Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 23 - 24 / 06.06.2006
Jutta Witte

Beck will mehr Ganztagsschulen

Rheinland-pfälzischer Landtag debattiert über Regierungserklärung
"Im Auftrag der Menschen: Gemeinsam die Zukunft gestalten", lautet das Motto von Kurt Becks erster Regierungserklärung in der neuen Legislaturperiode. Der rheinland-pfälzische Regierungschef formulierte für seine vierte Amtszeit ein klares Leitbild: "Wir wollen durch unsere Politik wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Erfolg mit sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Vernunft verbinden." Kein Kind, kein Jugendlicher, kein Erwachsener dürfe am Wegrand zurückgelassen werden, unterstrich der 57-Jährige seinen Politikansatz. Die Christdemokraten warfen Beck hingegen mangelnde Visionen vor. Die Liberalen - nach 15 Jahren in der Opposition - fürchten vor allem, dass unter der neuen SPD-Alleinregierung die Haushaltskonsolidierung nicht mehr im Vordergrund steht.

Im Zentrum der Landespolitik sollen nach Becks Worten die Themen Bildung und Ausbildung stehen. Beck kündigte zusätzlich zu den bereits bestehenden 360 Ganztagsschulen die Schaffung von 200 weiteren Ganztagsangeboten an: "Wir sind nicht nur stolz auf die hohe Zahl", betonte der Ministerpräsident, "sondern auch auf die hohe Qualität unserer Ganztagsschulen". An zunächst 15 Ganztagsschulen will Beck auch das Abitur nach zwölf Jahren erproben. Um die Schulen leistungsfähiger zu machen, will die SPD-Regierung bis 2008 zusätzlich 460 Lehrerstellen schaffen. Zudem sollen die Stundenzahl in der Orientierungsstufe von 28 auf 30 Wochenstunden und die Mittel für Lernmittelfreiheit um 50 Prozent erhöht werden.

Ein weiterer Schwerpunkt soll in dieser Legislaturperiode auf der frühkindlichen Förderung liegen. Dabei nimmt das Programm "Zukunftschance Kinder - Bildung von Anfang an" laut Beck schon jetzt eine bundesweite Vorreiterrolle ein. So will die Landesregierung schrittweise bis 2010 den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Zweijährige schaffen und Beitragsfreiheit für die gesamte Kindergartenzeit garantieren.

Im Wirtschaftsbereich setzt Beck auf einen starken Mittelstand, die Exportstärke der Industrie, Innovationen in Forschung und Wirtschaft, eine gute Infrastruktur und neue Technologien. Eine Milliarde Euro will die SPD in der kommenden Legislaturpriode für neue wirtschafliche Impulse ausgeben. Hiervon soll eine Hälfte in eine neue Mobilitätsoffensive zur Verbesserung der rheinland-pfälzischen Infrastruktur fließen, die zweite Hälfte in Hochschulen, Wissenschaft und Forschung. Zukunftstechnologien und wissenschaftliches Know-how kämen vor allem kleinen und mittelständische Betrieben zugute, glaubt Beck.

"Diese neue Regierung bekennt sich zum Mittelstand", bekräftigte der Regierungschef. Ein so genannter Mittelstandslotse soll künftig zentraler Ansprechpartner für mittelständische Unternehmen sein, überflüssige Bürokratie abgebaut und Genehmigungsverfahren weiter beschleunigt werden. Außerdem sprach sich Beck für eine offensive Technologiepolitik aus. Als finanzpolitisches Ziel formulierte der Minis-terpräsident, der ursprünglich die Verschuldung bis 2006 auf Null herunter fahren wollte, jetzt den Einhalt der Verfassungsgrenze ohne Vermögensveräußerungen. Im Rahmen einer "strikten Ausgabenbegrenzung" will Beck nicht nur an der Budgetierung festhalten, sondern bei Richtern und Beamten künftig die Bezahlung der Berufsanfänger absenken. Bis 2011 sollen die gesetzlichen Grundlagen für eine Verwaltungs- und Strukturreform gelegt sein.

Eine Politik "ohne Weitsicht und Kompass" nannte der neue Vorsitzende der CDU-Fraktion,Christian Baldauf, Becks Ankündigungen. "Sie sind ein Ministerpräsident ohne Visionen", kritisierte der 38-Jährige. Becks Staatsverständnis verzichte bewusst auf Gestaltung und befriedige ausschließlich Einzelinteressen. Der Oppositionsführer verwies auf die hohe Verschuldung des Landes, die nach seinen Angaben von rund 12 Milliarden Euro im Jahr 1991 auf mittlerweile 28 Milliarden Euro angestiegen ist. Beck sprach dagegen von einem Betrag von 24 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum sei, so Baldauf, die Pro-Kopf-Verschuldung in Rheinland-Pfalz von rund 3.000 Euro auf rund 7.000 Euro angestiegen. Bei der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten liege das Land im Vergleich der Flächenländer auf dem drittletzten Platz.

"Der hier geschaffene Schuldenberg ist eine schwere Hypothek für die Zukunft unserer Kinder", sagte Baldauf. Beck, der für sich in Anspruch nimmt Rheinland-Pfalz vom Mittelfeld in die Spitzengruppe der Länder geführt zu haben, propagiere einen Aufstieg, den es nicht gebe. Baldauf kritisierte nicht nur die Finanzsituation des Landes, sondern auch die personelle Ausstattung an Schulen und bei der Polizei. So fallen laut Baldauf 800.000 Unterrichtsstunden pro Jahr aus. Wenn Unterricht in diesem Maße ausfalle, erübrige sich jede weitere bildungspolitische Debatte, erklärte der CDU-Fraktionschef. Neben 800 zusätzlichen Lehrern fordert die CDU mehr Polizisten. Seit 1993 sei die Kriminalität in Rheinland-Pfalz um fast ein Drittel auf 300.000 Straftaten im Jahr gestiegen. Nach Auffassung der Christdemokraten fehlt zudem ein eindeutiges Integrationskonzept. Dies habe dazu geführt, dass fast zehn Prozent aller Jugendlichen keinen Schulabschluss machen, 25 Prozent der Erstklässler erhebliche Sprachdefizite haben und 40.000 Kinder in Armut leben.

Einen deutlichen Bruch in der bisherigen sozial-liberalen Landespolitik stellte FDP-Fraktionschef Herbert Mertin fest. "Ministerpräsident Kurt Beck hat eine Regierungserklärung SPD pur abgegeben, dem die FDP-Fraktion eine konsequente und konstruktive Oppositionspolitik pur entgegensetzen wird." Nach Auffassung des ehemaligen Justizministers fehlen Aussagen zur Haushaltskonsolidierung und zur mittelfristigen Finanzplanung. Beck solle die Mehreinnahmen aus der geplanten Mehrwertsteuererhöhung zur Reduzierung der Neuverschuldung einlösen. In der Schulpolitik mahnte Mertin einheitliche Standards wie Abschlussprüfungen an Haupt- und Realschulen und das Zentralabitur nach zwölf Jahren an. Einen "bedenklichen Alleingang" sieht der Liberale im so genannten Landeskindermodell, das nur Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzern ein gebührenfreies Erststudium zusichert. Mertin kritisierte auch den geplanten Sparbeitrag für Beamte, der für Angestellte jedoch nicht gelte: "Beck spaltet das Land statt zu einen."


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