Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 23 - 24 / 06.06.2006
Detlev Lücke

Machtvolle Landschaften

Zum Verhältnis von Architektur und Politik

In Deutschland bestrafe man stets Gebäude statt Personen, wenn eine politische Epoche gescheitert sei, schrieb sinngemäß vor einiger Zeit der Berliner Autor Friedrich Dieckmann. Ein Satz, den man durchaus nicht nur auf Deutschland beschränken sollte. In seinem Band "Der Architekturkomplex. Monumente der Macht", beschreibt der britische Architekturkritiker Deyan Sudjic das seltsame Verhältnis zwischen den Mächtigen dieser Welt und ihren Nei- gungen, sich in Monumenten des Bauens zu verewigen. Wobei sich der Autor auf das 20. und das beginnende 21. Jahrhundert beschränkt, ohne die Verbindungen derart monomanischer Gesinnung bis zur Antike zu ziehen. Allerdings kommt dabei heraus, dass sich in der Neuzeit vor allem Surrogate und synkretistische Stile herausgebildet haben. "Architektur ist Macht. Die Mächtigen bauen, weil eben Mächtige bauen", so die sarkastische Festellung von Sudjic.

Die Neigung, sich in Bauwerken zu verewigen führt nach seiner Meinung von den Peloponnesischen Kriegen bis zum Denkmal der Sowjetpanzer vor dem Brandenburger Tor. Als Bauherren werden Hitler, Stalin, Ceausescu, Mussolini, Sadam Hussein, aber auch Mitterand, Blair und die amerikanischen Präsidenten genannt, die in ihren nach ihnen benannten Bibliotheken Zeugnisse der Erinnerung an ihre Regierungszeit setzen wollen.

Sudjic analysiert in elf Kapiteln das enge Verhältnis der Politiker zu "ihren" jeweiligen Architekten, also Hitler und Speer, Stalin und Iofan, Mussolini und Piacentini. "Nur wenige erfolgreiche Architekten können es zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrer Karriere vermeiden, ihren Bauwerken eine politische Dimension zu verleihen, ob sie es wollen oder nicht." Manches im Buch Geschilderte ist bekannt, aber dass Hitler in Berlin, das Germania heißen sollte, einen Palast für sich mit Gärten, Palmenhäusern, Innenhöfen von 750.000 Quadratmetern imaginierte, dürfte weithin unbekannt sein. Noch im Februar 1945 ließ er den Architekten Giesler in den Bunker kommen, um mit ihm am Modell die Umgestaltung von Linz zu bereden.

Mittel der Propaganda

Stalin wollte auf dem Kremlgelände einen über 400 Meter hohen Sowjetpalast mit einer 100 Meter hohen Leninfigur auf der Spitze errichten lassen, am Wettbewerb waren auch Gropius, Poelzig und Le Corbusier beteiligt. Für das gigantische Bauwerk wurde großzügig abgerissen und ausgeschachtet. Die ausgehobenen Gräben wurden später von Chrustschow in ein Freibad umfunktioniert. Stalins Geheimdienstchef Berija war Architekt, auch Hitlers Ideologe Alfred Rosenberg, dessen Diplomarbeit sich pikanterweise mit dem Bau von Krematorien befasste. "Für Stalin und Hitler war Architektur ein unentbehrliches Mittel zur Propaganda, das sie begeistert einsetzten, um die Staatsmacht im Griff zu haben", so der Autor des Buches. Da tröstet es wenig, dass wenigstens Mussolini Baukünstler mit Geschmack beschäftigte, was man beispielsweise noch heute am Haus des Faschismus in Como sehen kann.

Auch für die jüngere Zeit nennt Sudjic viele Beispiele gestaltenden Bauens, so Kubitschek und Niemeyer in Brasilia, Atatürk und Clemens Holzmeister, oder Rem Koolhaas in China, ein Kenner des Chaos. Francois Mitterand ließ den Louvre nach seinen Intentionen umgestalten und La Grande Arche errichten, Tony Blair den Millenium Dome in London. "Architektur glorifiziert und erhöht - wie keine andere kulturelle Ausdrucksform (...) und deshalb übt sie auf mächtige Personen, die ihre Zeichen setzen wollen, eine so große Anziehungskraft aus", lautet das Fazit des Buches.

Leider stören einige Ungenauigkeiten des Autors die Lesefreude. Kaltenbrunner war kein Wehrmachtsgeneral, sondern Hitlers letzter Gestapochef, die Sowjetunion war nicht an der territorialen Ausplünderung der Tschechoslowakei beteiligt, sondern Polen, und der Leiter des Deutschen Historischen Museum hieß nicht Christopher Stolzin, sondern Christoph Stölzl, in Berlin gibt es eine Neue Nationalgalerie, aber keine Neue Staatsgalerie, um nur einige Beispiele zu nennen. Da hätte das deutsche Lektorat beim Lesen dieses anregenden Werkes des einstigen Leiters der Architektur-Biennale in Venedig ruhig etwas sorgfältiger arbeiten dürfen.

 

Deyan Sudjic

Der Architekturkomplex. Monumente der Macht.

Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2006; 370 Seiten, 29,90 Euro


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