Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 25 / 19.06.2006
Ines Gollnick

Das Alte weicht dem Neuen

Die Villa Dahm in Bonn wird endgültig abgerissen

Der Abschied vom steinernen "Zeitzeugen" Villa Dahm in Bonn steht bevor. Bis 1999 - 48 Jahre lang - war das klassizistische Gebäude Sitz der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft (DPG), also der überparteilichen Vereinigung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der deutschen Landtage und des Europaparlaments. Dort wurde vertraulich gesprochen, ganz sicher gekungelt und gerne mal Skat gespielt. In diesen Tagen wird die Villa Dahm dem Erdboden gleichgemacht - aus den Köpfen wird das Gebäude jedoch nicht verschwinden. Im neuen Internationalen Kongresszentrum Bundeshaus Bonn (IKBB), für das die Villa weichen musste und das Ende 2008 fertig sein soll, wird es einen Abdruck hinterlassen: Auf dem Dach des neuen Gebäudes soll ihr Grundriss abgebildet werden. Versöhnen wird das die Kritiker des Abrisses vielleicht nicht. Doch es darf sicher von einer würdigen Form des Erinnerns an das alte Gebäude und seiner politischen Bedeutung gesprochen werden.

Das Alte weicht zugunsten der Zukunft Bonns. Der Ausbau der Stadt hat als deutscher Standort der Vereinten Nationen höchste Priorität. Der koreanisch-amerikanische Konzern Hyundai errichtet auf dem Gelände der Villa Dahm mit einem Kostenaufwand von 140 Millionen Euro einen großen Saal mit 3.500 Plätzen, ein 350-Zimmer-Hotel der Vier-Sterne-Plus-Klasse sowie weitere Gebäude als Ergänzung zu den Parlamentssälen der "Bonner Republik" (Behnisch-Bau und Wasserwerk). Hyundai hat sich verpflichtet, die Würde und die historische Bedeutung sowie den Denkmalschutz des Pachtobjektes zu achten. Auch das ein Grund, warum der Grundriss der Villa als "Abdruck der Erinnerung" auf dem begrünten Dach des Kongresscenters zu sehen sein wird. Dafür sollen dort Platten verankert und die Vorderfront der Villa in einer Art "Ansicht der Erinnerung" auf eine Glasfassade projiziert werden. Die Doppelturmfassade geht damit gleichsam in dem neuen Gebäude auf. Das Besondere: Je weiter man von diesem Bild entfernt steht, umso klarer wird es. In Höhe des "Hauses der Geschichte", mit Blick von der Welcker Straße, ist die abgerissene Fassade als Bild auf dem Glas besonders deutlich zu sehen. Einen derartigen Effekt erzielt man mit einer Ätzung, Klebung oder einem Siebdruckverfahren. Man muss sich das wie bei einem Bild von Roy Lichtenstein vorstellen, das aus vielen Punkten zusammengesetzt ist.

Um den Abschied zusätzlich etwas abzumildern, hatte die Stadt Bonn auf Anregung der Bürger Ende Mai das Inventar der Villa zugunsten des Nelson Mandela Childrens Fund versteigert. Der Erlös: rund 10.000 Euro. Der Erhalt aller denkmalgeschützten Gebäude auf dem Gelände war jedoch nicht möglich. Das Motto: "Mit alt mach neu!" ließ sich nach Auskunft der politisch Verantwortlichen bei der Villa Dahm nicht realisieren. Eine Translozierung, also ein Wiederaufbau an einem anderen Ort, war geprüft, aber wieder verworfen worden. Er wäre mit 20 Millionen Euro zu Buche geschlagen. Erhalten bleiben die benachbarten ehemaligen Abgeordnetenwohnungen. Kritiker des Abrisses, die der Stadt "geschichtlich unsensible Entschlossenheit" vorwarfen, wie auch schon der Journalist Helmut Herles in dieser Zeitung, standen denjenigen gegenüber, die den Weg zu Lasten der Villa Dahm freimachen wollten. Es gab Proteste ehemaliger und heutiger Bundestagsabgeordneter. Bundestagspräsident Norbert Lammert sah es noch vor wenigen Tagen bei einem Besuch im Bonner Presseclub ganz nüchtern, als er formulierte, dass der Abriss schade, aber die Villa kein "Monument des deutschen Parlamentarismus" sei.

Jedenfalls staubt es nun heftig im ehemaligen Regierungsviertel: Archäologen suchen neben der Villa unter orangefarbenen Schirmen Schutz vor der brütenden Sonne. Noch bis zum Herbst dürfen sie graben, schaben und suchen. Sie erwarten im Boden Spuren des antiken Vicus - einer Siedlung, die bereits an anderen Stellen entlang der B9 entdeckt worden waren. Offenbar lassen sich so manche steinerne his- torische Zeugen gar nicht so einfach für immer auslöschen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.