen die Zwangsvereinigung mit der KPD über den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und die sozialistische Opposition gegen die kommunistische Diktatur bis hin zur kirchlichen und unabhängigen Friedensbewegung und die Revolution von 1989.

Beispielhaft für die vielen Männer und Frauen, die sich dem Herrschaftsanspruch der SED widersetzten, werden in dem Buch 73 Widerständler und Oppositionelle in Wort und Bild vorgestellt und gewürdigt. Nicht wie in einem Lexikon nur mit Daten und Angaben zu ihren Lebensläufen, sondern in einfühlsamen Porträts, die von verschiedenen Autoren verfasst wurden. Unter den Akteuren, deren individuelle Lebensläufe geschildert werden, sind bekannte Namen wie Rudolf Bahro, Marianne Birthler, Wolf Biermann, Bärbel Bohley, Rainer Eppelmann, Jürgen Fuchs, Freya Klier, Erich Loest, Markus Meckel und Wolfgang Templin. Aber auch Menschen, deren Vita nur Wegbegleitern und Fachleuten bekannt ist. Das gilt vor allem für den Widerstand in der Frühzeit der DDR, dessen wesentliche Träger Jugendliche, Schüler und Studenten waren.

Anpassung und Selbstbehauptung

Der Versuchung, eine Art Heldenalbum vorzulegen, sind die von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützten Herausgeber nicht erlegen. Nur die wenigsten der vorgestellten Personen, schreibt der Historiker llko-Sascha Kowalczuk in seinem einleitenden Essay, "können für sich in Anspruch nehmen, immer und überall konsequent gegen die kommunistische Diktatur opponiert und im Widerstand gestanden zu haben". In manchen Biografien sei der Weg von der Anpassung zur Selbstbehauptung sehr lang gewesen.

Ergänzt sind die Biogramme durch zahlreiche Dokumente und Fotos. Manche kennt man aus Publikationen. Andere, die zu einem erheblichen Teil aus privaten Archiven stammen, sind erstmals veröffentlicht. Zu jedem der Fotos gehört ein Text, der die Hintergründe des gezeigten Vorgangs erklärt. In manchen Fällen wird auch die Geschichte erzählt, unter welchen Umständen die Fotos entstanden. Das ist mitunter spannender als das, was auf dem Bild vordergründig zu sehen ist.

Zu den Vorzügen des Buches zählt, dass die Porträts zeitlich und thematisch geordnet sind. Jedem der zehn Widerstands-Kapitel ist eine sachkundige Einführung vorangestellt. Das unterstreicht den Charakter des Bandes als Geschichtsbuch. Eines Buches, das nicht nur der Erinnerung an mutige und aufrechte Menschen dient, sondern zugleich die Botschaft enthält, dass Zivilcourage und Selbstbehauptung auch in demokratischen Gesellschaften verteidigt und offensiv vertreten werden müssen.

 

Ilko-Sascha Kowalczuk / Tom Sello (Hrsg.)

Für ein freies Land mit freien Menschen.

Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin 2006; 404 S., 25 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.