Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 23 - 24 / 06.06.2006
Johanna Metz

Warnung vor Schnellschüssen

Mindestlohn
Arbeit und Soziales. Die im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbarte Debatte über die Einführung von Mindestlöhnen in Deutschland findet kein Ende. Rund 2,5 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland für einen Brutto-Stundenlohn von weniger als 7,50 Euro, doch noch sind Regierung und Opposition uneins über die geeignete Gegenstrategie. Während Die Linke fordert, eine Mindestlohnregelung einzuführen, lehnen Union, Grüne und FDP ein solches Gesetz ab. Selbst in den Reihen der SPD, bislang in dieser Frage auf Seite der Gewerkschaften, wachsen inzwischen die Zweifel am Nutzen einer solchen Maßnahme. Die Bundestagsdebatte am 1. Juni fiel entsprechend vielstimmig aus.

Einig waren sich die Fraktionen - mit Ausnahme der FDP - nur in einem Punkt: Die Löhne brauchen eine untere Grenze. Allein über das Wie und Wann gab es schon innerhalb der SPD unterschiedliche Auffassungen. Da war zum einen die Position von Anette Krampe: Sie warnte vor "unüberlegten und populistischen Schnellschüssen" und drängte darauf, zu prüfen, inwieweit man mit branchenspezifischen Lösungen arbeiten könne und wie hoch ein solcher Mindestlohn eigentlich sein sollte. Denn: "Ist er zu hoch angesetzt" so Krampe, "wird er zum Einstellungshindernis für Ältere und Jugendliche. Ist er zu niedrig angesetzt, haben wir den ungewollten, staatlich legitimierten Niedriglohnbereich."

Der Vertreterin der Parteilinken und gewohnt energische Andrea Nahles (SPD) war das offenbar zu wenig. Sie forderte, zunächst das Entsendegesetz, das ausländische Bauunternehmen an deutsche Tarifverträge bindet und damit Lohndumping verhindert, auf alle Branchen auszuweiten. Darüber hinaus plädierte sie in einem zweiten Schritt für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, über dessen Höhe "eine unabhängige Kommission" entscheiden solle.

Die Grünen gaben sich vorsichtiger. In ihrem Antrag (16/656) forderten sie zwar, Mindestarbeitsbedingungen zu schaffen und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auszuweiten. Doch einen gesetzlichen Mindestlohn lehnen sie weiterhin ab. "Es ist eine Gratwanderung", erklärte dazu Grünen-Sozialexpertin Brigitte Pothmer. "Auf der einen Seite muss Lohndumping verhindert werden, auf der anderen Seite aber auch, dass Arbeitsbereiche mit niedrigen Löhnen durch einen hohen Mindestlohn einfach wegbrechen."

Die Linksfraktion hatten demgegenüber in ihrem Antrag (16/389) sogar die Einführung eines Mindestlohns von mindestens 8 Euro Brutto pro Stunde gefordert. Statt Löhne, die nicht zum Leben reichen, durch Zuschüsse aus dem Arbeitslosengeld II zu subventionieren, argumentierte der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf, sei es "dringend notwendig", in Deutschland Mindestlöhne durchzusetzen. Der Zustand, dass eine Vollzeitbeschäftigung Millionen Menschen arm mache, sei "nicht hinnehmbar". Zumal Mindestlöhne, so Wolf, "durchaus ein arbeitsmarktstabilisierendes Element" sein könnten. Eine Argumentation freilich, die bei der FDP nur Widerspruch hervorrief. Die Liberalen hatten sogar kurzfristig beantragt (16/1653), allen Forderungen nach gesetzlichen Mindestlöhnen eine klare Absage zu erteilen. Sie befürchten in deren Folge Firmeninsolvenzen und wachsende Arbeitslosigkeit besonders im Osten. Dazu Heinrich Kolb: "Kein Unternehmen kann auf Dauer einen Lohn zahlen, der durch die Gegenleistung des Arbeitnehmers nicht gedeckt ist." Der FDP-Antrag wurde an den zuständigen Fachausschuss überwiesen. Die bereits im Ausschuss behandelten Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion wurden dagegen abgelehnt.

Bei Union und SPD will man nun erst mal den Herbst abwarten. "Dann wollen wir mit der Einführung eines Kombilohnmodells prüfen, ob und wenn ja, in welcher Höhe, ein Mindestlohn eingeführt werden kann", erklärte Paul Lehrrieder von der Union. Deutlich machte er aber auch die Vorbehalte seiner Fraktion: "Tarifliche Lösungen sind gesetzlichen Lösungen immer vorzuziehen", so der CSU-Abgeordnete.


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